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und es ist ein schönes Zeugnis für die werktätige Nächstenliebe, die hier von allen Seiten betätigt wurde. Von allen in näherer und weiterer Ent­fernung umliegenden Orten, von Besigheim, Heil­bronn, Abstadt, Beilstein, Flein, Großbottwar, Lauffen, Ottmarsheim, Neckarwestheim, Talheim, Heinenrieth, Auenstein, Gruppenbach, Kleinbottwar, Oberstenfeld und vielen anderen Orten kamen die Feuerwehren nach und nach herbei und suchten des entfesselnden Elementes Herr zu werden. Ein Haus um das andere wurde dem Feuer streitig gemacht; aber auch ein Haus um das andere mußte dem verheerenden Flugfeuer preisgegeben werden, so daß sich die Tätigkeit der Löschmannschaften schließlich auf eine Umgrenzung des Brandplatzes beschränken mußte. Die oberste Leitung der Löscharbeiten lag in den Händen des bald in Jlsfeld erschienenen Oberamtmanns Zimmermann von Besigheim, der durch den ebenfalls rasch herbeigeeilten Stadtschult­heißen vr. Göbel-Heilbronn tatkräftig unterstützt wurllk. Heilbronn schickte seine ganze verfügbare Feuerwehr und sein Sanitätskorps. Gleichzeitig war auch Militär requiriert worden, das in zwei Abteilungen abrückte und in einer Stärke von 300 Mann unter der Leitung des derzeitigen Re­gimentskommandeurs Oberst v. Saible die Löäh- arbeiten ganz bedeutend förderte. Die Wirkungen des Brandes lassen sich noch gar nicht absehen. Die Gemeinde bietet ein Bild des Jammers und des Elends. Hunderte von Menschen sind obdach­los, besitzlos geworden; was an Hausrat sich in der Eile noch zusammenraffen ließ, liegt wirr auf den Feldern durcheinander, wo auch die weinenden Einwohner die Nacht zugebracht haben. Der Schaden an Gebäuden und Mobiliar wird jetzt schon auf 1 Million Mark geschätzt. Viel Vieh ist milverbrannt; das gerettete Vieh befindet sich auf den Feldern. Das Brüllen des Viehs war entsetz­lich. Viele Tiere wurden in Ställe und Scheunen getrieben, die bald auch vom Feuer ergriffen wurden, und verbrannten dort, da man sie nicht mehr heraus­brachte.

Die Abgebrannten sitzen auf freiem Felde rings um das Dorf herum, bei ihren geretteten geringen Habseligkeiten. Die meisten mußten sich mit dem notwendigsten begnügen, einem Bett, einigen Stühlen. Der Jammer der Unglücklichen ist ent­setzlich; sie wissen nicht, was in Zukunft werden soll. Die Kinder wurden nach Heilbronn ver­bracht und ihnen dort eine Unterkunft bereitet. Das Bild des abgebrannten Dorfes bei der Nacht war schauerlich. Ueber dem ganzen Tale lagerte eine Glutwolke, und mächtige Feuergarben schossen in die Höhe. Die Lösch- und Rettungs­arbeiten dauerten bis spät in die Nacht hinein. Dazu kam bald Wassermangel. Die wenigen Brunnen waren bald leer, so daß das Wasser mit Kübeln zu den Spritzen getragen werden mußte. DieHeil-

bronner Dampffeuerspritze, die vier Stahlrohre speiste, wurde bald defekt und mußte außer Dienst gestellt werden. Zuletzt verwendete man sogar Gülle zum Löschen.

Es ist noch nicht mit Sicherheit festgestellt, wie viele Menschenleben zu beklagen sind. Ein Mann hat dadurch sein Leben verloren, daß er, obwohl man ihm dringend abriet, nochmals in sein brennendes Haus zurückkehrte, um sein im Keller verborgenes Geld herauszuholen. Man hat ihn nicht wieder gesehen. Am Abend und die ganze" Nacht hindurch wurden mehrere Kinder vermißt. Sie scheinen aber alle beigebracht zu sein bis auf eines, das wohl in den Flammen umgekommen ist. In dem Chaos ließen sich mehrere Feststellungen noch nicht machen. Verletzungen sind zahl­reich zu verzeichnen. Insbesondere haben sich ver­schiedene Personen bei den Lösch- und Rettungs­arbeiten zum Teil schwere Brandwunden an den Händen zugezogen. Auch durch herabfallende Steine, Holzstücke, Ziegel usw. wurden zahlreiche Personen, auch Feuerwehrleute, verletzt. Die Heilbronner Sanitätsmannschaft nahm sich der Verletzten an. Die Gemeindekasse und verschiedene andere wert­volle Akten, so das Grundbuch, Pfandbuch und Standesamtsregister, sind dank dem tatkräftigen Eingreifen des Gemeindepflegers Kreh und des Stadtschultheißen Hummel von Beilstein gerettet. Hunderte von Neugierigen umlagern die Unglücks­stätte. Zu Wagen, zu Rad und zu Fuß find sie hier angekommen. Gestern abend schon brachte ein Extrazug aus Heilbronn, der zugleich das Militär an Ort und Stelle führte, Scharen von Neugierigen. Rasche Hilfe wird in erster Linie Sache des Staates sein; aber auch private Wohltätigkeit findet ein überaus reiches Feld der Betätigung. Nicht nur ausgiebige, sondern ins­besondere schnelle Hilfe tut dringend not. Bei der Größe des Unglückes braucht wohl nicht besonders an den Wohltätigkeitssinn der württembergrischen Bevölkerung appelliert zu werden. Allenthalben im Lande sind schon Sammelstellen errichtet. Brot und sonstige Nahrungsmittel werden zunächst von Heil­bronn geliefert. Doch möge man bedenken, daß die Abgebrannten vielfach von allem, auch vom Not­wendigsten, entblößt find. So ist jede Hilfe am Platz, wenn sie nur schnell kommt. Stadtschultheiß vr. Göbel in Heilbronn erläßt heute bereits einen Aufruf für die Abgebrannten. Es soll ein Hilfs­komitee gebildet werden. Auch die Expeditionen der größeren württembergischeu Zeitungen haben bereits Sammlungen eingeleitet. Durch Versicherung gedeckt ist der größte Teil des an Gebäuden und Mobiliar verursachten Schadens. Hiebei ist haupt­sächlich mit etwa des gesamten Mobiliar­schadens betroffen die Württembergische Privat­feuerversicherung auf Gegenseitigkeit in Stuttgart. Diese Versicherung hat aber so ausreichende Reser­

ven, daß sie ihren Verpflichtungen zum Schaden­ersatz voll Nachkommen kann, ohne die Dividenden verringern zu müssen. Dagegen ist der größte Teil des Schadens, der durch die Vernichtung der großen Frucht- und Heu- usw. -Vorräte entstand, und der Verlust des verbrannten Viehs, insbesondere Ge­flügels, fast ungedeckt; nur das wenigste hievon war versichert. Die ganze Ernte ist vernichtet. Die telephonische Verbindung mit Jlsfeld war bald gestört, so daß der Fernverkehr eine Zeit lang von den Nachbarorten aus bewerkstelligt werden mußte. Die Telegraphenverwaltung verdient Dank und Anerkennung, daß sie die unterbrochene Leitung so rasch wieder herstellte, daß der Verkehr mit Jlsfeld gestern abend um 8 Uhr wieder ausgenommen werden konnte.

Auch wir find gerne bereit, Gabe«, selbst die kleinste«, für die Abgebrannte» anzunehmen, jedoch ohne spätere Namens­nennung der Geber.

Redaktion des Wochenblattes.

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München, 5. Aug. In der Nähe von Wolfratshausen wurde der Holzhändler Isidor Pauli in einem Walde ermordet aufgefunden. Uhr und Kette, sowie eine Brieftasche mit 3000 fehlten. Es liegt zweifellos Raubmord vor.

Berlin, 5. Aug. Die russische Regie­rung hat, wie die Norddeutsche Reichs-Korrespon­denz berichtet, in Berlin die Anfrage gestellt, wie man sich gegenüber einem Ersuchen um die Erlaub­nis zur Durchfahrt des russischen Ostseegeschwaders durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal gegebenen- falleS verhalten würde. Daraufhin sei in freund­schaftlicher Weise gebeten worden, von einem solchen Ersuchen abzustehen, da man die Erlaubnis hierorts nicht vereinbart halten würde mit der amtlich er­klärten Neutralität des deutschen Reiches in dem gegenwärtigen russisch-japanischen Streitfall.

Salzburg, 5. Aug. Vor der Abreise des Kaisers Franz Josef nach Ischl kam es zu einem Zwischenfall, der anfangs Bestürzung erregte. Ein Mann durchbrach den Kordon, sank vor dem Kaiser auf die Knie und übergab ihm eine Bittschrift, die der Monarch auch annahm. Da der Bittsteller auf einem Fuß lahm war, trug er einen starken Stock, weshalb man erst andere Absichten vermutete.

Paris, 5. Aug. Von gestern wurden 10 Todesfälle und schwere Erkrankungen infolge Hitz- schlages gemeldet.

Antwerpen, 5. Aug. Die Kreuzfahrt des Wladiwostok-Geschwaders hat in hiesigen Schiffs- verstcherungskreisen große Aufregung verursacht. Die Verstcherungstaxe für Schiffe, welche mit Fracht nach Japan gehen, ist bedeutend erhöht worden.

AtNjstskbN. Nachdruck »nbotni.

Heimchen am fremden Herd.

Roman von Hans Wachenhusen.

(Fortsetzung.)

Ein trübes Lächeln war zunächst ihre Antwort. Auch in ihr schien die Erinnerung eine mächtige gewesen zu sein, während sie ihn, als er sprach, mit den großen dunklen, von schwarzen Wimpern und edel gezeichneten Brauen be­schatteten Augen angeschaut. Beiderseits mochten sie schon die Veränderung er­kannt haben, welche die Jahre an ihnen gewirkt, denn sprach aus ihren Augen auch noch die Leidenschaft ihrer Jugend, so hatte langes seelisches Leiden in ihr wohl den Nerv gelähmt, während er, dessen Haar schon von so viel Silberfäden durchwirkt, im Familienleben den schneidigen Offizier längst vergessen. Sie saßen einander gegenüber wie zwei, denen bei diesem unerwarteten Wiedersehen das Herz noch voll von damals war, die sich gern gefragt hätten, was beiden nach ihrer gewaltsamen Trennung geschehen, von denen jeder vielleicht einen Vorwurf ja wohl eine Anklage gegen den anderen im Herzen aufleben fühlte; aber sie hatten ja beide abgeschloffen.

Sie begreifen/ begann sie,was ich empfand, als ich dem Leben und mir selbst wieder zurückgegeben, mich einsam in diesem dastehen sah und vernahm, daß PriSka unter Ihrem Schutz. Sie begreifen das Dankgefühl, das ich Ihnen widmete, daß es mich hierher zog, um Ihnen dieses auszudrücken. Ich war nicht glücklich, empfand nur Entschädigung dafür in meinen Kinde. Ich bin Ihnen Aufklärung schuldig und muß eine Zeit berühren, obwohl sie mir so schmerzlich war. Von meinem Vater gewaltsam in ein Kloster geführt, lebte ich Monde lang in Verzweiflung. ES gelang mir endlich, zu entfliehen. Ich suchte den Vater auf, um mich ihm zu Füßen zu werfen; niemand wußte mir in der all­

gemeinen politischen Aufregung zu sagen, wo er sei, bis ich endlich erfuhr, er sei durch einen Kommissär aus Warschau verhaftet, verschickt worden, seine Güter seien konfisziert. Ich suchte meinen Bruder und vernahm, er gehöre zu dm Opfern der Revolution. So stand ich ratlos allein . . ."

Sie schöpfte Atem, schwer bewegt durch die Erinnerung an jene Unglückszeit.

Der Oberst hatte bei ihren letzten Worten die Stirn geneigt. Sein Herz pochte heftig. Sie wußte also nichts von dem wirklichen Schicksal des Bruders, das ihr allerdings hatte verborgen bleiben können zu jener wilden Epoche. In­zwischen erlöste sie ihn selbst aus seiner peinlichen Stimmung, indem sie, sich aufrichtend, schloß:

Bei teilnehmenden, aber wenig bemittelten Verwandten fand ich Aufnahme. Mein Dasein war mir gleichgültig geworden. So endlich ohne Neigung verhei­ratet, richtete mich der Gedanke auf, daß Freunde meines verbannten Vaters beim Kaiser Schritte getan, um die Freigebung der großen Güter zu bewirken. Das erhielt meinen Lebensmut, denn ich war in glänzenden Verhältnissen er­zogen. Als aber diese Hoffnung zu Schanden ward, brach derselbe langsam unter Sorgen, Selbstvorwürfen ... Sie kennen den Rest, vergessen wir, leben wir nur unseren Kindern, denn auch Sie haben deren, wie mir gesagt wurde."

Sie erhob sich und reichte ihm die Hand. Er blickte ihr mit Bewunderung in das Antlitz, in dem er las, wie entschieden sie mit der Vergangenheit abge­schlossen. Schwer mußte sie gewesen fein, die eine solche Natur, wie sie ihm aus ihrer Jugend noch im Gedächtnis stand, so hatte beugen können, und das war ihm eine Mahnung, sich ebenbürtig zu zeigen.

Das tat er hoch aufatmend in echt ritterlicher Weise.

Er ergriff ihre Hand und führte sie an seine Lippen. In diesem Moment öffnete sich die Tür vom Korridor und Priska trat ahnungslos herein. Die Fremde erkennend, warf sie sich an deren Brust und umschlang sie.

Mutter, Du bist mir wiedergegeben; o, jetzt bin ich glücklich, namenlos glücklich," jauchzte sie.