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Anregung Schmidts, aber auch gegen den Antrag Cloß sprach dann in längerer Rede Abg. Dr. Hieb er, der insbesondere davor warnte, die Gegensätze von Stadt und Land in diese Debatte hineinzutragen, wo doch alle einig seien in der Fürsorge für die Lehrer als Ganzes. Der Sozialdemokratie, die die Gewohnheit habe, den Etat bei der Schlußabsttmmung abzulehnen, sprach Hieber das Recht ab, ihr Wohlwollen in so breitem Maße für einen Stand auszugießen und den Etat übermäßig zu belasten. Dr. Har traust (Vp.) zeigte fich als ein Anhänger Schmidts, während Käß (Vp.) die Differenzierung als notwendig bezeichnet«. Sehr eindrucksvoll warsodann eine Rede des Kultministers, der hervorhob, daß die Finanzlage die Basis unserer Operationen sein müsse. Ueber eine Aeußerung des Abg. Kloß, daß die Liebe der Regierung für die Lehrer eine platonische sei, erklärte der Minister mit gutem Gewissen zur Tagesordnung übergehen zu können. Auch er bedauerte die Aufwerfung eines Gegensatzes zwischen Stadt und Land und wies nach, daß die Spannung in den Gehaltssätzen zwischen Stadt und Land, die bei uns 400 beträgt, in anderen Staaten um ein mehrfaches größer sei und ferner, daß der Staat den Städten mit hesouderem Gehaltssystem 16"/°, den anderen Gemeinden aber 43°/° zahle. Weiterhin traten die Abgeordneten Prälat v. Sandberger, Betz und Liesching für die Kommiffionsanträge ein, während Haug für Gleichbehandlung fich aussprach. Keil verlas den Brief eines Lehrers, der sich, wie Keil selbst zugab, in ganz unparlamentarischen Ausdrücken bewegte wie: „Mit 50 Jahren seien 70°/° der Lehrer unter den Boden geschunden", von dem aber der Kultminister mit Recht sagen konnte, daß derartige Schreibereien den Lehrern selbst ins Fleisch schneiden. Domkapitular Berg sprach fich auch nochmals für die Kommissionsanträge aus, während Vogt (Bbd.) gegen das Verhalten des Hauses zu Ungunsten des Landes protestierte. Entgegen dem erwähnten Brief wies der Kultminister nach, daß in den Jahren 1885—1904 nach Vollendung des 52. Lebensjahres 81°/° der Lehrer gestorben seien. Finanzminister v. Zeyer legte dar, daß angesichts der Finanzlage „sich eine weitere Aufbesserung nicht verantworten lasse". Haußmann-Balingen hielt dem Abg. Keil die Worte entgegen: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders und nicht den Balken in deiner Tagwacht?" Hieber ent- gegnete Keil, daß, solange die Sozialdemokratie die Kinderei der Etatsablehnung fortsetze, sie nicht das Recht habe, den Etat zu belasten. Er schloß mit der Konstatierung der Tatsache, daß von keiner Seite die Gehaltserhöhung der Lehrer angegriffen worden sei; bei der darauf erfolgten Abstimmung wurden die Anträge Kloß abgelehnt, die Kommisstonsanträge zu Art. 1 und 2 des Entwurfs angenommen und eine Resolution Schmidt betr. Schaffung von Kämmerern für Volksschulen der Kommission überwiesen. Weiterberatung Dienstag.
Stuttgart, 27. Mai. Die Hauptversammlung des Flotten-VereinS nahm heute nach längerer Debatte folgende vom Präsidenten vorgeschlagene Resolution an: 1) Der deutsche Flottenverein unterstützt mit allen Kräften die seitens der verbündeten Regierungen angekündigte zum Teil bereits im Jahr 1899 geforderte Verstärkung unserer Flotte um große Kreuzer und Torpedoboot-Divisionen. Er unterstützt diese Forderung umso nachdrücklicher, weil inzwischen Deutschland von anderer Sette hinsichtlich seiner Flottenrüstungen und namentlich seiner großen Kreuzer erheblich überholt worden ist. 2) Der Flottenverein tritt für einen beschleunigten Ausbau der deutschen Flotte ein und giebt besonders dem Wunsch Ausdruck, daß der Ersatz der minderwerten Schiffe, welche nach dem Flottengesetz von 1900 noch zu den Linienschiffen zählen, durch vollwertige Schlachtschiffe möglichst rasch erfolge. Aus den Debatten ging hervor, daß Wohl in Verbindung mit dem Fall Menges im Keim sich ein tiefer gehender Gegensatz zwischen der bayerischen und der norddeutschen Richtung im Präsidium herausgebildet hat. Durch die offene Aussprache sind aber die Gegensätze überbrückt worden und die Annahme der obigen Resolution erfolgte einstimmig. In seinem Schlußwort gab Fürst Salm der Ueberzeugung Ausdruck, daß der Verein aus der Krise neu gestärkt hervorgehen werde. — Auf ein heute Morgen an den Kaiser gesandtes Begrüßungs-Telegramm traf folgende Antwort ein: Ich danke für den HuldigungS- gruß aus der in Anwesenheit des Königs von Württemberg erfolgten Tagung des deutschen Flottenvereins, dessen von vaterländischer Gesinnung getragenes Wirken mir eine wesentliche Gewähr für die Erreichung des Zieles ist, welches Sie am Schluß Ihres Telegrammes erwähnen. Wilhelm.
Göppingen, 26. Mai. Ein bedauerlicher Unglücksfall ereignete fich heute im Stadtwald Oede. Der 13 Jahre alte Sohn eines hiesigen Geschäftsmanns hatte, um nach Rabennestern zu suchen, einen ziemlich hohen Eichbaum erklettert; durch einen unglücklichen Zufall verlor er in beträchtlicher Höhe den Halt und stürzte ab; seine Spielgefährten machten in einer nahe gelegenen Wirtschaft Mitteilung von dem Unfall. ES konnte infolgedessen bald ärztliche Hilfe geleistet werden. Der Knabe erlitt einen Schädelbruch und innere Verletzungen.
Berlin, 27. Mat. Auf dem Louisenplatze zu Charlottenburg wurde heute in Gegenwart des Kaisers, des Reichskanzlers und des Ministers des Innern das Kaiser-Friedrich-Denkmal enthüllt. Auf dem Festplatze hatte sich eine große Menschenmenge angesammelt und Schulen und Vereine bildeten Spalier. Der Kaiser schritt, als er um 11 Uhr erschien, zuerst die Ehrenkompagnie ab und betrat alsdann sofort das Kaiserzelt, auf dessen rechter Seite Ehrenjungfrauen Aufstellung genommen hatten. Das Trompeterkorps des Garde- koips eröffnet« die Feier mit einem Marsch. Hierauf
nahm der Oberbürgermeister das Wort zu einer Festrede, in welcher er den verewigten Kaiser Friedrich feierte. Auf ein Zeichen des Kaisers fiel nunmehr die Hülle, während die Musik die Nationalhymne spielte. Hierauf folgte ein Rundgang um das Denkmal. Der Kaiser begab sich alsdann ins Offiziers-Kasino des Elisabeth-Regiments und nahm dort das Frühstück ein.
Berlin, 27. Mai. Der Kronprinz, der gegenwärtig zur Teilnahme an den Hoffestlichkeiten in Schwerin weilt, reist morgen nach Berlin ab, um bei der im Laufe des Montag zu erwartenden Ankunft dis japanischen Prinzenpaares Arisugawa hier anwesend zu sein. Prinz und Prinzessin Arisugawa nehmen im Hotel Bristol Wohnung. Der Kaiser hat den japanischen Herrschaften für Montag seinen Besuch angezeigt. In dem genannten Hotel steigen auch die russischen Großfürsten ab sowie ein Teil der mecklenburgischen Familie. Die Großherzogin Anastasia, die Mutter der Braut, wird, wie jetzt feststeht, im Schloß wohnen.
Dresden, 27. Mai. Anläßlich des vorgestrigen Geburtstages des Königs Friedrich August brachte ihm die Dresdener Bürgerschaft gestern Abend einen Lampion- und Fackelzug dar, woran etwa 800 Vereine und Körperschaften mit insgesamt 12000 Personen teilnahmen. Der König nahm die Huldigung vom Balkon des altstädtischen Rathauses aus entgegen. — Der König wird für den 23. und 24. Juli zur Besichtigung des 6. sächsischen Infanterie-Regiments Nr. 105 in Straßburg i. E. erwartet.
Wien, 27. Mai. In dem beim Oberhofmarschallamt eingetroffenen Gutachten der Pariser Psychiater Magnan und Duboisson über den Geistes- und Gesundheitszustand der Prinzessin Luise vo n Kobnrg heißt es: Die Prinzessin macht den vollkommenen Eindruck physischer und psychischer Gesundheit. Sie sei von kräftiger Konstitution, schöner körperlichen Entwickelung und ohne Zeichen der Entartung oder Mißbildung am Schädel oder der GefichtSform. Auch zeigte sie nicht die mindeste Gedächtnisschwäche. Die Tatsache der Verschwendung sei erklärlich durch die Zwangslage und ihre Unerfahrenheit in Geldsachen. Ihre Apathie während ihrer Internierung sei nicht krankhaft sondern wohl überlegt gewesen. Dabet seien die einwirkenden traurigen Familien- und Eheverhältnisse zu berücksichtigen. Nur durch diese Umstände sind Disharmonien und Ungleichheiten entstanden. Sie habe nie an Wahnvorstellungen gelitten. Die Schilderungen der Prinzessin über ihren früheren und ihren jetzigen moralischen Zustand fanden die Psychiater sehr zutreffend. Sie seien eine ausgezeichnete Charakteristik. Der gegenwärtige Zustand der Prinzessin rechtfertige keinesfalls eine neue Internierung in einer neuen Heilanstalt. — Nach französischem Gesetz find hierzu Schwachsinn, Wahnsinn und Tollwut erforderlich. Bet der Prin-
Solcher Kontrast lastet wie eine beständige Schuld auf mir. Wenn ich auch dem Menschenarm unerreichbar, wer weiß, ob das Schicksal selbst nicht seine Blitze schleudert, so oder so. Manchmal ist mir so wunderlich zu Mut, als wenn alles nur ein Traum wäre, dem dann ein furchtbares Erwachen folgen müßte."
Dann versank er wieder in brütendes Schweigen; ich fragte noch nach Kamarow, KraßnoselSki, Davidoff und Anderen, aber ich erhielt nur zerstreute und einsilbige Antwort.
Schon geraum« Zeit vorher hatten die Glocken der Schloßkapelle begonnen zu läuten. Auch einige heranroffelnde Wagen ließen sich auf der entfernten Landstraße vernehmen. Jetzt wurde auch der alte Kuzmin nebst anderen Bedienten auf dem breiten Kiesweg sichtbar, sie kamen uns zu suchen, denn man erwartete uns längst zum Kirchgang.
Sherwood erhob fich wie ein Schlafwandelnder und schritt an meinem Arm zum Schloß zurück. Doch reichte der Weg für ihn hin, sich seiner düsteren Stimmung zu rntschlagen und wieder die fiegeSfrohe, männliche Haltung zu gewinnen. So trat er Nadjeschda entgegen, die heute in schwarzer Seide prangte, ernst und feierlich, eher einer Aebtissin vergleichbar, als der jungen glücklichen Gattin eines eleganten, beneideten GardeoffizierS.
Die Gesellschaft war nicht zahlreich, aber gewählt, größtenteils dieselben Personen, die ich früher bei Tatiana'S Hochzeit kennen gelernt hatte, Gutsbesitzer, Beamte, würdige Matronen mit ihren Töchtern, auch der treffliche JSprawnik au» der nächsten Kreisstadt, der damals al» WadkowSki» Vater fungiert hatte, war anwesend.
Alle neigten sich vor Sherwood mit untertäniger Devotion, mit kriechender
ehrfurchtsvoller Höflichkeit, ja, sie buhlten um ein Wort, um einen Blick von ihm, denn der Protegö des Kaisers war heute der Held des TageS. Er war daraus zu schließen, nicht nur, daß übertriebene Gerüchte seiner märchenhaften Glücks verbreitet fein mußten, sondern auch, daß das Geheimnis seines Verdienstes um Krone und Reich noch einstweilen gewahrt worden sei. Freilich schien eS nur so. Wenn man genau beobachtete, war in den liebenswürdigsten Worten etwas Unwahres, in den Bugen etwas Forschendes, in den Komplimenten und Huldigungen etwas Zurückhaltendes und Bemeffen»; in den entfernteren Gruppen flüsterte man leise und wechselte bezeichnende Blicke, aber im Ganzen blieb dir Form gewahrt. Möglich auch, daß ich als Wissender mich in jenen Beobachtungen getäuscht haben kann.
Don der Ceremonie des Kirchgang- und des heiligen Abendmahl» will ich hier nichts weiter berichten. Gesang und Orgelklang taten ihr« Wirkung nicht minder, wie die sinnreiche Rede de» alten Wassili Smirnoff, der zum Schmuck seiner Predigt alle möglichen biblischen Bilder aneinanderreihte. Daniel in der Löwrngrube wurde nicht minder herangezogen als der Untergang der Rotte Korah, das Gleichnis vom getreuen HauShalter und die Heimkehr deS verlorenen Sohne», obwohl daS Meiste nur mit gewaltsamer Deutung paßte.
Nach Schluß deS feierlichen Gottesdienstes und der Spende de» Sakraments folgte gegenseitige allgemeine Umarmung. Selbst der alte Uschakoff schien unter dem Eindruck der Ehrfurcht und Huldigung, welche man Sherwood «ntgegen- brachte, heute erst völlig versöhnt zu sein. Er umarmte und küßte seinen Schwiegersohn, ja, er sprach eS wiederholt in offenen Worten aus, wie geehrt und stolz er sich durch die Gnade de» kaiserlichen Befehl» fühle, den Ausländer in seine Familie aufzunehmen.
(Fortsetzung folgt.)