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Möckmühl, 14. April. Auf der Bahn­strecke Züttlin genMöckmühl wurde lt. Neckar-Ztg. der Leichnam eines unbekannten Mannes im Alter von etwa 40 Jahren aufgefunden, dessen beide Beine hart am Leib abgefahren waren. An Wertsachen hatte er nichts als einen Geldbeutel mit 2 F bei sich. Es scheint sich um einen Selbstmord zu handeln und keine Verschuldung einer dritten Person vorzuliegen.

Pforzheim, 14. April. Gestern nach­mittag hat sich ein hier wohnhafter, 50 Jahre alter Schreiner, gebürtig von Liebenzell, in seiner Woh­nung erhängt. Lebensüberdruß bezeichnete er in seinen hinterlassenen Briefen als Grund der Tat. Er lebte von seiner Familie getrennt.

Hannover, 13. April. Eia scheußliches Verbrechernest ist hier in den letzten Tagen ent­deckt worden. Im August 1901 verschwand in einem Haus der Bindestraße auf rätselhafte Weise das Kind Else Kassel. Wie der Hannover Kurier berichtet, verschwand nun in demselben Haus, in dem auch Else Kassel abhanden kam, am Montag Nachmittag das achtjährige Mädchen Erna der Ehe­leute Tischler Schaer. Das Kind hatte bis dahin mit andern Kindern auf der Straße gespielt. Als die Eltern abends das Kind Hereinrufen wollten, war es verschwunden. Alle Nachforschungen am Abend und in der Nacht blieben erfolglos, und erst am Dienstag morgen, als die Kriminalpolizei sich mit dem Verschwinden des Kindes befaßte, wurden Stimmen laut, daß am Abend vorher der dem Trunk ergebene Postschaffner Klaus Büther das Kind an sich gelockt und mit in seine Wohnung, Bindestraße 1, genommen habe. Durch Redens­arten machte sich ferner verdächtig der ebenfalls im Haus Bindestraße 1 wohnhafte Schuhmacher Paul. Während des Euchens der Kriminalpolizei wurde gemeldet, daß auf der Bahnrampe Rumpfteile eines ermordeten Kindes gefunden worden seien. In­zwischen fand die Kriminalpolizei im Keller des Hauses Bindestrabe 1, zwischen Kisten und in einer Vertiefung versteckt, ebenfalls Körperteile eines toten Kindes. Der Vater des vermißten Kindes erkannte die Leichenteile als von seinem Kinde her­rührend. Der Mörder hat nach Verübung eines Verbrechens sein Opfer zerstückelt und zum Teil in dem Keller verscharrt, zum Teil auf die Bahnrampe geworfen. Man vermutet, daß Paul sowohl als Büther mit dem Verschwinden der Else Kassel in sehr naher Beziehung stehen. Der Mörder Büther und der Schuhmacher Paul wurden ins Polizei­gefängnis gebracht, und die gefundenen Leichenteile nach dem gerichtlichen Totenhause geschafft. Büther hat inzwischen die Tat eingestanden. Die beiden Verhafteten, die auch schon zusammen in diesem Hause wohnten, als am 18. August 1901 Else Kassel aus dem Nachbarhause verschwand, bestritten hartnäckig jeden Anteil an dem Verschwinden dieses Kindes. Nun ist aber, wie telegraphisch berichtet

wird, bei den Nachforschungen, die die Kriminal­polizei im Keller anstellte, heute das vergrabene Skelett eines Kindes gefunden worden, das ver­mutlich das des seit vier Jahren verschwundenen Kindes Else Kassel ist.

Hannover, 14. April. Gestern Abend 11'/, Uhr wurden die beiden Mörder aus dem Untersuchungsgefängnis abgeholt und der Leiche der Else Kassel in dem Hause Bindenstraße 1, gegen­übergestellt. Paul trug ein freches Benehmen zur Schau, während Büther beim Anblick der Leiche zusammenschrak und erbleichte. Auf die Frage des Untersuchungsrichters, ob sie gestehen wollten, daß fie die Else Kassel im Jahre 1901 ermordet hätten, antworteten beide, fie wüßten nicht, wie das Paket mit der Leiche in den Keller gekommen sei. Nach halbstündiger Konfrontation wurden die Mörder in das Untersuchungsgefängnis zurückgeführt.

Berlin, 14. April. Das Reichsmarine- a m t kaufte, nach einem Kieler Telegramm des Berl. Tagebl., eine größere geschützte Strand st recke der Südküste von Alsen, unweit der neuen Marine­station Sonderburg. Wie verlautet, soll dort eine Schiffsreparaturwerkstatt ange­legt werden.

Berlin, 14. April. Heute morgen 7 Uhr hat das freiwillige deutsche Automobil-Korps seine eiste größere Uebungsfahrt angetreten. Etwa 30 Teilnehmer hatten sich in ihren Uniformen und mit ihren Chauffeuren am Platze vor dem Branden­burger Tor versammelt, an dem auch die Räumlich­keiten des Automobilklubs liegen. Die Fahrt geht zunächst nach Hamburg, wird zuvor aber in Berge­dorf unterbrochen, wo Prinz Heinrich von Preußen die Teilnehmer begrüßen wird. Am Abend ist Festessen imHamburger Hof" und Sonnabend morgens 8 Uhr hält der kommandierende General des 9. Armeekorps auf dem Luruper Exerzierplatz Parade über das Koips ab. Darauf geht es gleich in der Richtung Kiel weiter. Die Fahrt endet nach mehrtägiger Dauer wieder in der Reichshauptstadt.

Berlin, 14. April. In der Privatklagesache des Dr. Karl Löwe gegen den Zeitungsverleger August Scherl wegen Beleidigung (letzterer hatte den Dr. Löwe durch Privatdektive verfolgen lassen) erkannte der Gerichtshof nach längerer Verhand­lung auf Freisprechung, da Scherl nachweislich nur den Auftrag gegeben hatte, Löwe zu beobachten, ob er mit Angestellten von Scherl verkehre. Dem Privatkläger wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt.

Hamburg, 14. April. In Schiffahrts­kreisen herrscht große Besorgnis wegen des Ham­burger DampfersCastalia", welcher am 7. März von Antwerpen nach Vera Cruz ausltef, dort am 1. April fällig war und bis heute nicht einge­troffen ist.

Stargard, 14. April. Bei dem hiesigen Drogonerregiment Nr. 9 find mehrere Soldaten an

Genickstarre erkrankt. Ein Fall ist tötlich ver­laufen. Die übrigen Kranken befinden sich auf dem Wege der Besserung.

In Oberschlesien breitet sich die Genickstarre fortgesetzt aus. Aus zahlreichen Ortschaften werden Neuerkrankungen gemeldet. Im Stadtbezirk Beuthen wurden in der Zeit vom 27. März bis 10. April 14 neue Erkraukungsfälle an Genickstarre gemeldet, von denen 6 einen tötlicheu Ausgang nahmen. Die Gesamtzahl im Stadtbezirk Beuthen und im Stadtteil Friedrichshütte ist 62. Hiervon sind 21 Personen gestorben.

Zürich, 14. April. Die Weinbauern von Bevaix im Kanton Neuenburg verhinderten ein Gefechtsschießen des Militärs, da ihnen wegen des Flurschadens keine Zusicherung gegeben worden war. Sie zogen in die Weinberge und begaben sich nicht von der Stelle, so daß das Schießen unterbleiben mußte. Ein Regierungskommissar begab sich nach Bevaix.

London, 14. April. Der Berliner Korre­spondent desStandard" meldet seinem Blatte, die französische Regierung habe tatsächlich den anderen Mächten, darunter Oesterreich-Ungarn, Italien, Spanien und den Vereinigten Staaten mitgeteilt, daß Delcassö die deutsche Regierung von dem In­halt des englisch-französischen Abkommens über Marokko vor der Unterzeichnung unterrichtet habe. Die Angelegenheit ist dadurch in eine neue Phase getreten. Die Mitteilung der französischen Regierung schließt in sich den Vorwurf eines Mangels an Loyalität gegen die deutsche Regierung. Die be­treffenden Mächte werden selbstverständlich die deutsche Regierung von der französischen Behauptung in Kenntnis setzen. Die deutsche Regierung dürfte dann den deutschen Standpunkt darlegen. Jeden­falls werde es leicht sein, zu beweisen, daß die deutsche Regierung keine amtliche Kenntnis von dem englisch-französischen Abkommen hat.

Petersburg, 14. April. In Kiel wur­den auf Rechnung der russischen Regierung zehn Torpedoboote bestellt, welche im Mai zu liefern sind. Die russische Regierung hat außerdem bei verschiedenen auswärtigen Patronen-Fabriken 400 Millionen Patronen bestellt, lieferbar in aller­kürzester Zeit.

Petersburg, 14. April. Wie aus War­schau gemeldet wird, verurteilte das Militärgericht in dem Prozeß wegen der jüngsten Unruhen zwei Angeklagte zum Tode durch den Strang, weil ste einen Polizeiagenten tätlich angegriffen hatten. Der Generalgouverneur begnadigte einen zu 12 Jahren Zwangsarbeit.

Messina, 13. April. DieHohenzollern" mit dem Kaiser ist um 7 Uhr abends, von Korfu kommend, im hiesigen Hafen eingelaufen.

Messina, 14. April. Vorgestern abend hatten alle Schiffs im Hafen von Korfu illuminiert.

wegen der Trauung morgen? Da gibts ja noch viel ouszumachen ja ja aber Frau Nadja, mein armes Hühnchen, mein süßes Kind wer hätte das erwartet aber nur Mut, gleich wird der Tee fertig" und abermals floß der unaufhaltsame Strom ihrer redseligen Güte.

Eine Minute später war ich mit dem würdigen Popen allein, der mir mit staunender Freude die Hand schüttelte, als er in mir seinen alten Schüler von der Kriegsschule erkannte.

Aber freilich, als ich nun mein Anliegen in Betreff Frau NadjsschdaS vorbrachte, auch in Kürze von ihrem Geschick erzählte, erschrack der alte Herr nicht weuig und wurde sehr ernst.Das ist ein böser Zwischenfall", sagte er salbungsvoll,aber wer von uns darf den ersten Stein heben? Fern sei eS von mir, zu richten. Der Herr im Himmel fügt alles in seiner Langmut und mit mehr Freude am Reuigen, als an dem Gerechten. Und wer weiß auch sonst. ES liegen so schwere Lasten auf uns, daß die kleinen Sorgen in den großen verschwinden. Vielleicht ist eS gut so, daß Frau Nadja gerade jetzt kommt, denn es ist Keiner unter un«, ob hoch oder niedrig, der nicht die schweren Prüfungen empfindet, die uns der Himmel ouferlegt".

Dies« mir unverständliche, halb geheimnisvolle Andeutung machte mich abermals stutzig. Wa» war denn geschehen, um Anlaß zu diesem elegischen Ton zu geben?"

Sollte dem alten Uschakoff etwas zugefloßen sein? Dann wäre der Empfang ein anderer gewesen, und zu meiner Freude erfuhr ich, daß auf dem Schloß alles wohl auf, und bereit« viele Gäste zum morgigen Feste angelangt seien. Noch während wir darüber sprachen wurden wir unterbrochen. ES war so, wie Matuschka Ustinja vorauSgesagt hatte. Ein eleganter, mit kleinen Litthauern bespannter Schlitten fuhr vor dem Hause vor und au« dem Schlitten, den fie

selbst gefahren, sprang eine Dame, in der ich nach ShcrwoodS Beschreibung sofort die ältere Schwester NadjaS erkannte, eine anmutige Gestalt von elastischer Bewegung, mit dunklen Augen und dunkler Locksnfülle, so viel ich bei dem ersten flüchtigen Blick sehen konnte.

Wassili Smirnoff, der würdige Pope, empfing die Tochter seines Guts­herrn mit unterwürfigster Reverenz und führte ste mit ehrfurchtsvoller Gravität sofort in das Zimmer seiner Fron Ustinja, welche noch immer am Lager Nadja's beschäftigt war. Ich übergehe hier das erschütternde Wiedersehen der Schwestern, ihre Ausrufe und Freudentränen, wie ihr langes Gespräch, das sich ebenso um Nadjas Erlebnisse und Flucht aus Smolensk, wie um Tatianas bevorstehende Hochzeit drehte.

Ich hatte mich diskret in das Privatzimmer des Popen zurückgezogen, wo der würdige Seelsorger ab und zu wieder erschien, um mir Gesellschaft zu leisten. Die Zeit verstrich, und ich hielt eS schließlich für daS Beste, lieber sofort allein das Werk zu beginnen, den alten Uschakoff aufzusuchen und die Versöhnung vorzubereiten.

Aber es hat damit wirklich keine Eile," meinte der Pope.Sie treffen den gnädigen Herrn zwar jetzt schon zu Hause, werden ihm aber doch erst in der Teestunde am willkommendsten sein. Bei den jetzigen Zeiten wird es ihn freuen, einen alten Freund wiederzusehen. Niemand weiß ja, was der nächste Tag, die nächste Stunde bringen kann. Gott sei es geklagt, wie es scheinen will, gehen wir ernsten Verhängnissen entgegen."

Wiever dieser feierliche Ton, und dabei sah mir der alte Herr so fragend und forschend in die Augen, als erwarte er von mir eine beistimmende Aeutze- rung oder neue Mitteilung.

(Fortsetzung folgt.)