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Amts- rmd AnzeigeKkatt str den Bezirk Gakv.
80. Jahrgang.
«rschrinungltaze: DienStsr, Dsnn«r«tag, SamS- !, «vn-rtag. Anssrtiorieprn« 10 Pfz. pro Zetl« für Stadt BiikLiort,; «Her Bezirk IS Pf«.
Sonntag, den 30. April 1905.
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Tagesnenigkeite«.
8.-V. Calw, 28. April. Auch der hiesige Schwarzwaldverein will unserem Schiller ein bleibendes Denkmal stiften und zwar in der Form eines Schillerwegs. Derselbe wird ausgehen von der Schillerlinde und teilweise bestehende Wege benützen. Nach Überschreitung der Panorama- straße gehts in bequemer Steigung im Frauen- wäldle aufwärts, dann dem oberen Rand der Schafweide entlang unter dem Windhof über die Altburger Steige und an den Anfang der Schutthalde des einstigen Alzenberger Bergwerks. Dann führt ein Fahrweg in den Meisterbergwald, in welchem ein neuer Weg aufwärts gemacht wird zu einem schon bestehenden Rand weg, von dem aus man eine prächtige Aussicht nach Calw und das Nagoldtal und einen großartigen Blick auf den Hirsausr Talkessel mit seinen vielen Bergkupp;n hat. Eine Fortsetzung des Wegs wird hinab zum Alzenbrunnen und Hirsau und eine andere am Kuckucksfelsen vorbei zurück nach Calw führen. Nach seiner Fertigstellung wird der ganze Weg einer unserer schönsten Spazierwege sein, der voraussichtlich von Einheimischen und Fremden viel begangen werden wird.
z Oberhaugstett, 28. April. Wie in Nr. 64 des Calwer Wochenblattes ersichtlich, erhält Neubulach den Postbotengang nach Teinach nun auch Sonn-und Feiertags, nur der hiesige Ort nicht, obwohl er blos V« Stunde von N-ubulach entfernt ist, auch wäre es vielen erwünscht, wenn am Samstag abend noch eine Post hterherkäme, da wir von Samstag mittag bis Montag mittag warten müssen. An zuständiger Stelle scheint jedoch wenig Interesse für die Sache vorhanden zu sein.
Stuttgart, 28. April. Die Kammer der Abgeordneten hat in ihrer heutigen Sitzung die Beratung des Etats des Innern beim Kapitel 38, Zentralstelle für Gewerbe und Handel, fortgesetzt und dabei nur einige wenige Titel dieses Kapitels erledigt. Zunächst wurde gelegentlich der Titel 25, in dem 3000 für die Unterstützung kleingewerblicher Unternehmungen ausgesetzt sind, vom Regierungstisch, wie bei der Generaldebatte betont, daß nur Genossenschaften, nicht aber einzelne Hand-^ Werker, die Maschinen anfstcllen wollen, Beiträge gewährt werden könnten; Voraussetzung des Beitrags sei immer, daß es sich um eine Förderung allgemeiner volkswirtschaftlicher Interessen handle. Sehr lange Erörterungen knüpften sich an Titel 25a, Förderung des Genossenschaftswesens in Gewerbe und Handel jährlich 16000 Erörterungen, die vom Genossenschaftswesen über den Mittelstand sogar bis zum Zukunftsstaat führten. Den Anlaß gab der Beri chterst atter Haua, der davor warnte, Staats- beitrüge den Genossenschaften zu geben, die zu Trustbildungen und Warenhäuser sich auswachsen, weil dadurch das Kleingewerbe, die kleinen selbständigen Existenzen geschädigt würden. Demgegenüber vertrat Tauscher den sozialistischen Standpunkt, indem er unter Angriffen auf den Bauernbund verlangte, daß den Beamten die Teilnahme an den Konsumvereinen nicht verboten werden dürfe. Hildrnbrand sprach ganz offen aus, daß er in dieser Begünstigung der Genossenschaften den ersten Schritt zu einer gemeinschaftlichen Produftion im Sinne der sozialdemokratischen Idee begrüße und klagte dann über einen Erlaß, der sämtlichen Beamten einschließlich der Lehrer, verbiete, sich an der Leitung von Konsumvereinen zu beteiligen. Vogt hingegen begrüßte diesen Erlaß, der, wie Schmidt-
Maulbronn mittcilte, aus dem Kultministerium hervorging und mit „Wittich" unterzeichnet ist. Schmidt legte dann auch noch dar, daß der Bund der Landwirte selbst der größte Konsumverein im Reiche sei. Freiherrv. Gaisberg-Helfenberg wünschte eine Unterstützung der Handwerker in dem Sinn, daß die Originalität des Handwerks, das künstlerische, erhalten bleibe. Er bekannte sich, obwohl er Mitglied des Bundes der Landwirte ist, als ein Freund der Konsumvereine und des Genossenschaftswesens, das für Gewerbe und Handel in der Zukunft von großer Bedeutung sei. Dann verbreitete er sich über den Mittelstand. Minister v. Pischek verglich diesen mit einem großen Regenschirm, unter dem alle diejenigen sich anfhalten, die weder reich noch arm sind und trat warm für die Unterstützung des Genossenschaftswesens ein, freilich nicht in dem Sinne Hildenbrands, dem er als Beweis gegen die Unmöglichkeit einer gemeinsamen Produktion die Pariser Nationalwerkstätten von 1848 vorhielt. Der Minister legte dar, daß gemäß einem längst bestehenden Erlaß nur Beamten von der VII. Rangstufe aufwärts verboten sei, an den Aufstchtsräten von Konsumvereinen teilzunchmen; von einem Erlaß des Gesamtministeriums, so wie es Hildenbrand ausgeführt hatte, sei ihm nichts bekannt. Abg. Hieber bekannte sich ebenfalls als Freund des Genossenschaftswesens und meinte, die von Haug gegebene Begriffsbestimmung für den Mittelstand im Sinne der Selbständigkeit sei zu eng. Gröber (Zentr.) unterstützte den Berichterstatter Haug und betonte, daß wenn man von Wirtschaftsleben rede, zu dem Begriff der Selbständigkeit komme; der selbständige Mittelstand sei das Fundament einer ruhigen politischen Entwicklung. Im Gegensatz zu den Syndikaten behalte bet der Förderung der kleinen Genossen-
Der Hpion.
Nachdruck verboten.
Historischer Roman aus der Geschichte des heutigen Rußlands von Julius Gro sse.
(Fortsetzung.)
Di« Wirkung dieser unerwarteten Enthüllung war unbeschreiblich. Mit offenem Munde und dem Staunen des Entsetzens hörte die loyale Gesellschaft die furchtbare Anklage, daß fie einen Hochverräter unter sich geduldet. Eher hätte man den Einsturz des Himmels erwartet. Beherrschte die Einen die Bestürzung und der Schrecken, so fühlten die anderen sich entrüstet über die Verworfenheit des Angeklagten und gaben ihrer moralischen Empörung offenen Ausdruck.
Der alte Uschakoff selbst war wie gelähmt; seine hellblauen Augen starrten bald seinen Schwiegersohn, bald seine Tochter an, als könne er nichts von alledem begreifen, was da vorging.
„Vorwärts, Herr Lieutenant," herrschte jetzt der Feldjäger. „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Besteigen Sie auf der Stelle meine» Schlitten, wenn Sie nicht wünschen, daß wir Gewalt brauchen sollen. Zuerst Ihren Degen!"
Jetzt erst kam der junge Mann zu sich, und in einer seltsamen Jdeenver- winung, die gleichsam aus einem Ueberschuß von Scharfsinn hervorging, wandte er sich plötzlich an mich, den er auf der Treppe erblickte. Er war aus dem Schlitten gestiegen und schnallte seinen Säbel ab.
„Meinm Respekt, Herr Oberst. Ihnen und keinem andern Hab« ich wohl diesen nichtSwürdigen Urberfall zu danken. Meinen Dank auch Herr v. Uschakoff und dir, glatte Schlange, wenn du darum gewußt hast. Das war also der wahre Sinn von Versöhnung und Treue, Speck für die Ratten, Leim für die
Gimpel! Die ganze Hochzeit, der ganze Roman also nur eine Falle — ein echt russisches Meisterstück, das dem Ehre macht, der eS ersonnen. Aber triumphiert nicht zu früh. Geschieht mir etwas, so wird sich der Bund an Euch halten. Fort von mir Komödiantin I Vorwärts, Herr Feldjäger!" Dabei stieß er Tatiana von sich und bestieg den Schlitten des Kuriers.
Tatiana aber folgte ihm: „Bei allen Heiligen beschwör ich dich, Alexander. Ich weiß nichts von alledem, ich habe nichts gewußt. Und jetzt, als dein Weib, will ich dein Loos teilen, falls eS, wie es wolle. DaS ist meine Pflicht, und du wirst mich nicht von dir stoßen!"
Mit diesen Worten schwing sie sich in den Schlitten neben den Gefangenen, den sie mit beiden Armen umfing.
„Steht eS so, dann sei willkommen. Dann bleiben wir vereint im Leben und im Tode!"
TatianaS kühne Tat aber wirkte wie ein Alarmsignal auf den alten Uschakoff.
Zitternd vor Zorn und Wut kam er herbeigestürzt. Seine heisere Stimme erstickt« fast unter dem Uebermaß seines Grimmes.
„So also steht eS! Ein Hochverräter an Kaiser und Reich wagt sich in mein reines HauS einzuschleichen, um mich und meine Familie mit Schmach und Schande zu bedecken. Da muß man ja Gott auf den Knien danken, daß dieser Heuchler, dieser Blutmensch noch im letzten Moment entlarvt wird. Und du, meine Tochter willst mit ihm, meine einzige Tochter? — Auf der Stelle steigst du auS!" Und als er keine Antwort erhielt, rafft« er sich noch einmal zusammen. „Du weigerst dich, Entartete, so fahrt den zur Hölle und habt Beide-"
Aber er vollendete nicht; noch ehr da» verhängnisvolle Wort des Vater- fluchS gefallen war, ließ sich eine andere Stimme vernehmen.