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Neuenbürg, Dienstag, den 27. Mai 1919.

77. Jahrgang.

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Deutschland.

Mannheim, 25. Mai. Der Terror der radikalen ssreigerverkschastler gegen die christlich Organisierten dehnt M auf weitere Betriebe aus. Bei der Dörfiingerischen Achsenfabrik wurde den christlichen Gewerkschaftlern ein Ulti­matum zum Uebertritt in den sozialdemokratischen Verband V zum 26. Mai gestellt. Auch in der Schuhfabrik Heinz- Mer bereitet sich das gleiche vor.

Elberfeld, 26. Mai. Die Rhein. Zeitung macht ge- Ainmisvolle Andeutungen, daß gegenwärtig wieder eifrige kopaganda für die Loslösung der Rheinlands von Deutsch- M betrieben würde. Vor wenigen Tagen hatten 2 Zent- Msabgeordnete gemeinsam mit einem Redakteur der Köl­nischen Volkszeitung und Personen aus Wiesbaden und Aachen eine hochpolitische Besprechung mit dem französischen General Manguin in Mainz gehabt. Das Blatt erklärt. Vorüber dort verhandelt wurde, glauben wir zu wissen, ver­langen aber, daß die Herren sich schleunigst dazu äußern. Hinter den Kulissen seien in den letzten Tagen dieselben Kräfte am Werke, die zu Ende des Vorjahrs uns den Pufferstaat am Rhein bescheeren wollten.

Berlin, 26. Mai. Die Tägliche Rundschau berichtet über den oberschlesischen Freiheitskampf: Die über das ganze Land gehende, alle Kreise, Berufe und Landesteile ergrei­fe Empörung gegen den uns zugemuteten Gewaltfrieden Mist den geschlossenen Willen des deutschen Volkes, fest Mer der ablehnenden Haltung der Regierung zu stehen; ja noch mehr: eine Regierung, die auch nur mit dem Ge­danken, dem Volke die Annahme dieser Friedensbedingungen WNiuten, spielen würde, würde zur selben Stunde von der ßentlichen Meinung weggefegt. Die bedrohten Landesteile Men überdies in einem solchen Fall zur Selbsthilfe greifen. Zum Beweise dafür dienen über 1000 Proteste aus den be­drohten Teilen Oberschlesiens, deren Inhalt uns das Aus­wärtige Amt mitgeteilt. Sie beweisen deutlich, daß die Oberschlesier sich anschicken, ihre Flinten gegen die polnischen Zwingherrn hervorzuholen, und daß sie sich mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln der Loslösung vom Reiche widersetzen werden.

Berlin, 26. Mai. In den nächsten Tagen wird ein Sonderzug von Berlin aus die in Deutschland weilenden Entente Pressevertreter nach Ostpreußen befördern. Der Zweck dieser Reise ist, daß sich die amerikanischen, englischen und französischen Journalisten an Ort und Stelle über die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse und über die Stimmung der Bevölkerung persönlich unterrichten..

Berlin, 25. Mai. Die Kolonialfragen beim Friedens­schluß waren Gegenstand einer Sitzung, die heute nachmittag unter dem Vorsitz des soeben aus Spaa zurückgekehrten Ministers Dr. Bell und in Awesenheit zahlreicher Vertreter des kolonialen Wirtschaftslebens, vor allem auch langjährigen Ansiedlern aus den Schutzgebieten selbst, im großen Sitzungs­saal des Reichskolonialministeriums stattfand. Dr. Bell gab ein Bild von den Verhandlungen in Spaa. Geheimrat Dr. Kuppel, der aus Versailles eingetroffen ist, berichtete über die dortige Lage. Im Verlaufe der längeren Aussprache, au der u. a. der Gouverneur von Deutschsüdwestafrika, Dr. Atz, teilnahm, kam die Entschlossenheit, Deutschlands kolo­nialen Rechtsstandpunkt auf der klaren Grundlage des Wilson- Programms bis zur letzten Stunde mit allem Nachdruck zu verfechten, zu starkem und einmütigen Ausdruck. Die kolo­nialen Forderungen bildeten einen integralen Bestandteil der deutschen Gegenvorschläge an die Entente. Reichsminister Dr. Bell erklärte, daß er sich für den Fall, daß es zu sach­lichen Verhandlungen mit dem Gegner kommen sollte, jeden Augenblick bereit halte, mit einem erweiterten Kreis kolonialer Sachverständiger nach Versailles zu fahren.

Berlin, 25. Mai. In Bonn traf eine amerikanische Delegation ein, die nach Deutschland reist, um über ein Dar­lehen an Deutschland zu verhandeln, falls der Friedensver- lrag unterzeichnet wird. (Damit soll uns wohl die Annahme des Versklavungsfriedens schmackhafter gemacht werden. Schriftl.) Die Räterepublik München hatte 10 Millionen Mark falsches Papiergeld hergestellt und davon etwa 2 Mil­anen Mark in Umlauf gesetzt. Bei der Verhaftung eines Mädchens, das durch die Ausgabe von falschen Scheinen ausgefallen war, fand die Polizei 20000 Mk. in falschen ^O-Markscheinen unter einem Kohlenhaufen versteckt. Das Mädchen behauptet, diese Summe von einem Soldaten der roten Armee erhalten zu haben. Die deutschen Technischen Hochschulen richteten ein Telegramm an die Reichsregierung, w dem sie die Unannehmbarkeit der Friedensbedingungen betonen und sich bereit erklären, alle Folgen einer Ablehnung Zuf sich zu nehmen. Die Zufuhren von Steinkohlen aus Deutschland nach Holland sind am 23. Mai wieder ausge­nommen worden. Vorläufig kommen täglich zwei Züge an. Wahrscheinlich wird diese Zahl demnächst erhöht werden.

Die Verluste »er deutsche« Kriegsflotte.

Berlin, 26. Mai. Die deutsche Flotte hat während der 4 Jahre Krieg an Schiffen verloren: 1 Linienschiff, 1 Schlachtkreuzer, 6 ältere Panzerkreuzer, 8 moderne und 10 ältere kleine Kreuzer, 7 Kanonenboote, 3 Flußkanonenboote, 49 Zerstörer, 21 große und 41 kleine Torpedoboote, 28 Minensuchboote und 199 Unterseeboote, davon 82 in der Nordsee und im Atlantik. 3 in der Ostsee, 72 in Flandern, 16 im Mittelmeer und 5 im Schwarzen Meer; 14 wurden von der eigenen Besatzung gesprengt, 7 in neutralen Häfen interniert.

Die Rot »er »rutsche« KriegSgesaugeueu.

Seit Beginn des Waffenstillstandes sind Tausende und Abertausende von deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich nach der ehemaligen Kampfzone zu Aufräumungs- und Wie- deraufbauarbekten transportiert worden. In den zerschösse neu Häusern und Unterständen der ehemaligen Kampfzone, in zerfallenen Baracken und Scheunen, wo Türen und Fen­ster fehlen, in dünnen Zelten untergebracht, sind sie den Un bilden der Witterung ausgesetzt. Sie haben keine richtige Lagerstätte. liegen zum Teil auf altem verfaultem Stroh, auf der kalten, nassen Erde, haben meist nur eine Decke, nur einen Anzug und keine Wäsche zum Wechseln, zerrisse nes Schuhwerk. Die Ernährung ist völlig ungenügend. Hunderttausende hungern Tag für Tag. 150 bis 400 Gr. Brot erhalten die Gefangenen täglich, außerdem Kaffee und eine dünne Suppe. Die Behandlung ist teilweise furchtbar. Geschlagen, beschimpft und mit Füßen getreten, müssen sie fronen, Blindgänger suchen, schleppen und tragen. Krank, abgemagert, seelisch und körperlich heruntergekommen, leiden sie ein Martyrium ohne gleichen.

So vermehren sich die Klagen unserer Kriegsgefangenen von Tag zu Tage mit Recht. Auch Neutrale können bezeu gen, daß sie im vormaligen Kampfgebiet viele verwahrloste und heruntergekommene deutsche Kriegsgefangene gesehen ha­ben, die von ihren Wachen mit Peitschenhieben zur Arbeit angetrieben wurden. Die deutsche Waffenstillstandskommis­sion hat in Spaa wiederholt und eindringlich auf die jäm merliche Behandlung dieser Kriegsgefangenen hingewiesen und hat besonders krasse Einzelfälle namhaft gemacht. Es wurde ihr geantwortet, die Klagen seien nur Klatschereien. Daraufhin hat die deutsche Waffenstillstandskommission eine Denkschrift überreicht, in der mehr als 50 Einzelfälle gera­dezu furchtbarer Zustände in den Gefangenenkompagnien an­geführt werden. Sie hat nochmals mit allem Nachdruck er­sucht, endlich die Mißstände ernstlich zu untersuchen und ab- zustellen.

Ein aus englischer Gefangenschaft zurückgekehrter Flie­geroffizier, Oberleutnant Jentzer, berichtet in denMitteil- lunzen des Volksbunds zum Schutz der deutschen Kriegs­und Zivilgefangenen": 809000 in den besten Mannesjah ren verbringen ihr Dasein als Sklavenarbeiter unter der ge­schwungenen 'Geisel eines Feindes, der für Fortschritt und Zivilisation kämpft. Auf den britischen Inseln sind es ge­gen '90000 Mannschaften und 7000 Offiziere. Viele star­ben an Influenza und Lungenentzündung, im Lager Skipion waren es genau 10 Prozent. Andere bekommen die Sta­cheldrahtkrankheit, womit der völlige Zusammenbruch der Nerven, verbunden mit Weinkrämpfen, bezeichnet wird, und verschwinden in der Irrenanstalt Manchester. Dort kann man Hunderte von irrsinnig gewordenen deutschen Gefange­nen schreien hören. Wehe, wenn ein Gesunder, ein Simu­lant hinkommt, er verfällt ebenfalls dem Irrsinn". - Belgische Hel»entat.

Düsseldorf, 26. Mai. Die belgische Militärbehörde hatte vor einigen Tagen das Denkmal König Friedrichs auf dem Marktplatz in Mörs entfernen lassen. Am andern Morgen fanden die Belgier an der Stelle des Denkmals eine Tafel mit der Aufschrift:Der erste Sieg der Belgier." Zur Strafe für dieseMissetat" hat die Befatzungsbehörde den Einwohnern der Stadt das Betreten der Straßen nach 6 Uhr abends verboten

Ausland.

Amsterdam, 23. Mai. Der englische Volkswirt­schaftler und Pazifist C. Loses D'ckinson, Professor am King College in Cambridge fällt in-derDaily News" ein vernichtendes Urteil über den Friedensvertrag. Cr schreibt: Seit der Zerstörung Carthagos durch die Römer seien nie­mals einem besiegten Volke derartige Bedingungen auferlegt worden. Was man im Jahre 1815 Frankreich antat, nach dem es 20 Jahre lang ganz Europa mit Feuer und Schwert bekämpft hatte, sei im Vergleich dazu eine Bagatelle. Auch der Friedensschluß mit Frankreich 1871 sei eine Kleinig­keit dagegen. Man übertreibe nicht, wenn man sage, daß aus der deutschen Nation ein Volk von Heloten gemacht

werde. Wenn man die Revolution noch retten wolle, so

müsse dieses Geschehnis von Paris ungeschehen gemacht werden. Nur die von den Schlachtfeldern zurückkehrende Jugend und die Arbeiter könnten das tun.

Amsterdam, 25. Mai.Labour Leader" schreibt, die Zukunft werde beweisen, daß die Alliierten ihren mili­tärischen Sieg durch die Fliedensbedingungen, die sie aufer­legten, zu einer verhängnisvollen Niederlage gemacht hätten.

Bern, 26. Mai. DieInformation" will aus London erfahren haben, daß die sozialistische Internationale in einigen Tagen einen neuen Kongreß voraussichtlich nach Peru einbe­rufen wird, um dort gegen den Pariser Vertrag zu prote­stieren. Line Denkschrift ist bereits an den Viererrat abge­gangen; in ihr wird eine gründliche Abänderung des Vertrags gefordert. Der französische Arbeiterführer Thomas und der belgische Arbeiterführer Vandervelde haben diese Denkschrift nicht unterschrieben. Alle übrigen Führer der Arbeiter in den europäischen Ländern sind einmütig der Ansicht, daß Deutschland und Oesterreich den Versailler Vertrag nicht unterschreiben dürfen, weil dadurch die Interessen der Ar­beiter der ganzen Welt geschädigt würden.

Basel, 26. Mai. England und Amerika legten gegen die polnische Offensive gemeinsamen-Protest ein.

Mo skau, 26. Mai. Ueber Helfingfors wird gemeldet, daß Lenin dem Admiral Koltzschak einen Waffenstillstand angeboren habe. Der Waffenstillstand soll zur Einleitung der Friedensbedingungen benutzt werden. Lenin hat bis jetzt noch keine Antwort auf sein Angebot erhalten.

Washington, 25. Mai. Die republikanische Presse fordert, daß Wilsons Mandat in Paris, wonach er bei den Friedensverhandlungen Amerika zu vertreten habe, eingezogen werden müsse. Der Senat müsse schleunigst einen derartigen Beschluß fassen und eine neue Kommission wählen, deren Mitglieder sämtlich aus der republikanischen Partei hervor­gehen müßten. Die republikanische Partei will das Fiasko, das Wilson in Paris Amerika bereitet hat, allein auf ihn abwälzen.

Zu den Verhandlungen ln Versailles.

Versailles, 26. Mai. Daily Mail meldet aus Koblenz, daß die englischen und amerikanischen Heerführer über Maßnahmen beraten, für den Fall der Nichtunterzeich­nung des Friedensvertrages durch Deutschland. So sei u. a. die ständige Beschießung größerer Städte wie Berlin und München durch französische Flugzeuge geplant und zwar bei Tag und Nacht. Eine große Anzahl Fliegeroffiziere sei bereits am Rhein eingetroffen. (An Drohungen, uns bange zu machen und nachgiebig zu stimmen, läßt es die Entente nicht fehlen. Schriftl.)

Versailles, 26. Mai. Am Sonntag ist die Antwort Clemenceaus auf die deutsche Note über das Saargebiet ein­gelaufen. Die Antwort wird noch übersetzt, sodaß der Wort­laut des Inhaltes noch nicht bekannt ist. Nach den An­gaben der französischen Zeitungen sind sämtliche Bestimmungen über die Saargebietsfrage unverändert geblieben, bis auf die Bestimmungen über das Rückkaussrecht. Der Rückkauf der Kohlengruben im Saargebiet muß danach nicht mehr in Gold erfolgen, sondern kann durch eine Hypothek gegen andere deutsche Güter durchgeführt werden. Die Zeitungen behaupten, daß dieses nur ein kleines Zugeständnis sei, das mit Rücksicht auf das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung des Saargebietes vorgenommen würde.

Der Krieveusvertrag mit Oesterreich.

Versailles, 22. Mai. Die Pariser Morgenblätter melden, daß der Rat der Vier sich gestern mit den militärischen Bedingungen für Oesterreich und der Frage der österreichischen Kriegsgefangenen beschäftigt habe. Die Pariser ..Chicago Tribüne" erklärt, daß der Vertrag mit Oesterreich Mittwoch nachmittag den österreichischen Delegierten überreicht werden würde. Den Oesterreichern werde nur eine Woche Frist eingeräumt werden, um den Vertrag zu prüfen. In mili­tärischer Hinsicht ist beschlossen, daß die österreichische Armee auf 2 Divisionen mit höchstens 20000 Mann einschließlich acht Feldartillerieregimentern herabgesetzt werden soll. Der Rat der Vier begann sodann die Erörterung über die finan­ziellen Bedingungen, namentlich hinsichtlich der Verteilung der Kriegsschulden des ehemaligen Oesterreich-Ungarn auf die Staaten, welche sich jetzt in den Gebieten der früheren Monarchie gebildet haben. Newyork Herald hält es für wahrscheinlich, daß die Oesterreicher den Vertrag noch vor Deutschland unterzeichnen werden.

Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.

Neuenbürg, 26. Mit dem gestrigen Hag fanden die württembergischen Gemeinderatswahlen, welche sich auf den 11., 18. und 25. Mai verteilten, ihren Abschluß. Die Beteiligung im allgemeinen ließ viel zu wünschen übrig;