die Machtentjaltung des deutschen Reiches, der ihnen gefährlich erschien, weil er sich auf ein geschultes Volk stützte. Die linksstehenden Parteien verstanden unter Militarismus die Kom- mandogewalt des Kaisers und der Offiziere. Es ist tragisch, daß sie in tieferem Sinne unfre strenge Ausbildungsmethode nicht zu fassen vermochten, den Drill und den Zwang des unbedingten Gehorsams. Alle aber, die wir in einem Lande wühlen, wo Recht und Sicherheit lebten, die wissen, das; Militarismus nichts anderes bedeutet, wie den starken Schutz gegen den äußeren und inneren Feind. Kein Staat kann bestehen ohne Macht, Macht gibt aber bloß ein Heer, das in Pflichttreue erzogen ist. Schon 1916, als unsere Feinde merkten, daß sie gegen die starke Kraft unserer Truppen nichts ausrichteten, da haben sie im Herzen Deutschlands mit den Waffen der Lüge und Verleumdung und der Lockung von Weltverbrüderung eine Massensuggestion erzeugt, die Haß gegen Kaiser und Militarismus und das Offizierkorps predigte. Und das deutsche Volk merkte es nicht, daß es unseren Feinden auf diese Weise zum Opfer fiel. In den Tagen von Dannenberg leidet ein ganzes Volk unter Sklaveuketten. Aber die 2000jährige Geschichte der Deutschen zeigt: Je härter die Kette» drücken, desto schneller werden sie gesprengt. Die Kraft des deutschen Volkes und der Geist von Tanneuberg sind nicht tot, sie liegen nur in krankhaftem Schlummer; wir dürfen uns nicht Niederdrücken lassen durch das Unglück, müssen Verzagtheit und vor allem die vielverbreitete Lauheit abschütteln. Denn mit dem Wehklagen über die schlimmen Zeiten wird uns nicht geholfen. Wir sind auch nicht wehrlos einem Feinde gegenüber, dem wir unsere Waffen auslieferten, nur ein Volk ist wehrlos, das den Glauben an sich selbst verliert, das sich in Uneinigkeit selbst zersplittert und zerfleischt. Deswegen müssen wir alle. Alte und Junge, antreten mit dem Spaten in der Hand zum Wiederaufbau und daran glauben, daß unser Vaterland wieder hochkommen werde. Das wollen wir uns geloben bei den Gräbern von Tannenberg, bei unseren gefallenen Helden im Weltkrieg und unseren Kriegsbeschädigten, bei unseren tapferen Frontsoldaten, denen die Ehre des Vaterlandes und der Schutz der Heimat mehr galt wie das eigene Leben. Langanhaltender Beifall lohnte die trefflichen Worte des kerndeutschen Helden. Bezirksnotar Neuß, welcher den Abend mit von vaterländischem Empfinden zeugenden Worten eröffnet und den Redner begrüßt hatte, dankte diesem für seine hochinteressanten Ausführungen, -daran die Hoffnung knüpfend, daß unser deutsches Vaterland wieder Zeiten erleben möge, die würdig sind der unvergleichlichen Heldentaten seiner Söhne im Weltkrieg.
Schwarzenberg. 12 Aug. Heute Nacht zwischen 1 und r,2 Uhr wurde die hiesige Einwohnerschaft aus dem Schlaf geweckt durch den Ruf „Feuer". Das Koch'sche Haus, dessen Besitzer erst vor kurzem seine Versicherung regelte, stand in Hellen Flammen. Die Feuerwehr wie auch die Einwohnerschaft waren rasch an der Brandstelle. Es wurde tüchtig gearbeitet, aber eine Rettung des Gebäudes war unmöglich: es brannte gleich alles lichterloh. In der Nachbarschaft hat es zum Teil noch Schindeldächer, und da hatte man Mühe, daß das Feuer nicht weiter ausgriff. Zum Glück ging fast gar kein Wind, sonst hätte leicht ein großer Teil vom Ort abbrennen können. Die Entstehungsursache ist zur Zeit noch unbekannt.
Hellbraun, 11. Aug. (Protestversammlung.) Hier und in Schwaigern fanden gestern Protestversammlungen der Weingärtner gegen die im spanischen Handelsvertrag geplante Zollherabsetzung für Wein statt. Es wurden einstimmig Entschließungen angenommen, -hie vom Reichstag verlangen, daß er dem für den deutschen Weinbau ruinierenden Zollsatz die Genehmigung versagt.
Schwaigern, 11. Aug. (Faßwettläufer.) Gestern nachmittag kamen von Eppingen her durch Schwaigern zwei junge Männer, die infolge einer Wette ein Faß von etwa NO Liier vor sich her schieben, vom Bodensee kommen und bis 1. Oktober ihr Ziel, die Nordsee, erreicht haben sollen. Die bis jetzt zurückgelegte Strecke beträgt 300 Kilometer.
Göppingen, 11. Aug. (Ein weiterer Mordversuch?) In der Nacht auf Sonntag wurden, nach einer Blättermeldung, die Anwohner der Oestl. Ringstraße durch Lärmen und Schießen aus dem Schlaf geweckt. Wie inan hört, soll ein junger Mann einem Mädchen, mit dem er uneins -geworden war, mit einem Revolver aufgelaucrt haben. Eine vorausgehende Freundin, die den Wegelagerer bemerkt hatte, eilte zurück und verständigte das Mädchen, wodurch größeres Unheil verhütet werden konnte. Bei dem Eingreifen anderer des Wegs kommender Leute gab es einen großen Lärm, und es fiel auch ein Schuß. Die Namen der in Betracht kommenden Personen sind bekannt.
Gmünd, 11. Aug. (Eile mit Weile.) Der in der Porzellanfabrik beschäftigte Arbeiter Wanka aus Schorndorf stieg mit Erlaubnis des Senkers auf einen von Lorch kommenden auswärtigen Bierlastkraftwagen, um rechtzeitig auf -den Zug zu kommen. Bei der Einbiegung in die Bahnhofftraße sprang Wanka von dem in voller Fahrt befindlichen Lastkraftwagen ad, geriet hierbei unter die Räder und erlitt erhebliche Verletzungen. Bewußtlos und schwer blutend wurde er ins Spital überführt, wo er abends starb.
Aitrach OA. Leutkirch, 11. Aug. (Wasserschaden.) Vergangene Woche war Landtagsabg. Strobel hier, um die Grundstücke zu besichtigen, die durch das immer wieder cinsetzende Hochwasser der Iller stark in Mitleidenschaft gezogen werden, wodurch den betreffenden Landwirten empfindlicher Schaden erwächst. Landtagsabg. Strobel hatte Gelegenheit, zu beobachten, wie unter der Gewalt des cinsetzenden Hochwassers erhebliche Teile besten Ackerlandes, die mit Winter- und Sommerfrucht bebaut sind, in Zeitabschnitten von einigen Minuten in der reißenden Flut verschwanden. Sofort begab er sich mit den geschädigten Landwirten aufs Schultheißenamt, das das Nötigste veranlagte, um eine baldige Korrektion herbeizu- führen.
ÄerMtMtes
Schwere Hagelwetter im Regierungsbezirk Kassel. In der vergangenen Woche sind in den Kreisen Hofgeismar, Frankenberg, Kirchhain, Hersfeld und Eschwege schwere .Hagelwetter mit teilweise vernichtenden Folgen für die Landwirtschaft niedergegangen. Wie jetzt erst zu übersehen ist, betragen die Totalschäden bei Weizen und Hafer 22,95 und sogar 100 Prozent. Die meisten Landwirte, zumeist kleinere und mittlere, sind durch diese Unwetterkatastrophe in große Not gekommen und beim Staat vorstellig geworden. Der Regierungspräsident hat die zahlreichen Bittsteller abschlägig bescheiden müssen, da ihm Staatsmittel zur Beseitigung von Hagelschäden nicht zur Verfügung stehen.
Ein Gemeindevorsteher ermordet. Im Luftkurort Frankenheim wurde in der Nacht der Gemeindevorsteher Abe aus offener Straße von ortsangchörigen Burschen überfallen und durch Stockschläge, Steinwürfe und Messerstiche so verletzt, -daß er verstarb. Drei dieser Burschen konnten verhaftet werden. Im Frühjahr hatte sich ein ähnlicher Ueberfall auf den greisen Ortspfarrer Schulz ereignet. In Anbetracht dieser Unsicherheit wurden seinerzeit nach Bad Frankenheim drei Alaun der Landespolizei bcordnet. Nachdem -diese vor einigen Tagen Frankenheim verlassen hatten, hat sich das schändliche Verbrechen an dem Gemeindevorsteher zugetragen.
Erfolgreiche Razzia am Potsdamer Platz in Berlin. Das übliche Treiben am Potsdamer Platz, der in letzter Zeit immer mehr der Tummelplatz für allerlei Gesindel, liederliche Frauenzimmer und ihrem Anhang an jüngeren und älteren Männern geworden war, veranlaßte die Kriminalpolizei, eine gründliche Absuchung des Platzes vorzunehmen. Die Taktik der Razzia war diesmal anders als bei früheren Streifen. Die Beamten verteilten sich um 11 Uhr nachts unauffällig auf dem Platze und in den angrenzenden Straßen, um zuerst das Publikum einzeln zu beobachten. Nachdem sie so einen gewissen Uoberblick gewonnen hatten, griffen die Kriminalbeamten zu einer vorher verabredeten Zeit alle zugleich ein und brachten die Angehaltenen, ohne daß dies dem unbeteiligten Publikum aussiel, aus die Wache. Im ganzen wurden 170 Personen scstgenommen. Gegen 12)4 Uhr morgens gingen die Beamten gegen den Tiergartenteil zum Brandenburger Tor und zur Sivgcsallce vor. Mit Hilfe der Hunde gelang es, 50 verdächtige Personen auszustöbern und fcstzunehmen. Auch diese 50 wurden nach der Wache gebracht.
Frauenranb mit dem Auto. Vor einigen Tagen war eine Frau mit ihrer 19 Jahre alten Tochter in der Nähe von Engelhaus bei Karlsbad am Waldrande mit Arbeiten beschäftigt, als Plötzlich ein Auto hielt, aus dem zwei Männer sprangen, die das Mädchen Packten, knebelten und in das Auto verluden. Tann sauste das Auto davon. Bisher konnte keine Spur von der Entführten entdeckt werden.
Zwanzig Morde einer russischen Wahrsagerin. In diesen Tagen würbe vom Moskauer Obergericht eine Frau Anastasija Permiakowa zum Tode verurteilt, -die aus reiner Mordlust mehr als zwanzig Frauen und Kinder getötet hat. Sie gründete in der Stadt Perm eine Räuberbande, die unter ihrer Führung eine große Anzahl von Räubereien ausführte, bei denen viele Gewalttaten verübt wurden. Die Frau ließ sich dann in Perm als Wahrsagerin nieder. Viele ihrer Besucherinnen verschwanden auf geheimnisvolle Weise. Einmal war sie nach dem Hause eines angesehenen Anwalts bestellt worden, weil die
Tochter, die kurz vor der Verheiratung stand, ihre Zukunft wissen wollte. Die Wahrsagerin bat das Mädchen, sich umzudrehen und ihr Haar über dem lltacken hochzunehmen, damit sie sehen könne, ob sie ein gewisses Glückszeichen hinten am Halse besäße. Als -das Mädchen gehorchte, zog die Mörderin ein klenres Beil unter ihrer Kleidung hervor und tötete sic mit einem einzigen Schlage. Dann verließ sie unbemerkt das Haus. Der Tod des jungen Mädchens erregte aber großes Aufsehen, und die Polizei drang in die Behausung der Wahrsa,nwin. Man fand -dort zehre kleine Aextc, die alle Flecken von Menschenblut trugen, zwei Revolver und eine Anzahl blutbefleckter Messer. Im Verlauf der Untersuchung wurden über zwanzig Mordtaten einwandfrei festgestellt, die sie an ihren Bcsuckierin- neu begangen hatte.
Handel und Verkedr
Calw, I I. Aug. (Holzvcrkauf.) Bei dem letzten Langholzvcrkcnif waren 844 Festmeter ausgetwte». Angeschlagen war das Holz zu 20915 Mark, erlöst wurde» 19121 Mark gleich 91.4 Prozent der staatlichen Forfttare.
Stuttgart, II. Aug. -Landesprodnklenbörse.- Trotz schwankender Notierungen Amerikas bleibt die Stimmung auf der» Getreidemarkte fest und die Preise sind etwas höher. Neue Ware kommt nur wenig Hera», da die Landwirte mit Erntearbeiten beschäftigt sind. Es notierten per 100 Kilo: Weizen (1923 er) 22-23 (21.5-22,51, Hafer (1923er, 16,50—17 i16—16,5-, Weizenmehl Nr. 0 34.50-35.50 34-35), Brotmehl 29.5—30.5 (29-30), Kleie 10,25 bis 10,50 (10-10,25). Wiesenheu 4,25 5,25 -unv.h Kleehcu 5,25 bis 6,25 (unv.1. dcahtgepreßtes Stroh 3,75 4,75 (unv.) Mark.
Stuttgart, 1!, August. iPserdemarkt. Dem heutigen Stuttgarter Monatspferdemarkt waren über 200 Pferde der verschiedensten Rassen. "Arbeitspferde, Wagenpferde und Reitpferde zugesiihrt. Der Besuch war gut, der Handel ziemlich lebhaft. Der größere Teil der Pferde wurde verkauft. Bezahlt wurde: für leichte Pferde 200 bis 300 Mk.. für mittlere 400—800 Mk.. für schwere 900—1500 Mk. Für bessere Pferde hörte man Preise von 2000 Mk. und darüber. Der große Herbstpferdemarkt findet am 15. und 16. September im städt. Vieh- und Schlachthof statt.
Rottenburg, II. Aug. lObstversleigerung. Bei der Versteigerung des städtischen Obstes wurde für 1 Los bis zu 700 Mk. bezahlt, sodäß der Zentner auf 10—15 Mark kommt.
Vom Holzmarkt. Der Waldbesitzeroerband teilt über die Lage am Holzmarkt mit: Die Geschästsunlllst. die sich schon Mitte April als Folge der Knappheit an Zahlungsmitteln und der plötzlichen Reichsbankkreditsperre überall bemerkbar gemacht hatte, hat sich seitdem zu einer vielleicht noch nie dagewesenen vollkommenen Geschäftsunlust ausgebildet. Schon durch Monate hindurch fehlt sowohl beim Rundholz als in den Schnittwaren jeglicher geordnete Umsatz. Von einem „Markt" kann man eigentlich überhaupt nicht reden, denn das Hauptkennzeichen eines Marktes, das freie Spiel der Kräfte, fehlt so gut ivie ganz. Was an Holz umgesetzt wurde, gesch >h jediglich in der Absicht, die dringendsten Gelder zur Inganghaltung des laufenden Betriebs zu beschaffen. Wo verkauft wurde, bezeichnte man selbst diesen Vorgang als „Notverkaus". Entsprechend dieser Lage kann heute auch von einem Marktpreis nicht gesprochen werden, zumal die Ansichten der Käufer und Verkäufer in den seltensten Fällen llkereinstimmen. Die Käufer äußern offen ihre Ansicht, jetzt möglichst billig einkaufen zu wollen, um die - allerdings von ihnen selbst hervorgerufenen — hohen Rundholzpreste vom letzten Winter auszugleichen. Die Holzerzeuger andererseits vertreten die Anschauung^ daß heute trotz der schwierigen Geldlage für eine Unterbewertung des Holzes kein innerer Grund vorhanden ist; auch zwingen die hohen Steuerlasten und die allgemeinen Geldbe- dürfnisse des Waldbesitzenden, in der Verwertung ihrer Erzeugnisse möglichste Umsicht walten zu lassen und eine Verschleuderung zu vermeiden. Diese besonnene Haltung hat immerhin bewirkt, daß das Preisgebäude nicht ganz in sich zusammenstürzte: und auch die einsichtigen Holzhandeiskreise geben längst zu. daß sie an dem weiteren Rllckgleiten der Rnndholzpreise kein Interesse hätten, wenn sie einen angemessenen Erlös für das Schnittholz erhalten wollen. Heute wird man feststellen können, daß die überstürzten Angebote wesentlich nachgelassen haben. Dies wird in kurzer Zeit die Wiederherstellung eines „Marktes" im Gefolge haben. Die fernere Entwicklung mit einiger Sicherheit im voraus zu beurteilen, ist außerordentlich schwierig, zumal die Lage unserer gesamten Wirtschaft vollkommen von machtpolitischen Einflüssen des Auslandes abhängt. Soviel erscheint jedoch unzweifelhaft, daß der Tiefstand erreicht, vielmehr überschritten ist. Der Holzhandel äußert allgemein die Ansicht, daß wenn in London für Deutschland ein auch nur einigermaßen tragbares Ergebnis herausgekommen ist, mit einer spürbaren Besserung des Holzgeschäftcs zu rechnen sein wird. Die ersten Anzeichen für eine Belebung sind schon seit einigen Tagen zu beobachten.
Stuttgart, 11. August. Die Abgg. der Deutschen Bolkspartei haben eine Kleine Anfrage an die Regierung gerichtet, die sich da-
Der Tanz um das goldene Kalb
61 Von Erica Grnpe-Lörcher
(Nachdruck verboten.)
Denn als er sich nun erhob und ihr herzliche Grüße und Wünsche zur baldigen Genesung austrug, senkte er seine Stimme um etwas, und er trat Zyria um einen Schritt näher. „Noch eine Frage unter uns, Fräulein Engelhardt! Man spricht davon, daß sowohl das Haus hier wie das gesamte Inventar der Stadt zur Einrichtung des künftigen „Wernerhauses" überlaffen und vermacht wird. Das stimmt, ja? Aber nun ist doch noch der Weinkeller zum Beispiel da! Der kann doch nicht in diese Bestimmung mit einbegriffen sein! Würden Sie vielleicht Fräulein Werner darauf aufmerksam machen können, daß sie vielleicht mir den Weinkeller mit seinen ganzen Beständen vermacht? Dieselben sind sicher noch recht stattlich?"
Zyria antwortete nicht gleich. Es war ihr, als ob ihr jemand einen Schlag ins Gesicht versetzt hätte! Also deshalb lenkte heute die hochwohlgeborene Durchlaucht ihre Schritte zum Hause her?
„Natürlich mit größter Diskretion, Fräulein Engelhardt! Sie werden mich verstehen, nicht wahr? Ader es würde mir Nch eine Freude sein, wenn diese Vorräte in die richtigen Hände kämen. Man weiß ja, wie es bei solchen Todesfällen geht, und wie die Dienerschaft sich über derartige Sachen hermacht, wenn kein rechtmäßiger Besitzer mehr da ist."
„Ja!" vermochte Zyria nur zu sagen, da er, auf eine Antwort wartend, schwieg. Er stand unmittelbar vor ihr und seine kleinen blauen Augen funkelten sie hinter dem goldenen Kneifer an. „Wenn er nur ginge," dachte sie, „wenn er nur ginge, dieser traurige Kunde!"
Aber er schien sich noch nicht sicher Pl sein, Zyria würde wirklich der Kranken seinen Wunsch mit dem nötigen Nachdruck vortragen. „Ich bin der Ansicht, «s muß Fräulein Werner doch gewissermaßen eine Beruhigung sein, wenn sie weiß, solche Sache kommt in gute Hände, in ein gebildetes Haus, zu Leuten, welche so etwas zu würdigen verstehen!"
„Gewiß, Durchlaucht, ich werde er dem gnädigen Fräulein unterbreiten. Ae dürfen überzeugt sein, daß ich den richtigen Zeitpunkt hierfür wählen werde!"
lind als sie wenige Augenblicke später zu Fräulein Wer-I
ner zurückkehrte, nachdem der Diener Seine Durchlaucht hinausgeleitet. war sie fest entschlossen, der Kranken keine Silbe von seinem kläglichen Beweggründe zu äußern, der ihn heute hergeführt hatte! Auf die Fragen von Fräulein Amanda erzählte sie alles mögliche, seine Fragen nach ihrem Ergehen, den verschiedenen Stadtklatsch, seine Wünsche für Genesung. Aber diese klägliche Bettelei um Bermachung ihres wohi- asiortierten Weinkellers, nein, die brachte sie nicht über die Lippen!
Diese klägliche Erkenntnis über die Hohlheit ihrer früheren Freunde, diesen schmerzhaften Stich in der Ueberschätzung ihres Besitzes und der Unterschätzung ihrer eigenen Persönlichkeit wollte sie der Sterbenden ersparen!
Aber es währte nicht Stunden, sondern noch Tage. Es war ein furchtbarer Kamps zwischen den versagenden Kräften der Körpers und der Elastizität ihres beweglichen Geistes. Zyria konnte nicht von ihrem Bett weichen. Der Pflegedienst ging ununterbrochen Tag und Nacht. Die Kräfte begannen ihr zu versagen. Nur nicht zusammenbrechen, ehe dieses arme, verlassene, kämpfende Leben erloschen war, dem sie noch zur Seite stehen mußte!
Sie telegraphierte Herrn Wedel! und bat ihn, zu kommen. Er war der einzige Verwandte des Hauses. Er würde alles in die Hand nehmen, falls sie selbst sich nicht mehr aufrechtzuhalten vermochte. Es war ein sonderbarer Zufall! Kaum eine Stunde, nachdem Zyria die Depesche abgesandt, betrat Herr Wedelt das Haus. Eine eigene Unruhe, eine Ahnung, Zyria bedürfe seiner, hatte ihn schon vor Eintreffen ihres Telegrammes zu Hause aufbrechen und herfahren lassen. Und trotzdem der Tag bereits vorgeschritten war und er erst zu später Stunde im Wernerschen Hanse eintras, wollte ec sein Kommen nicht bis auf den nächsten Tag verschieben.
Zyria empfing ihn fast wortlos drüben im Musikzimmec. Es war ihr kaum möglich, zu sprechen. „Es geht sehr schlecht! Wenn nur die Erlösung für sie käme!" Das war alles, was sie hervorbrachte. Er hielt ihre Hand für Momente in der seinen und sah ihr in die müden, von Tränen umschleierten Augen. Da war er froh, »och heute gekommen zu sein, um ihr zur Seite zu stehen. Und stumm folgte er ihr hinüber in das Krankenzimmer.
Im tief abgeblendeten Licht der Schirmlampe sah er nur noch den Schatten einer Gestalt in den weißen Linnen ruhen.
> Aber noch immer schien ein flackerndes, sich selbst verzehrendes Leben in dem zusammensinkenden Körper zu leben. Sie sprach in wirren Fieberphantasien.
„Wir werden die Kammersängerin aus Wien kommen lassen, nicht wahr? Unsere neue musikalische Soiree soll wieder den alten Ruf unseres Hauses bewähren. Sie wird das Lied singen: „Unter dem blühenden Flieder". Nicht wahr, Fräulein Zyria, Sie übernehmen wieder die schwere Begleitung am Flügel? Und dann kommen einige neue Kompositionen von Erich Korngold. Das junge Musikphänomen aus Wien. Der Mozart unserer Tage! Und wenn dann im Laufe des Winters im philharmonischen Konzert eine neue Symphonie von Erich Korngold aufgeführt wird, wird man wieder sagen können: Auf der musikalischen Soiree von Fräulein Werner hat man zu allererst Konpositionen des jungen Künstlers gehört!"
Es kam eine Pause. Eine Zeitlang versank die Stimme in leises Flüstern. Sie schien mit ihrem Bruder über die Einladungen zu einer Gesellschaft zu beraten. Dann sprang der wache, wirre Geist wieder zu ihrer geliebten Musik über. Sie schien mit Zyria zu üben. „Fräulein Zyria, die Arides Cherubin aus „Figaros Hochzeit" bitte! Haben Sie die Noten da? Ach, mein verehrter Mozart! Ewige, unsterbliche Melodien!" Und halblaut begann sie mit einer noch wunderbar klaren Stimme zu summen: „Sag', ist es Liebe, die mein Herz bewegt —"
Ganz zart, wunderschön! Zyria neigte das Haupt und Tränen sanken in ihren Schoß. Es war erschütternd, wie in diesem entschwindendem Leben, in dem sonst alles bereits erstorben zu sein schien, noch die Musik in ihrer beseligenden Unsterblichkeit weiter vibrierte! Sie vermochte nicht mehr zu sehen, nicht mehr zu hören, nichts mehr zu genießen, keinen Bissen mehr zu schlucken, aber ihre Stimme traf mit unbedingter Sicherheit und Richtigkeit jeden Ton und den Rhythmus. Warum hatte dieses so feinsinnige Naturell mit seiner großen Begabung sich nicht an der Kunst genug sein lassen, hatte sich versenkt in die grauenhaften Klauen des gesellschaftlichen Molochs, der sie nun so tief unglücklich gemacht?
Und mit einem leise verklingenden Liede verlosch endlich das Leiden dieses Lebens! Endlich hauchte der letzte Atemzug durch das stille Zimmer und lieh dem verzehrten Körper Ruhe! lFoskützuiil! iolgt'