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schäften das Individuum noch Bedeutung. Der Zukunftsstaat werde sich um machen lassen, wenn alle Menschen Engel find. Abg. Konrad Hauß- mann konstatierte die wohlwollende Haltung des ganzen HauseS gegenüber dem Genossenschaftswesen und wollte das Verbot der Teilnahme der höheren Beamten an der Leitung von Konsumvereinen damit begründet wissen, daß private Gescllschvftsbildungen fich nicht mit dem Reklomeschild einer Leitung durch staatliche Beamte decken sollen. Ueber den Zukunfts­staat kam es schließlich noch zu einem Meinungs­austausch zwischen den Abg. Hildenbrand und Gröber, so daß Präsident Payer schließlich bat, den Zukunfts­staat doch endlich ruhen zu lassen. Dann wurde der Titel genehmigt, ebenso einige andere, und zum Schluß hielt noch Abg. Keil zu Titel 32, Gewerbe­inspektionen jährlich 75 000 eine einstündtge Rede vor einem Halbleeren Hause, in der er eine Vermehrung der Jnspektionsbeamten zwecks gründ­licher Revision der Gewerbebetriebe verlangte. Minister v. Pischek teilte aus dem noch nicht veröffentlichten Jnspekionsbericht von 1904 einige Zahlen mit, aus denen her vor geht, doß die Zahl der Revisionen der Betriebe eine beträchtliche Stei­gerung erfahren und daß die im Etat vorgesehene Vermehrung des Personals auf einige Zeit dem Bedürfnis genügen werde.

Stuttgart. Höhenfeuer am Schiller­tag. Vom Schwäbischen Albverein, Ortsgruppe Stuttgart, wird anläßlich der Schillelfeier am 9. Mai ein Höhenfeuer auf dem Kernenturm ab­gebrannt werden, dagegen sind Höhenfeuer auf den Stuttgarter Höhen nicht vorgesehen. Der Grund- befitzerverein Azenberg, Feuerbacher Heide und Um­gebung hat sich mit dem Ausschuß der Studenten­schaft der K. Technischen Hochschule ins Benehmen gesetzt, und voraussichtlich wird dieser Verein die Bismarcksäule zur Abbrennung eines Höhenfeuers erhalten. Derselbe Verein versucht die betreffenden Bürgcrvereine rc. zu veranlassen, auch in den übrigen Stadtteilen Höhenfeuer zu veranstalten, und zwar auf dem Aussichtsturm Hasenberg, Degerloch, Kriegs­berg, Burgholzhof. Die Ausführung dieser Höhen- feuer, mit gleichzeitiger bengalischer Beleuchtung der Türme, würde voraussichtlich durch die Pyro­technische Fabrik Wilh. Weiffenbach-Heslach erfolgen.

(N. Tgbl.)

Stuttgart, 28. April. Der heute statt­findende Verkauf der Sitzplätze für die Abend­feier am 9. Mai hat schon in den frühesten Morgenstunden eine zahlreiche Menge vor das Jvtertmtheater gelockt. Die Kaffe wurde um '/-II vormitt. geöffnet, die ersten Leute stellten fich aber schon vor 5 Uhr morgens davor auf! Viele Stunden lang standen dichte Scharen in fast endlosen Reihen vor dem Theater, teilweise mit Siühlen versehen. An Unterhaltung aller Art fehlte es natürlich nicht!

Stuttgart, 28. April. In der Deger­loch er Gemeindeverwaltung herrscht seit

einem Jahre, da die Unterschleife des Gemeinde­pflegers Frech entdeckt wurden, und der Schultheiß Braun sich entleibte, insofern ein Provisorium, als der Posten des Ortsvorstands nicht besetzt worden ist. Der bisherige Amtsverweser ist erkrankt und von dem Posten zurückgetreten. Nunmehr ist von der Regierung Amtmann Wendel an die Spitze der Gemeinde Degerloch berufen worden; derselbe wird schon in diesen Tagen sein Amt antreten. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß es hte- nach mit der Eingemeindung des Orts noch gute Weile hat.

Rottenburg. An der Seebronnerstraße, beim Neubau des Dr. Paradeis, wurden in zwei Schichten untereinander Funde aus verschie­dener Zeit gemacht. Unten im Lehm fanden fich zwei Urnen aus Ton aus der Hallstatiperiode, dabei Knochen und verkohltes Holz. Ueber dem Lehm kam, wie fast immer, meist in der schwärzlichen Erde und auch wieder bei den bekannten Muschelschalen die römische Kultur, T^rra «ixillata mit schönen Verzierungen in Menge zu Tag, viele or dere römische Scherben, eine auffallende Masse von Hörnern von Rindern mit zum Teil abgesägten Hornspitzen, auch Widdcrhörner, Zähne vom Eber und sonst viele Knochen; unweit daneben und in der Höhe der römischen Kulturschicht eine gelbrötliche, zum Teil pulveiförmige, zum Teil steinartige Masse, die sehr viel Eisen, Schlacken, Eiscnteile und Glas enthält. Auch kam eine römische Mauer in der Dicke von 1 m zum Vorschein; ihre Richtung war die be­kannte, von West nach Südost. Die Funde, zum großen Teil von UniverfitätSprofessor Gundermann besichtigt und von Bezirksgeometer a. D. Wendelstein ausgenommen, werden ihren Platz in der Samm­lung des Silchgauer Altertumsvereins in Rottenburg finden.

Ludwigsburg, 28. April. Heute vormittag um 10 Uhr wurde der Dragoner Unger, gebürtig aus Neustadt bei Waiblingen, der 2. Schwadron des hiesigen Regiments Nr. 25 beim Satteln von einem Pferd derart auf die Brust geschlagen, daß er sofort tot war.

Mergentheim, 25. April. Die Zufuhr zum heutigen Schweinemarkt war so stark wie seit langer Zeit nicht mehr; es wurden im ganzen 729 Saug- und 6 Läuferschweine zugeführt. Da fich sehr viele Käufer einfanden, wurde bei lebhafter Nach­frage die ganze Zufuhr bis auf wenige bei hohen Preisen verkauft. Es kosteten ein Paar Saugschweine 3052 Ein Paar Läufer 6272 ^

Ebingen, 28. April. Vorgestern abend 8 36 Uhr wurde hier lt.Albbote" ein ziemlich starkes Erdbeben wahrgenommen. Die Er­schütterung bestand aus zwei Stößen (der erste war stark und kurz, der zweite dagegen schwächer aber länger) und war so heftig, doß viele Leute ans Fenster sprangen und auslugten, was passiert sei.

Man bekam den Eindruck, im eigenen Hause müsse ein schwerer Gegenstand in den oberen Stockwerken umgcfallen oder in der Nachbarschaft ein Stück Haus eingesiürzt sein. In Thailfingen u. a. Orten wurden ähnliche Erscheinungen wahrgenommen.

Freudenstadt, 27. April. Herzog Albrecht befindet fich gegenwärtig zur Auerhahnjagd auf dem Schwarzwald. Auf dem Zwieselberg war ihm gestern das Jagdglück besonders hold; es ge­lang ihm, 3 Auerhahnen zu erlegen. Heute jagt der Herzog auf dem Kniebis.

Schramberg, 25. April. Am Grün­donnerstag abend erwischte das 2jährige Kind eines hiesigen Bäckers ein Glas mit Lauge (wie sie ver- tünnt zum Herstellen von Laugenbrezeln verwendet wird), von dem es trank. Es mvß fich bei dieser Lange um eine sehr konzentrierte Lösung handeln, denn obwohl dem Kind sofort Gegenmittel einge- gebcn wurden und nach Wunsch Erbrechen fich einst, llte, waren die Schleimhäute des Schlundes und der Magenwände derart durch die atzende Wirkung der Lauge verbrannt, daß das Kind zum großen Schmerz der Eltern sterben mußte.

Lindau, 26. April. Der Stapellauf des von der Firma Mvffei in München auf dem hiesigen Helling neu erbauten SalondampfersLindau* fand heute nachmittag 2 Uhr im Beisein einer großen Menschenmenge statt. Weil dieser Moment infolge des lang andauernden niedrigen Wasserstands ziemlich lange hinausgeschoben werden mußte, wird jetzt die innere Ausstattung, welche die Firma Rat­geber in München besorgt, in beschleunigtem Tempo fertiggestellt werden. Kessel und Maschine find bereits montiert. Mit dem DampferLindau* wird der Bodensee von 33 modernen Dampfern be­fahren. Ein bayrisches Schiff gleichen Namens wurde im Oktober 1888 vom östreichischen Dampfer Habsburg außerhalb des Lindauer Seehafens in den Grund gebohrt.

Berlin, 28. April. Im Hause Greifs- walderstraße 217 entstand heute vormittag infolge Explosion in einer Cclluloidfabrik eine FeuerS- brunst, wobei ein Kind erstickte, 9 Personen schwer nnd 9 leichter verletzt wurden. Unter den Verletzten befanden fich 5 Arbeiterinnen der Fabrik, die fich brennend auf die Straße flüchteten und nachdem die Flammen von Passanten erstickt waren, in der nächsten Unfallstation die erste Hilfe erhielten.

Berlin, 29. April. Bet der Explosion in der Greifswalderstraße wurden 3 Personen schwer und 12 leicht verletzt.

Der Aufstand in Deutsch-Süd­west a f r i k a. Nach einer Meldung des Generals v. Trotha aus Gibeon ist Major v. Estorff am 18. April in Gochas eingetroffen und steht jetzt mit den ganzen 6'/- Kompagnien, 16 Geschützen und 4 Maschinengewehren am Auob. Er vermutet

Sprich das Wort nicht aus, Papa!* rief Nadjeschda, dir gefolgt war, um ebenfalls Zeuge drS Vorgangs zu werden. Jetzt drängte sie fich durch die Umstehenden und stürzte an deS alten Uschakoff« Brust.

Sprich das Wort nicht aus! Du hast einst deine jüngste Tochter ver­flucht, und sie ist unglücklich geworden, obwohl sie keine Schuld trug, als daß sie ihrem Gatten folgte und Vater und Heimat verließ, wie cs in der heiligen Schrift steht. Sieh' mich an deiner Brust, an deinem Herzen. Ich fleh« nicht um Vergebung oder um Gnade, denn ich habe keine Sünde auf mir, als meine Treue und mein« Liebe. Aber deine lieben Augen wollt' ich noch einmal sehen, deinen Mund möcht' ich küssen, um dak schreckliche Wort zurückzuhalten. Du sollst alles erfahren, wie elend ich geworden bin ohne deinen Segen. Aber deines HauseS Ehre ist unoerletzt geblieben, daß kann ich dir mit reiner Stirn sagen. Fahr' wohl, Tatiana. Möge Gott euch beistehen, und alles zum Guten lenken. Dein Vaterhaus soll dir immer offen stehen wie unsere Arme, wenn du keine andere Heimat mehr hast. Lebt wohl! Aber du, Väterchen, komm nun hinein, ich verlasse dich nun und nimmermehr. Und zum zweiten Mal mir fluchen, mich zum zweiten Mal verstoßen daß kannst du nicht!*

Unmöglich wäre eS. zu schildern, mit welcher hinreißenden Wärme, mit welcher Innigkeit und Würde die schöne Frau sprach, so daß keiner der An­wesenden fich der unwiderstehlichen Wirkung ihrer Worte entziehen konnte.

Wahrhaft merkwürdig war diese Wirkung auf den alten Uschakoff.

Die ganz« Fülle seiner grenzenlosen Erbitterung hatte sich mit jenem ersten Aus­bruch physisch und psychisch erschöpft und verbraucht, so daß er dem unerwarteten Anruf seine« LieblingSkinde« waffenlos und wehrlos gegenüber stand, wie ein gebrochener Mann, wie ein greise« Kind. Auch mochte die Reaktion de« Fest- taumrl« und der überreichlichen Genüsse Mitwirken, ihn jetzt zwar zu ernüchtern, aber zugleich au» allen festen Fugen seine» Wesen zu bringen.

Während der Schlitten mit den Verhafteten fich in Bewegung setzte, um­geben von den Kosak««, zitterte der alte Mann am ganzen Körper und versuchte seinen Arm und seine Stimme zu erheben, aber di« Stimme versagte ihm, und sein Arm sank kraftlos herab.

Gebeugt und willenlos ließ er sich von der neugeschenkten Tochter in da» HauS zurückführen- während die Gäste ehrerbietig und schweigend Platz machten.

Und diese Veränderung in Ufchakvffs Wesen erlitt auch nachher keine Wandlung. Sein Staunen über den neuen Zwischenfall lähmte völlig seinen Jähzorn und ließ den letzteren auch nicht wieder zur Ansammlung kommen. Er betrachtete die Wiedergekehrte fortwährend mit Kopfschütteln und unverständlichen halblauten Monologen, als umgaukle ihn ein unglaublicher, halb lieblicher, halb unheimlicher Traum.

Der Schwarm der Gäste war von dem Vorgefallenen, wie von dem Auf­tauchen der verschollenen Tochter gleichfalls so überrascht und aus der Fassung gebracht, daß eine Gruppe nach der andern das Bedürfnis empfand, fich schweigend zu empfehlen und davonzufahren. Noch bevor die Nacht hereinsank, war «S auf dem weitläufigen Gut wieder so still und einsam, wie sonst im Winter. Auch die lärmenden Bacchanalien der Gulsleute und MuschikS, welche im Erdgeschoß deS Schlosses den ganzen Tag über und gestern bankettierten und sangen, waren verstummt. Die Leute saßen verschüchtert und verstört in Gruppen beisammen und besprachen mit leisen Worten in ihrer Weis« di« Ereignisse dieses denk­würdigen Tage».

Meine Zweifel hinsichtlich Nadjeschdas hatten nun vorläufig di« glücklichste Lösung gefunden, aber auch meine Aufgabe war hier nun erledigt. Schon zeitig begleitete ich den würdigen Popen Smirnoff und seine treffliche Frau Ustinja in ihre Wohnung zurück, und noch manche Stunde de» Gespräch« verging in der stillen PfarrwohrnM, bevor ich mein Nachtlager aufsuchte. (Forts, folgt.)