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Bekanntmachung.
Vom 1. April dS. IS. wird der Amtssitz de» «o«1rollbe,i,ks II (bisher Kontrollbezirk IV) der Versicherungsanstalt Württemberg von Calw nach Stuttgart verlegt werden und es wird «onIrollsekretSr Becker seinen Wohnsitz in Calw aufgeben und nach Stuttgart überfiedeln.
Vorstehendes wird bekannt gemacht mit dem Anfügen, daß dadurch auch der wöchentliche Amtstag des Kontrollsekretärs in Calw in Wegfall kommt.
Calw, 14. März 1905.
K. Oberamt.
I. B. Amtm. Rippmann.
Die Ortspolizeibehörden
werden auf die Anordnung des Erlasses des Kgl. Ministeriums des Innern, vom 24. Febr. 1905, Min.-A.-Bl. S. 120, betreffend die Anlegung und Fortführung von Berzetchnisien über gewerblich« Betrieb«, welche fremd« Kinder beschäftigen besonders hingewiesen.
Calw, 16. März. 1905.
K. Oberamt.
Amtm. Rippmann.
Bekanntmachung.
In Schöckingen, Oberamts Leonberg, ist
die Manl- nnd «lanenfenche ausgebroche«.
Calw, 16. März 1905.
K. Oberamt.
Amtmann Rippmann.
Nagesnemgkeiten.
Unterreichenbach, 16. März. Am 1. März dS. Js. hat unser allgemein beliebter, unter dem Namen „Michele* überall bekannter Briefbote Michael Großhans, nach 18jähriger pflichtgetreuer und vorwurfsfreier Tätigkeit sein Amt als solcher niedergelegt, um seinen anderen Obliegenheiten als Amtsund Kirchendiener gerecht zu werden. Hat er es doch in früheren, noch rüstigeren Jahren fertig gebracht, alle oben genannten Aemter und dazu noch die Ausübung der Polizeigcwalt in sich in einer Person zu vereinigen. Wie leid Allen sein Weggang von dieser verantwortungsvollen Stelle war, das zeigte ein gelungener, gemütlicher „Abschiedsabend*, der ihm von seinen Amtsvorgesetzten und der hies. Geschäfts- und Verkehrswelt zu Ehren gegeben wurde. Da ihm — weil er nicht direkt von der Kgl. Postdirektion angestellt war — eine gesetzliche Pension nicht znkommen kann, so ist zu hoffen, daß er wohl mit einem Gratial bedacht werden wird. — Auch die hies. Einwohnerschaft will, wie man hört, ihm ein Andenken an seine Postdienstzeit in Gestalt einer Uhr verehren.
Herrenberg, 16. März. Der Dieb, welcher in den Weihnachtsfeiertagen ein Fahrrad gestohlen hat, ist nun ergriffen. Es ist der Dienstknecht Rothfuß in der 3. Ammermühle hier; damit er nicht noch einmal davonradelt, hat das Gericht ihn in Haft behalten. — Zwei Stromer, welche einem hiesigen Schutzmann ausriffen und
unter Verzicht auf ihre Schriften flohen, wurden von dem Landjäger in Bondorf eingeholt und zurückgebracht.
Stuttgart, 15. März. Auf dem gestrigen Seefischmarkt wurde der ganze Vorrat von 28 Ztr. verkauft. Der starke Andrang zu Beginn des Marktes hat nachgelassen vielmehr verteilen sich jetzt die Käufer auf die übrige Marktzeit. Vom 1. April ab wird der Seefischmarkt auch auf Cannstatt ausgedehnt werden.
Tübingen, 15. März. Der Student, der sich gestern durch einen Revolverschuß schwer verletzt hat, ist der vauä. watb. Heinrich Ertle von Stuttgart. Er ist heute morgen in der chirurgischen Klinik gestorben. Gestern mittag war er damit beschäftigt, seine Sachen zusammen zu packen, um sodann in die Ferien zu fahren. Während dieser Beschäftigung unterhielt er sich in der heitersten Weise mit seiner Hausfrau, von der er sich etwas Petroleum gebest ließ, um seinen Revolver von Rostflecken zn reinigen. Solange die Hausfrau das Petroleum holte, spielte Eitle mit der Waffe, die sich entlud. Die Kugel drang ihm ins Herz. Der Verunglückte ist das einzige Kind seiner Eltern. Selbstmord, von dem alsbald die Rede war, liegt somit nicht vor. Ertle, ein strebsamer junger Mann, hatte im Gegenteil in den letzten Tagen wiederholt geäußert, wie sehr er sich auf seine Ferienreise freue, die er mit seinen Eltern unternehmen wollte.
Tübingen, 16. März. Ein Selbstmörder von besonderer Art ist der seit einigen Tagen vom Hause abwesende Karl Hoß von Derendingen. Nachdem er seine Absicht schriftlich dem Oberamt gemeldet hatte, ging er beim Exerzierplatz an den Neckar, legte seinen Hut ab, band die Enden eines langen Strickes am rechten Bein und an einen Pfosten am Ufer fest und ging dann mit dem geladenen Revolver in die Fluten, die ihn alsbald verschlangen. Die Leiche ist bereits geländet.
Unterjettingen, 15. März. Beim Probieren einer alten Pistole zum Hochzeitsschieben ging die volle Ladung einem zuschaueuden Mädchen ins Gesicht; dasselbe wird ohne bleibende Nachteile nicht wieder hergestellt werden können.
Mundelsheim, 16. März. Gestern nachmittag wurde hier lt. Neckarzeitung die Leiche eines Gefreiten des 121. Jnfanterie-Regmts. angeschwemmt; dieselbe schien schon längere Zeit im Wasser gelegen zu haben. Die Wäsche war mit dem Buchstaben H.. O. gezeichnet.
Von der bayerischen Grenze, 16. März. Ueber die Gemeindtflnr von Jettin gen zog am Montag nachmittag das erste Gewitter, das sich in heftigen Blitzschlägen nnd Hagelschauern entlud. Der wolkenbruchartige Regen verursachte eine zeitweilige Uebcrschwemmung des Marktfleckens.
Berlin, 15. März. Die meisten auswärtigen Attaches bei der russischen Armee, darunter
ein britischer und zwei amerikanische Offiziere, fielen bei Mulden in die Hände der Japaner.
Breslau, 16. März. Nach amtlicher Mit- teilung erkrankten in der vergangenen Woche in Königshütte 4 Erwachsene und 41 Kinder an Genickstarre, hievon sind ein Erwachsener und 18 Kinder gestorben.
S t e ttin, 16. März. Der Provinzialland t a g der Provinz Pommern beschloß, wie die Stettiner Abendpost meldet, in seiner heutigen Sitzung, für ein Hochzeitsgeschenk für den Kronprinzen, ein Tafelservice für 50 Personen 60000 auszusetzen. Zur Silberhochzeit des KaiserpaareS soll eine Stiftung errichtet werden, für die 100 000 bewilligt wurden. Für die Verbesserung der Vorflut in der unteren Oder bewilligte der Provinziallandtag neuerdings 2 Millionen als Anteil der Provinz.
Schaffhausen, 14. März. Wie fich's geziemt, find hier die Württemberger zuerst aufgestanden, um das Andenken ihres größten Landmanns zu ehren. Im katholischen Vereinshaus veranstaltete, wie das „Tagebl. f. d. Kanton Schaffhausen* berichtet, der Württemberger-Verein eine Schillerfeier. Als sich der Vorhang hob, sah man in einer Tempelhalle eine Büste Schillers, umgeben bon Musen; vorn erhob sich eine Nachbildung der Schillerglocke. Im Kreis herum standen in weißen Gewändern und wallenden Haaren vier Jungfrauen, die Suevta, Germania, Helvetia und Scaphufla (Schaffhausen) darstellend. Jede pries in schwungvollen Versen den großen Toten von ihrem Standpunkt aus, so die Helvetia den Sänger Teils, die Scaphufia den Dichter des Lieds von der Glocke. Zum Schluß vereinigten sie sich zn einem gemeinsamen Preise und reichten dem Gefeierten den Lorbeer. Es war eine sehr hübsche und finnige Huldigung, die auch fürs Auge eine Weid bot. Hierauf wurden Schillers Gedichte vorgetragen und eine Scene aus Wilhelm Teil, „Teil mit dem Knaben", dargestellt. Den zweiten Teil bildete die Aufführung „Kabale und Liebe*. Im ganzen war die Schillerfeier eine Veranstaltung, auf die der Verein und besonders der unermüdliche Leiter, Hr. Diez, stolz sein darf. (Schw. M.)
Paris, 15. März. Admiral Alexejew, das Haupt der Kriegspartei, verbrachte wie aus Petersburg gemeldet wird, aus Einladung des Zaren den ganzen Tag in Zarskoje-Selo. Der Zar will wissen, wie die Kriegspartei über die Aussichten auf Erfolg bei Fortsetzung des Krieges denkt. Man versichert, der Zar werde noch in dieser Woche einen demFrieden zuneigenden Großfürsten empfangen.
Paris, 16. März. Der „Figaro" will aus guter Quelle erfahren haben, daß der Zar in einem demnächst erscheinenden Manifest die in letzter Zeit verbreiteten Gerüchte über einen angeblich von Rußland angestrebten Friedensschluß zerstreuen werde. Der Zar werde in diesem Manifest
Der Spion.
Historischer Roman aus der Geschichte des heutigen Rußlands von Julius Grosse.
(Fortsetzung.)
„Bei meinem Eintritt wandte der Kaiser den Kopf nach mir um, so daß ich ihm in das volle Antlitz sihen konnte. Unbeschreiblich war mir der Eindruck dieses edlen, schönen Hauptes, in dem Majestät und Hcrzensgüte von einem Ausdruck tiefer Trauer überschattet war. Alle meine Angst und Befangenheit war mit einem Male verschwunden. Nicht einen Zaren, wie ihn das Volk träumt, sah ich vor mir, nein, einen Menschen, der mit der Welt zerfallen, in seinem Eeelenschmerz.
„Er sprach: „Tritt näher, mein Sohn. Wie mir der Graf gemeldet, hast du eine Verschwörung entdeckt."
„So ist eS, Eure Majestät," antwortete ich.
„Welche Beweise hast du?" fragte der Kaiser wieder und sah mich unverwandt an.
„Ich knöpfte meinen Rock etwa» auf, nahm aus der Eeitentasche da» Verzeichnis und überreichte e» dem Kaiser und sagte: „Hier ist die Liste der gegen die Person Eurer Majestät übelgesinnten Gesellschaft. Von wem ich diese» Verzeichnis erhalten, kann ich Eurer Majestät nur unter vier Augen Mitteilen."
„Der Kaiser warf «inen forschenden Blick auf mich, trat dann zu der großen Lampe an den Tisch und sah da» Verzeichnis mit unruhigem Gesichts« auSdruck flüchtig durch. Bei einigen Namen funkelt« sein Auge auf, und seine Stirn runzelt« sich, aber er schüttelte nur schweigend das Haupt.
„Nach einer Weile endlich wandte er sich zum Grafen: „ES ist unerhört!
— Offiziere — Obersten — Generale — Fürsten aus den ältesten Häusern im Norden und im Süden und am meisten in den Militärkolonien. Haben Sie sich daS träumen lassen. Graf, als Sie diese Einrichtung schufen? Die Bollwerke der Sicherheit und Treue sind jetzt die Brutstätten der Empörung. Prätorianer- lager mit denselben Gefahren wie in alter Zeit. Aber ehe e» Rußland erlebt, daß die Krone dem Meistbietenden angetrogen wird, löse ich diese Legionen wieder auf!"
„Ich weiß nicht mehr, welche Antwort Graf Araktschejef gab. Der Kaiser wandte sich wieder zu mir und fixirte mich, als wolle er mir bis auf den Grund der Seele sehen. Aber mit gutem Gewissen konnte ich seinen Blick ertragen.
„Dann trat er wieder näher.
„Auf welch« Weise hast du dieses Geheimnis entdeckt?"
„Ich erzählte nun nmpändlich alles, was Ihnen schon bekannt ist, ohne jedoch die Namen derer zu nennen, die ich schonen wollte und die ich auch im Verzeichnis wexgelofsen. Der Kaiser hörte mich mit großer Aufmerksamkeit an und blickte dabei bald auf mich, bald auf den Grafen. Einige Male tat er Zwischenfragen, gleichsam um mich zu kontrolieren; auch über einige Personen muhte der Graf Erläuterungen geben, obschon der Kaiser all-S viel besser zu wissen schien.
„DaS dauert« über eine Stunde. AIS ich fertig war, blieb der Kaiser einig« Minuten in Gedanken versunken, dann sagte er halb zu dem Grafe» gewendet :
„Ist e» denn möglich, daß in meinem Reich solche Dinge Vorgehen. Gott im Himmel weiß, wie ich Jahre lang daran gearbeitet, das Glück meiner Völker zu fördern. Meine Absichten find die reinsten und heiligsten gewesen, und wenn die Edle dort' — er zeigt« auf ein Frauenbildnis über dem Schreibtisch, ich er-