care erklärt zunächst, wenn das Reich in die Lage versetzt würde, nicht zu bezahlen, »der nur geringe Beträge zu bezahlen, so hätte es auf Kosten der gesamten Welt und insbesondere des britischen Reiches sich die gewaltigste kommerzielle imd industrielle Vorherrschaft verschafft. Unter Hinweis auf die von der Micum gemachten ziffernmäßigen Angaben will Poin- care feststellen, daß die Ruhrgruben von unerschöpflichen Reich- tümern seien und Laß Deutschland zahllose Fabriken und gewaltige Konstruktionen jeder Art besitze. Er erinnert daran, daß der Ertrag des Ruhrgobiets von 1912 103 817 950 Tonnen Kohlen betrug. Dieser Ertrag, der während des Krieges zurückgegangen sei, werde jetzt ungefähr wieder -die normale Ziffer von 96 610000 Tonnen erreichen. Die Braunkohlenproduk- tion mache 75 Prozent von dem 1913 erzielten Ertrag aus und betrage das 7fache der 20 Fahre zurückliegenden Produktion. Die französische Industrie müsse sich währenddessen mit einem Trostkoefizienten von 63 Prozent begnügen und die britische Industrie leide unter beständiger Arbeitslosigkeit. Poincare fragt zum Schluß^ was nach Aufgabe -der Pfänder und Wiederherstellung der wirtschaftlichen Einheit -des Reiches geschehen solle, wenn Deutschland den Versuch machen wird, die ihm auf- erlxgten Zahlungen nicht zu leisten?
Kein Abbruch der englisch-russischen Verhandlungen.
London, 26. Juli. Gestern nachmittag war hier das Gerücht verbreitet. Laß die englisch-russischen Verhandlungen, die seit einiger Zeit schweben, vor ihrem Abbruch stünden. An zuständiger Stelle wird hierzu berichtet, daß das Gerücht nicht den Tatsachen entspricht. Ebenso sei es unrichtig. Laß Krassin anstelle von Rakowsky nach London kommt.
Verschlimmerung der Lage in Brasilien.
New-Uork, 26. Juli. Nach Meldungen aus Washington gibt das Staatsdepartement bekannt, daß das amerikanische Konsulat in Sao Paulo bei -dem letzten Bombardement durch die Bundestruppen von Kugeln getroffen worden ist. Die Regierung zielt in Anbetracht dieser Sachlage in Erwägung, Kriegsschiffe außer dem bereits entsandten Kreuzer nach Brasilien auslaufen zu lassen. Aus Sao Paulo wird berichtet, daß die Regierungstruppen an die Zivilbevölkerung die Aufforderung gerichtet haben, die Stadt sofort zu verlassen, La ein neues Bombardement der Stadt bevorstehe und für die Sicherheit der Zivilisten keine Garantie übernommen werden könne.
Aus Stadt, Bezirk und Umgebung-
Neuenbürg, 25. Juli. (Einfaches Mittel, einen im Fleisch steckenden Splitter zu entfernen.) Es dürfte wenig- bekannt sein, daß man einen Splitter, den man sich auf irgend eine Weise ins Fleisch gestoßen hat, mit Dampf entfernen kann. Zu diesem Zweck füllt man eine weithalsige Flasche ziemlich hoch mit siedendem Wasser uuL drückt -dann die betr. Stelle leicht auf die Mündung des Flaschenhalses. Durch den Dampf wird die Haut in den Hals der Flasche hineingesaugt werden und der Splitter ist nach kurzer Zeit daraus hervorgezogen. Dabei bleibt keinerlei Entzündung der betr. Stelle zurück.
Neuenbürg, 27. Juli. (Bibelfest.) Ein Geschäftsmann ichreibt uns: Aus eine in der letzten Zeit leider öfters notwendig gewordene Erinerung an die Einhaltung der Zahlungsfrist ging bei mir folgende Antwort ein: „Zu Ihrer Aufforderung vom 11. Juli 1924, Evgl. Matthäi 18, Vers 26." Als ich erstaunt über diese Antwort die Bibel aufschlug und las, lautete diese Stelle: Ta fiel -der Knecht nieder und betete ihn an und sprach: „Herr habe Geduld mit mir, ich will dir alles bezahlen". Ich -schrieb dem Schuldner zurück, wenn er so guten Bescheid in der Bibel wüßte, sollte er einige Stellen weiter lesen und sich den Vers 34 desselben Kapitels hinter die Ohren schreiben, der da lautet: „lind sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis daß er bezahlte alles, was er ihm schuldig war". Leider ist auch diese Mahnung bis jetzt erfolglos geblieben.
Conweiler, 28. Juli. Radsahrerverein Schwaben errang sich anläßlich des 1. Stiftungsfestes des Radfahrer-Vereins Pfinzweiler mit 19 Punkten (höchste Punktzahl) einen ia- Preis. Außerdem erhielten in Klasse A der Rennfahrer Hermann Gcmn einen 1. Preis und Fritz Duß einen 2. Preis auf der Rennstrecke Hasenstock—Ettlingen (40 Kilometer). All Heil!
Württemberg.
Freudenstadt, 26. Juli. (Murgtalbahn. - Zum Ausbau der Murgtalbahn erfährt die „Rastatter Ztg.", daß die Baukosten etwa 2 Millionen Mark betragen und die Bauzeit etwa 1>/, Jahre währen
dürste. Der Berkehrsminister versprach der in Berlin vorstellig gewordenen Kommission, diesen Betrag im nächsten Jahr in den Voranschlag der Reichsbahn einzustellen. Wie schon mitgeteilt, empfahl er aber, einen Beitrag von etwa einer halben Million als Darlehen der Reichsbahn zu geben, damit sofort niit dem Weiterbau begonnen werden könne. Es ist gedacht, daß Württemberg als Hauptinteressent 200000 Mark vorfchießt, Baden 100000 Mark, die Städte Rastatt und Freudenstadt je 50000 Mk. Auch die Städte Gernsbach und Gaggenau sollen sich an dein geforderten Darlehen beteiligen. Der Stadtrat von Rastatt hat beschlossen, ein Darlehen von 50000 Mk. zu gewähren. Wenn nun die anderen beteiligten Stellen sich diesem anerkennenswerten Vorgehen anschließen, wird die Vollendung der Murgtalbahn bald zur Wirklichkeit werden.
Freudenstadt, 26. Juli. (Der wiedergefundene Ring.) Eine Dame hatte in dem -großem Schwimmbad des Kurhauses in RiPPoldsau einen sehr wertvollen Diamantring verloren und hatte für die Wiedererlangung eine große Belohnung ausgesetzt. Nach tagelangem Suchen gelang es endlich dem Oberba-demeister zur Freude -der Eigentümerin, den Juwel wieder zu finden.
Stuttgart, 27. Juli. (Vom Obst- und Gemüsemarkt.) Ntach den Mitteilungen der Zentralvermittlungsstelle des Württ. OLst- bauvereins ist der Obstmarkt andauernd stark beschickt. Neben Frühäpfeln und Frähbirnen kommen schon ansehnliche Menoen Pfirsiche und Aprikosen, auch Pflaumen; Kirschen nur noch einige Körbe, Heidelbeeren in bedeutenden Quantitäten. Die Ikachfrage flaut sichtlich ab; Die Geldknappheit macht sich bemerkbar. Die Hausfrauen haben sich mit Einmachobst schon gut eingedeckt. Hauptabnehmer ist der Kleinhandel, -der nur zögernd zugreist. Die Zufuhr von Auslandsware hält -bedauerlicherweise noch unvermindert an. Die Preise gehen rasch zurück. — Auf dem Gemüsemarkt haben sich Zufuhr und Nachfrage in Len bisherigen Grenzen gehalten, -die restlose Abnahme war nur bei sinkenden Preisen möglich/ Die Ernteaussichten sind gegenüber dem Flüterflor im Frühjahr erheblich vermindert, im Durchschnitt scheint aber Loch mit einer Mittelernte im Kernobst gerechnet werden zu -dürfen; in Zwetschgen ist voraussichtlich Mißernte.
Stuttgart, 26. Juli. (Meineid.) Das Schwurgericht hat den Maschinisten Gottfried Kleinen; von Eben in Oberfrunken wegen Meineids zu einem Jahr 3 Monaten Zuchthaus und 3 Jahren Ehrverlust verurteilt. Kleinen; hatte in einem Ehescheidungsprozeß gegen seine Frau ausgesagt, daß er sich des Ehebruches nicht schuldig gemacht habe, was den Tatsachen nicht entsprach.
Stuttgart, 26. Juli. (Zollschutz für Wein.) Landtagsabg. Strobel (B.B.) und seine Fraktion habeu zur Wahrung der Interessen des Württ. Weinbaues nachstehenden Antrag an den Württ. Landtag cingereicht: Der Landtag wolle beschließen, die württ. Regierung zu ersuchen, bei der Reichsregierung unverzüglich dahin zu wirken, daß bei den Handelsvertragsverhandlungen mit Spanien der deutsche Weinbau den zu seiner Erhaltung unbedingt nötigen Zoll- schuß erhält.
Stuttgart, 26. Juli. (Streik.) Der Zentralverband der Fleischer teit mit, daß das Personal der Wurstfabrik Wild heute früh die Arbeit niedergelegt hat. Die Firma habe eine Reihe Verschlechterungen des seitherigen Tarifvertrages durchführen und auch den Lohn von seither 60 Pfennig auf 50 Pfennig die Stunde herabsetzen wollen.
Stuttgart, 26. Juli. (Betrunkener Motorradfahrer? 'Der Bezirksrat hat in seiner letzten Sitzung einem Motorradfahrer, der infolge Betrunkenheit mit seinem Motorrad gestürzt ist, den Führerschein auf ein Jahr entzogen. Lediglich dem Umstand, daß bei dem Sturz außer ihm selbst niemand verletzt wurde, hat es der Fahrer zu verdanken, daß ihm der Schein nur auf ein Jahr entzogen worden ist. Das ist eine Warnung für alle Kraftfahrer, im Alkoholgenuß recht mäßig zu sein.
Hoheneck, O.-A. Ludwigsburg, 27. Juli. (Büberei.) Ein Roheitsakt schlimmster Art wurde dieser Tage auf dem Kartoffelacker des hiesigen Polizeidieners Uebele auf der Beihinger Höhe begangen. Es wurden dort 550 Stufen Kartoffel herausgerissen und umhergeworfen.
Heilbronn, 27. Juli. ^Bestrafte Beschuldigung von Offizieren.) Das Schöffengericht hat den hiesigen Rechtsanwalt I. Heckelmann, der in einer Wirtschaft am 24. Mai öffentlich ausgesprochen hatte, die Offiziere, die nach Metz gekommen seien, hätten nichts als gesoffen, gefressen und gehurt, seien eine Sau- und Hurenbande, wegen Osfiziersbeleidigung zu 1 Monat 15 Tagen Gefängnis, Tragung der Kosten und Püblizierung des Urteils in ver „Neckarzeitung" verurteilt. Nebenkläger waren u. a. Oberst Fromm, Generalleutnant Schmidt-Köppen
Tübingen, 26. Juli. (Erkannte Leiche.) Die Personalien des im Abort des Bahnhofs Erhängten sind jetzt festgestellt. Es handelt sich um den verheirateten Fabrikarbeiter Weißschädel aus Feuerbach.
Reutlingen, 26. Juli. (Notstandsarbeiten.) Die Stadt beabsichtigt als Notstandsarbeit den Bau eines Elektrizitätswerks in
Aussicht zu nehmen. Die Baukommission hat sich mit der Frage beschäftigt und in den Etat der Stadt sind IM 000 Mark für Notstandsarbeiten eingesetzt. Die Zahl der Arbeitslosen und Kurzarbeiter ist star,: gestiegen. Die endgültige Entscheidung über diese Notstandsarbeit wird erst nach der Rückkehr des Stadtvorstandes vom Urlaub getroffen.
Ravensburg, 26. Juli. (Selbstmord.) Vor ungefähr drei Wochen entfernte sich der bei Bauknecht in Albertshofen bedienstete Knecht Ferdinand Gindele von seiner Dienststelle. Niemand wußte, wohin er gegangen ist. Jetzt wurde er im Dobel hinter Oppeltshosen in vollständig verwestem Zustand aufgesunden. Wie einwandfrei sestge- stellt werden konnte, hat sich Gindele mit einer Armeepistole erschossen. Der Schuß ging in die Schläfe. Gindele ist 34 Jahre alt und von Esenhausen gebürtig. Er mar seit längerer Zeit schwermütig.
Friedrichshofen, 26. Juli. (Landesversammlung Ler Körper schaftsbeamteu.) In der Zeit von 25. bis 27. Juli halten die württ. Körperschastsbeamten hier ihre LanLesversa-mnilung ab. Gestern nachmittag tagten nebeneinander Mitgliederversammlungen der württ. Ortsvorstehervereinigung und der Verwaltungsaktuare, sowie des Verbands württ. Gemeinde- rechner. Die Ortsvorstehervereinigung nahm eine Entschließung zur Frage der Eingruppierungsbelange an und forderte eine Herabsetzung der Einwohnerzahlen, -die in Württemberg als Voraussetzung für die Einreihung in Gruppe 9 und 10 gelten. Verlangt wurde ferner die Beibehaltung der württ. Sonderregelung -der freiwilligen Gerichtsbarkeit und -die Beseitigung der Doppelbesteuerung durch -die Umsatzsteuer. Abends fand eine Begrüßung und gesellige Unterhaltung im Saalbau statt, wobei Stadtschultheiß Schnitzler den Willkomm der Stadt entbot. Weitere Begrüßungsansprachen hielten Postrat Peter, der Vorsitzende des Körperschaftsboamtenvereins Baur-Nürtingen, StaLtschultheiß a. D. Glückher-Rottweil, Kommerzienrat Eols- mann und Oberbürgermeister Jaekle-Hei-denheim.
Willerazhofen OA. Leutkirch, 26. Juli. (Bruch -der Hochspannungsleitung.) Xaver Reich wollte sich mit seinen zw« Pferden zum Grasmähen begeben, als die Pferde in der Nähe der Kirche Plötzlich zusammenbrachen. Bei näherem Nachsehen entdeckte man, daß der Leitungsdraht -der Hochspannung, Ler an dieser Stelle die Straße kreuzte, gerissen und von den Pferden berührt wor-den war. Ein Pferd -war sofort tot, -das andere bald darauf. Ten Besitzer trifft schwerer Schaden.
Fricsenhofe« OA. Leutkirch, 26. Juli. (Unwetterschaden.) Das letzte Unwetter hat in den Waldungen von Friesenhosen bis Jsnh (A-delegg) ungeheuren Schaden angerichtet, der sich noch in keiner Weise überblicken läßt. Verschiedene hundert Morgen 50- bis 100jährige Fichtenbestände sind vollständig rasiert. Von den Hausdächern in den Orten wurden Tausende von Ziegeln und Dachplatten mit ungestümer Wucht heruntergerissen. In -der Nähe von Ri-mpach -drückte Ler Orkan bei einer Scheuer -das verschlossene Tor auf der einen Seite ein und warf -den -darin befindlichen voll -geladenen, schweren Wagen mit Klee durch das a-nÄere, ebenfalls geschlossene Tor hinaus und um. Die Leitungsmasten wurden wie Zündhölzer geknickt.
Wurzach, 25. Juli. (Kaminsprengnng.) Durch eine Abteilung Ulmer Pioniere wurde der nicht mehr in Benützung stehende und baufällig gewordene hohe Kamin -der friiheren fürstlichen Schloß-brauersi durch Sprengung um-geleat. Der Kamin siel nach -starkem Knall in der gewünschten Richtung, ohne Schaden anzurichten. Das Schloß- und Stadtbild ist so etwas verändert, jedoch nicht zu seinen llngunsten.
BaÄerr.
Pforzheim, 27. Juli. Der frühere Steinbruchbesitzer Martin Knauß aus Eutingen starb plötzlich. Er war abends in Pforzheim und hatte in einem Wirtshaus Wurst gegessen. Daheim klagte er dann über Magenschmerzen denen sich noch Herzkrämpse zugesellten. Die Angehörigen ließen ihn nachts in das Krankenhaus schaffen, doch war Knauß bereits bewußtlos. Er starb gleich nach seiner Einlieferung. Zur Feststellung der Todesursache ließ der Staatsanwalt die Leiche beschlagnahmen.
Pforzheim, 27. Juli. Hier wurden zwei ledige Brüder, Wilhelm und Anton Liermann verhaftet, die bis in die letzte Zeit hinein in Stadt und Umgebung eine große Anzahl Einbruchsdiebstähle sowohl in Fabriken als in Billen und Gartenhäusern verübt haben. Eine Reihe von Gegenständen konnte beschlagnahmt und den Eigen- tümmern wieder zugeführt werden.
Heidelberg, 25. Juli. Gestern abend fand eine Sitzung der Führer sämtlicher Fraktionen Ler Rathausparteieu in Gemeinschaft mit dem StaidtverorÄnetenvorstand statt, um Stellung zu der Oberb ürg er me fiter krise zu nehmen. Die Mehrheit stellte fest, dem Oberbürgermeister sei Las zur Amtsführung erforderliche
' Der Tanz um das goldene Kalb
svj Von Erica Gr«pe-LSrcher
i (Nachdruck verboten.)
^ Wo war der Schlüssel zum Schreibtisch? Ihr fiel sin, Laß seit dem Tode ihres Bruders niemand mehr an Len Schreibtisch gekommen war. Vielleicht wußte James davon. Sie klingelte den Diener herbei. Er kam. Ehe er Las Zimmer betrat, hielt er von draußen für Sekunden zögernd die Hand auf der Klinke. Bon drinnen hörte er die Stimme des Rechtsanwaltes. Jetzt hieß es, Haltung und klare Stirn bewahren!
Fräulein Amanda frug, ob er wisse, wo der selige Herr den Schlüssel zum Schreibtisch aufgehoben habe. Wahrscheinlich an feinem Schlüsselbunde. Der Diener sah sie ruhig, mit ernster, höflicher Miene an. Er könne darüber keine genaue Auskunft geben, da der Herr Geheimrat diese Sachen immer ohne ihn und Mein erledigt habe. Wenn das gnädige Fräulein vielleicht das Schlüsselbund ausprobieren wolle? Aber er könne nicht einmal Auskunft darüber geben, wo sich das Schlüsselbund befände. An derartige Nebendinge habe man in diesen ernsten schrecklichen Tagen wirklich gar nicht gedacht! Und nach kurzem Nachdenken meinte er dann in erwachender Lebhaftigkeit: Vielleicht befän-de sich das Schlüsselbund noch im Anzug des Herrn Geheunrats, den er zuletzt getragen! Das sei sogar wahrscheinlich! Und wenn das gnädige Fräulein gestatte, würde er jetzt gleich Nachsehen!
Die alte Dame bejahte in ihrer lebhaften Unruhe, in di« sie der Gedanke an die Testamentsergänzung versetzt hatte. Sie wünschte glühend, den der Corelli zugedochien Betrag dem Bau des Wernerhauses gesichert zu sehen! Das würde doch die bevorstehende Blamage um etwas mildern! Wie würde es sein, wenn man sich in der Stadt von Mund zu Mund zutuscheln konnte: Einer verschwendungslnstigen, reichlich lebenslustigen Künstlerin schob der Gehrimrat ein derartig ansehnliches Legat zu, und andererseits schuf er nicht die ausreichenden Mittel zum Bau eines Hauses, dos seinen Namen in der Stadt verewigen sollte!
Sie folgte mit eimgen Schritten, die von ihrer bisherigen Elastizität von neuem durchdrungen waren, dem Diener in den nahegelegenen Ankleideraum ihres Bruders. Jarnes
spielte seine Rolle vorzüglich. War er doch seit Jahr und Tag auf früheren Stälen in derartigen Affären in guter Schulung gewesen! Gr holte den Anzug des Geheimrates heraus, hielt ihn in die Höhe, griff in die Taschen und holte dann unter den gespannten Blicken von Fraulein Amanda den Schlüsselbund aus einer der Taschen. Wirklich, es war alles noch so, wie ihr Bruder es ahnungslos zurückgelassen!
„Hier ist der Schlüsselbund," damit kehrte sie zu Dr. For- giß zurück. „Welches ist der Schlüssel zu dieser Schieblade?"
Der Diener war ihr in seiner höflichen, zuvorkommenden Art, die ihr immer so gut cm ihm gchäel, gefolgt. „Ich weiß es nicht, gnädiges Fräulein. Der Herr Geheimrat haben diese Sachen immer selbst erledigt. Aber wenn gnädiges Fräulein gestatten, probiere ich die Schlüssel einmal der Reihe nach durch."
Und sehr geschickt fand er den letzten der Schlüssel heraus. Die alte Dame atmete aus. Das war ihr lieb. Dann wandte sie sich zum Diener, als sie den ernst-fragenden Blick des Rechtsanwaltes sah. Er schien sie darauf aufmerksam machen zu wollen, die weitere Anwesenheit des Dieners sei jetzt nicht am Platze.
„Es ist gut, James! Ich danke dir! Sorge jetzt dafür, daß sämtlich Danksagungen für die Kranzspenden zur Post kommen!"
Der Diener verbarg das angenehme Gefühl, jetzt von der Bildfläche verschwinden zu könne«, unter einer Verbeugung. Leise schloß sich die Tür hinter ihm. Draußen markierte er absichtlich einige laut«, anscheinend davoneilende Schritte im Vestibül, damit man drinnen cmnahm, er habe sich entfernt. Dann aber kam er gleich daraus mit un-hörbarem Gang, immer den schweren roten Plüschläufer aufsuchend, wieder heran und stellte sich in die Nähe der Tür. Vor Zyria war er sicher, nicht im Augenblick beim Lauschen ertappt zu werden. Ne war oben im ersten Stockwerk mit der Zusammenstellung der Kondolenzbriefe im Aufträge von Fräulein Amanda bächästigt.
Es war ihm wirklich höchst interessant, wie sich die Sache drinnen weiter abspiette. Offenbar fiel beiden gleich darauf die gelbe Ledermappe in die Hand. Darm eine fiese Sülle und dann die Worte von Fräulein Amanda: „Ich finde das Schriftstück nicht!" Hierauf wieder eine Pause. Von neuem raschelten Bogen Papier. Sie mochte von neuem suchen.
Und schlietzlich hörte er sie den Rechtsanwalt bitten: „Herr Doktor! Vielleicht helfen Sie mir! Vielleicht suchen Sie selbst nun einmal, Stück für Stück in der Mappe durch. Ich glaube, mir zittern vor Aufregung die Hände, und ich habe vielleicht doch das Papier übersehen!"
Und wieder ein minutenlanges Schweigen. Knittern von Papieren, eine fies«, schwere, erwartungsvolle Stille. Dann die ruhige Stimme des Rechtsanwaltes: „Ich finde es ebenfalls nicht. Das Schriftstück ist nicht in dieser Mappe! Vielleicht liegt es sonst lose in der Schieblade?"
Aber der Inhalt der Schieblade war bald erschöpft. Das mußte James genau. Außer der Mappe hatte der Geheimrat in diesem Schiebfach nie viel aufgehoben. Dann gingen Fragen ufid Gegenreden einige Augenblicke hin und her. „Ob mein Bruder es vielleicht in eine anders Schieblade gelegt hat?" — „Hat Herr Geheimrat nochmals mit Ihnen über die Sache gesprochen?"
„Durchaus nicht. Ich war am anderen Morgen nach unserer gemeinsamen Besprechung in der Hauptprobe unseres Akademiekonzertes. Und gleich am Frühnachmittage geschah das Unglück!"
Und wieder nach einer Pause des stummen Suchens und des Ueberlegens klang die Stimme des Anwaltes fast resigniert heraus: „Fräulein Werner, fast fürchte ich, der Herr Geheimrat hat sich noch über Nacht anders entschlossen, ihm ist sei« Entschluß leid geworden, weil er sich vielleicht doch nicht von der skandalösen Haltung der Corelli überzeugen und sich nicht von ihr lösen wollte —!"
„Aber wie meinen Sie das, Herr Doktor?"
„Daß er dos Schriftstück hinterher wieder vernichtet hat, und ehe er Ihnen und mir Mitteilen konnte, er sei bei seinem früheren Entschlüsse geblieben, geschah der Unglücksfall —"
Die alle Dame schien vor Erregung emporzuzucken. „Aber das wäre ja peinlich für mich, höchst peinlich. Man steht da vor einem Rätsel! Wer könnte uns nur Licht in die Sache langen?" Und nach einer Weile hörte James draußen zu seinem Entsetzen sie sagen: „Der einzige, der ja am letzten Tage immer um ihn mar, ist James. Ich werde i'M rufen. Vielleicht weiß er irgend etwas, was uns Aufklärung —" Er vernahm den Rest des Satzes nicht mehr, da er es für geraten hielt, schleunigst davonzueilen und dis Treppe hlnaufzusckMchen. (Fortsetzung folgt.)