sprachen werden. Der Lehrplan einer Blindenschule umfaßt den einer Volksschule. Der Staat erkenne allmählich die Pflicht an, säst sämtliche Blindenausbildungsanstalten seien heute versa stsämtliche Blindenausbildungsaustalten seien heute verstaatlicht. Ter württ. Blindenausbildungsanstalt sei es bis heute noch nicht -gelungen, bei den Behörden das Verständnis für die Verstaatlichung zu Wecken. Die Blindenanstalten vermitteln nicht nur die schulmäßige Ausbildung, sie verlegen sich auch auf die gewerbliche Ausbildung der Blinden. Es kommen in Betracht Musik, kaufmännische Berufe, Klavierstimmcn und -Reparaturen, Massageberuf, Bürstenmacherei, Flechten -von Körben und Matten, Handarbeiten, in welch letzteren recht gute Erfolge erzielt wurden. Auch die Verwendung in der Hauswirtschaft zeige erfreuliche Resultate, so sei ein Fall zu verzeichnen, wo eine blinde Köchin täglich für 25 Personen Mittag- und Abendessen zubereitete. Noch verbreitete sich der Redner über die Organisation, woraus erhellt, das; im ganzen deutschen Reiche etwa 35 000 Blinde sind, eingeschloisen 3500 Kriegsblinde. Vor 30 Jahren bildete sich eine lose Organisation über das ganze Reich ohne wirtschaftliche Ziele, nur auf den Erfahrungsaustausch eingestellt. Das Bedürfnis eines engeren Zusammenschlusses trat immer mehr hervor, und 1912 wurde mit Sitz und Verwaltung in Berlin der Reichsdeutsche Blindenverband ins Leben gerufen. Er verfolge unter Ausschaltung politischer und konfessioneller Bestrebungen rein wirtschaftliche Ziele. Die Leiter der Organisation versehen ihr Amt ehrenamtlich. In 4 Erholungsheimen ist bedürftigen Blinden Erholung ermöglicht. Blindenkongresse behandeln alle wichtigen Fragen des Blindenwesens. Die Blindenwohl- fahrtskammer ist dem Reichswohlfahrtsamt angeschlojscn. Interessante Ausführungen machte Redner noch über das Blindenwesen in Württemberg und die württ. Blindenanstalt Nikolauspflege in Stuttgart. Leider reiche die staatliche Subvention nicht aus, um den Blinden eine genügende Schulbildung zu geben. Was die Blinden wollen, führte Redner zum Schlüsse aus, ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Sie wollen das Verständnis Wecken, daß möglichst viele Blinde auch in einem Blindenberufe ausgebildet werden können. Das Publikum möge diesen Blindenberufen so viel Arbeit zukommen lassen, damit sie in der Lage sind, sich mit dieser Arbeit zu ernähren. Der württ. Blindenverein, 1909 gegründet, zählt heute 550 blinde Mitglieder. Vorsitzender ist Regierungspräsident von Nickel, Geschäftsführer der Redner. Zur Zeit bestehen acht Ortsgruppen, -deren jüngste Neuenbürg sei. Die Funktionen werden ehrenarntlich ausgeübt. Zweck sei, die Mitglieder vor den finanziellen Folgen ihres Gebrechens sicher zu stellen und ihnen Erwevbsmöglichkeiten zu schaffen. Als ein erfreuliches Ergebnis bezeichnte Redner die Blinden-Genossenschast mit Sitz und Verwaltung in Heilbronn, mit eigenem Anwesen zu dem Zweck, Beschäftigungsmöglichkeit für viele blinde Handwerker und Belieferung selbständiger Gewerbetreibender mit Waren, aufgebaut -auf freier kaufmännischer Grundlage. Die geforderten Preise seien keine Wohlfahrtspreise, sondern Preise, die Marktwert besitzen. Mit dem Wunsche, daß der Vortrag das Verständnis für das Blindenwesen fördern und der jungen Ortsgruppe Neuenbürg diejenige Unterstützung zuführen möge, welche ihr -dringend nottut, schloß der Redner seinen beifällig aufgenommenen Vortrag.
Daran reihten sich 3 Sopvansolis von Frl. Vollmer von -der Blindenanstalt Stuttgart „Friede sei mit euch", „Du bist die Ruh" und „Kein Hälmlein wächst auf Erden", die mit ihrer wunderbaren Stimme und dem seelenvollen Vortrag eine ergreifende Wirkung unter den Anwesenden erzielte. Begleitet wurde sie von dem -blinden Klavierspieler Herrn T h u m. Birkenseid. Zwei weitere Blinde, Frl. Bätzner, Wildbad, und Frl. Marie Frey, Gräfenhausen, trugen Passende Gedichte mit tiefem Empfinden vor. Die reich -beschickte Ausstellung zeigte weibliche Handarbeiten, die berechtigtes Staunen er- rsAen, weiterhin Korbarbeiten, Bürstenwaren, Holzfchnitzar- beiten, welche Zeugnis ablegten von dem Streben der Blinden, sich durch ihrer Hände Arbeit zu ernähren. Vervollständigt wurde die Ausstellung durch Schreibmaschinen, Schreibapparate, Lehr- und Unterrichtsmittel und Blindenspiele. Eine Lotterie der ausgestellten Arbeiten, welche zum Teil wirklichen Kunstsinn verrieten, bot Gelegenheit zu einem praktischen Gewinn. In einem Schlußwort dankte Regierungspräsident von Nickel für den zahlreichen Besuch und -das rege Interesse. Er bemerkte u. -a., daß die Ziele des Württ. Blindenoereins dahin gingen, alle Blinden zusammenzufassen in Ortsgruppen, damit sie Gelegenheit haben, persönlich miteinander in Berührung zu kommen. Mit der Bitte, diese Ziele mitfördern zu helfen durch Zuweisung von Arbeiten schloß er die Versammlung.
Neuenbürg, 29. Septbr. (Vorsicht beim Betreten des besetzten Gebietes.) Auch heute noch ist beim Betreten des besetzten Gebietes ein Paß oder ein Personalausweis der deutschen Behörde erforderlich. Die Franzosen nehmen weitere Revisionen vor und stellen dann solche Einreisende, die ohne Papiere betroffen werden, vor ein Militärgericht-
32 Personen, die bei einer Revision im Gebiete des Brückenkopfes Mainz vor einigen Tagen ohne gültige Ausweise betroffen worden waren, wurden zu Geldstrafen bis zu 20 Mark verurteilt. Fünf, die keinen festen Wohnsitz Nachweise» Konnten, erhielten Gefängnisstrafen von je 7—12 Tagen. Der 18 jährige Maurer Karl Kaeßler aus Gießen, der einen gefälschten roten Ausweis besaß, erhielt eine Gefängnisstrafe von eine», Jahr und acht Monaten.
(Wetterbericht.) Ju Süddeutschland kommt allmählich Hochdruck auf. Für Mittwoch und Donnerstag ist mehrfach heiteres und vorwiegend trockenes, in Niederungen mit Herbstuebeln verbundenes Wetter z u er warten ._
Wiirttsmdsry
Calw, 29. Sept. (Bautätigkeit.) Seit Jahren ist die Stadtverwaltung bestrebt, Baugelände zu erwerben und an Baulustige abzugebcn. Dadurch wurde die Baulust angeregt und das Bauen selbst erleichtert. Auf diese Weise war es möglich, dem Siedlungsverein wertvolles und baureifes Gelände zur Erstellung von über 20 Wohnhäusern zur Verfügung zu stellen. In der letzte» Woche hat die Stadt in der Nähe der ilhlandstraße ein neues 55 Ar großes Bnugrundstnck um 14500 Mark erworben, das Platz zu 8 Wohnhäusern gibt.
Stuttgart, 29. Sept. (Vom Volksfestverkehr) Der ungeheure Verkehr, den der gestrige Bolksfesthaupttag mit sich brachte, ist daraus zu erkennen, daß auf den Stuttgarter Straßenbahnen einschließlich der Vorortbahnen nicht weniger als 390000 Fahrscheine ausgegeben wurden. Durch Eßlingen fuhren gestern außer den fahrplanmäßigen Zügen 49 Sonderzüge nach Cannstatt. Während die zwischen 9 und 10 Uhr stattfindende polizeiliche Räumung des Bolks- festplatzes an den vorhergegangenen Tagen ohne ernste Zwischenfälle vor sich gegangen war, kam es am Sonntag zu größeren Widerständen des Publikums, sodaß es der Polizei erst nach großer Anstrengung gelang, zwischen 10 und 11 Uhr den Platz zu räumen. Da die Polizei mit Steinwürfen und Stöcken bearbeitet wurde, sah sie sich genötigt, von der blanken Waffe Gebrauch zu machen und den Platz mit Gewalt zu säubern. Drei Polizeibeamte und acht Zivilpersonen erhielten nicht lebensgefährliche Verletzungen.
Stuttgart, 29. Sept. «Landeskonferenz der württ. Holzhauer.) Am gestrigen Sonntag fand anläßlich der landw. Ausstellung auf dem Cannstatter Wasen eine vom Deutschen Landarbeiterverband einberufene allgemeine Landeskonferenz der württ. Holzhauer statt. Vertreten waren 178 Delegierte. Außerdem, haben teilgenommen Vertreter des württ. Arbeitsministeriums, der württ. Forstdirektion und der sozialdemokratischen Landtagsfraktion. Die Konferenz befaßte sich ausschließlich mit Lohn- und Tariffragen. Die aus den Delegiertenkreisen vorgeschlagenen Resolutionen fordern eine umgehende Regelung der gegenwärtig bestehenden unzulänglichen Entlohnung und möglichst restlose Durchführung der beantragten Änderungen zum Manteltarif.
Ludwigsburg, 29. Sept. Einweihung des Gedächtnismals des R.-I.-R. 121.) Am gestrigen Sonntag beging das frühere R.-2.-R. 121 die Einweihung eines Gedächtnismals für die im Weltkrieg Gefallenen unter sehr zahlreicher Beteiligung der früheren Regimentsangehörigen, darunter auch der letzte Führer der Division, zu der das R.-I.R. 121 gehörte, nämlich des Generalleutnants von Soden, und des letzten Kommandeurs dieses Regiments im Kriege, Oberstleutnant Bölter. Vormittags fanden in den beiden Garnisonskirchen Gottesdienste statt, nach deren Schluß sich die ehemaligen Krieger aus dem Arsenalplatz sammelten und unter Vorantritt der Kapelle des I.-R. 12 und einer Kompagnie Reichswehr mit den drei Bataillons-Fahnen zur Garnisonskirche marschierten. Hieran beteiligten sich auch die hiesigen und auswärtigen militärischen Vereine mit ihren Fahnen. Der große imposante Zug nahm dann Aufstellung beim Osteingang zur Garnisonskirche in der Stuttgarter Straße, wo das Denkmal angebracht ist. Der Männergesangverein leitete die Feier durch das wirkungsvoll vorgetragene „Selig sind die Toten" ein, worauf Oberstleutnant Bölter die Denkmalsrede hielt. Nach Entbüllung der Gedenktafel senkten sich die drei Bataillons-Fahnen und Oberstleutnant Völter übergab nun das Denkmal der Obhut der Stadl. Lorbeerkränze wurden niedergelegt mit Widmung von Exz. General von Soden im Namen des Standorts Ludwigsburg, von Oberst Jäger im Namen des Osfizierkorps der Stammtruppe des Infanterie-Regiments Alt-Württemberg u. a. m. Hieran schloß sich ein Zapfenstreich der Musikkapellen. Den Schluß bildete ein Vorbeimarsch am Denkmal.
Reutlingen, 29. Sept. (Wiederholter Besitzwechsel. Das Hotel Kronprinz in Reutlingen ist durch Kauf in den Besitz von Karl Lerch, früher zum „Lamm" hier, übergegangen.
Unterhausen, 29. Sept. (Katzenmusik.) Die hiesige männliche und weibliche Jugend brachte kürzlich nach Eintritt der Dunkelheit in großer Zahl und unter Verwendung verschiedener Musikinstrumente, sowie sonstiger zum Lärmen geeigneter Gegenstände einer hiesigen, etwa 50 Jahre alten Frau eine Katzenmusik. Es sollte dies „der Lohn" dafür sein, daß diese Frau ihren etwas gebrechlichen Ehemann so schlecht behandelte, daß ihm nichts anderes übrig blieb, als sich in seine Heimatgemeinde im Seeburgertal zu verziehen. Die jungen Leute rissen das Scheunentor des Anwesens der Frau auf, wo sich diese verbarrikadiert hatte, indem sie Sensen und dergleichen Geräte quer über den Eingang gelegt hatte. Sie selbst befand sich im Hintergrund der Scheuer, von wo aus sie die jungen Leute anrief. Im kritischen Moment griffen aber der Polizeidiener und ein Gemeinderat ein.
Vom Schwarzwald, 29. Sept. (Schwierigkeiten in der Uhrenindustrie.) Nachdem vor kurzem die Uhrenfabrik Badenia in Billingen infolge Zahlungsschwierigkeiten die Uhrensabrikation vollständig einstellen mußte und mit den Gläubigern einen billigen Vergleich anstrebt, ist neuerdings über die Uhrenfabrik Martin Jauch und über die Uhrenfabrik Haller L Benzing in Schwenningen die Geschästs- aufsicht zur Abwendung des Konkurses angewendel worden.
Ehingen a. D-, 29. Sept. (Tödlicher Betriebsunfall.) In der Cementfabrik wurde der Arbeiter Anton Eck, Vater von vier Kindern, beim Auslege» des Riemens auf die Transmission von dieser erfaßt und am Kopf und in der Bauchgegend so schwer verletzt, daß nach wenigen Stunden der Tod des fleißigen Arbeiters eintrat.
Ravensburg, 29. Sept. (Freispruch.) Vor dem Jugendgericht hatte sich der Gymnasiast Waldemar W. wegen fahrlässiger Tötung zu verantworten. W. fuhr im Juli auf dem Rade von Ravensburg über Tettnang nach Lindau. Auf der Steiqe bei Gießenbrück überholten die Radfahrer drei Fußgänger. Dabei ereignete sich ein Zusammenstoß. Der 60 Jahre alte Handelsmann Maier aus Gattnau fiel zu Boden und erlitt eine schwere Kopfverletzung, an der er schon nach wenigen Stunden starb. Der Richter erblickte in dem Verhalten des Radlers keine strafbare Fahrläsigkeit und deshalb wurde der Angeklagte freigesprochcn.
Friedrichshasen, 29. Sept. (Vom Z. R. 3.) Nach einer Schilderung des Steuermanns, Ingenieur Walter Scherz, hat das Luftschiff auf seiner Norddeutschlandreise mit 73 Personen an Bord in 3.3' > Stunden 3500 Km., also etwa die Hälfte des Wegs nach Amerika, bei einer Geschwindigkeit von lOO-125Km. zurückgelegt. Die Fahrt über die Ostsee bildete eine Generalprobe fiir die maritime Navigation mit der Beobachtung der Leuchtfeuer und Seezeichen vom Luftschiff aus. Die Mannschaft hat nur wenig in Hängematten geschlafen. Ablösung erfolgte alle vier Stunden. Bei der Ozeanfahrt werden nur 30 Personen im Schiff sein. Vom 5. Oktober ab dürfte das Luftschiff klar zur Ueberfahrt sein. Der Termin hängt vom Wetter ab. Eine Probefahrt findet voraussichtlich nicht mehr statt.
Friedrichshafen, 28. Sept. (Entlarvter Hochstapler.) Der Polizei ist es gelungen, einen raffinierten Hochstapler festzunehmen, der zwei Jahre lang auf Kosten anderer ein flottes Leben geführt und mit der Tochter eines Hamburger Großkaufmanus auf dem.tschechischen Konsulat auf Grund falscher Papiere eine ungültige Ehe geschlossen hatte. 1922 war der Schwindler aus einem Wiener Gefängnis entwichen. Nach der Heirat unternahin das Paar Reise» durch Deutschland. Oesterreich und Italien. Der Schwindler gab sich als Univer- sitälsprofessor, Großgrundbesitzer und Freiherr aus und hielt auch Vorträge. Schließlich trat er mit einem wissenschaftlichen Institut am Bodensee in Verbindung, wo er einige Zeit tätig war, bis man wegen seiner unzureichenden Kenntnisse Verdacht schöpfte. Er ist der Sohn eines österreichischen Offiziers und wird sich in Ravensburg vor der Strafkammer zu verantworten h aben. _
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Pforzheim, 29, S-ept. Der Vorfall im Hause Enttuger- straße 24 hat glücklicherweise kein Menschenleben gefordert. Die Frau des Heizers Karl Oberst befindet sich im Krankenhause auf dem Weg der Besserung und ihre beiden Töchter haben sich von der Gasvergiftung schon ganz -erholt.
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Allerlei von der Deutschlandfahrt. Seine größte Schnelligkeit hat der Z. R. 3 aus der Deutschlandfahrt zwischen.Augsburg und Ulm erreicht, indem er -die etwa 95 .Kilometer lange Strecke in 26 Minuten durchflog. Die höchste Höhe die das Luftschiff auf der Fahrt hatte, waren 2200 Meter, Der nördlichste Punkt des Luftschiffes auf dieser Fahrt war nur etwa 30 Kilometer vom Nordkap Jütlands entfernt. — Wegen unsichtigen Wetters mußte das Luftschiff so tief über Berlin fliegen, Laß die Antennen -eingezogen werden mutzten und die in Aussicht -gestellten Ansprachen nicht in Empfang genomnren werden konnten. — Bei der Erprobung des Bordpeilers zur Ermittlung eines genauen Schiffskurses wurden Entfernungen bis zu 500 und 600 Kilometer zu Grunde gelegt. — Im letzten Teil der Fahrt in den Regenböen hat das Luftschiff über 1000 Kilo Feuchtigkeit ausgenommen, Falls zu seiner Austrocknung die Durchlüftung in der Halle nicht genügt, müßte zu -diesen« Zweck eine kurze Zwischenfahrt bei sonnigem Wetter vor der Amerikafahrt unternommen werden.
Die Verwendung des Z. R. 3 in Amerika. Wie dem „Tag" über Paris aus Washington -gemeldet wird, habe das amerikanische Marine-Departement über die künftige Verwendung des Luftschiffes Z. R, 3 bisher noch einerlei Bestimmung getroffen. Höchstwahrscheinlich werde Z. R. 3 zur Ansbildung von Luftschisfahrtspersonal gebraucht werden. Es solle versucht werden, auch für Las Verkehrswesen das Luftschiff nutzbar zu machen und darnach seien andere Luftschiffe zu bauen. Ob das Lust-
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HerF/'s von K/nöernreH/.
" Ich Hab dich lieb.
Roman von Erich Eben st ein.
Urheberschutz durch Stuttgarter Romanzentrale C. Ackermann, Stuttgart.
Aber er vermißte sie gar nicht. Er war schon in der ersten halben Stunde hingerissen von dem geistreichen Geplauder, der bestrickenden Koketterie und den bizarren Einfällen dieser entzückenden Weltdame, die mit lachendem Mund die unglaublichsten Paradoxe heraussprudelte.
Sie ließ ihn auch gar nicht im Unklaren, daß er ihr gefiel. Als jemand in ihrer Nähe von Romanen sprach und Flamm sie fragte, ob sie gerne lese, antwortete sie mit seltsam schmachtendem Augenaufschlag:
„Nicht besonders. Ich würde einen Roman viel lieber erleben, als — lesen. Das Leben ist so langweilig! Aber ich bin wohl zu kalt dazu. Wenigstens hat noch kein Mann mein Herz höher schlagen gemacht."
Dabei sprachen ihre Augen: „Versuch es doch du! Vielleicht gelingt es dir!"
Nie bisher hatte das Leben Flamm mit einer Frau dieses Schlages noch zusammengeführt.
Sie schien ihm überhaupt mit keiner anderen Frau vergleichbar. Alles, was der Alltag in ihm eingeschläfert hatte, wachte wieder auf, wurde durch Flors Worte gleichsam emporgerissen; Temperament, Ehrgeiz, Kraftgefühl und — Eitelkeit .. .
Als er ihren Mann kennen lernte, diese Modekarikatur mit dem gefärbten Haar, erwachte heißes Mitleid in ihm.
Der große Troß ihrer Anbeter schreckte ihn nicht. Was waren das für fast- und kraftlose Durchschnittsfiguren! Wäre nicht jedem der Berus wie eine Etikette als Schild Umgehungen, man hätte sie kaum voneinander unterschieden, diese Offiziere, Diplomaten und reichen Nichtstuer.
War sie in seinem Leben nur eine Versuchung, eine Episode oder — sein Schicksal?
Er vermied es, darüber nachzudenken. Nur daß seine Phantasie sich nun fast ausschließlich mit ihr beschäftigte, daß er alles andere darüber vernachlässigte, daß alles andere an Interesse für ihn verlor, fühlte er.
Sie hatte ihn in ihr Haus eingeladen und gab ihm immer Winke, wo sie zu treffen sei.
Er aber war plötzlich mitten drin im gesellschaftlichen Leben, eingeführt durch Flor und ständig im Troß der Satelliten, die um dies lockende Gestirn kreisten.
In aller Eile hatte er den Verwalter engagiert, um unbesorgt von Eberswalde fortbleiben zu können. Geschäfte, Jagden, politische Versammlungen mußten Jella gegenüber als Vorwände dienen.
Anfangs glaubte sie ihm. Dann aber erwachte in ihr ein Verdacht; sie beobachtete ihn, spionierte und fing eines Tages ein Billett auf, in dem Flor ihm mitteilte, daß sie ihn morgen bei einer Freundin erwarte, die ihr zu Ehren ein kleines Fest gäbe. Das Billett war nur mit „Ihre F." unterzeichnet.
Jella wußte genug. Es gab Tränen, Vorwürfe, Szenen. Flamm leugnete alles. Aber ihren Verdacht konnte er nicht mehr zerstören. Sie beklagte sich bei den Ihren, und Bernd, außer sich vor Empörung, sprach sogleich von Scheidung, „denn das Schicksal unserer Mutter soll sich an dir nicht zum zweitenmal erfüllen."
Auch Flamm gegenüber kam es mehrmals zu scharfen Ausfällen, so daß dieser jeden Verkehr mit dem Schwager abbrach.
Aber auch Siebert wurde eifersüchtig, obwohl er es sonst gerne sah, wenn seine Frau gefeiert wurde. Er hatte ganz und gar nichts gegen ein Dutzend Anbeter, so lange Flor alle gleich behandelte. Mit diesem einen aber
war sie eben anders, unbesonnen leichtsinnig, und dagegen wehrte er sich.
Auch in der eleganten Villa Siebert kam es zu Szenen, und Flor fand ihren Mann, mit dem sie bis dahin prächtig ausgekommen war, plötzlich unbequem pedantisch.
Und gerade der Widerstand reizte sie. In ihren Augen war alles nur ein pikantes Spiel, in Flamms Empfinden „Freundschaft".
Damit trösteten sich beide und wurden fortan nur vorsichtiger. Das heißt, sie sahen einander öffentlich seltener, aber dafür zuwellen im Geheimen.
Und dies schien ihnen besonders köstlich! Die Szenen mit Jella und ihre ewigen Vorwürfe empfand Flamm fast als Erleichterung. Sie entfernten die Ehegatten immer weiter voneinander und erleichterten sein Gewitzen, mit dem er trotz aller Schwärmerei für Flor in stetem Kampfe lag.
„Wenn sie mir das Leben daheim zur Hölle macht", rechtfertigte er sich vor sich selbst, „so habe W auch keine Pflicht mehr, Rücksichten auf sie zu nehmen.
Und ganz vage begann in ihm ein Traum Gestalt an- zu nehmen. Der Traum, sich selbst und Flor aus übereilt geschlossenen Fesseln frei zu machen, um irgendwo aus Erden ein neues Leben zu beginnen.
Schließlich — hatte es Jellas Vater denn anders gemacht? Und sie besaßen gottlob nicht einmal Kinder, die darunter leiden würden!
Alles dies zog nun in den einsamen Stunden seines Krankenlagers wieder an seinen Augen vorüber.
Aber die Dinge lagen nun doch anders. Jellas Vorwürfe waren längst verstummt. Und wohin er auch blickte, überall sammelten ihre Hände glühende Kohlen auf sein Haupt.
(Fortsetzung folgt.)