Berlin, 10. Juni. Die Vosfische Zeitung läßt sich aus Wien melden: Nach einem brieflichen Bericht aus Skutari geht hervor, daß der Umfang der Erdbebenkatastrophe viel bedeutender ist, als bisher verlautete. Die Telegramme waren nämlich von der Regierung stark der Zensur unterworfen worden. Die Zahl der Toten wird auf 280, die der Verwundeten auf ungefähr 1200 geschätzt. Im Gefängnis, das eiuzustüizen drohte, entstand eine Revolte. Als die 200 Gefangenen sahen, daß sie nicht befreit wurden, machten sie Anstalt, auszubrechen. Im letzten Augenblick sandte der Gouverneur Militär ab, welches die Sträflinge auf das Kastell brachte, bis auf 6, die bereits entflohen waren.
Paris, 10. Juni. „Echo de Paris" meldet aus Petersburg, hinsichtlich der Friedensfrage werde erklärt, Rußland fei fest entschlossen, den Krieg fortzusetzen, jedoch sei man bereit, die japanischen Bedingungen zu prüfen und Frankreich und die Vereinigten Staaten von Amerika zu ersuchen, die japanischen Bedingungen mitzutcilen. Aus den Mitteilungen mehrerer hervorragender Personen gehe hervor, daß Rußland entgegen den bisherigen Meldungen bereit sei, eine Kriegsentschädigung und zwar in Höhe von 25 Milliarden Rubel zu zahlen, außerdem die Eisenbahn zwischen Charbin und Port Arthur abzutreten, jedoch weigere es sich entschieden, irgend ein Gebiet abzutreten.
Paris, 10. Juni. Das Journal meldet aus Petersburg: In politischen und diplomatischen Kreisen sei man sehr erstaunt über die Mitteilungen, welche in der ausländischen Presse über die Unterredung zwischen dem Zaren und dem amerikanischen Botschafter gewacht worden seien. Alle Veröffentlichungen darüber seien unrichtig. Der Korrespondent des Blattes hatte eine Unterredung mit dem Botschafter, welcher ihn ermächtigte, folgendes mitzuteilen: Die Friedensvorschläge, welche der amerikanische Botschafter im Namen Roosevelts als Privatmann machte, waren ganz allgemein gehalten und wurden in sehr vorsichtigen Worten vorgebracht. Der Botschafter erklärte, Roosevelt sei bereit, jede Friedens- Bewegung zu unterstützen. Der Zar dankte dem Botschafter für die angebotenen guten Dienste und fügte hinzu, Friedensverhandlungen seien noch keineswegs eröffnet, aber sobald dies der Fall sei, werde er sich mit Dank der freundschaftlichen Vorschläge Roosevelts erinnern. Um der Unterredung einen privaten Charakter zu geben, wurde der Botschafter vom Zaren in Abwesenheit des Grafen Lambsdorff empfangen.
Paris, 12. Juni. Ein heftiges Gewitter hat in der Nacht zum Sonntag die meisten Telephon- und Telegraphenlinien unbrauchbar gemacht. In vielen Stadtvierteln find die Keller überschwemmt. Die Bahnstation La Chapelle war völlig überschwemmt und die Züge konnten bis spät in die Nacht die Station nicht befahren.
Wien, 12. Juni. Nach Meldungen aus Tanger wurde in Masagen der österreichischungarische Vizekonsul Madden von Arabern auS- geraubt und ermordet, dessen Gemahlin schwer verwundet. Der österreichisch-ungarische Vertreter in Tanger erhielt Befehl, vom Sultan energisch Genugtuung zu verlangen.
Wien, 12. Juni. Der chinesische Gesandte Vangtscheng äußerte sich einem Mitarbeiter der Neuen Freien Presse gegenüber, daß der ostafiatische Krieg einen ungeheuren Eindruck in ganz China gemacht habe und nicht ohne Folgen bleiben werde für den Fortschritt und die Reformen. Schon während des abgelonfenen Kriegsjohres sei eine Zentralisierung der Armee in Angriff genommen worden. Als Vorbild dienen hierbei die Einrichtungen Japans und Europas. Auch der Gedanke der Einführung konstitutioneller Einrichtungen mache sich immer mehr geltend.
Venedig, 10. Juni. Während eines Gewitters schlug der Blitz in den K i r ch t urm der St. Nikol aikirch e in Lido ein, verursachte in dem Mauerwerk des Turmes einen breiten Riß und drang dann in die Kirche ein, die ebenfalls beschädigt wurde. Der beschädigte Turm wird von der Feuerwehr bereits niedergelcgt, da er einzustürzen droht.
Madrid, 10. Juni. Die Königin Christine begab sich gestern nach San Sebastian, empfängt dort den König Alfons und geleitet ihn nach Madrid, wo er Mittwoch eir,treffen wird. Der Rat der Stadt bereitet einen glänzenden Empfang vor.
Petersburg, 10. Juni. Der Zar hat Roschdjeswensky seinen Tank für den in der Seeschlacht von Tsuschima bewiesenen Mut ausgesprochen.
Warschau, 10. Juni. Das Aktion? komttö der polnischen Sozialistenpartei veröffentlicht in seinem Organ eine Erklärung, in welcher bekannt gegeben wird, daß die in letzter Zeit vielfach Amtsund Privatpersonen zugegangenen und angeblich von dem sozialistischen Aktionskomitö Unterzeichneten Todesurteile von Betrügern herstammten, welche Geld erpressen wollten. Das Komitö habe derartige Todesurteile weder verfaßt noch versandt.
Moskau, 9. Juni. Die hier versammelten Vertreter ver Semsiwos und Städte, 250 an der Zahl, haben beschlossen, durch eine Deputation dem Kaiser folgende Adresse zu unterbreiten: „Im Hinblick auf die harte Bedrängnis und die große Gefahr, vor der Rußland und selbst Eurer Majestät Thron stehen, haben wir uns entschlossen, uns direkt an Sie zu wenden, einzig geleitet von unserer glühenden Liebe zum Vaterland! Sire! Rußland ist in einen unheilvollen Krieg hineingezogen worden durch verbrecherische Mißbräuche und die Nachlässigkeit Ihrer Räte. Unser Landheer war außer stände, den Feind zu besiegen, und unsere
Flotte ist vernichtet. Drohender aber als diese äußeren Gefahren will sich ein Bürgerkrieg entfachen. Sire! Sie haben mit Ihrem ganzen Volk olle Fehler der unwissenden und verderblichen Bureaukratie gesehen und haben beschlossen, dies zu ändern, und eine Reihe von Maßnahmen zu ihrer Reorganisation vorgezeichnet. Doch diese Weisungen find entstellt worden und in keinem Zweig der Verwaltung zur Durchführung gelangt. Die Unterdrückung des Individuums und der Gesellschaft, die Knebelung des Wortes und alle Arten von Willkürakten häufen sich und nehmen überhaud, anstatt daß sie abgeschafft werden, wie Sie befohlen haben. Aus dem Zustand des verstärkten Schutzes und aus der willkürlichen Beschränkung durch die Verwaltung zieht die Polizeibehörde verstärkte Kraft und erhält unbegrenzte Vollmachten. Man versperrt Ihren Untertanen den von Ihnen geöffneten Weg. Damit die Stimme der Wahrheit bis zu Ihnen dringen könne, haben Sie beschlossen, Vertreter der Nation zu berufen, um gemeinsam an der Reorganisation unseres Vaterlandes zu arbeiten. Aber Ihr Wort ist bis jitzt unerfüllt geblieben trotz der Wucht der letzten Ereignisse. An Stelle einer Volksvertretung welche dem bureaukratischen System ein Ende machen soll, will man eine Konferenz von Klassenvertretern fetzen. Sire! Bevor es zu spät ist, befehlen Sie unverzüglich, daß die Vertreter der Nation zusammenberufen werden, die von allen Untertanen ohne Unterschied gewählt, im Einvernehmen mit Ihnen die Lebensfrage lösen sollen: Krieg oder Frieden. Sire! In Ihrer Hand liegen die Ehre, die Macht des russischen Reiches und sein innerer Flieden, von dem der äußere Frieden abhängt. In Ihren Händen liegt Ihr Reich, des Sie von Ihren Ahnen übernommen haben. Zögern Sie nicht, Sire, denn greß ist in dieser furchtbaren Stunde der Prüfungen Ihre Veramwoulichkcit vor Gott und Rußland."
Moskau, 10. Juni. Gestern veranstalteten dies. Studenten und Studentinnen eine regierungsfeindliche Demonstration. Unter dem Rufe: „ Nieder mit dem Krieg!" zogen etwa tausend Per- sonen durch die Straßen und verteilten an die Pcssonten Proklamationen, in denen das Volk auf- gefordert wird, die Regierung zu zwingen, Frieden mit Japan zu schließen. Vor dem Hause des Statthalters wurden die Demonstranten von Kosaken mit Knutenhieben auseinandergetrieben.
London, 12. Juni. Ein fr üheres Mitglied der hiesigen japanischen Gesandtschaft erklärte in einem Interview über die Friedens-Bedingungen folgendes: Die japanische Regierung verlangt die Räumung der Mandschurei, was ja der Zweck des Krieges war, weil Japan sich ohne diese Räumung nicht gegen zukünftige russische Ränke gesichert fühlt. Was Korea anbeirifft, so werde dieses jedenfalls der Protektion Japans unterstellt. Niemand denke wohl daran, Japan Port Arthur streitig zu machen, weil es diese Festung zweimal erobert hat. Was
daß andere, deren Schuldigkeit das war, eS versäumten. Und dies bestimmte sie auch, dem jungen Maler ein ganz anderes Gesicht zu zeigen, wenn sie ihm begegnete.
Wer er eigentlich war, der junge Fremdling mit dem sonderbaren Namen das kümmerte Niemand mehr, seit man sich an ihn gewöhnt; aber wer sie war — die Frage glaubte sie allgemach, wie in anderer, so auch in seiner Miene zu lesen und das verletzte sie.
Dieser Dagobert war eigentlich schon auf dem Weg«, rin berühmter Mann zu werden. Man sprach in den Zeitungen von seinen Bildern; der Pfarrer selbst laS ihnen Abends davon vor und die Bilder mußten im Hause doppelt intereffant sein, weil sie ja oben im Atelier gemalt waren. Nur aus diesem Grunde suchte auch Zia eine Gelegenheit, in die Stadt zu kommen und die Bilder am Fenster zu sehen; aber sie mit ihrem kindlichen Sinn fand keinen Geschmack an ihnen. Was das für „wildes Zeug" war! Ganz AehnlicheS hatte sie schon in seiner Studienmappr gesehen, als er vor einiger Zeit einmal von seinen Ausflügen «echt verwahrlost in seiner Toilette zurückgrkehrt war und die Erlaubnis erhalten hatte, bei Frau Waüenthin mit dieser Mappe einzutrete». Wo mußte er sich umhergetrieben haben, denn da hatte er auf den losen Blättern Semen aus schmutzigen Dorfkneipen und ländlichen Tanzsälen, betrunkene Knechte, abschreckende Studienköpfe von Strolchen mit blutrünstigen Gesichtern, Schlägereien und andere brutale Momente und dazwischen wieder die lieblichsten Natur-Ansichten, Rasenplätze mit anmutigen Mädchengestalten rc. DaS junge Herz fürchtete sich vor diesen wüsten Scene» und zugleich vor dem Schöpfer von dergleichen.
Er habe gar keine Angehörigen mehr auf der Welt, seit seine gute Mutte« tot, hatte er bei dieser Gelegenheit erzählt; um ihn kümmere sich Niemand mehr. Urck dabei hatte er Zia so sonderbar angeschaut, als wolle er ihr sagen: Arme-
Kind du stehst ja auch allein unter fremden Leuten! und seitdem ging ihr di« Frage nicht mehr aus dem Kopfe.
Sie hatte bisher nicht den Mut gehabt, von Frau Wallenthin oder dem Pfarrer Auskunft zu begehren, der schon, seit sie im Hause mit der ersteren nachbarlich verkehrte, freiwillig ihren Unterricht übernommen hatte und alles, was sie betraf, wissen mußte; aber sie wollte diesen Mut endlich haben. Darüber war wieder einmal der Herbst gekommen und der junge Künstler nach Rom gezogen. Sie brauchte jetzt nicht mehr hinter dem Vorhänge zu stehen und Acht zu geben, ob er zu ihrem Fenster herauf schaue, ob er wirklich ein Zigeuner sei, al« welchen ihn der Pfarrer hinstellte, und doch vermißte sie ihn.
Auch der Winter verfloß ihr recht trübselig. Sie hatte kein« Lust mehk am Lernen. ,Wa» nutzt es mir, wenn ich alles weiß, nur das Eine nicht!" rief sie oft. „Ich werde älter und älter und bleibe Niemandes Kind! Es ist, als fürchte man sich, mir die Wahrheit zu sagen. Aber er, mein alter Papa Llbke, mein Wohltäter, durch den mein Unterhalt bezahlt wird, er wird mir endlich alles sagen, wenn er auch behauptet, dir Zeit sei noch nicht gekommen! Sie muß gekommen sein! Wie lange soll ich denn noch Kind bleiben!"
Zu ihrer Ueberraschung kehrte im Monat Januar der Pfarrer Abends mit der Nachrickt zurück, er wette darauf, er habe den Maler gesehen, der wahrlich gar nicht abgereist sei und sein Zigeunerleben in der Stadt geführt habe, ohne sich um sein Atelier zu kümmern. Und wirklich brachte schon am nächsten Morgen, als alle drei beim Frühstück saßen, die Magd eine Karte herein. Herr Dagobert lasse fragen, ob eS ihm gestattet werde, seine Aufwartung zu machen.
Mit saurem Gesichte nickte der Pfarrer seine Einwilligung. Zia versteckt« «in leichte- Erröten, als der jung« Mann in blühender Gesundheit und mit freudiger Miene eintrat und gerade auf sie sein Blick sich zuerst heftete, als käme er nur um ihretwillen. (Fortsetzung folgt.)