Die deutsche Sozialpoltti
Reichsarbeitsminister Stegerwald spricht auf dem Kongreß der freien Gewerkschaften
Frankfurt a. M., 31. Aug. In der Eröffnungssitzung des 1t. Kongresses der Freien Gewerkschaften Deutschlands führte Bundesvorsitzender Leipart u. a. aus, daß heute wieder Bestrebungen im Gange seien, die die Arbeiterschaft wieder in den Zustand jener Bedürfnislosigkeit zurückzustvßen versuchen, in der sie vor 30 Jahren gelebt habe. Es sei Aufgabe dieses Kongresses, einen Abwehrwall gegen jene Bestrebungerl zu errichten. Die Gewerkschaften, so fuhr der Redner fort, würden nicht den Kampf suchen, aber wenn es sein müßte, so würden sie eine neue Kampfansage annehmen und den Kampf für das Wohl und Wehe der deutschen Arbeiterklasse führen. Dann ergriff Rcichsarbeitsminister Tr. Stegerwald das Wort.
Dr. Stegerwald führte u. a. aus, gegenwärtig stehe neben Staat und Wirtschaft auch die deutsche Sozialpolitik vor der größten Krise seit ihrem Bestehen. In sozialwissenschaftlichen Kreisen habe man um die Jahrhundertwende darüber diskutiert, ob die deutsche Sozialversicherung wohl über einen größeren Krieg hinübergerettet werden könnte. Das sei gelungen. Auch über die Inflation hätte sie hinübergebracht werden können. Aber die bei Krieg und Inflation hervorgetretenen Schwierigkeiten wären nicht vergleichbar mit denen, die insbesondere die gesetzliche Sozialversicherung in der nächsten Zeit zu überwinden habe. Alan dürfe sich nicht der Illusion hingeben, als ob die Weltkrisis und mit ihr das deutsche Ar- beitslosenproblem in kurzer Zeit bewältigt werden könnten. Die Arbeitslosenfrage wirke insbesondere von der Eumahme- seite her sehr stark auf Bestand und Leistungsfähigkeit der übrigen Sozialversicherung zurück.
Deutschland, so erklärte der Redner dann, sei gegenwärtig das größte Ausfuhrland Europas und neben Amerika das größte Ausfuhrland der Welt. Ein solches Land könne weder Wirtschaftsautarkie noch in einem unruhigen und unbefrie- öeten Europa sein Arbeitslosenproblem bewältigen.
Durch den Krieg und seine Begleiterscheinungen seien den Deutschen zwischen 100 bis 150 Milliarden vernichtet oder entzogen worden. Die deutsche Wirtschaft sollte mehrere Milliarden überhöhter Zinsen Herauswirtschaften, sehr hohe Steuern aufbringen, einen stark aufgeblähten Verwaltungsapparat in der öffentlichen und in der Privatwirtschaft unterhalten; das alles zusammen hätte keine Wirtschaft leisten können. Nachdem der Redner Zahlenbeispiele für die eröhteu Kosten des Verwaltungsapparates gegeben hatte, fuhr er fort, er kenne eine Anzahl induftireller Großbetriebe, deren Gehaltskonto für die Angestellten sehr viel höher sei als das Lohnkonto derer, die in der Produktion tätig seien. In Notzeiten, wie sie die Gegenwart und die nächste Zukunft darstelle, seien Gehälter von 300 000 R.M. und mehr ein großes Volksärgernis und zeugen von einer unverantwortlichen Einstellung.
Neben der Sozialversicherung sei noch immer das Schlichtungswesen stark umstritten. Ein Verzicht auf die staatliche Schlichtung scheine, so erklärte der Redner, ausgeschloffen. Man benötige die staatliche Schlichtung nicht nur zur Verhütung vermeidbarer Arbeitskämpfe, sondern auch zur Stützung der kollektiven Arbeitsverfaffung. Ueber die zweckmäßige Gestaltung des Schlichtungswesens könne diskutiert werden. Heute könne, so betonte Dr. Stegerwald, nur gesagt werden, daß eine gesetzliche Aenderung zurzeit nicht beabsichtigt sei, und wenn sie im Rahmen eines Gesamtprogramms ins Auge gefaßt werden sollte, Wirde dies keinesfalls geschehen, ohne daß die Frage mit den Gewerkschaften nochmals gründlich durchgesprochen werde.
Gegenwärtig stehe es sehr ungünstig um die gesetzliche Sozialversicherung. Man müsse damit rechnen, so fuhr Dr. Stegerwald fort, daß sie im Jahre 1932 ohne die Arbeitslosenversicherung rund eine bis eineinviertel Milliarde Reichsmark weniger Einnahmen haben werde als im Jahre 1929. Ob mit den seitherigen Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung und mit der jetzt geltenden Krisensteuer trotz größter Sparsamkeit die Arbeitslosen über den nächsten Winter hinübergebracht werden können, sei noch zweifelhaft. Wenn aber schon jetzt 20 Prozent des Grundlohns an Beiträgen zur Sozialversicherung und zur Krisensteuer erhoben würden, wenn die Steuer- guellen des Reiches, der Länder und Gemeinden im Hinblick auf Deutschlands Gesamtlage fast alle bis auf den letzten Grund ausgeschöpft seien, dann mehrten sich die Sorgen des Arbeitsministers.
vor ihrer größten Krise
Zur Arbeitszeitfrage bemerkte der Minister, daß er eine Aenderung auf der ganzen Linie nicht in Aussicht stellen könne, da diese Frage tief in den deutschen Wirtfchafts- und Kreditausbau eingreife.
Ter letzte große Fragenkreis, den der Minister erörterte, war das Arbeitslosenproblem. Es sei schwer, über den zukünftigen Umfang der Arbeitslosigkeit in Deutschland Ziffern zu nennen. Man müsse damit rechnen, daß in den nächsten sieben Monaten Reich, Länder und Gemeinden an zwei Milliarden Reichsmark für die Arbeitslosen werden aufbringen müssen. Man werde u. a. Prüfen müssen, inwieweit Arbeitszeitverkürzungen ohne starke Gefährdung der Ausfuhr durch- gcführt werden können; inwieweit periodische Auswechselungen einzelner Belegschaftsmitglieder mit Arbeitslosen möglich seien, ob in den größeren Städten Volksküchen einzurichten seien und inwieweit eine „Natural-Vcrpflcgung" zur Einführung gelangen könne.
Tie Praxis, daß der letzte Verbraucher häufig doppelt so viel für Lebensmittel bezahle, als der Erzeuger erhalte, könne im nächsten Winter gegenüber den Arbeitslosen nicht durchgehalten werden. In Verbindung mit den Konsumvereinen und dem Einzelhandel würden die Städte Vorkehrungen tref-' fen müssen, wonach für die Arbeitslosen die Gegenstände täglichen Bedarfs zu wesentlich verbilligten Preisen erhältlich seien.
Nachdem Dr. Stegerwald noch die Ziele der Gewerkschaftsarbeit auf dem Gebiete der Sozialpolitik Umrissen hat, schloß er mit dem Wunsche, daß der Verlauf der Tagung sich günstig für das Gcsamtwohl von Volk und Vaterland auswirken möge.
Bundesvorsitzender Leipart dankte dem ReichSarbeitsmini- ster für seine Begrüßungsansprache, bedauerte aber, daß der Minister keine Gelegenheit genommen habe, zur Frage der 10-Stunden-Woche Stellung zu nehmen.
Namens des Internationalen.Gewerkschaftsbundcs sowie der diesem angeschlosscncn ausländischen Gewerkschaften überbrachte SchevenelS-Belgicn in einer Ansprache die Grüße und Wünsche der ausländischen Bruderorganisationen. Als Vertreter des Internationalen Arbeitsamts in Genf verlas Direktor Donau-Berlin ein Begrüßungsschreiben von Albert Thomas, in dem dieser bedauert, durch wichtige Beratungen des Koordinationsausschusses in Genf verhindert zu sein, in Frankfurt a. M. über die Frage der 10-Stunden-Woche zu sprechen.
Hierauf sprachen noch Aufhäuser als Vertreter des Afa- bundes, Falkenberg als Vertreter des Allgemeinen Deutschen Beamtenbundes, Bästlein-Hamburg für den Zentralverband Deutscher Konsumvereine und für die Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, sowie für die gewerkschaftlichen Eigenbetriebe Geheimer Regierungsrat Dr. Bachem-Berlin. Als Leiter des Kongresses wurden Leipart, Brandes uno Schumann gewählt. Gleichzeitig wurden die vorgesehenen Kommissionen eingesetzt- Hierauf nahm Bundcsvorsitzendcr Leipart das Wort zur Erstattung des umfangreichen Berichts des Bundesvorstandes.
»Graf Zeppelin" wirst über den Cap Berdischen Inseln Post ab
An Bord des „Graf Zeppelin", 31. Aug. Am Mittag ging das Luftschiff über den Cap Berdischen Inseln zur Erforschung der Wärmeausstrahlung aus eine Höhe von 1000 Meter, von wo wir einen herrlichen Rundblick auf das Wolkenmeer hatten. Das Luftschiff befand sich um 15 Uhr MEZ. auf 21 Grad östlicher Länge und 18 Grad nördlicher Breite und machte schnelle Fahrt. Ueber Sao THIago aus den Cap Berdischen Inseln wurde Post abgeworfen.
Neue Standortmrldung von Bord des »Graf Zeppelin"
An Bord des „Graf Zeppelin", 31. Aug. Gegen 7 Uhr abends befand sich das Luftschiff „Graf Zeppelin" auf seiner Südamerikafahrt auf 25 Grad westlicher Länge und 11 Grad nördlicher Breite. Das Luftschiff fliegt mit ein»r Geschwindigkeit von 108 Stundenkilometern. Es herrscht zurzeit tropische Hitze.
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Paris, 31. Aug. Aus Lubo in Spanien wird berichtet: Gestern stürzte hier ein mit 50 Ausflüglern besetzter Autobus in einer als gefährlich bekannten Kurve einen 15 Meter tiefen Abhang hinunter. Sieben Insassen wurden sofort getötet. Von den 30 Verletzten sind vier bei Einliesernng ins Krankenhaus gestorben.
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Neuenbürg, 31. Aug. Das vom Verkehrs-Verein Neuenbürg Sonntag abend im Gasthof zum „Bären" veranstaltete Streich-Konzert zu Ehren der hier anwesenden Kurfremden hatte sowohl seitens der Fremden wie der hiesigen Einwohnerschaft einen verhältnismäßig guten Besuch aufzuweifen, doch hätte derselbe ein noch viel besserer sein dürfen. Der Abend der den Charakter eines Schwäbischen Heimatabends trug nahm einen sehr harmonischen Verlauf. Die Streichkapelle des hiesigen Musikvereins unter Leitung von Kapellmeister Otto Wendt brachte ein gediegen zusammengesrelltes Programm bekannter Komponisten zu Gehör, wofür sie stets reichen Beifall erntete. Ein Sängerguartett der Sängervereinigung „Freundschaft" überraschte die Zuhörer durch einige Gesangseinlaaen, die ebenfalls beifällig ausgenommen wurden. Stadtrat Gollmer hieß die Kurgäste namens der Stadtverwaltung aufs herzlichste willkommen, sie bittend, bei ihren Bekannten in der Heimat für unser schönes Neuenbürg als Luftkurort zu werben und wünschte ihnen einen vergnügten Abend. Zwei Besucher bereicherten den Abend noch durch Borträge von Gedichten in schwäbischem Dialekt von Otto Keller die bei den Besuchern lebhaften Anklang fanden. In ziemlich vorgerückter Stunde nahm der wirklich schöne Abend sein Ende. Es wäre zu wünsäsen, daß solche Abende im nächsten Jahre öfters abgehalten würden, damit den Kurgästen während ihres Hierseins auch etwas an Unterhaltung geboten wird. M.
(Wetterbericht.) Wenngleich die Wirkung des nördlichen Hochdrucks durch eine westliche Depression beeinflußt wird, so ist für Mittwoch und Donnerstag doch vorwiegend heiteres und trockenes Wetter zu erwarten. (Bei uns im Schwarzwald merkt man nichts davon.)
Generalversammlung des Bezirkskonsumvereins Neuenbürg
Neuendürg, 1 . Sept. Die Generalversammlung des Bezirks-Konsumvereins am letzten Sonntag in der Turnhalle hatte einen überaus starken Besuch aufzuweisen. Die Ber- sammlung wurde von dem Vorsitzenden des Aussichtsrats, Herrn S a i l e - Neuenbürg, eröffnet. Er leitete die Versammlung ein mit einem kurzen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des Vereins. Mit dem Jahr 1931 feiert der Konsumverein sein zehnjähriges Bestehen. Durch die Not der Zeit wurde er im Jahre 1921 gegründet. In einem kleinen Laden im Großmannschen Hause hat er seinen Anfang genommen. Durch die stetige Entwicklung mußte bald an eine räumliche Erweiterung gedacht werden und wurde zu diesem Zweck bereits im Jahre 1922 das frühere Gasthaus z. „Anker" käuflich erworben. Durch den Kauf dieses Gebäudes hatte sich der Verein eine feste Grundlage zur weiteren Entwicklung geschaffen, was sich heute darin zeigt, daß bereits 9 Filial- betriebe vorhanden sind. Geschäftsführer Ahma r gab dann den Geschäfts- und Kassenbericht. Er führte aus, daß Heuer zum ersten Mal den Mitgliedern ein gedruckter Jahresbericht vorgelegt werde. Aus den Zahlen der Bilanz könne mau ersehen, daß diese gegenüber der vorjährigen Bilanz wesentliche Besserungen aufweise. Nach reichlichen Abschreibungen war noch ein Reinertrag von 12 975.66 R.M. vorhanden, über dessen Verwendung die Generalversammlung zu entscheiden habe. Die Verwaltung schlage vor, den Mitgliedern eine fünfprozentige Rückvergütung zu gewähren, was einen Gesamtbetrag von 11102.30 R.M. verlange, der Rest von 1573.36 Reichsmark soll auf ein Gebäudeerneuerungskonto überschnellen werden, damit man im nächsten Jahre die Möglichkeit Habe, das Ankergebäude einer gründlichen Renovierung zu unterziehen. Die Hhpothekcnschulden des Vereins hätten sich gegenüber dem Vorjahr um die Hälfte ermäßigt, was sich besonders beim Zinsenkonto bemerkbar mache. -Offener Bankkredit werde heute nicht mehr in Anspruch genommen, indem der Verein selbst über ein entsprechendes Bankguthaben verfüge. Auch das Wechselgcschäft sei schon seit zwei Jahren abgeschafft. Der gesamte Jahresumsatz habe sich trotz der wirtschaftlichen Notlage und Schließung einer Filiale um 15 M Reichsmark gesteigert. An Steuern mußten im letzten Geschäftsjahr 4891.10 R.M. aufgebracht werden, ein Beweis für die Ilnwahrhaftigkcit der Gerüchte, daß der Konsumverein keine Steuern zu bezahlen hätte. Er richtet daher auch bei diesem Anlaß an die Mitglieder erneut die Bitte, das Bestreben auf weitere Ausbreitung der Genossenschaft nach besten Kräften zu unterstützen. Werbung neuer Mitglieder und Steigerung der Umsätze bilden die Möglichkeit zu weiterem Aufstieg, getreu dem Grundsatz: Der Genossenschaft die Zu-
Der Weg der Brigitte Andreas.
Roman vonOtfridvvn Honstein.
Oopzwi^iil 1927 b? Karl Köhler «L Co., Berlin-Zehlendorf.
15, <Nachdruck verboten.!
Viktor führte sie mit übertriebener Höflichkeit hinaus. Sie gingen über den Hof, traten in die Fabrik, in der es jetzt, in der Mittagspause, allerdings still war.
„Pfui, ist es hier schmutzig!" rief Hilma aus, „abscheulich!"
„Sehr richtig, Gnädigste. Darum vermeide ich es auch, hier herüberzukommen. Merkwürdig, daß sich meine Schwester hier wohl fühlt."
Sie nahm willig den Arm, den er ihr bot.
In der großen Halle standen Brigitte, Robert und Zedewitz an dem Relief des Stauwerkes. Zedewitz erklärte. Roberts Augen leuchteten vor Eifer.
„Robert!"
Hilma stand neben ihnen. Die beiden hatten den fast beleidigenden Ton ihres Rufes gar nicht beachtet.
„Sieh nur, Hilma, dieses herrliche, dieses gewaltige Werk! Das soll ich bauen!"
Sie warf ihm einen raschen Blick zu. Ihm und dem Ober- ingcr ur Zedewitz. Sie hatte ein fast verächtliches Lächeln um den/:.... d. Wie konnte man sich über ein Stauwerk, über einen großen Haufen von Eisen und Steinen in einer scheußlichen, wilden Berggegend so begeistern.
„Wir wollen dich abholen", sagte sie.
Zedewitz fragte Robert: „Wenn es Ihnen recht ist, Herr Kollege, würde ich Sie bitten, heut nachmittag so gegen vier Ihr wieder hier zu sein, damit wir mit Ihrem Herrn Vater zusammen alle Einzelheiten genau festletzen können."
„Selbstverständlich."
Sie gingen wieder in das Bureau zurück, und Hilma erzählte von ihren Plänen.
„Mich laß aus dem Spiel," sagte Robert, „du hast gehört, ich habe zu tun."
Viktor griff ein:
„Ich habe mir bereits gestattet, mich Ihrer Familie als Führer anzubieten. Brigitte, ich habe die Familie Wendtland für diesen Nachmittag und Abend natürlich eingeladen."
Eigentlich fand Brigitte das gar nicht so natürlich, aber sie lächelte nur zustimmend. Es war vielleicht ganz gut so. und sie freute sich sogar heimlich, daß Viktor überhaupt einwff I-trreffe an etwas nahm.
„Wir wollen mein immer fleißiges Schwesterchen nicht länger stören," sagte Viktor lachend, „es ist au b angebracht, jetzt an Ihre sicher hungrigen Magen zu denken, vcicht wahr, Brigitte, du gestattest das Fabrikauto?"
Robert, der sich in der Tat Sorge gemacht hatte, wie Hilma es ai'snehmen würde, wenn er sie am ersten Nachmittag in Berlin allein ließ, atmete auf, zumal er Hilmas zufriedenes Gesicht sah.
„Ich bin Ihnen in der Tat aufrichtig dankbar," sagte er zu Viktor, „und wenn ich kann, schließe ich mich heute abend an."
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Sie saßen nun im Hotel Adlon, Viktor, Hilma und die beiden alten Wendtlands, im Gartensaal, besten verschiebbares Dach bereits wegen der kühlen Herbstwitterung geschloffen war. Viktor lächelte vergnügt. Er sah sofort, wie Hllma gewissermaßen mit weitgedehnten Lungen die Atmosphäre dieser von ihr so heiß ersehnten Welt einatmete, die ihr bisher nur aus Büchern bekannt war. Während ihre Eltern in ihrer etwas übertriebenen Art sich etwas geniert umschauten, war Hilma anscheinend sofort zu Hause. In ihrer bis auf den Gürtel am Rücken entblößten, bei allem Geschmack und Raffinement nicht aufdringlichen Toilette, die Augenbrauen diskret nachgezogen, das Gesicht geschminkt und gepudert, paßte sie völlig in diese Umgebung und empfand mit Genugtuung, daß sie keineswegs von den anderen abstach,, daß ihre Schönheit sogar Aufsehen erregte.
Viktor feierte einen großen Tag, und Hilma ließ keinen Tanz aus und war entzückt.
Viktor lächelte mitunter heimlich. Er hatte den erzürnten Blick gesehen, mit dem Hilma sein» Schwester und ihren Mann in der Maschinenhalle angeblickt hatte. Was würde wohl der brave Robert sagen, wenn er seine junge Frau hier sehen und beobachten würde?!
Endlich war es Zeit zum Aufbruch. Sie beschlossen, die Linden entlang zu gehen und schickten das Auto fort. Es machte sich ganz natürlich, daß die beiden Alten zusammen vorausgingen und daß Hiima an Viktors Seite dahinschritt.
„Nun?" fragte er, „haben Sie sich gut unterhalten, gnädigste Frau?"
„Ohne Uebertreibung, es war der schönste Nachmittag meines Lebens, und ich habe ihn Ihnen zu danken!"
„Ich habe Sie ganz einfach in die Welt Angeführt, in die Sie gehören."
„Nicht wahr?" entgegnete sie geschmeichelt.
„Nur schade, daß Ihr Herr Gemahl nicht mit dabei sein konnte, er hätte sich gewiß auch gut unterhalten."
„Mein Mann? Da irren Sie sich aber gewaltig. M:m Mann fühlt sich nur glücklich bei seiner Arbeit und hat gar keinen Sinn für all die hübschen Zerstreuungen, die ich jo liebe."
„Er hat S-? unendlich lieb."
Sie verstaav nicht recht, fühlte aber eine bestimmte Absicht.
„Er hat doch immerhin um das Glück, Sie zu besitzen, viel aufgegeben", fügte Viktor rasch hinzu.
Hilma war gekränkt.
„Ich denke, wenn einer von uns beiden ein Opfer gebracht hat, so bin ich es", sagte sie schnippisch. „Sehen Sie mich an und
ihn. Ich denke —"
„Sie verstehen mich vollkommen falsch, meine Gnädigste. Es ist gewiß niemand so von Ihrem Wert überzeugt wie ich. Ihr erstes Eintreten in das Berliner Leben war geradezu ein Triumph. Sie sagten aber doch selbst, Herr Schubert gehe vollkommen in seiner Arbeit auf. Da unterschätzen Sie ihn. Er muß Sie unendlich lieben, denn er könnte heut wahrscheinlich Inhaber der Andreaswerke sein."
Sie blieb mit einem Ruck stehen und sah ihn zornig an.
„Was soll das heißen?" rief sie aus, „wollen Sie nicht deutlicher werden?"
Sie vergaß für einen Augenblick ganz, daß sie auf der Straße waren, und sprach lauter, als sie es gewollt hatte.
„Ich bitte Sie, überzeugt zu sein," erwiderte Viktor aalglatt, „daß nur der Wunsch, Sie von der großen Liebe Ihres Gatten zu überzeugen und meine aufrichtige Freundschaft für Sie mich reden läßt. Meine Schwester, die nach dem Willen meines Vaters Inhaberin der Firma ist, und Ihr Gatte waren Iugendgespielinnen. Ich weiß, daß meine Schwester ihn liebt —"
„Sie wissen —?" kreischte sie und hatte unwillkürlich seine Hand ergriffen.
„Ich weiß, daß Robert Schuberts Verlobung meiner Schwester sehr überraschend kam. Ich weiß, daß sie sogar mit meinem Vater über ihre Liebe zu' Herrn Schubert gesprochen hat, und daß mein Vater bereits in einem Brief an den Vater Ihres Gatten sein Einverständnis zu einer Heirat gegeben hatte."
Hilma war nahe daran, aus der Rolle zu fallen.
„Und dann bietet man ihm eine Stellung in den Andreaswerken an?" fragte sie rasch.
„Aber doch nicht hier. Er wird doch in Bolivia arbeiten.
„Wo?"
„In Bolivia. Dort soll er doch die neue Schleuse erbauen. Für-ihn der Anfang einer großen Laufbahn." ^
„Davon weiß ich ja noch gar nichts. In Bclw:a? Bon alledem hat mir mein Mann nichts gesagt!"
(Fonietzung jolgr.)