60.

Amts- und AuzeigeökaLt für den Bezirk Galw.

80. Jahrgang.

arschtimmgetaz«: DtintlOL. LonnerLtaz, EamS- ta-, «onntaz. Jns«rttonspr«it 10 Psg. pro Zeile für Stadt and Bqklsorte; außer Bezirt IS Pss-

Tagesncaigkeiten.

Calw. Jagdpächter Joh. Nothacker er­legte dieser Tage einen starken Auerhahn auf Speßhardter Markung. In andern Bezirken, in denen das Auerwild ständig ist, kamen bereits meh­rere Hähne zum Abschuß. Aus Jägerkceisen ver­nimmt man, daß dis Zahl des Auerwilds im Zu­nehmen sei.

Stuttgart, 11. April. Auf Grund des Weingesetzes bezw. Nahrungsmtttelgesetzes wurde letzter Tage der hies. Weinhändler Heinrich Katz, der im September v. I. 358 Liter mit 14prozsntiger Zuckerlösnng (wie gesetzlich zulässig) gemischten Rot­wein als neuen Hesstgheimer an einen Privat­abnehmer verkaufte, zu 40 Geldstrafe, dessen Kellermeister, der Küfer Wilhelm Groß hier, der in den Jahren 190304 verschiedenen Weinen ein Prozent Kirschensaft, der mit 15 Prozent Sprit ver­mengt war, zusetzte, um ihm eine bessere Farbe und ein schöneres Anssehen zu verleihen, und sie für Rechnung des elfteren als Naturweine verkaufte, zu 100 Geldstrafe verurteilt. Die Einziehung deS Weines wurde vom Gericht nicht verfügt, da der Zusatz nicht gesundheitsschädlich ist.

Stuttgart, 14. April. (Oberkriegs­gericht.) Ein Fall von Soldatenmißhandlung, der sämtliche Instanzen beschäftigte, kam heute vor dem OberkriegSgericht zur wiederholten Verhandlung. Der Sergeant Otto Kaschorreck vom Artillerie.Re­giment 49 war vom Kriegsgericht Ulm wegen Be­leidigung eines Untergebenen zu 2 Tagen Mittel- arrcst verurteilt worden, dagegen von einem Ver­gehen der Mißhandlung und Abhaltung des Unter­gebenen von der Beschwerde freigesprochen worden. Es war ihm zur Last gelegt, im Frühjahr 1901

Sonntag, den 16. April 1905.

dem Kanonier Hager mit den Worten:J'tzt hat das Aas die Pferde nicht getränkt" einen Schlag in das Gesicht versetzt zu haben, so daß Hager aus der Nase blutete. Kaschorrek bestritt sowohl iie Mißhandlung als die Beleidigung, während Hager bezeugte, er sei geschlugen und beleidigt worden. Gegen das Urteil des Kriegsgerichts legte der An­geklagte Berufung ein, ebenso der Gerichtsherr mit der Begründung, es liege Mißhandlung eines Unter­gebenen vor. Das Oberkriegszericht verwarf die Berufung des Gerichtsherrn, fand diejenige des An­geklagten als begründet und erkannte unter Aufheb­ung des kriegsgerichtlichen Urteils auf Freisprechung. Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß der Schlag unabsichtlich erfolgt war und daß der An­geklagte auch nicht die Absicht gehabt habe, den Hager zu beleidigen. Der Gerichtshof legte gegen dieses Urteil Revision ein. Das Reichsmilitärgericht gab der Revision statt und verwies die Sache zur noch­maligen Verhandlung und Entscheidung an das OberkriegSgericht. Auf Grund der Zeugenaussagen wurde der Angeklagte in der zweiten Verhandlung wegen Mißhandlung und Beleidigung eines Unter­gebenen zu 8 Tagen gelindem Arrest verurteilt. Bei der Strafvermessung kam neben der vorzüglichen Führung des Angeklagten in Betracht, daß er nicht nur von den Vorgesetzten, sondern auch von seinen Untergebenen als ein wohlwollender und humaner Unteroffizier geschildert wurde, der sich in diesem Falle nur im Diensteifer zu einer Ausschreitung Hinreißen ließ.

Stuttgart, 14. April. Bei der heutigen Ziehung der Pferdemarktlotterie fiel der erste Hauptgewinn von 40000 auf die Nummer 51272, der zweite Hauptgewinn von 10000 auf Nr. 21187, der dritte Hauptgewinn von 2000

Abonnementrpr. tnd. Stadtpr.Viertelj. Mk. I.IOincl.TrSgerl, !! MerteljLhrl.PostbezugSpretr ohne Beftellg. f. d. Orts- u. Nachbar- ortSverlehr 1 MI., s. d. sonst. Bcrlehr MI. 1.10, Bestellgeld 20 Pfg.

auf Nc. 22187. Der vierte und fünfte von je 1000 fielen auf die Nummern 23113 und 106616. 6 Gewinne L 500 fielen auf die Nummern 71656, 74297, 98440, 63763, 69 773 und 102935. (Ohne Gewähr.)

Stuttgart, 14. April. (Schillerfeier.) Für den Huldtgungszug des Handwerks am Nach­mittag des 9. Mai find schon 26 kostümierte Wagen- grnppen angemeldet. Beinahe alle Gewerbe werden im Zug, dessen Leitung in den Händen von Prof. Gicßler liegt, vertreten sein. Besondere Gruppen bilden die Stadtgarde zu Pferd, die Schützen, die Jäger, der Albverein, der Schutzverein für Handel und Gewerbe, die Handelskammer, der Gewerbe­verein rc.

Cannstatt, 14. April. Eine überaus gefahrvolle Arbeit verrichteten gestern morgen 2 Schieferdecker an der Lutherkirche. Der Hahn auf dem Turmkopf hing seit 8 Tagen schief. Zur obersten Turmöffnung und dann weiter auf zwei an der Außenseite deS Turmhelms übereinander angebrachten Leitern gelangte der eine der beherzten Männer an den Turmstock und an diesem in freier Kletterarbeit zum Wetterhahn. Dieser wurde herab­gelassen und glücklich gelangten beide Arbeiter wie­der durch eine kleine Oeffuung in den Turmhelm. Die Leitern an der Turmspitze bleiben stehen bis der Hahn wieder aufgesetzt werden kann. Vorüber­gehende konnten der Arbeit nur mit geheimem Grausen zuschallen.

El! Wangen, 14. April. Am vergangenen Mittwoch überfuhr It.Jpf- u. Jagstztg." ein Stammholzfuhrwerk die 76jährige Witwe Katharine Vater von Rosenberg. Beide Füße wurden ihr abgedrückt. Gestern starb die Bedauernswerte im hiesigen Krankenhaus.

Der Spion.

Historischer Roman aus der Geschichte des heutigen Rußlands von Julius Grosse.

(Fortsetzung.)

Smirnoff? Ich kannte einmal einen Popen dieses Namens in Nicslajew vor zwanzig Jahren, einen meiner Lieblingslehrer in der Kriegsschule; eS war ein leutseliger, unterwmfiger und schüchterner Herr. Sollte er seitdem auf das Land verschlagen sein? Vortrefflich, das könnte mir vieles erleichtern.

Ich teilte Frau Nadjeschda meine Vermutung mit und schlug ihr vor, zu­nächst bei ihm vorzufahren. Von dort konnte sich alles weitere entwickeln.

Dieser Vorschlag schien die erregte Frau endlich zu beruhigen, und so setzten wir am Mittag unsere Reise fort. Das Wetter hatte sich aufgeklärt, und unsere frischen Pferde griffen mutig aus. Noch vor Sonnenuntergang tauchte der Giebel und das Türmchen des Herrenhauses von Stanitza Tarussa auf auS den bereiften Wäldern.

Frau Nadjeschda'S Augen füllten sich mit Tränen, als sie die Heimat er­kannte, und die vorig», kaum bezwungene Aufregung kehrte zurück.

Glücklicherweise war Wassili Smirnoff, der würdige Pope von Tarussa heute zu Hause. Er stand am Fenster, und zu meiner Freude erkannte ich in dem alten Herrn meine» einstigen Lehrer in Nckolajiw. Dieselbe hohe G-stalt mit dem breiten Gesicht und der apostolischen Stirn und den klugen wohlwollenden Augen. Nur da- lange Haar war schneeweiß geworden und seine Haltung gebeugt.

Eine aste Schaffnerin öffnete die Tür, als wir vorgrfahren waren. Kaum hatte' ich meine Bitte auSgesprvchen, Batjuschka (Väterchen) Smirnoff selbst zu

sprechen, so erschien seine würdige Gestalt schon auf der Schwelle. Doch dr er eine Dame an meiner Seite sah und ihre Erschöpfung bemerkte, rief er in da» HiuS jnach seiner Frau und Dienstboten. Mit Ehrfurcht und Staunen wurde alsbald Frau Nadjeschda aus dem Schlitten gehoben. Niemand von allen An­wesenden schien sie wiederzuerkennen, offenbar hielt man sie für meine Frau.

Aber Matuschka (Mütterchen) Ustinja," sagte Frau Nadjeschda, als wir im warmen Vorraum waren,habe ich mich denn so verändert, daß ich Ihnen fremd geworden bin? Nicht wahr," fetzte sie traurig hinzu,mich haben Sie nicht erwartet nach so langer Zeit. Geben Sie mir doch die Hand, oder haben auch Sie den Stab über mich gebrochen? Das würde mir wehe tun."

Frau Ustinja Smirnoff machte große Augen und erhob vor Staunen die Arm». Dann aber küßte sie Frau Nadja beide Hände und erschöpfte sich in hundert Zärtlichkeiten, als habe sie selbst ein verlorenes Kind wiedergefunden. Aber nun kam in der Tat die Nachwirkung der letzten Erlebnisse wie der winter­lichen Kälte nach. Frau Nadjeschda zitterte bald in Frost, bald in Fieberhitze und mußte sofort zu Bett gebracht werden. Da kein Arzt zu haben, war ich in Sorge, aber Batjuschka Smirnoff kramte sofort in einem ungeheuren Schranke, dir seine Hausapotheke enthielt, zwischen allerhand Schachteln und Büchsen, welche Kräuter und Theesorten enthielten.

Inzwischen nahm ich seine würdige Ustinja bei Seite und bat sie, sofort auf da- Schloß zu schicken und unter irgend welchem Vorwand die alte Sascha, oder wenn möglich, Comteß Tatiana selbst holen zu lassen, aber empfahl zugleich nicht» von der Ankunft Frau Nadjeschda» zu verraten.

Aber da» wird ja kaum nötig sein" sagte sieBatjuschka Wassili erwartet ja ohnehin das Fräulein, es kann jeden Augenblick kommen. Wie war­ben», Wassili, wollte fi« nicht noch einmal beichten oder Rücksprache nehmen