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Stuttgart, 27. Jan. Zu Ehren des heutigen Geburtstages des Kaisers haben die Kasernen, die staatlichen und städtischen Ge« bäude, sowie viele Privatgebäude reichen Flaggen« schmuck angelegt. In der evang. Garnisonskirche und in der kath. St. Eberhardskirche fanden be­sondere Militärgottesdienste statt, an denen sämtliche Offiziere, Sanitätsoffiziere, Militärbeamten, sowie Abordnungen der hiesigen Regimenter teilnahmen. In der EberhardSkirche waren die Herzöge Albrecht und Robert zugegen, in der evang. Garnisonskirche der kommandierende General von Hugo, der KriegS- mtnister von Schnürlen, aktive und inaktive Gene­rale. Anschließend an die Gottesdienste fand in der Gewerbehalle Paroleausgabe statt, wobei der kommandierende General ein 3facheS Hurra auf den Kaiser ausbrachte. Die Mufikkorps spielten die Nationalhymne. Während des Hurras erfolgte der Kaisersalut durch eine Batterie der Cannstatter Artillerieabteilung, die in den oberen Anlagen auf­gestellt war. Unteroffiziere und Mannschaften wurden in den Kasernen festlich bewirtet und waren Nachmittags dienstfrei. Die Reserve und Land­wehr-Offiziere feierten den Geburtstag gestern abend durch ein Festmahl im Hotel Marquardt, wobei Oberst von Geßler das Kaiserhoch aus­brachte.

Schorndorf, 27. Jan. Bet der heutigen Stadtschultheißenwahl wurde Amtmann Ratble mit 475 Stimmen gewählt. Der unterlegene Gegen­kandidat Schultheiß Beißwanger erhielt 439 Stim­men. Bekanntlich ist Beißwanger zweimal gewählt, aber von der Regierung nicht bestätigt worden. In der Zwischenzeit hat Amtmann Raible das Orts­vorsteheramt im Auftrag der Regierung verwaltet.

Sau lg au, 25. Jan. Am vorigen Sonn­tag Nachmittag ist ein IMHrigeS KtndSmädchen von Bondorf, welches hteher geschickt wurde, um Jemanden abzuholen, unterwegs von einem blut­jungen Burschen angefallen und vergewaltigt worden. Der jugendliche Verbrecher wurde in der Person eines 15 Jahre alten Dienstbuben ermittelt und in Hast genommen.

Darm stadt, 27. Jan. Gestern Nach­mittag fand eine große Kundgebung der auf der hiesigen Hochschule anwesenden russischen Stu­denten statt. Sie erschienen 300 Mann stark vor dem Palais der russischen Gesandschaft. Der Wortführer der Studenten hielt eine Ansprache an den Gesandten, worin er den Abscheu über die Petersburger Vorgänge aussprach. Der Gesandte antwortete, der Aufstand sei herbeigeführt worden durch gewisfenlose Führer der Arbeiter, die diese irre geleitet hätten. Die Versammlung zog ruhig in geschlossenem Zuge ab.

Berlin, 26. Jan. Der Handelsvertrag zwischen Deurschland und Oesterreich- Ungarn ist gestern abend deutscherseits durch die

Staatssekretäre des Innern und des Aeußern, Grafen Posadowsky und Frhr. v. Richthofen, und von österr.-ungar. Seite durch den Botschafter v. Szögyeny-Marich unterzeichnet worden.

Berlin, 27. Jan. Das Befinden des Prinzen Eitel Friedrich zeigte gestern Nach­mittag eine weitere Besserung. Der Prinz hat am Nachmittag einige Zeit geschlafen. Die At­mung ist ruhig. Der Puls zufriedenstellend.

Hamburg, 27. Jan. Mit dem Dampfer Eduard Wörmann" find heute die Leichen der in Deutsch Südwestafrika gefallenen Offiziere, Graf Arnim-Muskau und Egmont von Lelow an­gekommen. Sie werden morgen bezw. am Sonntag nach den Stammgütern der Familien Muskau in Schlesien und Glinsk in Posen befördert, wo die Beisetzung erfolgen soll.

Paris, 27. Jan. Petit Journal meldet aus Petersburg: In Moskau find neue Unruhen auSgebrochen. Wie verlautet, find 12000 Arbeiter in einer benachbarten Fabrikstadt in den Ausstand getreten. Dieselben durchziehen die Straßen unter Vorantragung von roten Fahnen und Abfingung von revolutionären Liedern. Die Zahl der dort anwesenden Truppen genügte nicht, um die Unruhen niederzukämpfen. Der Präfekt von Moskau hat ein Telegramm anschlagen lassen, worin behauptet wird, daß die russischen Revolutio­näre von der japanischen Regierung mit Geld­mitteln unterstützt werden. Der englische Konsul erhob dagegen bei der russischen Regierung Ein­spruch. Diese versprach, eine Untersuchung einzu­leiten und Maßregeln zu treffen, um eine Wieder­holung derartiger Vorfälle zu verhindern.

Petersburg, 27. Jan. Die von Mirski eingereichte Demission ist jetzt auf speziellen Wunsch des Zaren rückgängig gemacht worden. Der Minister verbleibt daher auf seinem Posten. Der Priester Gapon, der flüchtig geworden ist, hat 35 000 Rubel aus der Arbeiterkasse mitgenom­men, vermutlich um das Geld vor der Konfiskation zu retten. Kleine Fabriken haben bereits die Arbeit ausgenommen, in den großen soll am Montag be­gonnen werden.

Petersburg, 27. Jan. Der Zar soll dem Großfürsten Wladimir seinen Dank für die Unterwerfung des Aufstandes in Petersburg aus­gedrückt haben. Ferner verlautet, der Zar habe eine Arbeiter-Deputation zu sich befohlen, weil ihm von einer hochstehenden Persönlichkeit mitgeteilt worden war, daß die Bewegung sich nicht gegen die Person des Zaren, sondern gegen die Verwaltung richtet.

Petersburg, 27. Jan. Der Kaiser über­sandte dem am 28. ds. von Libau abgehenden Geschwader 6 Heiligenbilder, woraus ersicht­lich ist, daß er sich nicht persönlich von der Flotte verabschieden wird.

Ln all dies und vieles andere dachte sie, als sie auf der Causeuse lag und vor sich hintröumte.

Reimer war heute nicht gekommen. Er scheute sich wohl etwas, da er gestern Abend im Spiel eine größere Summe verloren hatte, und zog eS vor, ihre Hilfe brieflich in Anspruch zu nehmen. Olga zürnte ihm deshalb nicht, im Gegenteil, diese Passion fürs Spiel hatte etwa« Sportmäßiges an sich.

Als sie eben überlegte, was sie in den nächsten Stunden beginnen sollte, klopft« eS leise an ihre Türe. Auf ihrHerein" trat der Hotelbesitzer ein. Nach seinen verlegenen Mienen zu urteilen, mußte es etwas peinliches sein, was er mitzuteilen hatte. Auf ihre Frage nach seinem Wunsche sagte er:Gnädigste Frau wollen ja doch in den nächsten Tagen abreisen, würden Sie die Güte haben, mir schon heute Ihre Zimmer abzutreten? Es liegt mir hauptsächlich an diesem Salon; selbstverständlich stehen andere Zimmer zu Ihrer Verfügung."

Olga nickte.Warum nicht, Herr Schwabe, wenn Ihnen ein Gefallen damit geschieht. Sie erwarten wohl hohe Gäste?"

Schwabe schwieg, noch immer verlegen. Olga wurde aufmerksam.

Nun, wen erwarten Sie?"

Fräulein Frida Warnsdorf, die berühmte Tragödin."

Olga war aufgesprungen.Fräulein Warnsdorf will hier wohnen? Und deshalb soll ich Platz machen? Nein, mein Herr, bringen Sie die Dame unter, wo sie wollen, ich bleibe noch längere Zeit hier."

Ihr Ton war so entschieden und abweisend, daß der eingeschüchterte Mann keine Einwendungen wagte. Er empfahl sich und verließ das Zimmer.

Olga schritt erregt hin und her. Wieder sie und immer sie; immer sollte sie ihr Platz machen, ihr, die ihr die Liebe ihres Gatten gestohlen, sie aus seinem Herzen verdrängt hatte. Daß Frida ihre« Mannes Liebe früher besessen und sie ihn ihr entrissen hatte, daran dacht« sie nicht. Frida kam hierher, doch jedenfalls

Petersburg, 27. Jan. Auf dem Jeka- terinoslaw-Platze fand gestern Abend eine Kund­gebung der Ausständigen statt. Die Menge durchzog die Straßen und griff die Polizei an, wobei ein Polizist durch einen Revolverschuß getötet wurde. Es mußten Truppen requiriert werden, um die Kundgeber zu zerstreuen.

Petersburg, 27. Jan. Wie aus Riga gemeldet wird, hatte der Zusammenstoß, der um 5 Uhr zwischen Arbeitern der Konsnetow-Fabrik und der Polizei stattfand, ein schreckliches Resultat. Die Arbeiter wollten über die eiserne Brücke mar­schieren, aber der Weg war durch Polizeitruppen abgesperrt. Die Streikenden versuchten Stand zu halten, worauf die Truppen feuerten. Mehrere Salven wurden auf die dichtgedrängte Menge ab­gegeben. Viele wurden getötet und verwundet. Die Arbeiter flohen in wilder Panik.

Riga, 27. Jan. Maxim Gorki wurde als Gefangener von hier nach Petersburg geschickt. Bei den gestrigen Straßenkäwpfen wurden 42 Per­sonen getötet, 50 verwundet. Eine große Anzahl ist unter dem»a-Eis ertrunken. Unter den Toten und Verwundeten befinden sich auch viele Studenten. Heute find Kosaken hier eingetroffen. Die Theater sind geschlossen. Die Zeitungen erscheinen nicht.

Wilna, 27. Jan. Die Lage ist sehr ernst. Mehrere Zusammenstöße zwischen Ausständigen und Polizei haben stattgefunden, wobei über 30 Personen getötet oder verwundet wurden. Unter den Opfern befinden sich mehrere Soldaten und Polizisten.

Den Mitteilungen eines finnischen Groß­kaufmanns, der am Mittwoch aus Petersburg in Wien ankam, entnimmt dieN. Fr. Pr." folgende anschauliche Schilderungen der Vorgänge am Sonn­tag: Man ist in Petersburg allgemein der Ueberzeugung, daß die furchtbaren Szenen hätten vermieden werden können, wenn man eine Abordnung der Arbeiter empfangen oder wenigstens versucht hätte, die Arbeiterkolonnen mir weniger brutalen Mitteln zurückznhalten. Die Massen, die sich am Sonntag um die Mittagsstunde der Stadt zuwälzten, dachten an nichts weniger als an Gewalt und Re­volution; es war ihnen nur um eine Demonstration zu tun, denn sonst hätten sie Weib und Kind nicht mitgebracht, wie es tatsächlich geschehen ist, und sie wären auch nicht unbewaffnet erschienen . .. Der Sonntag Vormittag war ganz ruhig verlaufen. Es herrschte das gewöhnliche Sonntagstreiben; nur die Militärpatrouillen, welche die Straßen durchzogen, und die großen Gardeabteilungen, welche bei den Brücken, vor dem Winterpalais und am Newsky- prospckt in Reih und Glied gestellt waren, deuteten darauf hin, daß sich große Dinge vorbereiteten. Etwa um 12 Uhr mittags kamen die ersten Nach­richten, daß große Arbeiterkolonnen sich im Anmarsch gegen die Stadt befändeu; ste kamen von der Wossiljewskijvorstadt und stauten sich bei den Brücken,

mit ihm, als seine Pflegerin. Wie sie sic um diese« Amt, das sie sie,willig auigegeben, oder vielmehr nie ausgeübt botre, plötzlich beneidete. Sir haßte dieses Mädchen, über welches sie so viel Herzeleid gebracht hatte, umsomehr, weil sie die Größe unwillkürlich bewundern mußte, mit welcher Frida alles Weh, jede K änkang vergoß und zu dem Manne, der sie verkannt und verlassen hatte, in drm Augenblick zuriickkehrte, als er krank an Leib und Seele, vernach­lässigt von der pflichtvergessenen Frau, ihrer bedurfte.

Der Gedanke, sie hier an seiner Seite wieder zu sehen, machte sie rasend, und doch wollte si-, bleiben. Sie war in der Erregung aus den Balkon getreten; da ging g-rade die kleine Frau v. Saatfeld vorüber. Sie nickte ihr zu, und während Olga liebenswürdig den Gruß erwiderte, kam ihr «in Gedanke. Sie rief die hübsche, wegen ihrer Schwatzhaftigkeit bekannte junge Frau an mit den Worten:Warten Sie einen Augenblick, ich komme hinunter. Ich will Ihnen eine Mitteilung machen, die Sie interessieren dürfte."

Lebhaft nickte Feem v. Saalfeld. Ein« interessante Neuigkeit, dos war ihr Fall. Neugierde und Schwatzhaftigkeit gehen mit der Medisance fast stets Hand in Hand. Olga wußte wobl, daß jede Mitteilung, dieser Frau gemacht, dem Annoncieren in einer vielgelescnen Zeitung gleichkam. Als Olga unten durch Len Hausflur schritt, sah sie den Hotelbesitzer, der ihr verdrießlich auswich. Er ärgerte sich sichtlich, die berühmte Schauspielerin nicht aufnehmen zu können, denn der schlaue Mann wußte sehr wohl, daß das seinem Hotel einen gewissen Nimbus verliehen hätte.

Olga hatte sich auf das Lebhafteste mit der jungen Frau begrüßt, und schon nach wenigen Minuten wußte Frau von Saalfeld, daß die in letzter Zeit viel genannte und bewunderte Künstlerin Frida Warnsdorf in Wiesbaden ein- treffen würde, begleitet von ihrem Geliebten.

(Fortsetzung folgt.)