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Metzgermeister Ludwig Ungerer lag eingeklemmt zwischen Vorderwagen und Vorderrad und wurde vermutlich durch das auf dem Rücken liegende und sich wie toll geberdende Handpferd erdrückt. Wirt Friedrich Rühle trug auf der rechten Seite eine klaffende Kopfwunde davon. Graveur Bofsert aus Amerika, z. Zt. auf Besuch in Pforzheim, erlitt mehrere Hautabschürfungen, die Frau des Sägers Hamann von Liebeneck erlitt eine gefährliche Verstauchung des linken Arms. Der einzige Unverletzte, der Säger Hamann, eilte hierher, um Hilfe zu holen, die auch sofort in Gestalt der Sanitätskolonne und einiger Bürger zur Stelle war.
Konstanz 28. Juli. Als der Or. psiil. F o r st aus Zürich in seinem Automobil mit seiner Frau und einer Freundin der letzteren von Zürich nach Konstanz fahren wollte, stürzte das Automobil an einer stark abschüssigen Kurve in der Nähe von Konstanz um. Frau Forst wurde auf der Stelle getötet, ihr Mann schwer verwundet, während die andere Dame mit leichteren Verletzungen davonkam.
Berlin 28. Juli. Gegen den Major Fischer ü lg. suite der Schutztruppe für Ostasrika und beim Oberkommando der Schutztruppe, Vorstand bei der Bekleidungsabteilung ist wegen des Verdachts der Bestechung das amtliche Verfahren eingeleitet worden. Major Fischer gehörte ehedem der alten Wissmann-Truppe an, nachdem er zuvor in sächsischen Diensten gestanden hatte, dazwischen auch einige Zeit inaktiv gewesen war. Die Beschuldigungen gegen Fischer dürften sich in erster Reihe auf seine Beziehungen zu einer großen hiesigen Lieferungsfirma gründen. Der Lokal- Anzeiger glaubt nicht fehl zu gehen, in Vorstehendem schon das Eingreifen des neu an die Spitze des Oberkommandos berufenen Oberstleutnants Quade erkennen zu können.
Hamburg 28. Juli. Im Eisenbahnzuge Bremen-Harburg versuchte gestern während der Fahrt bei 90 kin Geschwindigkeit in der Gegend von Lauenbrück ein Mann vom Trittbrett in ein Abteil 2. Klasse einzudringen, in dem zwei Herren saßen. Diese schlugen beim Anblick des Mannes sofort die Tür zu und setzten die Notbremse in Tätigkeit. Beim Absvchen des Zuges wurde nichts verdächtiges gefunden. Dagegen entdeckte man später in Hamburg in einem Coups des betreffenden Zuges eine herrenlose Handtasche und einen Sommer-Paletot. Ob ein Raubanfall beabsichtigt gewesen ist, hat noch nicht ermittelt werden können.
Paris 28. Juli. Der bayrische Kommerzienrat Stänglen, türkischer Generalkonsul in London, wurde hier auf Veranlassung der Breslauer Staatsanwaltschaft verhaftet. In dem Anträge aus Auslieferung wird Stänglen
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betrügerisches Vorgehen bei Grundbuchgeschäften zur Last gelegt.
Paris 28. Juli. Nach Meldungen des Matin aus Genf ist Drepfus mit seiner Familie gestern in Lenk eingetroffen und hat in einem dortigen Hotel für den Monat August eine Wohnung gemietet. Dreyfus begiebt sich alsdann auf eine Woche nach Ems, wo ihm von zahlreichen Freunden und Anhängern ein großer Empfang bereitet werden wird.
Paris 29. Juli. Auf der Untergrundbahn entstand gestern zwischen zwei Stationen, wahrscheinlich infolge Kurzschluß ein Brand. Der Passagiere, die die Flammen bemerkten, bemächtigte sich eine Panik und es gelang nur mit Mühe, sie zu beruhigen und zu überzeugen, daß keine Gefahr vorhanden sei.
Lyon 29. Juli. Aus Anlaß der Rehabilitierung Dreyfus' veranstaltete die Liga der Menschenrechte gestern ein Bankett. Verschiedene Redner gaben der Befriedigung Ausdruck, daß endlich das Recht gesiegt habe und bedauerten, daß Scheurer-Kestner und Zola diesen Sieg nicht mehr erlebt hätten. Den Mitgliedern der russischen Duma und dem russischen Volk wurde die Sympathie der Liga ausgesprochen. Von einem Redner wurde die Hoffnung ausgedrückt, die französische Regierung möchte dem Beispiel Campbell Bannermanns folgen und eine Kundgebung zu Gunsten der Duma veranstalten. Die Versammlung ging mit einem Hoch auf die „Gerechtigkeit" auseinander.
Warschau 28. Juli. Der Zug von Czenstochau nach Herby wurde heute von 10 Revolutionären überfallen. Sie erschossen den General Aukath, Kommandeur der Grenzwache in Czenstochau,. den General Westenring, Chef des Zollbezirks Warschau und den General Deminienko, der 16000 Rubel Bankgelder bei sich hatte. Der Zvllaufseher Kifielaw und vier Soldaten wurden verletzt. Oberst Brzezicki, die Schaffner und andere Mitfahrende wurden ihrer Barschaft beraubt. Die Täter entkamen.
Kiew 28. Juli. Die Behörden haben die umfassendsten Maßnahmen getroffen, um bei der heutigen kirchlichen Prozession jede Demonstration und Ausschreitung zu unterdrücken. Der General- Gouverneur versicherte dem Nettesten der Kaufmannschaft, daß keine Gefahr für heute vorhanden sei und bat die Bevölkerung aller Konfessionen, sich zu beruhigen. Seit einer Woche herrscht ununterbrochen Regen und droht im ganzen Südwestgebiet die bisher glänzenden Ernteaus- sichten zu vernichten. Wenn der Regen noch einige Tage andauert ist eine Hungersnot im Herbst und Winter unabwendbar. Gegenüber den drohenden elementaren Gefahren treten unter
dessen die Agrarunruhen zurück, sie dürften aber später infolge der Verzweiflung der hungernden Bauern erneut und in gesteigertem Masse hervortreten.
Petersburg 28. Juli. Wie mitgeteilt wird, werden die Duma-Mitglieder, welche überführt worden sind, gegen Artikel 129 des Strafgesetzbuches gehandelt zu haben, indem sie durch die Presse versuchten, das bestehende Regime umzustürzen, ihre Kandidatur bei den Neuwahlen nicht mehr aufstellen dürfen. Hierdurch werden sowohl der Kadettenpartei wie der Arbeiterpartei eine große Anzahl ihrer besten Mitglieder genommen.
Petersburg 28. Juli. Das Manifest der Duma wird in zahllosen Extrablättern unter der Hand verbreitet.
Odessa 28. Juli. Aus Sewastopol laufen beunruhigende Gerüchte über die auf hoher See befindliche Flotte ein. Es heißt, die Matrosen hätten beschlossen, die im Augenblick vor dem Kriegsgericht stehenden Kameraden zu befreien. Es ist hervorzuheben, daß die Matrosen von der Auflösung der Duma noch keine Kenntnis haben.
London 28. Juli. Der Schooner Stanley Jos ist bei Neu-Schottland von einem Blitzschlag getroffen worden. Der Mast wurde zersplittert. wodurch das Schiff kenterte. Die Mannschaft, bestehend aus 16 Personen ist ertrunken.
London 28. Juli. Hiesigen Blättern zufolge haben die Truppen des Sultans von Marokko den Rebellen eine empfindliche Niederlage beigebracht. Die Rebellen zogen sich in voller Unordnung zurück. Rach dem Kampf durchzogen die Sieger mit den Köpfen der Rebellen auf den Bajonnetten die Gegend.
London 28. Juli. Ueber das Befinden Chamberlains sind beunruhigende Nachrichten im Umlauf. Er konnte der Hochzeit seines Sohnes nicht beiwohnen. Die Aerzte befürchten Komplikationen.
London 28. Juli. Daily Telegraph meldet aus Petersburg, daß zwischen Truppen und Revolutionären in der Nähe von Boriowka im Gouvernement Kursk ein Kampf stattgefunden hat. Infanterie und Kosaken kämpften gegen 3000 aufständige Bauern. Diese erlitten große Verluste und wurden in die Flucht getrieben.
London 28. Juli. Gestern Abend fand eine Riesendemonstration der konservativen Partei in der Albert-Hall im Westend von London statt. Es waren mehr wie 7000 Personen anwesend. Der frühere Ministerpräsident Balfour hielt eine Rede, in welcher er ausiührte, daß die liberale Regierung im Begriffe sei, ein schweres Verbrechen in Südafrika zu begehen. Die Gewährung vollständiger Autonomie an die Kolonien Trans-
„Jch will es versuchen," antwortete sie, „Ihre Worte sind mir ein großer Trost." Ich küßte ihr gerührt die Hand.
„Doch nun zu etwas anderem," fuhr ich fort. „Sie dürfen heute nicht auf Deck gehen; bitte bleiben Sie unten, bis ich Ihnen sage, daß Sie herauf können."
„Warum? droht eine neue Gefahr?"
„Das gerade nicht; Sie haben nichts zu fürchten, aber die Leute, welche sich am Ende der Reise glauben, begehen heute ein Festgelage, und man kann nicht wissen, wie das endet. Noch bin ich Ihnen von zu großer Wichtigkeit, als daß ich annehmen könnte, daß sie sich gegen mich was herausnehmen würden, aber immerhin, Vorsicht ist die Mutter der Weisheit."
„Ich werde tun, was Sie wünschen," erwiderte sie, mit einem Blick, der mich ganz verwirrte, „wie soll ich Ihnen nur jemals alle Ihre Fürsorge danken; wenn ich doch auch nur einmal etwas für Sie tun könnte."
„Sie tun fortwährend mehr für mich, als Sie vielleicht ahnen; doch, was ich noch sagen wollte: Ich bin fest entschlossen, der Ungewißheit unseres Zustandes ein Ende zu machen. Freitag nachmittag werde ich auf jeden Fall dem Zimmermann mitteilen, daß wir am Ende unserer Reise, das heißt vierzig bis fünfzig Meilen von der Küste Floridas angelangt sind. Das Schiff wird alsdann beigedreht, das heißt, festgelegt, das Langboot und das Seitenboot werden niedergelassen werden, und unser Schicksal wird sich entscheiden. Welcher Art diese Entscheidung sein wird, steht bei Gott, ich habe aber das feste Vertrauen, Er wird uns helfen. Seien auch Sie in diesen Gedanken ruhig; lassen Sie uns beide mit Hoffnung und Zuversicht den ernsten Stunden entgegensetzen, die uns erwarten."
„Ich will mir Mühe geben, das zu tun," entgegnete sie, „müssen Sie mich denn aber jetzt schon wieder verlassen?"
„Ja, so leid es mir tut, ich muß gehen; ich habe noch mancherlei zu tun, auch fürchte ich. daß Stevens mich suchen könnte, und ich möchte nicht, daß er mich hier findet."
„Freilich, da darf ich Sie nicht halten, aber wie wenig sieht man sich doch, wenn man bedenkt, wie eng man beieinander wohnt."
„Das ist allerdings wahr, aber es bedarf wohl nicht erst meiner Versicherung, daß, wenn ich könnte wie ich wollte, ich am liebsten den ganzen Tag bei Ihnen sein würde. Zum Glück für Sie kann das aber eben nicht sein, denn so ein rauher Seemann ist doch immer eme sehr armselige Gesellschaft."
„Wie kommen Sie darauf, so etwas zu sagen, ich denke anders darüber," fiel sie lebhaft ein.
„Dann sind Sie unter hundert, ja unter tausend jungen Mädchen, das erste, welches ich so sprechen höre und weil das so ist, so erdreiste ich mir Ihnen zu sagen, daß ich noch weniger Mut gehabt haben würde, Sie so oft aufzusuchen, wenn ich mich nicht vollständig darauf vorbereitet hätte für Sie in den Tod zu gehen. Ich habe mir geschworen, Sie zu retten, oder unterzugehen. Ich danke Gott, daß mir Gelegenheit wurde, Ihnen das noch zu sagen; nun Sie es wissen, werde ich zufriedener sterben können, wenn es so sein soll!"
Sie kehrte mir plötzlich den Rücken zu; ich hatte in der Aufwallung meines Herzens wohl zu viel gesagt. Kurze Zeit blieb ich noch, den Türgriff in der Hand, erschrocken stehen, dann aber, da sie sich nicht mehr umwandte, sondern nur die Hände mit dem Taschentuch vor dem Gesicht, heftig schluchzte, schlich ich mich still hinaus.
Was in aller Welt hatte ich denn gesagt, daß sie so weinte? Hatte ich sie erzürnt, hatte ich sie beleidigt? Es ließ sich kaum anders denken, sonst hätte sie sich doch wenigstens nocheinmal umgesehen und mir wie immer die Hand gereicht. Ich Tölpel, warum hatte ich mich auch Hinreißen lassen, solche Worte zu sprechen! Ich schlug mich vor den Kopf und ging in trüber Stimmung und unzufrieden mit mir selbst in meine Kajüte.
(Fortsetzung folgt.)