Aus Stadt. Bezirk und Umgebung.

Auf Grund der in den Monaten Mai und Juni 1920 vorgenommenen mittleren Verwaltungsdienstprüfung ist u. a. zur Uebernahme der in Paragraph 1 der Verordnung vom 16. Okt. 1913 (Regs-Bl. S. 244) bezeichneten Aemter für be­fähigt ertlärt. und zum Verwaltungspraktikanten bestellt wor­den: Hugo Benzing von Schwarzenberg.

Reuenbürg, 10. Juli. Am Samstag Nachmittag fand in derEintracht" eine Sitzung des erweiterten Aus­schusses des Landwirtschaftlichen Bezirksvc- reins unter dem Vorsitz des Vereinsvorstandes, Oberamts- pfleger Kübler, statt. Gegenstand der dreistündigen Be­ratung bildete außer laufenden Vereins-Angelegenheiten, eine offene Aussprache über die Ereignisse der letzten drei Viertel­jahre, in deren Vordergrund namentlich die Kunstdüngerfrage, Milchpreis und Milchablieferung, die Frage der Aufhebung der Zwangswirtschaft, Protestversammlung der Arbeiterschaft gegen Teuerung und Wucher und Stellungnahme der Land­wirte hiezu standen. Einleitend erstattete der Vorsitzende Bericht über Fortbildungskurse für ältere Landwirte, welche im Mai d. I. von Vertretern der landw. Schule in Leonberg in den Ge­meinden Maisenvach und Langenbrand abgchalten wurden, in beiden Gemeinden gut besucht waren und ein befriedigendes Ergebnis zeitigten. Die Landwirte konnten ihre Kenntnisse na­mentlich in Bezug aus Anwendung von Kunstdünger und an­dere landwirtschaftl. Düngemittel auffrischen und mit Berufsge­noffen Aussprache pflegen. Wünschenswert sei, daß auch in anderen Gemeinden derartige Kurse veranstaltet würden, wie überhaupt dem Besuch landwirtschaftlicher Kurse namentlich für jüngere Landwirte ein besonderes Augenmerk zugewendet werden sollte. Weiter brachte der Vorsitzende eine Zuschrift zur Kenntnis der Anwesenden über Anwendung eines neuen Kunstdüngers, des sog. Ammon-Sulphat-Salpeters. Es sei dies ein Kunstprodukt, das, in den badischen Anilin- und So­dafabriken in Ludwigshafen hergestellt, an Stelle des früheren Chilisalpeters treten und uns vom Ausland unabhängig ma­chen soll. Die gemachten Erfahrungen waren gute, seine Vor­züge gegenüber anderen Kunstdüngern in mancherlei Hinsicht unverkennbar. Leider sei der Preis wie der der meisten künst­lichen Düngemittel ein ganz abnorm hoher; zu wünschen wäre, daß bis Herbst eine Verbilligung eintrete, welche die Anschaf­fung den Landwirten erleichtere. Die Kündigung bei dem Verein der Kriegshilse in Württemberg, welcher der Verein mit einem Jahresbeitrag von 100 Mark angehört und der die Aufgabe hatte, ausmarschierte Landwirte, die in eine wirtschaft­liche Notlage gerieten, finanziell zu unterstützen, wurde, da hievon so gut wie gar kein Gebrauch gemacht wurde, bes blas­sen und dem Ausschuß das weitere überlassen. Vom württ. Viehverwertungsverband, dem keine Händler, nurJnteressenten u.Erzeugergenoffenschaften angehören, so auch der l. Bezirksve­rein, u. der namentlich dieAufgabe hat, Schlachtvieh in den ein­zelnen Bezirken des Landes unter Ausschaltung des Zwischen­handels in die größeren Städte zu liefern, liegt eine Zuschrift in dieser Richtung vor. Im Hinblick auf die Aushebung der Zwangswirtschaft für Schweine und Rindvieh und weil in unserem Bezirk die Verhältnisse anders gelagert sind wie an­derswo, dürfte der Verband bei uns eine nennenswerte Tätig­keit kaum entfalten. Es dürfte sich empfehlen, mit dem Ver­band in Fühlung zu bleiben, im übrigen aber den seitherigen Aufkäufer, Herrn Ochner sen., zu beauftragen, darnach zu stre­ben, möglichst viel Vieh aus anderen Bezirken hereinzubrin­gen. Einen weiteren Gegenstand der Beratungen bildete die Strafverfolgung einer Reihe von Mitgliedern der landw. Orts­vereine, die sich nach Vereinbarung in den landw. Ortsvereinen darum annahmen, die früheren in keinem Verhältnis zu den Gestehungskosten stehenden Milchpreise auf eine angemessene Höhe zu bringen. Einzelne Vorstände sind dadurch, daß sie schriftliche Aeußerungen in diesem Sinne öffentlich abgaben, Von der Landesversorgungsstelle bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht und von letzterer zu Geldstrafen verurteilt worden. Da die Betreffenden rein im Interesse ihrer Orga­nisation handelten, wurde beschlossen, die gegen sie verhäng­ten Strafen auf den Landw. Bezirksverein zu übernehmen, weil andernfalls anzunchmen ist, daß sich niemand mehr zur Leitung der Ortsvercine bereit finden läßt. Gegen das Urteil ist Revision eingelegt, außerdem soll darauf hingewirkt wer­den, daß durch ein Gesuch an die Regierung die Strafe im Gnadenwege erlassen werde.

Uebergehend zur Milchpreisfrage betonte der Vorsitzende,

wie die Erhöhung des Milchpreises beim Erzeuger auf 1 ^ 20 H durch das Ernährungsministerium bei denErzeugern eine überraschende, bei den Verbrauchern eine viel Staub aufwir­belnde Wirkung auslöste, weil angesichts des Niederganges der Industrie und dadurch entstehender vermehrter Arbeitslosigkeit die hohen Lebensmittelpreise nicht mehr verkraftet werden kön­nen. Die Milch sei eines der unentbehrlichsten Lebensmittel für Alle, vornehmlich aber fürWLchnerinnen, Kinder ».Greise. Red­ner berichtete über die vor kurzem in Stuttgart stattgefundenen gemeinsamen Beratungen des landw. Hauptverbands, der Vor­stände der landw. Bezirksvereine, Vertreter. der Zentralstelle für die Landwirtschaft anwohnten. Die Meinung ging dahin, daß man reicht allgemein auf einem Erzeugerpreis von 1 ^ 20 H bestehen bleibe, man solle in Bezirken, wo die lo­kalen Verhältnisse günstiger für die Landwirtschaft liegen, ent­sprechend billigere Preise stellen. Es wurde auch der Tatsache das Wort geredet, nachdem doch die Zeit gekommen sei, daß die Zwangswirtschaft verschwinden müsse, daß man gewisse Ue- bergangsmaßnahmen treffen müsse, welche die Herstellung des alten Zustandes wie vor dem Kriege ermöglichen. Selbstver­ständlich könne das nicht von heute auf morgen geschehen, aber ein Anfang müsse jetzt gemacht werden. Dian kam dabei auf den Gedanken, daß Bedarfsgemeinden mit Ueberschußgemein- den Lieferungsverträge abschließen sollen und Erzeuger und Verbraucher sich auf diese Weise einander nähern. In einer weiteren Versammlung aller Kommunalverbändc wurde be­tont, daß man in Bezug aus Preisbildung Maß halten müsse. Die Schraube ohne Ende sei auf ihrem Kulminations-(Höchst-) Punkt angelangt; man müsse sich in allen Kreisen darüber Gedanken machen, wie man in eine andere Bewegung hinein­kommen könne; man müsse den Verbrauchern entgegenkom- men. Die Zwangswirtschaft dürfte durchweg mit Ausnahme von Brotgetreide und Milch im Laufe des Jahres abgeschafft werden; für diese beiden letzteren Artikel bleibe sie noch be­stehen, weil die Regierung mangels aller Vorräte die Verant­wortung einer Freigabe nicht tragen zu können glaube, bei Milch, weil man mit einer geringeren Produktion zu rechnen habe. Kohlen und Zucker dürften vielleicht auch noch bewirt­schaftet bleiben, hingegen dürftenFette, Ocle, Eier, Fleisch, Kar­toffeln usw. freigegeben werden. Der genossenschaftliche Auf­kauf für Kartoffeln zum Preise von 25 ^ und 5 ^ Prämie für den Zentner dürfte infolge der günstigen Ernteaussichten voraussichtlich eingestellt werden. Mit Nachdruck wies Red­ner darauf hin, daß die Landwirte ihrer Lieferungspflicht Nachkommen sollen; es habe keinen Wert, wenn man um hö­here Preise petitioniere und dann doch nicht liefere; dies treffe namentlich für Milch zu. Jeder Landwirt sollte es als Ehren­pflicht betrachten, jetzt, wo wir uns dem Ende der Zwangs­wirtschaft nähern, alles daran zu setzen, abzuliefern was ir­gendwie entbehrlich sei. Dies sei nur ein kluger Standpunkt auf den man sich auch in den landw. Ortsvereinen stellen solle. Der Mangel an allem und die Teuerung hätten es mit sich gebracht, daß zwischen Erzeugern und Verbrauchern eine ge­wisse Entfremdung eingerissen habe. Alle Berufsstände seien aber aufeinander angewiesen, alle müssen sich auf einen ver­träglichen Standpunkt zu einander stellen. Es habe keinen Sinn, wenn man dem Geld zuliebe alles auf den Kopf stelle. Die Verhältnisse in der Stadt seien nicht mehr angenehm, und wenn die Leute nicht mehr voll arbeiten können, wovon sollen sie dann leben bei den hohen Lebensmittelpreisen? Daher sei es absolut, notwendig, daß man den Verbrauchern entgegen­komme. Unter Hinweis auf die hier gegen Teuerung und Wucher stattgehabte von etwa 600700 Personen von hier und aus dem Bezirk besuchte Protestversammlung machte Red­ner auf den Ernst der Lage und die tiefe Erregung aufmerk­sam, welche namentlich in der Arbeiterschaft wegen der fast unerschwinglich hohen Lebensmittelpreise und dem Mangel an Milch trotz der hohen Preise herrsche und bezeichnete es als wünschenswert, wenn auch der erweiterte Ausschuß des landw. Bezirksvereins nach gründlicher Aussprache in einer Resolu­tion seinen Standpunkt gegenüber der Protestversammlung zum Ausdruck bringen würde, denn:Eines Mannes,Rede ist keine Rede, man muß sie hören alle Leede." Persönlich be­merkte er, daß er wegen seiner Stellungnahme von landwirt­schaftlicher wie von Verbraucherseite mit scheelen Augen ange­sehen werde. Er würde keine Stunde länger das undankbare Amt als Leiter des Kommunalverbands beibehalten, wenn nicht die Interessen des Bezirks dabei im Spiele ständen. Er wisse bestimmt, daß wenn er die Sache schnappen ließe, daß sich nie­mand fände, welcher das unangenehme Amt übernehmen wür­

de. Dm Verantwortung se, mel zu groß und darum ^ , er als Beamter der Amtskörperschaft im Interesse es als seine Pflicht, trotz aller Widerwärtigkeiten bis^ ligen Aufhebung auf seinem Posten auszuharren ^ ^ Die eindringlichen Worte, welche so recht den' tiek-» ^ der wirtschaftlichen Lage im Bezirk zum Ausdruck machten sichtlichen Eindruck auf alle Anwesenden > »>

sich in der sich hieran anschließenden Aussprache in von einer größeren Zahl von Vertretern der landw?' reine das Wort ergriffen wurde. U. a. wurde scharf da Stellung genommen, wie gegen Landwirt Weik-Otwnn^ in seiner Eigenschaft als Getreidekommissär von der Nrwn

Versammlung nachgerade ein Mißtrauensvotum obne ".'......'.

Beweisgründe zusammenkonstruiert wurde, ein mehr als bescheidenes Taggeld, in welchem alle Reistkn» und Diäten eingeschlossen seien, ein Taggeld, um welches ? Arbeiter sich dazu hergeben würde, voll und ganz seine Mil. gewissenhaft erfüllt; der erweiterte Ausschuß spreche ihm?' diesem Anlaß sein volles Vertrauen aus. Die weiteren Aus führungen drehten sich im allgemeinen um den Milchpreis L? vorgchoben wurden die Gestehungskosten, die sich nachgewick »ermaßen Lei den teuren Heupreisen, den hohen Arbeitslohn? wie bei den teuren Preisen aller für die Landwirtschaft ,» Betracht kommenden Materialien, Maschinen, Geräten Gebrauchsartikeln auf 1 53 H stellen. Der jetzige Nr-!i

von 1 ^ 20 H wurde heute als eine Ueberraschung bezM. net, die dem Landwirt gegenüber dem früheren Preis am gesichts der teuren Heupreise als ein teilweiser Ausgleich aelt? Erbitternd habe das Herbeiholen des Militärs gewirkt. Wen« die Einwohnerwehr, wie in der Protestversammlung angeführt mit den Gewehren sich die Milch bei den Landwirten hole, wollte, äußerte sich Privatim ein Versammlungsteilnehmer so würde sie die Landwirte gerüstet finden; es würde ungut, Sachen absetzen. Pforzheim, Karlsruhe, Herrenalb, Wildba! und Schömberg wurden als Plätze bezeichnet, die manche, Landwirt in die Versuchung bringen, seine Milch im Schleich Handelsweg abzugeben anstatt an die Sammelstelle abzuliesen wurde doch der überraschend hohe Preis von 5 für das ter genannt, welcher in Herrenalb schon bezahlt wurde, dürfe es nicht wundern, wenn manche Bauersfrau der Val suchung erliege. Hervorgehobcn wurde auch, daß die Pch hältnisse im Bezirk für den Landwirt wesentlich ungünstig liegen als im Oberland, wo der Bauer bedeutend billiger -ch duzieren könne. Ein Vertreter der Waldgemeinden bemerk,! daß man dort der Ansicht sei, daß die Arbeiter gleichfalls m gegenkommend sich zeigen sollen, Arbeitslvsen-UnterstützW sollte nur jenen bezahlt werden, die tatsächlich keine AM finden, der Achtstundentag sei viel schuld an den traurigenVei! yältnissen, in welchen wir uns befinden und sei mit eine Ursch" der teuren landw. Maschinen und Geräte. Das Benehmen w! Arbeitermilchhamsterern gegenüber Herrenmilchhamstere:, wurde kritisiert. Trotz allem Bitteren aber, das ein Zeiche? der Zeit den Gegensatz zwischen Erzeuger und Verbrauchs veranschaulichte, machte sich doch eine versöhnlichere Stirmmch geltend, im Hinblick auf die allgemeine Not, die besonders is den Verbraucherkreisen herrscht. Vom Vorsitzenden wiedeii holt, wie von verschiedenen Rednern wurde einer restlosen U, lieferung aller irgend entbehrlichen Milch an die Sammelst len das Wort geredet und die Vertreter aufgefordert, in ie, Ortsvereinen in diesem Sinne zu wirken. Wegen des Prä­ses wurde ein Beschluß noch nicht gefaßt- jedoch empfohlen,' den Ortsvereinen eine entgegenkommende Haltung einzmch' men, Hauptsache aber solle sein: restlose Ablieferung aller mH für den eigenen Haushalt benötigten Milch an die Sannst stellen und Verweigerung der Abgabe zu unerschwinglich« Preisen auf dem Wege des «Schleichhandels. Die in wohltuend« Ruhe und Ordnung stattgehabte Aussprache verdichtete sich zl' folgender vom Vorsitzenden vorgeschlagenen, einstimmig ang!- nommenen

Resolution

des Bezirks-Ausschusses zur Frage des Abbaus der Zwangs Wirtschaft und die Stellungnahme gegen die Teuerungs-TeuM stration in Neuenbürg:

1. Die Vertreter der landwirtschaftlichen Organisatm des Bezirks erhoffen von dem Abbau der ZwangswirtW eine Förderung der Produktion und damit eine Erleicht,,, rung der Volksernährung und eine Milderung der Preis Verhältnisse. I

2. Jnsolange die Zwangswirtschaft für Brotgetreide und Milch für notwendig gehalten wird, empfehlen wir des

Art läßt Mt iM Art.

Roman von H. H^ill.

65s (Nachdruck verboten.)

Der Wachtmeister war diskret zurückgetreten, während die Kammerzofe sich mit einer Miene der Ueberraschung anschickte, die Depesche zu lesen. In diesem Augenblick kam der Freiherr von Reckenburg aus der Richtung des Gasthofes her und blieb stehen, als er des Wachtmeisters ansichtig wurde. Die beiden Männer hatten indessen noch kaum Zeit gefunden, sich zu begrüßen, als ein lauter Ausruf von Mademoiselle Leblanches Lippen den Wacht­meister veranlaßte, ihr wieder seine Aufmerksamkeit zuzu­wenden.

Auch der Freiherr erkannte in ihr jetzt die französische Jungfer seiner Cousine, und als er des entfalteten Tele­gramms in ihrer Hand ansichtig wurde, fragte er:

Ich hoffe, es ist keine Nachricht unangenehmer Art, die Sie da erhalten haben, Mademoiselle?"

Nein, Herr Baron," lautete die Antwort,nicht un­angenehm, aber so sehr überraschend. Bitte Sie können ja selbst lesen. Es ist ja schon früher vorgekommen, daß ich der gnädigen Komtesse irgend etwas in die Stadt bringen mußte, wenn sie sich für kürzere oder längere Zeit dort aufhielt. Aber sie hat sich in solchen Fällen niemals an mich direkt, sondern immer an die Frau Gräfin gewendet, die mir dann die erforderlichen Befehle erteilte."

Kurt von Reckenburg hörte kaum auf das, was sie schwatzte. Mit einer wahren Gier überflogen seine Augen die wenigen Worte des Telegramms, das vor wenig mehr als einer Stunde in der Hauptstadt aufgegeben worden war und folgenden Wortlaut hatte:

Habe mich entschlossen, vorläufig noch hier zu bleiben. Benutzen Sie den nächsten Zug, um mir Kleidung und Wäsche für etwa eine Woche zu bringen ebenso die beiden Gesellschaftskleider in Schwarz. Werde Sie am Bahnhof erwarten. Edith Donnersberg.

Da ist alles in Ordnung," erklärte der Freiherr, indem er der Zofe das Blatt zurückreichte.Wenn Sie sich ein wenig tummeln, können Sie den Zug, welcher zehn Uhr fünfundvierzig Minuten abfährt, noch recht gut erreichen."

Aber es hätte der Mahnung zur Eile für Made­moiselle Leblanche nicht erst bedurft. Die Aussicht auf einen längeren Aufenthalt in der Stadt wog das leichte Bedauern über den so rasch unterbrochenen Flirt mit dem hübschen Wachtmeister hundertfach auf, und sie hatte kaum noch einen Blick für ihn gehabt, ehe sie sich um­wandte, um fast im Laufschritt zum Schlosse zurückzu» kehren.

Mit einem hörbaren Seufzer schaute ihr der gute Wachtmeister nach. Die Vereitelung einer schönen Hoff­nung ging ihm ersichtlich sehr nahe. Aber er war doch gleich wieder ganz und gar bei der Sache, als der Frei­herr sagte:

Ich hörte, daß Sie im Gasthofe nach mir gefragt haben. Dieser Wunsch, mich zu sehen, läßt mich hoffen, daß ich nicht länger auf Ihrer schwarzen Liste stehe."

Der Wachtmeister lächelte etwas verlegen, aber auch einer nach seinem eigenen Empfinden so hoch über ihm stehenden Persönlichkeit gegenüber verleugnete er die na­türliche Aufrichtigkeit seines Wesens nicht.

Ich bin nicht nachträglich, Herr Baron, und ich weiß auch, was sich für einen Mann in meiner bescheidenen Stellung geziemt. Aber ich kann nicht leugnen, daß es mich ein wenig aus der Fassung brachte, als ich hören mußte, daß Sie die Flucht dieses Doktor Odemar zugelassen hatten. Hätte ich mich nicht so fest darauf verlassen, daß nichts Derartiges passieren könnte, solange Sie im Gast­hofe waren und den Mann überwachten, so würde ich das Haus selbstverständlich nicht für eine Minute aus den Augen gelassen haben."

Sehr wohl. Und was hat der Herr Polizeirat dazu gesagt?"

Wie ? Sie wissen, daß ich in der Stadt gewesen bin, um mit ihm zu sprechen?"

Wenn es mir darauf ankäme, Ihnen zu imponieren,f würde ich antworten: Ich weiß alles. Aber in Wahrheit ^ ist es damit nicht so weit her. Ich weiß von Ihrem« Rapport bei dem Polizeirat nur durch einen Brief, den ich heute von ihm erhielt."

Nun, dann wissen Sie ja wahrscheinlich auch schon, s daß er es nicht so ernst nahm, wie ich erwartet hatte. Der Herr Polizeirat gehört ja nicht zu den Vorgesetzten, die sich gegen einen Untergebenen über ihre Gedanken des langen und breiten auszusprechen lieben; aber ich hatte den Eindruck, daß er sicher ist, seine Hand auf den , Doktor Odemar legen zu können, sobald es ihm zweck- ss mäßig scheint."

Der Freiherr nickte. , §

Es mag wohl so sein. Haben Sie sonst irgend­welche Neuigkeiten aus der Stadt mitgebracht?"

Nichts von Belang, Herr Baron! Es müßte denn sein, daß ich die Komtesse Donnersberg bei meiner Abfahrt auf dem Bahnhofe sah."

Und er wiederholte ausführlich, was er soeben be­reits der Mademoiselle Leblanche erzählt hatte, mit dem Hinzufügen, daß er die Komtesse wahrscheinlich angeredet und sie gefragt hätte, ob sie ihm irgendeine Bestellung an ihre Angehörigen mitzugeben hätte, wenn es ihm nicht die Kürze der Zeit wegen der unmittelbar bevorstehenden Ab­fahrt seines Zuges unmöglich gemacht hätte.

Von Reckenburg sagte nichts dazu, aber nachdem sich der Wachtmeister verabschiedet hatte, sichtlich erfreut über das wiederhergestellte gute Einvernehmen zwischen ihm uno dem Freiherrn, unterwarf er die letzten Erlebnisse eine sehr gründlichen Prüfung. Auf den ersten Blick mußte es ja den Anschein gewinnen, als ob durch das Telegramm der Komtesse an ihre Zofe alle Besorgnisse hinsichtlich ihr Sicherheit zerstreut worden wären. Aber Kurt von Reccen- burg war nicht gewöhnt, sich an den Eindrücken zu lassen, die die Dinge auf den ersten Blick h'« ^rv - brachten. Und je glatter ein Gewässer an der Oberslay schien, desto mehr war er geneigt, dem zu mißtrauen, w sich unter dieser glatten Oberfläche barg.

(Fortsetzung folgt.)

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