Chaumet findet bet der parlamentarischen Opposition des neuen Kabinetts Painlevh lebhaften Widerspruch. Die Nachricht, daß in den letzten zwei Monaten in Syrien 6000 französische Soldaten gefallen seien, findet ihre Bestätigung. General Sar- rail soll wegen seines Vorgehens in Syrien abberufen und zur Rechenschaft gezogen werden.

Macdonald über seine europäischen Eindrücke.

London, 30. Oktbr. Macdonald hat einem englischen Be­richterstatter in Brüssel ein Interview über seine europäischen Eindrücke gegeben. Er erklärte, daß er stark beunruhigt worden sei durch den noch anhaltenden Zustand der Unsicherheit in Mittel- und Osteuropa. Politische Unsicherheit, finanzielles Chaos, wirtschaftliche Mißstände und ein erhebliches Maß von Elend seien in der Zunahme begriffen, je weiter man nach Süden und Osten vordringe. Aollmauern verhinderten eine Rückkehr zur Stabilität und Wohlfahrt. Die neuen Grenzen seien von den Nationen nur zähneknirschend angenommen worden. Nationalistische Provokationen erzeugten einen ge­fährlichen Geist des Chauvinismus und >des Faschismus. Man dürfe sich nicht der Hoffnung hingeben, daß Locarno bereits das wirkliche Problem Europas gelöst habe. Wenn wiederum ein gefährlicher Krieg über Europa Hereinbreche, werde er vom Osten ausgehen. Dann erklärte Macdonald, daß Locarno nur eine Vorstufe zur Annahme seines Genfer Protokolls sein werde und daß als eine solche Vorstufe die Arbeiterpartei die Ver­träge von Locarno im englischen Parlament bewilligen werde. Es sei eine große Errungenschaft, daß Deutschland in den Völkerbund eintrete, aber der Völökrbund fei unvollständig, solange Rußland außerhalb des Bundes bleibe. Ob Locarno einen Erfolg bedeute, hänge ausschließlich davon ab, ob jetzt endlich die Abrüstung zustande komme. Es sei notwendig, eine allgemeine Abrüstung vorzunehmen, da es nicht genüge, die Besiegten des Weltkrieges abzurüsten.

Sarrails syrisches Schreckensregiment.

London, 30. Oktbr. Obwohl in hiesigen leitenden Kreisen der Wunsch besteht, der neuen französischen Regierung wegen Damaskus keine Verlegenheit zu bereiten, werden die Ereignisse doch mit Aufmerksamkeit und Besorgnis verfolgt. Ganz be­sonders erregt die Gefahr einer Ausbreitung des Aufstandes auf Palästina hier lebhafte Beunruhigung. Man befürchtet, daß sich Las von den Franzosen an zwei weit entfernten Punk­ten der Mittelmeerküste entfachte Feuer auf die dazwischenlie­genden Länder ausbreiten und eine Katastrophe von unabseh­barer Bedeutung herbeiführen könnte. Man bedauert hier, daß noch kein offizieller französischer Bericht über den Gang der Dinge in Damaskus vorliegt, doch wird das in der fran­zösischen Presse verbreitete Gerücht, .daß die englische Regierung Las französische Kabinett um einen solchen Bericht gebeten habe, als grundlos bezeichnet. Der britische Konsul in Damaskus hat die Aufstellung der britischen Schäden an die französischen Behörden geschickt. Es heißt, daß der Schritt keine Politische Bedeutung habe und daß die Schadenrechnung von Frank­reich beglichen werden wird. Die britische Regierung hat keinen Protest wegen des Bombardements erhoben. Es wird hier auch erklärt, daß der britische Konsul an dem Protest des Konsular- korps in Damaskus nicht teilgenommen habe. In hiesigen Völ­kerbundskreisen glaubt man, daß der Fall vor das Forum des Völkerbundes oder vor die Mandatskommission gebracht wer­den wird. Wie demDaily Expreß" aus Newyork gekapelt wird, ruft das Bombardement in Amerika größere Entrüstung hervor als irgend ein anderes Ereignis seit dem Kriege. Das Staatsdepartement erhielt die offizielle Bestätigung des Vor­falles durch den amerikanisechn Konsul in Damaskus. Das Staatsdepartement hat bei der französischen Regierung dagegen protestiert, daß das Bombardement der Stadt ohne vorherige Warnung stattfand, wodurch amerikanische Menschenleben uns Interessen gefährdet wurden. Es läßt offiziell erklären, daß es auf Schadenersatz durch die Franzosen bestehen wird. Der ame­rikanische Botschafter in Paris erhielt Instruktionen, der fran­zösischen Regierung wegen des Schutzes der Amerikaner in Damaskus und Syrien Vorstellungen zu machen. Die amerika­nische Presse richtet heftige Angriffe gegen Frankreichs Verhal­ten in Syrien. In London eingetroffene Meldungen aus Syrien beschreiben die Lage weiter als ernst. DemDaily News" wird aus Jerusalem telegraphiert: Die Flüchtlinge er­klären, daß Damaskus einer vom Erdbeben zerstörten Stadt gleiche. Noch sieht die Stadt wie eine belagerte Festung aus, Christen sowohl wie Muselmanen sind darüber einig, daß das grausame Vorgehen Frankreichs die entgegengesetzte Wirkung hatte als beabsichtigt war. Die Rebellion hat sich nun von den Drusen auf die Araber ausgedehnt. Der Präsident des syrischen Komitees, Prinz Lotfallah, telegraphierte einen öffentlichen Protest gegen die Schreckensherrschaft in Damaskus, welcher von den englischen Blätter n wi edergegeben wird._

Aus Stadt Bezrrd iZrrd Hmysümng

Sonntagsgedanken.

Zum Reformationsfest.

Luther war ein Genie sehr bedeutender Art. Er wirkt nun schon manchen guten Tag, und die Zahl der Tage, wo er in fernen Jahrhunderten aufhören wird Produktiv zu fein, ist nicht abzusehen. Goethe zu Eckermann.

Ein gläubiger Mensch steht in solcher Freude und Sicher­heit, daß er sich von keiner Kreatur schrecken läßt, sondern ein Herr über alle Dinge ist, der sich vor nichts fürchtet als vor Gott im Himmel. Luther.

Neuenbürg, 30. Oktbr. Der Württembg. Hypothekengläu­biger- und Sparerbund schreibt uns: V or b er ei tu ng zum Volksbegehren in der Aufwertungsfrage. Die Beratungen über den Inhalt des Volksbegehrens haben in den letzten Wochen große Fortschritte gemacht. Der Weimarer Tagung der Gesetzkommission des Sparerbundes sind wieder­holte Besprechungen in Berlin und Darmstadt gefolgt. Die Mitglieder der Gesetzeskommission haben auch bereits mit der Reichsarbeitsgemeinschaft der Aufwertungs-Geschädigten- und Micterverbände die Verhandlungen ausgenommen. Weiterhin ist man bereits auch mit politischen Parteien offiziell in Füh­lung getreten. Der Gesetzentwurf, der dem Volksbegehren zu­grunde gelegt werden soll, wird in den nächsten Wochen fertig gestellt sein, und es werden auch die sonstigen Verhandlungen bald soweit gediehen sein, daß der Inhalt des Volksbegehrens der Oeffentlichkeit übergeben werden und der Antrag auf Volks­begehren an die Reichsregierung gestellt werden kann. Ent­gegen den von bestimmten Absichten getragenen Ausstreuun­gen in der Presse, sind wir der festen Ueberzeugung, daß das deutsche Volk sich in dem von uns in die Wege zu leitenden Volksbegehren sein erstes Volksgesetz geben wird." Wir möch­ten an dieser Stelle auch noch auf den nächsten Sonntag in der Sonne" hier von Justizrat Seeg er in Aussicht gestellten Vortrag, der diese Sache eingehend beleuchten wird, Hinweisen.

8 .

(Wetterbericht.) Der Hochdruck über dem Kontinent hält gegenüber der nordwestlichen Depression Stand. Für Sonntag und Montag ist vielfach heiteres und trockenes Wetter zu erwarten.

Calmbach. (Gemeinderatssitzung vom 27. Oktober.) Die Sitzung begann mit der Verpflichtung des an Stelle des durch Wegzugs ausgeschiedenen Mitglieds Faas eingetretenen neuen "eds Philipp Barth.

Hierauf wurde in die Beratung des Voranschlags des Ge­meindehaushalts für das Rechnungsjahr 1925 eingetreten. Der­selbe schließt bei 140 371 R.M. Einnahmen und bei 193 632 R.M. Ausgaben mit einem Abmangel von 53261 R.M. ab, welcher durch eine Gemeindeumlage von 17F v. H. der Ertrags­kataster zu decken ist. Die Bürgernutzung wird im gleichen Betrag wie im Vorjahr festgesetzt. Es wurde hiezu beschlossen, dem Oberamt Neuenbürg behufs Einholung der Vollziehbar­keitserklärung und Genehmigung der Überschreitung des ge­setzlichen Höchstsatzes für die Gemeindeumlage Vorlage zu er­statten.

Das Oberamt Neuenbürg ersucht unter Mitteilung eines diesbezüglichen Min.-Erlasses um eine Aeußerung des Ge- meinderats, ob hier die Aufhebung der Wohnungszwangswirt- schaft sich rechtfertigen lasse. Mit 8 gegen 5 Stimmen spricht sich der Gemeinderat für die Aufhebung der Wohnungszwangs­wirtschaft aus.

Der Pachtzins für das Rechnungsjahr 1925 wird für die Bermißwiesen auf 1 M. 50 Pfg., für die übrigen Wiesen aus 1 M. 20 Pfg. Pro Ar, und für die Gärten aus der Warth aus 5 M. für das Pachtstück festgesetzt.

Vom Rechnungsjahr 1925 an werden bis auf Weiteres die Anerkennungszinsen und das Holzlagergeld für die Allmand- stücke im gleichen Betrag nach Reichsmark erhoben, wie sie ehe­dem in Goldmark erhoben wurden.

Als Wahltag für die heurige Gemeinderatswahl wird der 6. Dezember festgesetzt.

RaivmMe«

München, 30. Okt. Die seit 1870 bestehende Bankfüma I. S. Weil-München, Marienplatz, beantragte Stellung unter Geschäftsaus­sicht. Wie die Firma mitteilt, sind aussichtsreiche Sanierungsver­handlungen im Gange. Bei ruhiger Abwicklung sind Verluste nicht zu befürchten.

Köln, 30. Okt. Das französische Kriegsgericht in Bonn verur­teilte gestern einen Kapellmeister eines Pheinlandvampsers in Abwe­senheit zu drei Jahren Gefängnis und 2000 Mark Geldstrafe wegen Spielens des Deutschland-Liedes beim Verlassen der Stadt Koblenz.

Köln, 30. Okt. Der arbeitslose Anton Pesch, der am 23. Dezem­ber 1924 im Eisenbahnzug zwischen Köln und Köln-Nippes den Major a. D. Grüner ermordet und dann seiner Barschaft, zweier Uhren und einer Handtasche beraubte, wurde heute vom Schwurgericht zum Tode verurteilt.

Leipzig, 30. Okt. Am Freitag fand vor dem Reichsgericht die Revisionsoerhandlung gegen den früheren thüringischen Innenminister Karl Hermann aus Weimar statt. Hermann war vom Schöffengericht in Weimar wegen angeblicher Untreue und Unterschlagung im Amte zu 1000 Mark Geldstrafe verurteilt worden. Es wurde ihm zur Last gelegt, die Akten im Falle Kopf beseitigt zu haben. Gleichzeitig wurde in der weiteren Gehaltszahlung an Regierungsrat Kopf eine Schädigung des Staates erblickt. In der Berufungsoerhandlung erkannte die Strafkammer in Weimar auf Freisprechung. Die Revi­sion der Staatsanwaltschaft wurde vom Reichsgericht verworfen.

Jüterbog, 30. Okt. Reichswehrminister Dr. Geßler hat einen besonderen Schießsachverständigen nach Jüterbog entsandt, um die Un­tersuchung Uber den Unglllckssall durchzuführen. Das Maschinenge­wehr aus dem die tödliche Kugel abgegeben wurde, ist ermittelt und wird zur Zeit genau untersucht. >

Berlin, 31. Okt. Reichspräsident Hindenburg ist gestern abend nach Berlin zurllckgereist. Auf dem Bahnsteig brachte eine begeisterte Menge Hochrufe aus den Reichspräsidenten aus. Hindenburg besuchte in Hannover den Stückener Friedhof, um am Grabe seiner im Mai I92l verstorbenen Gattin einen Kranz niederzulegen. Offizielle Empfänge oder Veranstaltungen aus Anlnß der Anwesenheit des Reichspräsidenten in Hannover haben nicht stattgefunden.

Berlin, 30. Okt Der Konzern deutscher Landbundgenossenschas- ten hat heute wegen Zahlungsunfähigkeit das Konkursverfahren bean­tragt. Der Konzern kann Zahlungsverpflichtungen in Höhe von etwa 7000 Mark nicht erfüllen. Außerdem ist auch Ueberschuldung eingetreten, weil ein Teil der Außenstände des Konzerns infolge Kon­kurses einzelner Schuldner nicht eintreibbar sein wird. Die Landge- nossenschaften haben mit dem Reichslandbund nichts zu tun, sondern befinden sich gegen ihn in oppositioneller Stellung

Berlin, 31. Oktbr. Generalleutnant Müller wird am 3- November in Dresden bestattet. Der Reichswehrminister sandte ein Beileidstelegramm an die 4. Division, ebenso der General von Seeckt. Die sächsische Regierung sprach der Witwe Müllers ihr Beileid aus.

Berlin, 31. Oktbr. Gestern fand im Preußischen Landtag eine Debatte über Locarno statt, die Deutschnationale, Völkische und Kommunisten einigte.

Berlin, 30. Okt. An der Einweihung des Grabsteins für den verstorbenen Reichspräsidenten Ebert in Heidelberg wird, wie der Amtliche preußische Pressedienst mitteilt, im Namen der preußischen Staaatsregierung Ministerpräsident Braun teilnehmen.

Berlin, 30. Okt. Der Reichskanzler lud die Vorsitzenden der Parteien, die durch Vertrauensmänner im Reichskabinett vertreten ind, zu einer gemeinschaftlichen Aussprache über die politische Lage auf nächsten Dienstag nach Berlin ein.

Braunschweig, 30 Okt. In der heutigen Sitzung des Landtags wurde beschlossen, den Bußtag als gesetzlichen Feiertag wieder ein- zufiihren und das Gesetz über die Feier des 9. Novembers wieder aufzuheben.

Beuthen, 30. Okt. Gestern nachmittag wurden aus der Chaussee von Schönberg nach Hindenburg zwei elfjährige Knaben von einem Postauto überfahren und derartig schwer verletzt, daß sie kurz darauf tarben. Den Wagenführer trifft keine Schuld.

Breslau, 30. Okt. Der Kaufmann Bruno P. hat eine größere Organisation geschaffen zum Vertrieb einer Reklame an Hotels, Ge- chäfte usw. in ganz Deutschland und l50 Filialen eingerichtet. Die Filialleiter mutzten je 500 bis 3000 Mark bezahlen. Die Kautionen von einem Gesammtbetrage von 180000 Mark hat P. unterschlagen. Er wurde verhaftet.

Paris, 30. OKI. Die Reparationskommission hat die Verein­barung zwischen den rumänischen Staatsmännern und verschiedenen deutschen Betrieben zur Lieferung von Eisenbahnmatcrial im Werte von 250 Millionen Gold-Lei genehmigt. Damit ist die Wiedergut­machungspflicht Deutschlands an Rumänien dem Dawesplan ent- prechend bis zum Jahre 1927 erfüllt.

Paris, 31. Oktbr. In der gestrigen Sitzung des Völker­bundsrates wurde festgestellt, daß die griechischen Truppen das bulgarische Gebiet geräumt haben und der Zwischenfall als erledigt betrachtet werden kann.

Washington, 30. Okt. Senator Barah kündigt an, daß er bei Zusammentritt des Kongresses seinen vorjährigen Antrag auf Rück­gabe des deutschen Eigentums wieder einbringen wird. Der Antrag wurde im vorigen Jahre dadurch hinfällig, daß der Kongreß im März auseinanderging. Ob und wann der neue Antrag verhandelt wird, ist augenblicklich noch nicht zu übersehen.

Maßnahme« zur Preissenkung.

Stuttgart, 30. Oktbr. Von zuständiger Seite wird mitge­teilt: Im Anschluß an die wiederholten Besprechungen der Länderregierungen mit der Reichsregierung über die Preissen­kungsmaßnähmen hat das württ. Arbeits- und Ernährungs­ministerium innerhalb seines Geschäftskreises den größeren Ge­meinden und den Preisprüfungsstellen besondere Anweisungen zur Preissenkung zugehen lassen. In dem Erlaß wird u. a. darauf hingewiesen, daß auf verschiedenen Gebieten, die der Reichsregierung nahe stehen und eine zentrale Einwirkung verlangen, bereits geeignete Maßnahmen getroffen worden seien, die örtliche Durchsetzung der Preissenkung sei aber Auf­gabe der örtlichen Preisprüfungsstellen und der Gemeindever­waltungen, insbesondere auch der Gemeinderäte. Da in klei­

neren Gemeinden die Preise sich im wesentlichen nach den in den benachbarten größeren Gemeinden geltenden zu richten Pflegen liege das Schwergewicht der örtlichen Durchsetzung der Preis­senkung bei den größeren Gemeindeverwaltungen. Die in dem Erlaß aufgestellten Richtlinien erstrecken sich vor allem aus die Preisbildungen der Kartelle, Syndikate, Innungen und gleich­artiger Zusammenschlüsse, insbesondere soweit es sich um ört­liche Vereinigungen dieser Art handelt, ferner auf die Zurück- drängung von Preisübersetzungen auf dem Lebensmittelmarkt. Besondere Anweisungen richten sich an die Jnnungsaussichts- behörden.

Der Dolchstoß-Prozeß.

München, 30. Oktbr. Mit besonderer Spannung wurde heute am Schluß der zweiten Verhandlungswoche der Verneh­mung des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Scheide­mann entgegengesehen. Der Zeuge verwies auf die außer­ordentliche Tapferkeit der deutschen Soldaten, die hinausge­zogen seien, um das Vaterland zu verteidigen. Deutschland sei infolge des Hungers und des Elends unterlegen und weil es cm einer Führung gefehlt habe, die rechtzeitig Frieden gemacht habe. Deutschland sei nicht allein schuld am Krieg, schuld seien alle am Kriege beteiligten Staaten. Der Teil der Schuld, der auf Deutschland falle, treffe diejenigen, die eine nationali­stische Politik vor dem Kriege getrieben hätten, die sie jetzt wie­der betrieben. Erzberger habe den Waffenstillstandsvertrag auf Befehl Hindenburgs unterzeichnet. Im weiteren Verlauf der heutigen Verhandlung schilderte der Zeuge den Verlauf der päpstlichen Friedensvermittlung im Jahre 1917. Der päpstliche Friedensschritt sei auf ein Gespräch des Nuntius Pacelli mit dem Kaiser zurückzuführen gewesen. In dem Fragebogen, den der Papst damals an die beteiligten Regierungen versandte, sei vor allem auf die völlige Wiederherstellung der Unabhän­gigkeit Belgiens Wert gelegt worden. Von keiner Seite sei eine strikte Ablehnung der päpstlichen Aktion erfolgt. Von Deutschland sei trotz fortgesetzten Drängens des Vatikans keine klare Erklärung zu erhalten gewesen. Was das Ultimatum wegen des Rücktritts des Kaisers anlangt, so sei am 7. Nov. 1918 von den Sozialdemokraten ein solches Ultimatum gestellt worden. Wenn aber behauptet wird, daß dies unter gewissen Drohungen geschehen sei, so erkläre er, daß der Reichskanzler Prinz Max von Baden zu Ebert damals gesagt habe, wenn jemand in der Lage sei, uns vor dem Schlimmsten zu bewahren, dann sei es die Sozialdemokratische Partei. Ebert habe das Reichskanzleramt deshalb übernommen und seine Proklamation an das Volk gerichtet, in der er mitteilte, daß er die neue Re­gierung jetzt im Einvernehmen mit den Parteien bilden wolle. Der Zeuge schloß: Das Dolchstoßmärchen ist das schlimmste Gift, an dem Deutschland zurzeit krankt. Die Wahrheit ist: Deutschland ist zusammengebrochen, weil seine Führung Weser politisch noch militärisch so gut war, wie sie sein sollte. Wir waren ausgeblutct und wurden immer schwächer. Der Geg­ner aber immer stärker. Der nächste Zeuge war dann der Bibliotheksdirektor des preußischen Landtages, Dr. Friedrich Thieme. Von den Mehrheitssozialisten sei, wie er ausführte, im Verlaufe des Krieges stets die Pflicht zur Landesverteidi­gung und auch die Erfüllung dieser Pflicht als erste Forde­rung hingestellt worden. Selbstverständlich hatten auch die So­zialdemokraten in der Erfüllung dieser Pflicht gewisse Hem­mungen zu überwinden, die vor allem in der Befürchtung eines Annexionskrieges lagen. Gelegentlich des Streiks 1917 und 1918 hatten sich sämtliche sozialdemokratische Führer auf den Standpunkt gestellt, daß diese Streiks purer Landesverrat seien. Allerdings könne er den Mitgliedern der U.S.P. nicht das gleiche Zeugnis ausstellen. Niemals aber würde eine Revolution einen Erfolg gehabt haben, wenn nicht die Nieder­lage vorausgesehen wäre. Der Vorwurf des Dolchstoßes fei da­her das schwerste Verbrechen, was an der inneren Einheit des deutschen Volkes begangen werde. Die weiteren Auseinander­setzungen mit dem Rechtsanwalt Graf Pestalozza brachten schließlich den Fechenbachprozeß aus dem Jahre 1922 zur Sprache, um die Glaubwürdigkeit Dr. Thiemes festzustellen. Rechtsanwalt Dr. Hirschberg protestierte gegen die stückweise Äufrollung des Fechenbach-Prozesses in diesem Zusammenhang und. verlangte die Beiziehung der gesamten Mten des Fechen- bachprozesses. An dieser Stelle wurde die Verhandlung auf Montag den 2. November vertagt. An diesem Tage wird der Sachverständige Geheimrat Dellbrück vernommen werden.

Amtliche Erklärung zum Tod von Generalleutnant Müller.

Dresden, 29. Oktbr. Amtlich wird gemeldet: Der Un­glücksfall, dem der Befehlshaber im Wehrkreis IV, General­leutnant Müller, heute auf dem Uebungsplatz Jüterbog zum Opfer fiel, hat sich folgendermaßen zugetragen: Am 29. Okto­ber in den ersten Nachmittagsstunden fand eine Hebung ge­mischter Waffen mit Scharfschießen statt. Bei dieser Hebung überschossen seitwärts-rückwärts in Stellung befindliche schwere Maschinengewehre die vorderen Linien. In vorderster Linie der angreifenden Infanterie befanden sich die Uebungsleitung und die übrigen, der Hebung beiwohnenden Offiziere, mitten unter ihnen Generalleutnant Müller. Die Entfernung, ans der die schweren Maschinengewehre die Infanterie überschossen, betrug etwa 1000 Meter. Plötzlich brach Generalleutnant Müller, in der Seite getroffen, zusammen und verschied sofort. Der an Ort. und Stelle befindliche Sanitätsoffizier stellte fest, daß ein M.G.-Geschoß aus weiter Entfernung die Hauptschlag­ader durchschlagen und den sofortigen Tod herbeigeführt hatte. Ein Verschulden an dem Unglücksfall ist nach den bisherigen Feststellungen niemanden beizumessen, da alle für derartige Schießübungen notwendigen und vorgeschriebenen Sicherheits­maßnahmen getroffen waren. Sachverständige nehmen an, daß eine mit zu schwacher Pulverladung versehene Patrone den verhängnisvollen Schuß abgab.

Hindenburg für die Ratifikation.

Newyork, 3v. Oktbr. Der bekannte deutsch-amerikanische Journalist Karl H. Wiegand kabelt demNewyork American" wie folgt:Die Ablehnung des Vertrages von Locarno durch die Dentschnationalen hat Hindenburg dermaßen verärgert, daß der Präsident eine Zeit laiW tatsächlich daran dachte, sein Amt niederzulegen. Der alte Feldmarschall war, wie ich höre, der Meinung, daß, nachdem er zu verstehen gegeben hatte, daß er die Locarno-Verträge sanktionieren werde, die Ablehnung em Verrat an seiner Person sei seitens jener, welche ihn zum Prä­sidenten gemacht hatten. Das Argument, das ihn dazu bewoff, in feinem Amt zu verbleiben, war, daß er ebenso, wie er btt der Armee verharrte, als der Rückzug kam, auch jetzt auf seinem Posten bleiben würde. Unter der Voraussetzung, daß die Al­liierten ihre Versprechungen mit Bezug auf die Rückwirkungen halten werden, wird sich Hindenburg mit seinem ganzen Ein­fluß für Luther und Stresemann und für die Ratifizierung der Verträge einsetzen.

Bestechungen um deutsches sequestriertes Eigentum.

Newyork, 30. Oktbr. Im Zusammenhang mit der Verwal­tung des während des Krieges beschlagnahmten feindlichen Eigentums ist eine ungeheure Betrugsaffäre aufgedeckt worden. Der oberste Staatsanwalt hat den ehemaligen Cnstos des st- guestrierten feindlichen Eigentums Thomas Miller, wegen Un­terschlagung und Untreue unter Anklage gestellt. Die An­klage beschuldigt Miller für die Rückgabe der während des Krie­ges beschlagnahmten Metallgesellschaft Bestechungsgelder ange-