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erklären, daß die letzten Ereignisse, so schmerzlich sie auch sein mögen, seine Zuversicht nicht erschüttert hätten, und daß er dasselbe Vertrauen wie bisher zu den unerschöpflichen Hilfsquellen, dem Mut und der Vaterlandsliebe des russischen Volkes hege um den Krieg fortzusetzen.
Florenz, 16. Mäq. „Agencia Stefani" meldet: Die Gräfin Montignoso teilte wegen der ungenauen, in etwa tausend Zeitungen in den letzten Tagen erschienenen Veröffentlichungen mit, daß der sächsische Hof seit 1. März ihre Apanage und die Zinsen ihrer Mitgift gesperrt habe; sie besitze keine Geldreserve, da sie mit der Apanage und den Zinsen der Mitgift immer für den Unterhalt der Prinzessin Monika gesorgt habe. Sie habe niemand als Unterhändler zum sächsischen Hof geschickt; vielmehr habe sie am 28. Febr. persönlich dem König telegraphiert, daß sie, um die weitere Oeffentlichkeit zu vermeiden, bereit sei, einen Vertreter ihrerseits zu entsenden, der dem Hofe die Wahrheit über die Verhältnisse darlegen könnte; sie habe aber keinerlei Antwort erhalten; sie, die Prinzessin, habe nicht die Advokaten Lachenal und Zehme beauftragt, mit dem sächsischen Staatsminister zu unterhandeln, sondern lediglich Vorschläge entgegenzunehmen, da sie sich jede Entscheidung selbst Vorbehalte.
Rom, 15. März. Prinz Johann Georg von Sachsen machte gestern in Begleitung einen Ausflug zu Fuß von Neapel nach Cumae, um die Akropolis-Höhe zu besuchen. Am Fuße des Berges angelangt, begannen sie gefolgt von zwei Geheimpolizisten den Aufstieg auf einem Prtvatweg, als sich dem Prinzen plötzlich mit hochgeschwungener Sichel ein Bauer entgegenstellte und den Fremden das Weitergehen verbot. Die Geheimpolizisten sagten den Bauern, der Herr sei ein Prinz, der nur die Aussicht vom Berggipfel genießen wolle und ihnen sicher jeden Schaden, den man der Saat zufügen könnte, ersetzen würde, aber der Bauer nahm keine Vernunft an und wollte auf den Prinzen etndringen. Sofort warfen sich die Agenten auf ihn und suchten ihn zu entwaffnen. Inzwischen kam noch eine Schaar anderer Bauern auf ihn zu und nahmen eine drohende Haltung gegen den Prinzen und seine Begleiter an, die es nun für geraten hielten, schleunigst zum Wagen zurück zu kehren und abzufahren. Der Quästor ließ unter den Bauern eine Anzahl verhaften wegen Bedrohung und Widerstandes gegen die Staatsgewalt.
— Das Abenteuer des Prinzen ist jetzt näher aufgeklärt. Der Begleiter des Prinzen Hauptmann v. Berlepsch berichtet darüber an den Hof: Ein Weinbergsarbeiter, der das Betreten der Akropolis von Cumae verhindern wollte, griff die Geheimpolizisten an. Zwei Gutsbesitzer gesellten sich lärmend dazu. Aber das geschickte Eingreifen der Polizisten verhinderte unangenehme Folgen.
Warschau, 15. März. Der Bauern- aufstand im Gouvernement Lublin wächst in besorgniserregender Weise uud alle Gutsbesitzer, welche nach Warschau gekommen waren zur Session der Ackerbaugesellschaft, erhielten Telegramme, sie sollten sofort auf ihre Besitzungen zurückkehren. Eine bei Omitrowsk im Gouvernement Orel gelegene Besitzung des Großfürsten Sergius wurde ausgeplündert und die dort befindlichen industriellen Anlagen niedergebrannt.
Kiew, 15. März. Drei große Zuckerfabriken, dem Großfürsten Michael Alexandrowitsch, dem Baron Mayendorff und den Tereschttschenko'schen Erben gehörig, find von aufständischen Bauern vollständig eingeäschert worden.
Odessa, 16. März. Im Gouvernement Jekaterinoslaw brachen auf dem Hüttenwerk der Firma Auerbach u. Co. plötzlich Unruhen aus. Die Arbeiter demolierten die Verwaltungsgebäude und raubten das Privateigentum der Beamten. Das herbeigeholte Militär wurde von den Arbeitern mit Steinwürfen empfangen, fodaß zahlreiche Soldaten verwundet wurden. Darauf gab das Militär Feuer. 7 Arbeiter wurden getötet, 12 sind schwer, 5 leicht verletzt.
Petersburg, 16. März. Heute begann vor dem Kriegsgericht der Prozeß gegen die 5 Offiziere und 3 Soldaten wegen des nach dem Wtnterpalais gerichteten Kanonenschusses. Die Verhandlung wird drei Tage in Anspruch nehmen.
Mr» j«M»is--ri>Mki, Arie-.
Petersburg, 15. März. Den letzten Meldungen zufolge befinden sich die ersten japanischen Kolonnen noch 10 Werst von Tieling entfernt. Die Japaner gehen mit großer Vorsicht vor, nachdem sie das Terrain ausgekundschaftet haben. Kuropatkin hat, wie bereits gemeldet, selbst seine Rückberufuug beantragt und es ist beschlossen worden, seinen Wunsch zu erfüllen. Im gestrigen Kriegsrat zu Zarskoje-Selo wurde der Posten eines Generalissismus dem Großfürsten Nikolaus Nikolaje- witsch angeboten und von diesem angenommen. General Suchominow ist zum militärischen Berater des Großfürsten und General Sacharow zum Chef des Generalstabes ernannt worden. Es heißt, daß auch Großfürst Sergius Nlkolajewitsch und Großfürst Constantia Constantinowitsch den Großfürsten Nikolaus nach dem Kriegsschauplatz begleiten werden.
Petersburg, 16. März. Die Abberufung Kuropatkins scheint nach der Prüfung der furchtbaren Niederlage bei Mukden zur Tatsache geworden zu sein. Wie von zuverlässiger informierter nicht militärischer Sette berichtet wird, sandte der Zar gestern abend folgende Depesche an Kuropatkin: Uebergeben Sie das Kommando an General Linjewitsch, der zur
temporären Führung der Armee auSer- seheu ist.
Berlin, 16. März. Die ursprüngliche Vermutung der Japaner, daß bei Mukden eine enorme Anzahl russischer Truppen in größeren Verbänden gefangen worden sei, scheint nach einem Telegramm des „Lok.-Anz." aus St. Petersburg übertrieben zu sein. Allmählich kehren manche versprengte Abteilungen zu ihren Truppenteilen zurück. So ist die 55. Division des VI. sibirischen Korps mst Umgehung der japanischen linken Flanke in voller Ordnung in Tieling eingetroffen. Der russische Generalstab hofft, daß auch andere vermißte Truppen sich wieder etufinden werden.
London, 15. März. Die „Times" berichtet aus Tieliug: Die Iapaner befinden sich nur noch einige Kilometer von der Stadt entfernt. Man erwartet jeden Augenblick neue Gefechte. Im Generalstabe wird erklärt, die feindlichen Truppen seien zu erschöpft, um ein neues Gefecht liefern zu können. Kuropatkin organistre in größter Eile seine Truppen, welche bereit find, neue Kämpfe auszu- halten.
London, 16. März. Den Zentral News zufolge griffen die Japaner am Dienstag die Befestigungen außerhalb der Stadt Tieling an, wurden aber von den Truppen Linjewitsch zu rück geschlagen. Sie ließen an 1000 Tote auf dem Kampfplatz. Die Russen verloren ebenfalls 1000 Mann an Toten und Verwundeten.
Vermischtes.
(Dampfschtffahrt.) Mit der Zunahme der Größenverhältnisse und Geschwindigkeit unserer heutigen modernen Ozeanrenner ist auch die Besatzungsziffer der Dampfer in rapider Weise gewachsen. Der Schnelldampfer des Norddeutschen Lloyd „Kaiser Wilhelm II.", der größte Schnelldampfer der Welt, weist eine Besatzung von nicht weniger als 657 Personen auf. Davon entfallen 78 Personen auf das nautische und Deckpersonal, 287 Personen auf das Küchen- und Bedienungspersonal und 292 Mann auf den Maschinenbetrieb. Außer 41 Maschinisten und Assistenten find zur Bedienung der Feuer der etwa 46 000 Pferdestärken indizierenden Maschinen 132 Heizer und 119 Kohlenzieher vorhanden. Der Kohlenverbrauch dieses Riesendampfers stellt sich auf 700 Tonnen pro Tag.
Gottesdienste.
Sonntag kvminisovr«, 19. März. Vom Turm: 11. Predigtlied: 273, Jesu, Seelcnfrcund rc. 9'/- Uhr: Vormittags-Predigt. Herr Dekan Roos. 1 Uhr: Christenlehre für die Töchter im Vereinshaus. 2 Uhr: Bibelstuude im Vereinshaus, Herr Stadt- Pfarrer Schund.
Donnerstag, 23. März. 8 Uhr abends: Bibelstunde im Vereinshaus, Herr Dekan Wurm.
Keiertag Mariä Verkündigung, 25. März. 9'/- Uhr: Predigt im Vereinshau«, Herr Vikar Volz.
fuhr später, daß es das Porträt der Frau von Kiüdener — „wenn die Edle dort hier wäre, sie könnte mir vielleicht raten mir ihrer EibyllcuweiSheit, ihrem Proph-tmmund. Welche erhabene Stunden, als wir die Allianz schufen zum Wähle Europas! — und nun diese Enttäuschungen! — Ach, was sind wir Menschen und was sind unsere Werke? — nur eitel Stückwerk vor dem Herrn."
„Und weiter sprach er: „Schon unter Zar Peter, unserem in Gott ruhenden Ahnherrn, war es so. Er glaubte, mit Gewalt diese Russen zu Menschen zu machen, aber der Firniß hat nicht lange vorgehalten, und Voltaire behält Recht: der Barbar kommt immer wieder zum Vorschein. Ich meinte sie mit Güte und Milde emporzuführen; nun bäumen Sie sich aber auf in Wildheit — ach, Graf, ich fürchte, mein Leben ist ein verlorenes gewesen. LaharpeS Lehren gelten für Rußland nicht, und auch Sie haben mich nicht die Pfade des rechten Heils geführt."
„Als der Graf reden wollte, gebot ihm der Kaiser zu schweigen und wandte sich zu mir:
„Und du, mein Sohn, welches Interesse hattest du, einen so kühnen Schritt zu wagen?"
„Nun muß ich einschalten, daß ich von meiner Vergangenheit, meinem Mißgeschick und meiner traurigen Lage dem Kaiser nichts gesagt hatte, darum verwirrte mich seine Frage, und ich stammelte einige Worte von Untertanentreue und Pflicht.
„Schöne Worte, das," sagte der Kaiser und fixierte mich wieder. „Aber ich höre an deiner Sprache wie an deinem Namen — du bist kein Russe."
„Nein, Majestät — von Geburt ein Engländer, aber Rußland ist seit Jahren mein Vaterland geworden.
„Und von einem Fremden also muß ich mir die Augen öffnen lassen! Es ist west mü uns gekommen! Graf, Sie können dem Polizeiminister empfehlen,
auf einige Jahre ins Ausland zu gehen. Was dich betrifft, mein Sohn, sage liebst du drin neues Vaterland?'
„Ja, Majestät, ich habe es lieben gelernt!" rief ich, „aber ich will eS auch nicht verhehlen, daß diese Liebe vernichtet wurde. Das Unglück meiner Familie — die allgemeine Korruption —"
„Der Kaiser unterbrach mich: „Ich weiß, mein Sohn, wir selbst haben darunter zu leiden. „Wenn sie wüßten, wohin mit den Schiffen, sie würden mir die Flotte in Kronstadt stehlen. Genug. Von deiner Familie ein andermal. — Ich danke einstweilen dir für deine Treue, die du mir und dem Trone bewiesen hast. Wenn sich diese Verschwörung bestätigt, so wirst du eine würdige Belohnung erhalten. Ich werde deine Dienste nicht vergessen, so wehe du mir getan hast. O, daß ich nicht daran glauben dürfte, daß ich nicht strafen müßte, die doch immer meine Kinder bleiben. Sprich kann ich dir heute eine Gnade erweisen?"
„Ja, Majestät, das können Sie!" rief ich.
„So erkläre dich, mein Sohn."
„Mein Mut war gewachsen. Einen Moment schwebte daS Wort mir auf der Zunge: «in Offizierkpatent und Versöhnung mit meinem Schwiegervater; aber das alles war versunken und meine Zunge wie gelähmt. Ich schämt« mich, meiner Person und meines Interesses nur zu erwähnen, wo das Geschick von Hunderten auf dem Spiel stand. Eine ungeheure Reue übrrkam mich, und fast unwillkürlich entschlüpften mir di« Worte: „Darf ich fragen, Majestät, was da» Loos der Verschwörer sein wird?"
„Der Kaiser stutzte einen Augenblick, so daß Graf Araktschejef einfiel:
„Auf Hochverrat steht der Tod durch den Strang!'
„Dann erbitte ich mir die Gnade im Voraus für Diejenigen, die ich bezeichnen werde." sagte ich. (Fortsetzung folgt.)