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innere Markt müsse verbessert und darum auch die Landwirtschaft geschützt werden. Notwendig sei ferner, daß wir draußen uns Absatzgebiete sichern. Das könne dadurch geschehen, daß wir unsere jetzigen Kolonien weiter entwickeln und sodann die jetzt noch freien Länder uns auch frei erhalten; die Bewahrung der Handelsfreiheit in allen freien Ländern müsse im Auge behalten werden. Die militärische Sicherung Deutschlands müsse ebenfalls sich Wetter entwickeln. Dazu gehöre außer dem Landheer eine starke Kriegsflotte. Deutschland sollte eine Flotte haben, die annähernd halb so stark sei wie die englische, dann würde England wahrscheinlich sich nicht getrauen, Deutschland anzugreifen. ES dürfe nicht mehr soweit kommen, daß der Deutsche den Kulturdünger für fremde Staaten abgebe, vielmehr müsse es unsere Aufgabe sein, Raum zu schaffen auf der Erde für unsere Leute und für unsere Produkte. Reicher Beifall lohnte die eindrucksvollen, interessanten und packenden Ausführungen. Die deutsche Partei Württembergs hat an dem neuen Parteisekretär einen gewandten, kenntnisreichen Redner gewonnen. An der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion beteiligten sich die Herren Postsekretär Kauffmann, der den national-sozialen Standpunkt vertrat und ein Zusammengehen der liberalen Parteien mit den Sozialdemokraten befürwortete, Rechtslehrer Fischer, der die Aufgabe der jungliberalen Vereine darlegte und für eine starke Kriegsflotte eintrat, Parteisekretär Keinath, der auf die Ausführungen von Herrn Kauffmann in treffender Weise erwiderte, und Medizinalrat vr. Müller. Letzterer sprach seine Freude über den frischen nationalen Sinn bei der Jugend aus und betonte, daß er keine Freude am Parteihader habe, sondern alle Männer hochachte, denen das Vaterland über alles gehe, dem Vaterland bringe er ein donnerndes Hurra. Mit einem begeistert aufgeuommenen Hoch auf das Vaterland fand hierauf der schöne Verlauf der Versammlung einen würdigen Abschluß.
Calmbach, 5. Nov. Hier kam eine Sägersfrau öfters in die Küche der Wirtschaft zum „Dämmerschoppen", dabei schlich sie sich in das Schlafzimmer der Wirtsleute und benützte die Gelegenheit, einen Griff ins Volle zu tun, indem sie der Kaffe des Wirts eine Hand voll Geld, soviel sie zu fassen vermochte, entnahm und damit verschwand.
Leonberg, 4. Nov. Die schon ziemlich bejahrte Schwägerin des hiesigen Ochsenwirts war vor dem Mittagessen auf der Bühne beschäftigt. AIS sie nach längerer Zeit nicht zum Essen kam, suchte man nach ihr und fand sie, anscheinend in einem epileptischen Anfall, bewußtlos vor. Durch den Fall hat sie einen komplizierten Bruch am rechten Fuß davongetragen; sie wurde ins Krankenhaus gebracht.
Herrenberg, 4. Nov. Auf dem heutigen Wochenmarkt waren zugeführt 212 St. Milch-
eigentlich oorgesallen, besann sie sich erst. Erzürnt Härte sie sich mit ihr, sagte sie, der in ihrem Rausch der Faden der Erinnerung zerrissen und Blenke hielt eS für geraten, diesen geschickt wieder zu knüpfen.
Undankbar habe allerdings die schöne Frau sich gegen sie benommen, sogt« er in kardialem Ton; dieselbe solle vor ihrer Abreise auch so viel Schlechtes von ihr gesprochen haben und sicher sei alles gelogen. Und das brachte die Trunkene in Harnisch. Eie begann, da« verworrenste Zeug zu reden, so daß Blenke Mühe hatte, sie immer wieder auf einen gewissen Punkt zurück zu leiten. Frau von Rothenhrlm, wiederholte er, habe schon in Wien überall erzählt, sie würde froh sein, wenn sie die schlecht« Person erst loS werde.
„Sie!" brach Jan« jetzt aus mit dunkel gefärbtem Gesicht. „Sie, di« mir alles zu danken hat, auch ihren Reichtum und endlich den Witwenstand I" Und dann vor sich hinredend, als sei sie allein, fuhr sie, mit den Händen zwischen den Knieen, fort: „Dieser alte Geizhals mit seinem Kasten, in dem er seine Millionen Tag und Nacht bewachte, ich sehe ihn »och, wie er di« schöne Leons im ZirkuS erblickte! Sie hatte es ihm so angetan, daß er ganz toll war, der alte Narr, und wäre ich nicht gewesen, sie wäre einfältig genug gewesen, seine Hand auS- zuschlagen. Als wär'S so schwer, so einen Mann wieder loS zu werden! Ohne mich freilich wäre er heut« frisch und gesund und ohne mich wäre sein hübsche- Kind seine Erbin geworden und sie hätte gar nichts bekomme», wen» er starb. Ich mußt« sie ja auch hierin zu ihrem Glücke zwingen, denn so eitel sie war, so feig war sie!"
Blenke wagte kaum, sie zu unterbrechen, ab« al» sie jetzt stumpfsinnig vor sich hinblickte, die Augen schloß und dar Kinn auf die Brust sinken ließ, fürchtete «, sie könne einschlafen. Ihren Jdeengang unterhaltend, sprach er, neben ihr fitzend, vor sich hin, waS ihm eben aus dem am Morgen Erhorchten zweckmäßig schien, um den Faden nicht reißen zu lasten.
mand verletzt. Ein Kellner des Speisewagens erlitt einen Bruch des linken Unterarms.
Göppingen 4. Nov. Der 27 Jahre alte ledige Fuhrmann Gustav Bäuerle, Sohn des im Tal bekannten Haberhändlers Bäuerle von Heiningen stürzte gestern nacht in Ebersbach von dem mit Haber geladenen Wagen ab zwischen die Pferde. Im Fallen ergriff er die Zügel und zog dadurch die Pferde rückwärts. Dabei trat ihm ein Pferd auf den Bauch, wodurch Leber und Magen verletzt wurde«. Der Verunglückte starb heute früh. Den Eltern wendet sich allgemeine Teilnahme zu.
Wolfach, 4. Nov. In vergangener Nacht brannte die Papier- und Zellstoff- Fabrik zum größten Teil nieder.
Heidelberg, 4. Nov. Auf dem hiesigen Hauptbahvhofe ist dem „Heidelberger Tageblatt" zufolge beim Ausladen von Postwertstücken eine Kassette mit 1800 gestohlen worden. Bei den sofort vorgenommenen Haussuchungen fand sich die erbrochene Kassette im Kohlenkeller eines Postboten vor. Auch das Geld wurde bis auf 10 gefunden. Der Beamte wurde verhaftet.
Berlin, 5. Nov. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung bringt an der Spitze ihrer heutigen Nummer einen herzlichen Begrüßungsartikel für den morgen hier eintreffende« König Alfons von Spanten.
Paris, 5. Nov. Der König von Griechenland unternahm gestern iricognito einen Spaziergang durch die Stadt und machte verschiedene Einkäufe.
London, 4. Nov. Ans Kapstadt wird telegraphiert: Die Kap-Regierung erhielt über den Kampf von Hartebee st mund zwischen Oberstleutnant von Semmein und den Rebellen unter Morenga und anderen Häuptlingen beschreibende Depeschen. Darnach wurde die deutsche Abteilung zerstreut und verlor 30 bis 40 Tote und 33 Verwundete. Morenga, der einen Toten und 4 Verwundete hatte, eroberte fast die gesamte deutsche Ausrüstung. Das Detachement Koppy, das sich in einer 34 km vom Hartebeest- Fluß entfernten Stelle befindet, ist äußerst geschwächt. Die Leute hungern und leben nur von Mauleselfleisch. Der Versuch einer Rettungskolonne, sie heraus zu hauen, scheiterte. Es verlautet, daß Morris unweit RamanSfurt einen Postwagen und 200 Rinder eroberte. Morenga eroberte ferner ein Feldgeschütz und 12 Wagen.
London, 4. Nov. Der Standard meldet aus Kiew, daß der Pöbel die Stadt vollständig beherrscht. Gruppen von Unruhestiftern marschieren durch die Straßen und halten alle Passanten auf, um festzustellen, ob sie Jude« oder Christen find. Wenn sie Jude« find, werden sie auf der Stelle halb tot geprügelt. Frauen werden gezwungen, auf der Straße ihre Kleider zu
„ES ist ja am Ende am besten," sagte er mit gedämpfter Stimme, wie für sich, „daß so ein Mann stirbt, wenn er einer schönen, jungen Frau so das Leben zur Qual macht und schließlich — sterben mußie er ja doch, denn für seine Krankheit gab es keinen Arzt . . . Oder vielleicht doch?"
Jan« schien das Letztere zu verdrießen.
„Niemals!" rief sie, trunken lachend. „Daran hat noch Jeder glauben müssen. .Meine Tante, die alte H xe in Irland, war gescheiter als Kuhhüterin, als alle Aerzte, denn sie kannte olle Kräuter und ich mußte ihr suchen helfen. Damit hatte sie manche zur Witwe gemacht, die sich an sie wandte, bis eS der Witwen zu viel im Dorfe wurden und man Verdacht gegen sie faßte. Ich denke noch daran, wie man kam, um sie zu verhaften. Sie sah sie vom Fenster auS kommen, steckte mir die Flasche in den Rock und schickte mich damit zur Hintertür hinaus, damit man nichts bei ihr finde. Sie mußte» daran glauben; sie hatte sich zu dumm angestkllt, ich aber verwahrte die Medizin sorgfältig, denn ich hatte schon damals die Idee, so etwas könne man immer einmal gebrauchen."
„Und haben Eie den» nichts mehr davon? ES muß doch ein ganz seltene- Mittelchen sein?" lachte Blenke.
„Hm, ich hatte wohl noch davon! Ich hatte die Absicht, eS auch für die schöne Frau zu verwenden, wenn wir die Millonen deS verstorbenen Herrn hatte», die ja so gut mir wie ihr gehören konnten; aber «S kam mir in Nizza abhanden. Ich suchte eS vergeben- und da ward denn auch nichts auS meinem Plane ..."
Jane unterbrach sich plötzlich. Wie au« einem Traum erwachend starrte sie Blenke an; die Pupillen ihrer vom Alkohol verschleierten Augen wettete», ihr Antlitz verzerrte sich. Sie glaubte ihn zu erkennen, zog erschreckend die Arm« an sich und mit Zeichen der höchsten Angst schob sie sich zitternd auf ihren Sitz zurück, rieb sich die Augen und glotzt« ihn noch einmal sprachlos und voll« Entsetzen an. (Fortsetzung folgt.)
schweiue pro Paar 30—45 106 St. Läufer-
schweiue pro Paar 48—130 Verkauf ordentlich.
Stuttgart, 1. Nov. (Strafkammer.) Wegen Verbrechens wider die Sittlichkeit (§ 176 Z. 3 St.-G.-B.) wurde der gegen Stellung einer Kaution von 70 000 mit Untersuchungshaft verschonte 48jährige ledige Privatier Julius Thalheim er von hier auf Grund nichtöffentlicher Sitzung zur Gefängnisstrafe von 6 Monaten verurteilt.
Stuttgart, 4. Nov. Zur Förderung der Tiergarteufrage wird Oberbürgermeister von Gauß ein demnächst auS 120 Mitgliedern bestehendes Komitee, das aus allen Schichten der Bevölkerung zusammengesetzt sein wird, in den großen Rathaussaal einladen.
Stuttgart, 4. Nov. (Wochenmarkt.) Auf dem Großmarkt kosteten Aepfel 12—20 A Birnen 15—25 A Trauben 30—32 Quitten 20—24 A, Nüsse 22-24 A daS Pfund. Im Einzelverkauf war Obst durchschnittlich um 5 H teurer. Auf dem Gewüsemarkt haben sich die Preise wenig verändert. An den Wildbret- und Geflügel- ständen kosteten Rehschlegel' 4—6 Rehziemer 6—8 Hasen 3—3.20 Gänse 4—5 ^ Der Fischmarkt verzeichnet« Backfische zu 45—50 A Rotaugen zu 50 A, Hechte zu 90 A, Schuppfische zu 60 A Aal zu 1.50 ^ das Pfund. Auf dem Viktualienmarkt kosteten saure Butter 1.05—1.10 süße Butter 1.25—1.30 das Pfd., 1 Ei 9 A — Kartoffelgroßmarkt auf dem Leonhardsplatz. Zufuhr 800 Ztr. Preis 2.20—320 per Ztr. — Krautmarkt auf dem Charlottenplatz. Zufuhr 1000 Stück. Preis 15—20 für 100 Stück. — Mostobstmarkt auf dem Wilhelmsplatz. Zufuhr 250 Ztr. Preis 8—8.10 per Ztr.
Stuttgart, 5. Nov. (Eisenbahnunfall. — Amtliche Meldung.) Am 4. November abends 9.10 Uhr find von dem Güterzuge 6363 (Stuttgart Hbf.—Cannstatt) kurz vor dem Rosen- stein-Tuunel aus bis jetzt unaufgeklärter Ursache 2 Güterwagen je mit einer Achse entgleist. Eine Achse fiel von den Schienen und legte sich zwischen die inner« Schienenstränge der beiden Geleise. Der zu derselben Zeit auf dem andern Geleise durch den Rosensteintunuel fahrende Orientexpreßzug Wien- Paris streifte au den entgleisten Wagen, wodurch seine Lokomotive und seine Wagen, namentlich der Speisewagen, beschädigt wurden. Im Speisewagen entzündete sich das ausströmeude Gas. Das Feuer konnte jedoch rasch gelöscht werden. Die beiden Packwagen des OrientsxpreßzugeS find entgleist. Beide Geleise zwischen Stuttgart Hbf. und Cannstatt waren bis um 3'/- Uhr früh gesperrt. Der Zugverkehr wurde über llutertürkheim—Münster— Kornwestheim umgeleitet. Der Orientexpreßzug mußte auf der Strecke Stuttgart Parts ausfallen. Vom Zugpersonal und von den Reisenden ist nie-