Neuenbürg, 23. Juli. (Mietzinssteuer und kinderreiche Familien.) Zu all den Lasten, die die Kinderreichen zu tragen haben, ist ihnen noch eine neue aufgcbür-det worden: die Mietzinssteuer. Sie richtet sich nach der Größe der Wohnungen. Wenn also die Kinderreichen so glücklich sind, eine ihrer Personenzahl entsprechend große Wohnung zu haben, so wird ihnen eine beträchtliche Steuer auferlegt. Es wird Sache des Reichsbundes der Kinderreichen und seiner bevorstehenden Hauptver- sammlung sein, den Regierungen und Volksvertretungen den Ernst der Lage klar zu machen. Selbstverständlich sind kinderreiche Familien von der Mietzinsstouer gänzlich zu befreien. Mag dadurch der Ertrag der Steuer auch etwas gekürzt werden. Wichtiger ist und nmß sein die Verhütung der Gefahr, daß die kinderreichen Familien unter dem Druck dieser neuen Belastung nicht vollends zusammenbrechen.
Neuenbürg, 22. Juli. (Ein schädlicher Hanswurst.) In diesem Jahre kann man es vielfach treffen, daß an Johannisbeersträuchern, Stachelbeeren und Heckenbeeren (wilde Stachelbeeren) „Lunnerschlächti" viel Räuple sitzen und daß diese die Blätter „rumpelstumpf" abfressen. Dieser unangenehme Besuch ist der Stachelbeerspanner, wegen seiner spaßhaften Fortbewegung auch volkstümlich Hanswurst genannt. Das kleine Kerlchen zieht nämlich bei der Fortbewegung seine Hinterbeine bis zu den vordersten heran, so daß sich eine Schleife nach oben bildet. Oft hält sich auch das Räupchen mit seinen Hinteren Füßen an einem Zweige fest und erhebt seinen Körper frei in die Lust, in welcher Stellung es dann längere Zeit verbleibt. Nachdem sich das Räuple im Spätherbst in ein lockeres Gespinst verpuppt hat, schlichst im Frühjahr ein weiß, schwarz und gelb getüpfelter „Morgenstehler" — Schmetterling— hervor. Die Bekämpfung dieses Schmarotzers ist einfach und gründlich, wenn man me Büsche mit einem Stecken abklopft, woraus die Hanswurste aus den Boden fallen und vernichtet werden.
Häsin, 2t. Juli. Der 21jährige Julius Mast von hier verunglückte vor einigen Tagen beim Holzsahren so schtver, daß ihm der linke Arm abgenommen werden mußte. Da er außerdem schwere innerliche Verletzungen erlitten hat, muß an -seinen: Auskommen gezweifelt werden. — Musikverein, Turnverein und Sängerbund hielten am Sonntag gemeinsam ein wohlgelungenes Wachsest für ihre passiven Mitglieder und ihre Kinder ab, das ganz Höfen auf die Beine brachte. Die Darbietungen der einzelnen Vereine auf dem Feschlatz wurden mit viel Interesse und Dankbarkeit ausgenommen. Kasperles großes künstlerisches Freilichtbühneutheater führte unter großer Heiterkeit von jung und alt „Den Jakoble von Höfen" aus.
Wür»»<«L»verft.
Calw, 24. Juli. (Landeszusammenkunst des Jnf.-Reg. 119.) Die am 9. und 10 . August in Calw stattfindende Zusammenkunst und Gedächtnisfeier für die gefallenen Regimentskameraden des Reserve-Jnfanterie-Regiments 119 verspricht zu einer kraftvollen Kundgebung der Kameradschaft zu werden. In ernster, würdevoller Stunde soll am Sonntag mittag beim Festgottesdienst auf dem Marktplatz der gefallenen Kameraden gedacht werden. Nachmittags vereinigt eine Kameradschastsseicr im „Badischen Hof" die Regimentsangehörigen mit den übrigen Feldzugstellnehmern von Calw und Umgebung. Am Abend des 9. August wird für die Calwer Bürgerschaft und die schon eingetroffeneu Kameraden vom J.-R. 119 die Regimentsgeschichte im Lichtbildervortrag vorgeführt werden. Anmeldungen wegen Nachtquartier und Mittagessen an Kamerad Mayer in Firma Ehr. L. Wagner in Calw.
Stuttgart, 24. Juli. (Kommunisten vor Gericht.) Wegen Beleidigung der Reichsregierung Bauer-Noske durch ein Plakat anläßlich der Berliner Januarunruben im Jahre 1920 war der kmnmunistische Abgeordnete Schneck in erster Instanz zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt worden. In zweiter Instanz vor dem hiesigen Landgericht lautete das Urteil auf 14 Tage Gefängnis und Publikation in der Presse.
Stuttgart, 23. Juli. (Ein rabiater Mensch.) Unter der Anklage der versuchten Notzucht und des Totschlags hatte sich der 19 Jahre alte ledige Hilfsarbeiter Karl Bränning von Münchingen OA. Leonberg vor den Geschworenen zu verantworten. Nach dem Eröffnungsbeschluß liegt der Anklage folgender Tatbestand zu Grunde: Am 10. Mai d. Js. kehrte Bränning, nachdem er zuvor schon ziemlich Alkohol zu sich genommen hatte, abends in der Wirtschaft der Sägemühle Arnold, Gemeinde Hemmingen, OA. Leonberg, ein und trank noch einige Flaschen Bier. In einer „Bierstimmung" versuchte B. «ine in der Arnoldschen Familie tätige, 43 Jahre alte
Dienstmagd zu vergewaltigen Infolge der Hilferufe der Angegriffenen mußte B. von seinem gemeinen Vorhaben abstehen. Aus Wut schimpfte er auf die der Dienstmagd zu Hilfe Eilenden ein. Als der Schwiegersohn des Altsägmüllers Arnold, der verheiratete Bauer und Fuhrmann Christian Hettich, den Angeklagten wegen seines wüsten Benehmens aus -dem Anwesen Hinausweisen wollte, griff, wie die Anklage annimmt, Bräu- ning den Hettich mit dem offenen Tasck>enmesser an und versetzte ihm mehrere Stiche ins Gesicht und in den Rücken. Einer 8er Stiche -verletzte die Halsschlagader derart, daß Hettich, ein friedliebender, geachteter Bürger, innerhalb weniger Minuten an Verblutung starb. Wie in der Voruntersuchung, so verlegte sich der Angeklagte auch in der Hauptverhandlung aufs Leugnen. Insbesondere versuchte er die Tatbestandsmerkmale des Totschlags durch die Behauptung wegzuwischen, er sei durch mehrere Inwohner des Arnoldsä)cn Anwesens überfallen worden und habe daher in Notwehr gehandelt. Diese wenig glaubwürdigen Angaben standen in glattem Widerspruch mit den eidlichen Aussagen der Tatzeugen. Der Staatsanwalt hielt die Anklage aufrecht und beantragte insgesamt 6 Ihre 2 Monate Zuchthaus. Das Schwurgericht hielt den Tatbestand des Totschlags als nicht erwiesen, dagegen den der Körperverletzung mit Todesfolge als erwiesen und verurteilte Bränning wegen dieses Verbrechens sowie wegen eines Verbrechens der versuchten Notzucht zu einer Gesamt-Gefängnisstrafe von 5 Jahren 2 Monaten, ab 2 Monate Untersuchungshaft, und erkannte dem Angeklagten außerdem die bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von drei Jahren ab.
Stuttgart, 24. Juli. (Der Fall Ratsch.) Der Fall Ratsch hat nunmehr seine Aufklärung erfahren. Der wegen Teilnahme an einem schweren kommunistischen Laudsricdensbruch in Hast befindliche, 25 Jahre alte Arbeiter Christian Ratsch von Oe- schelbronn ist nicht, wie der komm. Abg. Müller behauptet hatte, in einem Gefängnisloch, sondern im städt. Krankenhaus Ulm, wohin er aus Anordnung des Ulmer Gefängnisarztes gebracht worden war, gestorben. Er wurde auch nicht zu Tode gequält, sondern litt an einer infettiösen HerzklaPpeuentzündung, die nach Ansicht des Sachverständigen, Prof. Dr. Feiei, unheilbar war. Auch eine Entlassung aus der Haft hätte den Ausgang nicht ändern können.
Stuttgart, 24. Juli. (Teuerungszahlen.) Am 23. Juli stellten sich die Kosten sür eine Sköpfige Familie ohne Bekleidung auf 110,67 Mark, gegen 113,03 am 16. Juli, mit Bekleidung auf 129,59 gegen 134,14. Am 2. Juli betrugen die betr. Zahlen noch 120,73 bezw. 148,76 Mark.
Mühlhausen a. d. Würm, 23. Juli. Im Gasthaus zum Adler fand heute nachmittag unter dem Vorsitz des Stadt- schultheißen Schütz von Wellderfftadt eine von Vertretern der badischen und württenlbergischen Würmtalgemeinden gut besuchte Versammlung statt, welche sich mit den Verkehrsverhältnissen -des Würmtales beschäftigte. Als Vertreter der Lber- postdirektion Karlsruhe war Postinspektar Wirth-Pforzheim anwesend. Es wurde einmittig beschlossen, eine Vermehrung der Kvaftfahrten und Durchführung auf der ganzen Linie Pforzheim—Weilderstadt anznstreben und einen etwaigen Fehlbetrag umzulegen. Redakteur Viftor Keller (Pforzheim) hielt einen Vortrag über den Würmtalverkehr, der zur einstimmigen Gründung eines „Verkehrsverbandes für das Würmtal" führte: als Geschäftsführer wurde der Referent -bestimmt, der- Sitz des Verbandes, dem sich «ich eine Anzahl Firmen und Einzelnntglieder anschlossen, ist Pforzheim. In -der nächsten Woche werden noch Versammlungen in Mühlhausen und Weil- derstadt stattffnden.
Neckarfulm, 24. Juli. (Blitzschlag. Bei einem Gewitter schlug der Blitz in die Polizeiwache Ein sog. Kugelblitz fuhr der Telephonzentrale entlang und zerplatzte mit einem lauten Knall. In nicht geringen Schrecken wurden dabei Gendarmen, Schutzleute und llnterbeamte mit einem Gemeinderat versetzt» die achtköpfig in dem sonst immer so gemütlichen Wachzimmerchen beisammen waren.
Tübingen, 24. Juli. (Konkurs der Gswerbebank. lieber das Vermögen der Gewerbebauk ist nunmehr das Konkursverfahren eröffnet worden.
Mm, 24. Juli. (Lebensrettung.) Der Vorsitzende des l. Schwimmvereins Ulm, Dentist Albert Rister, rettete unter Einsetzung des eigenen Lebens eine zu Besuch weilende Dame vouRegensburg aus der Donau,
Ravensburg, 21. Juli. Postinspeftor Schupp, der mit seiner Familie einen Spaziergang nach -der Kuppelnau machte und nach einer Stunde sich wieder ans den Heimweg begeben hatte, brach am Sonntag nachmittag in der Schützenstraße inmitten seiner Familie plötzlich zusammen und starb nach kurzer Zeit. Der bald darauf hinzugekommene Arzt konnte nur
noch den wayrschellttich durch Herzlähmung eingetretenen Tod fsststellen.
Winterstetten-ors OA. Waldsee,- 24. Juli. (Schwerer Unfall.) Anläßlich einer Feuerwehrprobe wurde die Feuerwehrspritze, auf der sich noch mehrere Personen befanden, von Feuerwehrmännern gezogen und -die steile Ortsstraße hinuntergeleitet. Da die Bremse versagte, kam die Spritze in sehr raschen Lauf. Der 32 Jahre alte Johannes Köbrrle war nicht mehr- mächtig, die Spritze zu leiten und kam zu Fall. Die Räder gingen ihm Wer Len Bauch und der Bedauernswerte erlitt so schwere innere Verletzungen, daß höchste Lebensgefahr besteht. Die Feuerwehrspritze stieß au dem Geländer einer Brücke auf und stürzte um. Die Insassen sind nur unbedeutend verletzt worden.
Isny, 24. Juli. (Absturz.) Um die Mittagszeit stürzten vrm der allen Allgäuwariderern wohl bekannten Argenwbelbrücke bet Riedholz zwei mit Malen beschäftigte Arbeiter oom Gerüst in die schwindelnde Tiefe. Der eine, ein verheirateter Mann, war sofort tot, der andere ist schwer verletzt.
Heidenheim, 24. Juli, (Volksschauspicle.) Die AuffÜH- rrmig von Wilhelm Tell in dem großzügig angelegten Naturtheater bei dem über der Stadt thronenden Schloß Hellenstein hat am letzten Sonntag ein gewaltiges Echo gefunden. Zweimal, vormittags und nachmittags, -war -die 2000 Zuschauer fassende, überdeckte Zuschauertrrbüne besetzt. Am nächsten Samstag sind für eine Schülervorstellung schon über 2000 Karlen abgegeben. Auswärtige Besucher der Vorstellungen am nächsten Sonntag oder an einem der August-Sonntage haben auf der Brenztalbahn die besten Zugverbindungen, Wer die auch der Fremdenverkehrsverein Heidenheim Auskunft gibt. Die 200 Spieler der Vollskunstvereinigung gestalten das Spiel fesselnd, das durch natürliche Szenerie mit See den berittenen Landsknechten, dem von der Weide kommenden Vieh unvergeßlich bleibt.
Ellwangen, 24. Juli. (Großseuer.) Heute nacht brach in dem leerstehenden Brauereigebäude der nicht mehr in Betrieb befindlichen Brauerei Heirlle Feuer ans, dem -das große Gebäude ganz zum Opfer fiel. Die Nachbarhäuser waren stark gefährdet, so daß die Ellwanger Feuerwehr ausschließlich auf deren Schutz sich beschränken mußte. Aus diesem Grunde -wurde auch die Motorspritze von Aalen alarmiert, die aber nicht mehr in Tätigkeit zu treten -brauchte. Wan vermutet Brandstiftung.
Ellwangen, 24. Juli. (Ein Lichtschimmer für Rentner und Ksiinkapitalisten.) In einer gemeinsamen Sitzung des Vorstandes und Aufsichtsrates der Bezugs- und Absatzgenoffenschaft Oberes Jag-sttal und Härtsfeld, Sitz Ellwangen, wurde, vorbehältlich der Genehmigung der Generalversammlung, der einstimmige Beschluß gefaßt: „Die Geschäftsanteile der Genossen sowie die der Genossenschaft gegebenen Darlehen werden nach FriedenÄvert vollkommen ausgewertet. Der Zins wird in Friedenshöhe nach- und wefterbezahlt." Angehängt wurde die Bedingung: Der Gläubiger verpflichtet sich, das Kapital vor 1. Januar 1932 nicht zu kündigen. Die Genossenschaft behält sich eine frühere Rückzahlung vor. Kleine Darlehen werden gekündigt und zurückbezahlt, sofern der Geber das Darlehen nicht erhöhen will oder kann.
Pforzheim, 23. Juli. Ein politischer Prozeß hat sich stern vor dem hiesigen Großen Schöffengericht abgespielt, geklagt waren -der 34jährige Schleifer Karl Fecht, hier wohn
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^ Der Tanz um das goldene Kalb
47) Von Erica Grupe-Lörcher
- .- — (Nachdruck verkoken.)
James hatte diesen Entschluß von seiner Herrin mit undurchdringlichem Ernste angehört und mit einer seiner tiefen, eleganten Verbeugungen stumm quittiert. Die Aussicht war ihm durchaus angenehm. Er war der bestimmten Ansicht, daß es nun in dem vermögenden und bis ins einzelne elegant ausgestatteten Hauswesen viel zu stehlen und um die Seite zu bringen gäbe. Zyria konnte alle Einzelheiten noch bei weitem nicht so genau kennen, wie er selbst und Fräulein Amanda würde auf' Monate hinaus gebeugt und passiv sein.
Vor allen Dingen hielt er den Zeitpunkt für gekommen, die testamentarische Ergänzung des Herrn Geheimrats so "schnell wie möglich an sich zu nehmen, ehe der Rechtsanwalt als Testamentsvollstrecker ins Haus kam und alles mögliche geklärt, ausgenommen und besprochen wurde! Die Corelli war ihm zufällig bei Besorgung der Trauerbriefe in der Druckerei begegnet und hatte ihn, unter nochmaliger Zusicherung ansehnlicher Prozente, beschworen, ihr durch Wegnahme der Ergänzung die Möglichkeit ihrer Erbschaft zu sichern! --- ' -,. --
Während der mehrere Stunden währenden Beisetzungsfeierlichkeit hatte er geschickt die Gelegenheit ergriffen, aus den persönlichsten Sachen des Herrn Geheimrats an sich zu bringen und in sein Zimmer oben im Dachstock zu schaffen, was ihm wünschenswert schien. Um freie Hand zu hoben und ungestört zu sein, erbot er sich, allem das Haus zu hüten und etwaige Telegramme^ oder Anfragen oder Telephonanrufe oder Kranzabgaben anzunehmen, so daß der ganzen übrigen Dienerschaft die Möglichkeit gegeben isurde. ihrer Neugierde nachzu gehen und dem stattlichen Begräbnisse als Zuschauer zu folgen. Er war beim Stehlen sehr vorsichtig. Große Wertgegenstände, wie die goldene Uhr und dergleichen, durften nicht fehlen, ohne einen Verdacht aus ihn zu lenken. Er mußte der Liebling von Fräulein Amanda bleiben und tadellos dastehen. Aber da gab es Gelegenheit, einige noch ganz vorzügliche Anzüge des alten Herrn beiseite zu schaffen, die sich zu teurem Geld unter der Hand — mn besten auswärts — Weiterverkäufen ließen. Desgleichen Schuhzeug, Wüsche und ähnliches. Fräulein Amanda hatte von diesen Einzelheiten bei weitem keinen Begirff und
Ueberblick. Es war ihm nicht angenehm, am Tage und in verhältnismäßiger Ruhe, da außer ihm niemand im Hause war, die Kramerei zwischen all den persönlichen Sachen im Schlafzimmer seines Herrn vornehmen zu können. Es blieb auch noch Zeit, die Sachs« alle oben in seinem Zimmer gut in seine Koffer zu verbergen. Bis zum Tods des Geheimrates hatte er unmittelbar neben dem Schlafzimmer siines Herrn geschlafen. Jetzt war ihm ein Zimmer vben bestimmt, was ihm für seine Zwecke um so angenehmer war.
Aber kaum stieg er von oben wieder herunter, nachdem er das gestohlene Gut untergebracht, als eine Störung nach der andern kam. Erst ein längerer Telephonanruf des Rechtsanwalts Forgiß, der soeben von seiner Reise kam und orientiert werden wollte. Dann wurden noch mehrere Kränze abgegeben. Dann kam ein Bote eines Vereins, der auf die Rückkehr des gnädigen Fräuleins warten zu müssen erklärte und sich kurzerhand auf einen Stuhl im Vestibül hinpflanzte. Kurz, es blieb ihm keine Möglichkeit, jetzt auch noch die Ergänzung zum Testament aus dem Schreibtisch des Herrn Geheimrats zu holen. Das war eine gewagte Sache, für die er Zeit, Ruhe, Sicherheit haben mußte!
Schließlich konnte man die Nachsuchung nach diesem Papier auch in der Sülle der Nacht vornehmen. Da er den Rechtsanwalt zurückgekehrt wußte, duldete das Nachsuchen auH andererseits keinen Aufschub. Es kam ihm gelegen, daß Fraulein Amanda sich an diesem Tage früh zurückzog, um sich von der Anstrengung der Beisetzung zu erholen. James verfolgte mit Genügtuung, wie auch Zyria sich zeitig auf ihr Zimmer begab. Er riegelte noch, während sie in den einzelnen Zimmern des Parterres aufräumend hin und her ging, unter ihren Augen die Haustür umständlich ab, prüfte auch mit scheinbarer Gewissenhaftigkeit die Ausgang« zum Garten durch die Wintergarten ähnliche Veranda und ließ die Aeußerung fallen, auch im Souterrain alles sorgfältig abgeschlossen zu haben. Die andere Dienerschaft sei bereits zur Ruhe. Ob das gnädige Fräulein nach Bestach habe?
Zyria verneinte. Fräulein Werner habe sny bereits zurückgezogen. Auch er könne zu Bett gehen. Und dann sah er sie in ihr Zimmer gehen. Um sie abzulenken, stieg er mit ungewöhnlich lauten Schritten hinter ihr die Treppen zum obersten Stockwerk hinauf. Ueber das Geländer gebeugt, lauschte er eine lange Weile. Sie legte sich anscheinend ebenfalls zur Ruhe. Jedenfalls vernahm er trotz an
gestrengtestem Lauschen keinen Laut mehr aus ihrem Zimmer.
Er glitt, ehe es draußen auf der Straße vollends ganz still wurde und auch im Hause jedes Geräusch erstarb, und nachdem er sich seiner Stiefel entledigt, die Stufen wieder hinab. Sehr vorsichtig! Oh, er hatte die Treppe für seine verschiedenen Unternehmungen schon sehr genau studiert! Ganz genau wußte er, daß die vierte Stufe infam knaxte und daß man auch bei der neunten Stufe des untersten Absatzes besser gleich zur zehnten hinabrutschte! Leise keuchend, den Atem kaum einziehend, verharrte er unten sekundenlang, um zu lauschen. Niemand schien ihn zu hören. Fräulein Amanda war noch viel zu tief von ihrem frischem Schmerz befangen, um an solche Möglichkeiten zu denken, und Fräulein Zyria schien ihm bis jetzt auch durchaus über den Weg zu trauen.
So drückte er leise und ohne Zeit zu verlieren die Türklinke zum Wohnzimmer auf. Es war immerhin vorsichtiger, nicht direkt ins Arbeitszimmer hineinzugehen, da jene Tür ziemlich laut knarrte und das Schlafzimmer des gnädigen Fräuleins unmittelbar Wer ihr lag. Fräulein Amanda hätte auf das Geräusch aufmerksam werden können! Leider hatte er in der Unruhe des heutigen Tages versäumt, die Tür schmieren zu lassen. Vom Wohnzimmer aus trat er schnell ins Arbeitszimmer. Er durfte keine Zeit verlieren. Je eher er das Schriftstück hatte, desto besser!
, Am Schreibtisch des Geheimrates knipste er behutsam seine Taschenlampe an. Die neue Batterie brannte vorzüglich! Das Schlüsselbund seines Herrn hatte er vorhin der Tasche des Geheimrates entnommen und bei sich behalten, um es am andern Tage mit dem ehrlichsten Gesicht der Welt Fräulein Amanda auszuhändigen. Diesen Trick hatte er sich cmsgedacht, um einen vorzüglichen Eindruck seiner Ehrlichkeit bei Fräulein Areanda zu bekräftigen. Er kannte genau den Schlüssel, der zum Schreibtisch paßt«. Der alte Herr hatte ihm ein um so größeres Vertrauen geschenkt, als James unbedingt ehrlich schien und bisher auch so schlau gewesen war, den Geheimrat nicht durch die traditionellen kleinen Unehrlichkeiten, wie andere Diener sie an den Likören und guten Zigarren ihrer Brotherren vollführtsn, argwöhnisch zu machen. Wie manches Mal hatte er dem Herrn Geheimrat Schreibsachen oder seine Schreibmappe oder anderes aus den Schäebladen seines Schreibtisches holen und hinreichen müssen! (Forksctzun, iolstH