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Dienstag de« I. September 1SS1
8». Jahrgang
Ga deuM-stanz. Wirtschaftsprogramm?
Paris, 31. Aug. Die Tatsache, daß Briand diesmal nicht an der Eröffnung der Völkerbunds-Verhandlungen teilnehmen kann, hat das Interesse der französischen Oeffentlichkeit an Kens sichtlich vermindert. Man nimmt hier allgemein an, daß es zu große» politischen Auseinandersetzungen diesmal nicht kommen wird, zumal England nicht durch die maßgebenden Männer der neuen Regierung vertreten ist. Das Hauptinteresse konzentriert sich daher auf die Privatbesprechungen, die Dr- Curtins und der neue französische Botschafter Francois Poncet voraussichtlich schon in den nächsten Tagen, noch vor Ankunft Briands, in Genf führen werden.
Wie bekannt wird, werden sich diese Unterhaltungen Wohl auch weniger auf rein politische Fragen beziehen, als auf das gemeinsame Wirtschaftsprogramm, das man bei dem Besuch Lavals in die Wege leiten will. Die Vorbereitungen in beiden Kabinetten sollen schon so weit gediehen sein, daß man in Genf bereits eine Aussprache über konkrete Fragen, namentlich auf dem Gebiet der industriellen Zusammenarbeit Deutschlands und Frankreichs, durchführen könne.
Da die Zusammenarbeit sich zum Teil auf dem Wege in- urnationaler Kartellierungen werde vollziehen müssen, so fällt es hier auf, daß Reichskanzler Brüning zwar in seinen jüngsten Erklärungen die internationalen Kartelle als einen Weg zur Verständigung bezeichnet hat, zugleich aber sich gegen die Gewalt der Kartelle in Deutschland gewandt hat. Man übersieht offenbar dabei, -daß es sich in beiden Fällen um die gleiche Tendenz handelt, an Stelle Preistreibender, den Konsumenten schädigender Privatmonopole vom Staat gebilligte wirtschafts- fördcrnde Organisationen zu setzen.
Genfer Debatte
über einen Wirtschaftlichen Nichtangriffspakt
Genf Ai. Aug. Die Nachmittagssitzung des Koordinationskomitees des Europa-Ausschusses war in der Hauptsache den Beratungen über die Frage eines wirtschaftlichen Nichtangriffspaktes gewidmet. Der russische Volkskommissar Lit- winow verwies auf seine grundsätzlichen Ausführungen in der Vollversammlung des Europa-Ausschusses im Mai dieses Jahres. Er betonte, -daß der Pakt auf dem Begriff der Nichtdiskriminierung beruhe. Die Aufrechterhaltung des Meistbegünstigungssystems würde dadurch- nicht unmöglich gemacht. Mit der grundsätzlichen Frage des staatsmonopolistischen oder Privaten Wirtschaft hätte der Gedanke nichts zu tun. Der italienische Außenminister Grandi stimmte im Prinzip der Idee zu mit der Einschränkung, daß Acnderungen an dem Vorschlag vorgenommen werden sollen, die eine allgemeine Annahme ermöglichen. Dagegen meinte der französische Delegierte Francois Poncet, die Nichtdiskriminierung könne die verschiedensten Formen annehmcn. Er schlug vor, den Plan dem Wirtschaftskomitee des Völkerbundes zur Weitcrverfolgung zu übergeben. Der deutsche Außenminister Tr. Curtins erklärte, er habe be
reits im Mai grundsätzlich dem Vorschlag Litwinows zugestimmt. Er liege im Rahmen der Gesamtausgaben des Völkerbundes, der nicht nur den politischen, sondern auch den wirtschaftlichen Frieden erstrebe. Dr. Curtins schlug vor, ein redaktionelles Komitee einzusetzen, das dem Europa-Ausschuß einen Bericht unterbreiten soll. Er halte es, betonte er, nicht für möglich, daß das Koordinationskomitee von sich aus die Frage dem Wirtschaftskomitee des Völkerbundes überweift. Der Europaausschuß solle entweder einen Sonderausschuß nach dem Muster des Kreditausschusses für diese Frage ein- setzen, oder sie dem Wirtschastskomitee zur näheren Prüfung überweisen. Der französische Vertreter schloß sich darauf dem Vorschlag des deutschen Delegierten an.
England verlangt Rückzahlung
Der Kredit an Oesterreich gekündigt
Wien, 31. Aug. Durch eine Mitteilung des Finanzmini- stcrs wird bestätigt, daß die Bank von England den seinerzeit an Oesterreich gegebenen Vorschuß von 150 Millionen österreichische Schilling gekündigt hat. Dieser Vorschuß war zunächst nur auf eine Woche berechnet und wurde dann verlängert. Inzwischen sind die Verhandlungen mit der Bank von England über die Rückzahlung des Vorschusses beendet worden. Tie erste Rate von 28 Millionen Schilling mutz bereits in der nächsten Zeit flüssig gemacht werden. Außerdem ist ein ungefähr ebenso großer Betrag in etwa einem Monat fällig.
Von englischer Seite wird erklärt, daß die endgültige Kündigung durch die Lage der Bank von England bedingt sei.
Das Haager Urteil?
Paris, 31. Aug. Die Havasagentur verbreitet von Berlin aus einen Bericht „aus einer im allgemeinen gut informierten Quelle" über das voraussichtliche Urteil des Haager Schiedsgerichtshofes. Danach habe man im Haag der deutschen These Recht gegeben und sestgestellt, daß Deutschland in keiner Weise den Verträgen zuwidergehandelt habe. Im Gegensatz dazu würde der Schiedsgerichtshof Oesterreich Unrecht geben, weil das Genfer Protokoll von 1922 nicht mit einem deutsch-österreichischen Zollplan vereinbar sei. Infolgedessen sei Schober entschlossen, vor der Veröffentlichung des Urteils den freiwilligen Verzicht Oesterreichs auf den Zollunion-Plan anzn- kündigen. Die Erklärung würde hauptsächlich den Zweck haben, Oesterreich den moralischen Vorteil einer konzilianten Geste zu verschaffen, -damit die Verhandlungen über eine französische Anleihe zugunsten Oesterreichs günstig beeinflußt werden.
Man wird diese Havasnachricht mit aller geborenen Zurückhaltung aufnehmen müssen, weil bisher von keiner deutschen Seite eine Bestätigung dafür vorliegt. Die Datierung der Nachricht aus Berlin kann nur den Zweck einer bewußten Irreführung verfolgen.
Zentralausschuß der Reichsbank etnbernfen
Berlin, 31. A«g. Ter Zentralausschuß der Reichsbank ist für morgen, Dienstag, 1. September, nachmittags 4 Uhr, einbcrufcn. Wie WTB.-Hanvelsdienst Sazu erfährt, erwartet man in Bankkreisen eine Ermäßigung des Diskonts auf 8 Prozent und des LombardsaHes auf 10 Prozent.
Die Sozialdemokraten beim Reichskanzler
Berlin, 31. Aug- Wie das Nachrichtenbüro des VDZ. erfährt, wird der Reichskanzler Dr. Brüning am Dienstag- nachmittag die Führer der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion empfangen. Es Wird sich bei der Besprechung sowohl um die Maßnahmen, die von der Regierung für den Winter geplant sind, als auch um die in Aussicht gestellten Abänderungen der Notverordnung- vom Juli handeln, über die in den letzten Wochen zwischen den Vertretern der sozialdemokratischen Fraktion und den verschiedenen Reichsressorts verhandelt worden ist.
Gegen weiteren Gehaltsabba«
Einspruch der höheren Beamten
Berlin, 31. Aug. Der telegraphisch nach Berlin einberu- fene Gefamtvorstand des Rcichsbunds der höheren Beamten erklärt in einer Entschließung: Die Erregung der Beamten über die ihnen erneut zugemuteten Opfer ist um so größer, als die Entwicklung der Finanzlage immer deutlicher erkennen läßt, daß die bisher schon -gebrachten Opfer ganz nutzlos gewesen sind. Die durch die letzte Notverordnung (über die Haushalte in Ländern und Gemeinden) angebahnte Entwicklung bedeutet nach -den übereinstimmenden Berichten aus Ländern und Gemeinden den Beginn völliger Zersetzung der Be- mntenbedeutung. Den Arbeitern gegenüber wird der Tarifschutz von der Regierung anerkannt, das Berufsbeamtentum aber gibt man schütz- und rechtlos jedem Zugriff Preis. Der Grundsatz der Bcsoldungseinheit zwischen Reich und Ländern wird aufgegeben. Die höhere Beamtenschaft verlangt die Auf
nahme von Verhandlungen zwecks gerechter Verteilung der Lasten, bevor ihr neue Opfer zugemutet werden.
Arbeit Mr 75 Wv Berliner Bauarbeiter?
Berlin, 31. Aug. Der Berliner Stadtbaurat Wagner hat dieser Tage dem Oberbürgermeister und dem Magistrat ein sehr umfassendes Projekt zur Wiederankurbelung der Berliner Banwirtschaft unterbreitet. Das Programm soll die Einstellung von 75 MO arbeitslosen Bauarbeitern in Berlin ermöglichen. Eine der städtischen Ballgesellschaften soll unter Leitung eines zu ernennenden Bankommissars die Parzellierung und Bebauung städtischen Borstadtbodens in Angriff nehmen. Die Gesellschaft -soll weiter in Verbindung mit einigen Spezialbaufirmen Kleinwohnhäuser aufstellen, die industriell in Serien hergestellt werden. Bei der städtischen Sparkasse wird sofort eine Bausparkasse gebildet, die den städtischen Vorstadtboden erschließen soll. Darüber hinaus regt das Programm Wagners einen Reparaturzwang an, das heißt, die Besitzer besonders reparaturbedürftiger Berliner Häuser sollen zur Durchführung der nötigen Jnstandsetzun-gsarbeiten gezwungen werden. Man erhofft davon eine Beschäftigung von 20 OM Arbeitern. Im gleichen Zusammenhang wendet sich der Stadtbaurat sehr scharf gegen die völlig unproduktiven Straßen- und Kanalhauten, die bisher zur Beschäftigung eines Teiles der Wohlfahrtserwerbslosen als Notstandsarbeiten durchgeführt wurden.
Das Baukapital für dieses Notstandsprogramm soll nach dem Projekt des Stadtbaurats folgenden Quellen entnommen werden: Mittel aus der Erwerbslosen- und Wohlsahrtsunter- stützung, Kündigung von Hauszinsstcuerhypotheken bei solchen Hausbesitzern, bei Lenen die Voraussetzungen einer Bewilligung nicht mehr zutreffen; Erhöhung des Zinssatzes der Hauszinsstcuerhypotheken bei allen Wohnbauten, die auf der Grundlage einer Miete von 9 Mark Pro Quadratmeter und darunter finanziert worden sind, bis zu einem Mietsatz von 9—10 Mark pro Quadratmeter. Dem Eigenkapital von Baulustigen und dem Eigenkapital von Bauunternehmern. Das Bauprogramm verlangt Einsetzung eines Baukommissars, der frei, unbürokratisch, schnell und zweckmäßig handeln könne.
„Deutschland von heute'*
Was ein rumänischer Gelehrter schreibt
18 - In der in Bukarest erscheinenden rumänischen Zeitung „Universul" fand sich vor kurzem unter der Ueberschrift „Germania de azi" (Deutschland von heute) ein Aufsatz des 8t. Ba- silescu, Dekan der Rechts-Fakultät an der Universität Bukarest, in dem dieser zunächst behauptete, daß Deutschland heute tatsächlich stärker sei, als vor dem Kriege; denn heute ist es „einig und ungeteilt", nachdem die Fürsten vertrieben seien. Auch wirtschaftlich sei Deutschland stärker; denn wie noch nie würden deutsche Waren das Ausland überschwemmen. Schließlich sei Deutschland heute auch militärisch stärker als vor dem Kriege. Sein veraltetes Kriegsmaterial ist zwar vernichtet. Aber, so fährt Basilescu fort: „Deutschland ist heute „Herr" über Rußland. Es hat alle durch Frankreich seinerzeit errichteten Munitionsfabriken wiederhergestellt. Die Werke Putilow in Petrograd und noch so viele andere, in welchen es — Deutschland — alle Waffen und Munitionen herstellt, deren es sich im nächsten Kriege bedienen wird.
Besonders die russische sogenannte Sowjet-Luftschiffahrt ist vollkommen deutsch.
Selbst die Armee Deutschlands ist heute besser als vor dem Kriege. An Stelle einer Paradearmee von Kriegsprofessio- niften steht heute die ganze Nation in Waffen. Das Bedenklichste aber ist, Laß das Deutschland von heute auch finanziell besser steht als vor dem Kriege. Hat es doch aus aller Welt fantastische Summen heransgepumpt und gegen wertlose Ma- knlaturmark eingetaufcht. Und als all diese Reichtümer verbraucht waren, versprach es der Welt eine stabile, ehrliche Geldwährung.
Tie Verbündeten stellten die Reichs-bank wieder her und statteten sie mit MO Millionen Goldmark aus, die als Deckung der Scheine dienen sollten. Unter dem Vorwand einer neuen Krise ist dieses Geld wieder verschwunden. Deutschland war es leicht, immer noch andere „Harmlose" zu finden
— besonders in Amerika und England — die erneut märchenhafte Beträge in die deutsche Wirtschaft investierten. Alle diese fabelhaften Summen wurden von der deutschen Wirtschaft verschlungen und in Rußlands Munitionsiabriken zu großartigen Anlagen verwendet. Und nachdem Deutschland
— in nicht ganz 10 Jahren — so und soviel Milliarden aufgesogen hat, schreit es wieder zum Himmel. Was ist aus all den Milliarden geworden, die der deutsclicn Wirtschaft von aller Welt geliehen wurden?!"
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Es lohnt sich nicht, sich mit den Lügen des rumänischen Gelehrten auseinanderzu-setzen. Durch solche Nachrichten, die zwar nicht direkt aus Frankreich stammen, aber doch von seinen Vasallen verbreitet werden, wird der Weg zur Völkerversöhnung planmäßig verbaut. Vielleicht soll mit solchen Märchen das Scheitern der Abrüstung- entschuldigt werden.
Nuhr-Gautag der Nationalsozialisten in Essen
Essen, Zi. Aug. Die NSDAP, veranstaltete am Samstag und Sonntag einen Rnhrgautag, dessen einzelne Kundgebungen einen starken Besuch aufwiesen. Ans einer Kundgebung am Samstag abend sprach der Gauleiter, Reichstagsabgeord- neter Terboven. Ter Sonntag begann mit einem Vorbeimarsch der SA. vor dem Stabschef der Partei, Hanptmann a. D. Röhm. In einer Nachmittagskundgcbung hielt Hauptmann a. D. Röhm eine kurze Ansprache, in der er nach Ausführungen über die Bedeutung der SA. erklärte, alle Versuche der Gegner der NSDAP, das Vertrauen zwischen Führer und Geführten zu erschüttern, seien gescheitert und wurden und würden weiter mißlingen. Im Anschluß wurde eine Treuekundgebung der SA. gegenüber Hitler und der Partei verlesen. Darauf hielt Dr. Göbbels eine Rede, in der er die politischen Verhältnisse der Gegenwart schilderte und betonte, daß zwischen dem Deutschland von heute und dem Deutschland von morgen unter Hitlers Führung keine Verständigung möglich sei; die NSDAP, denke nicht an die Uebernahme der Verantwortung im Reich nud in Preußen, solange noch ein Sozialdemokrat sich in einer Verantwortlichen Stellung befinde.
Lavals Berliner Besuch
Genf, Zl. Aug. Der Besuch des französischen Ministerpräsidenten Laval und des Außenministers Briand in Berlin fit für den 25. bis 20 September in Aussicht genommen und dürfte um diese Zeit stattsindeu, auch wenn die Verhandlungen der Bölkerbundstagung- bis dahin noch nicht vollständig beendet sein sollten. Man nimmt an, daß sowohl Dr. Cnr- tius wie Briand kaum über den 20. September hinaus in Genf bleiben, falls nicht besondere Umstände das notwendig machen. Die am 7. September beginnende 12. Versammlung des Völkerbundes soll nach den bisherigen Dispositionen spätestens am 26. September, das heißt nach dreiwöchiger Dauer zu Ende gehen.
Erdbeben in Velntschistan
London, ZI. Aug. Bei der Erdbebenkatastrophe in Belnt- schistan wurden acht Personen getötet. Außerdem wurde riesiger Sachschaden angerichtet. Im Geschästsviertel der Stadt sind alle Privathäuser und mehrere Regiernngsgebäude eingestürzt. Das Zentralgefängnis in Mach wurde gleichfalls vollkommen zerstört, wobei zwei Wärter und vier Zivilpersonen ums Leben kamen. Viele Eisenbahnverbindungen in das . betroffene Gebiet sind zeitweilig unterbrochen worden.