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alt und noch ledig war, fiel auf einem Lattenzaune auf und erlitt an Kopf und Unterleib so schwere Verletzungen, daß er tot auf der Stelle blieb.
Tübingen, 30. Juli. Heute nachmittag 3 Uhr fand der übliche Klinikerumzug vom Marktplatz aus durch die Mühlstraße und Wilhelmstraße nach Lustnau statt. Heitere Studentenlaune hatte verschiedene Begebnisse aus dem Klinikerleben gar köstlich verulkt, vom bösen schnauzbärtigen Schutzmann an bis herunter zum verloren gegangenen Sparkassenbuch des Professors mit 15 2 A Ganz Tübingen war auf den Beinen, um die Abschiedshuldigung der Mediziner entgegenzunehmen. — Heute vormittag verabschiedete sich der Vorstand der medizinischen Klinik, Prof. vr. v. Krehl, in schlichter Weise von seinen Hörern.
Tübingen, 1. Aug. Den Verbrennungstod erlitt gestern nachmittag die Ehefrau des Hausmeisters Ließ von der Studentenverbindung „Stutt- yardia." Sie wollte den Nachmittagskaffee für die Studenten zubereiten und goß, als das Feuer nicht recht brennen wollte, Spiritus in dasselbe. Die Flammen schlugen empor und sofort brannte die Frau lichterloh am ganzen Leibe. Obwohl sogleich Hilfe zur Stelle war und die Verunglückte mit Teppichen zugedeckt wurde, sprang sie nach einiger Zeit auf und ging ins Freie hinaus. Alsbald schlugen die Flammen wieder über ihrem Kopfe zusammen und nach kurzer Zeit war sie derart verbrannt, daß der Tod eintrat.
Reutlingen, 28. Juli. Heute nachmittag zwischen 5 und 6 Uhr bewegte sich ein mit mehreren Personen besetzter Luftballon, aus südwestlicher Richtung kommend, in mäßiger Höhe über die Stadt hin und landete auf einer Wiese nahe bet Eningen ohne jeden Zwischenfall. Dem Ballon entstiegen 2 Offiziere und 1 Mann von der Luftschifferabteilung der Garnison Straßburg, Angehörige des 172. Infanterie-Regiments. Die Fahrt von Straßburg hierher wurde in 3 Stunden zurückgelegt. Der Ballon war 1800 Meter hoch gestiegen.
Reutlingen, 31. Juli. Durch einen schweren Unglücksfall fand ein Angestellter der Maschinenfabrik zum Bruderhaus gestern nachmittag den Tod. Er beförderte eine schwere Eisenwalze auf einem Pritschenwagen zum Bahnhof. Bei einer Wegbiegung geriet die Walze ins Rutschen, der Fuhrmann wollte nochhelfen, allein das Gewicht war zu schwer. Die Walze legte den Wagen auf die Seite und fiel so unglücklich auf den Fuhrmann, einen unverheirateten Mann aus Tettnang, daß er völlig zermalmt und sofort getötet wurde.
Reutlingen, 30. Juli. Das 36. Kreistu r n f e st wurde am Samstag Abend durch ein Festbankett in Libers Gartenhalle eingeleitet. Die Beteiligung der auswärtigen Turner war eine sehr rege. Oberbürgermeister Hepp begrüßte die Er
schienen im Namen der Stadt Reutlingen. Er verlas ein Schreiben des Königs, der am Erscheinen verhindert ist. Weiter ließen sich entschuldigen der Minister des Innern, der Kriegsministcr, der Minister des Aeußern, der Minister des Kirchen- und Schulwesens, der Staatsminister der Finanzen und der Justizminister. Der Präsident der Schwen- ninger Turngemeinde, Kommerzienrat Burr, übergab hierauf die Bundcsfahne an den Kreisvorsitzenden Stadtrat Hoffmeister-Ludwigsburg: dieser gab die Fahne wieder weiter in die Hut der Stadt Reutlingen. Oberbürgermeister Hepp dankte für die hohe Ehre. Namens der Ehrengäste sprach Regierungspräsident a. D. v. Bellino. Als Vertreter der badischen Turnerschaft war Wanner-Pforz- heim erschienen, der die Grüße seiner Turnfreunde überbrachte. Oberförster Bofinger trug ein von ihm verfaßtes Gedicht vor. Der Vorstand des Speierer Turnvereins Deutsch überbrachte Bilder des Jahndenkmals in Speier, die er den 3 Herren aus Württemberg, die der Enthüllung des Denkmals beigewohnt hatten, und den beiden Reutlinger Turnvereinen verehrte. Der Kreisturnwart des 12. Kreises, Grotzer-Augsburg, dankte im Namen seines Kreises für die Einladung, der er gerne Folge geleistet Hobe. Nachdem noch Kreisvertreter Hoffmeister den Vertretern der anderen Kreise seine Freude über ihr Erscheinen ausgesprochen hatte, brachte er ein Gut Heil auf den Vorsitzenden der deutschen Turnerschaft Götz in Leipzig und den Geschäftsführer Kühl in Stettin aus. Im Namen der Teilnehmer des Turnfestes im Jahre 1861 sprach Malermeister Fischle-Reutlingen. Lehrer Kais ergriff hienach das Wort, um im Namen der Turnerjugend zu sprechen und in ihrem Namen für die schönen, heute Abend gehörten Worte zu danken. Zwischen die Reden waren Musikvorträge der Reutlinger Stadtkapclle, Gesangsvorträge der Sängerriegen der beiden Reutlinger Turnvereine, Vorführungen vom Turnverein Stuttgart-Stöckach, schwingende Pyramiden gestellt vom Turnerbund Reutlingen, elektrische Stabübungen und elektrisches Keulenschwingen, ausgeführt von der Turngemeinde Reutlingen, eingestreut.
Reutlingen, 31. Juli. Die Feststadt Reutlingen strahlt heute in hellstem Glanz. Die Straßen sind auf das prächtigste mit Guirlanden, Flaggen re. geschmückt. Die ankommenden Züge bringen Tausende von Turnern und Festgästen. Das Leben und Treiben in der Stadt und auf dem Festplatz ist vom frühen Morgen an ein sehr lebhaftes. Von 6—12 Uhr war Vereinswetturnen. An demselben beteiligten sich 143 Vereine. Jeder Verein führte zwei Gruppen Stabübungen und eine selbstgewählte Uebung vor. Die Vorführungen waren ausnahmslos gut. Die Resultate werden erst Montag abend bekanntgegeben. Um 1'/- Uhr setzte sich der mächtige Festzug von der Plante aus in Bewegung. Es mögen etwa 7000 Turner gewesen
sein, die in strammem Schritt und in ihren kleidsamen Anzügen nach dem Festplatz marschierten. Nachdem der ganze Zug dort angekommen war, hielt der Oberbürgermeister Hepp die Begrüßungsrede, indem er den Turnern nochmals ein herzliches „Willkomm" entbot und ein „Gut Heil" auf den 11. Turnkreis allsbrachte. Hierauf ließ Prof. Keßler die ungefähr 3000 Turner zu den gemeinsamen Stabübungen antreten. Es wurden vier Gruppen Stabübungen erst ohne und dann mit Musikbegleitung vorgezeigt. Die rythmisch und mit großer Präzision ausgeführten Hebungen brachten eine mächtige Gesamtwirkung hervor. Schließlich führten verschiedene Turnvereine und die Frauenabteilung des Turnerbundes Stuttgart interessante Sonderübungen vor. Am Abend fanden Konzerte auf dem Festplotz und in verschiedenen Lokalen der Stadt statt. Das Leben und Treiben auf dem Festplatz war den ganzen Nachmittag über ein sehr reges. Auch die Lokale in der Siadt waren gut besucht. Die Preisverteilung wird morgen um 6 Uhr stattfinden.
Oberboihingen, 30. Juli. Ein Ojähr. Bauernsohn brachte ein gefundenes Sprenggeschoß zur Entladung und verlor dabei drei Finger. Aus Furcht vor Strafe erdichtete er einen Raubanfall durch Handwerksburschen und fetzte dadurch die ganze Landjägermannschaft der Umgebung in Bewegung, bis er sich im eigenen Lügengewebe verriet.
Oehringen, 30. Juli. Der 16jährtge hcrumziehende Händler Baumann aus Dinkelsbühl, welcher wegen erschwerten Diebstahls bei Kgl. Amtsgericht hier in Untersuchungshaft war, ist gestern anläßlich der Vorführung vor den Richter auf dem Rückweg ins Gefängnis dem Gerichtsdiener entflohen und konnte trotz der sofortigen energischen Verfolgung bis heute nicht wieder beigebracht werden.
Gmünd, 30. Juli. Der 57jährige Oberamtsdiener Gottlob Schiller wurde heute früh in der Rems ertrunken aufgefunden. Lebensüberdruß scheint Ursache zu sein. — Einer anderen Meldung zufolge soll Schiller in letzter Zeit darüber in großer Aufregung gewesen sein, daß sein Sohn, ein Etuisfabrikant, vor kurzem in Konkurs geraten ist.
Vom Bodensee, 31. Juli. Bei der Ueberstedelung des Fürsten von Fürstenberg zum Sommeraufenthalt nach Heiligenberg verunglückte ein Pferd im Werte von 5000 Es mußte in Ueberlingen getötet werden. — In Wteseratsweiler bei Laimnau brannte die Krapf'sche Sägmühle nebst einem Stadel vollständig nieder.
Frankfurt, 30. Juli. Das Kriegsgericht verurteilte den Oberleutnant Witte wegen Meineid in einem Falle und wegen Mißhandlung eines Untergebenen in 14 Fällen zu einer Zuchthausstrafe von einem Jahr drei Tagen. Ferner erkannte das Gericht auf 2 Jahre Ehrverlust, dauernde Unfähig-
„ Priska!" Er suchte sich zu fassen, preßte ihre Hand. „Nein, ich will Dich heute nicht mehr quälen, aber eine ehrliche Antwort sollst Du mir geben, wenn ich sie noch einmal begehren werde; ich will auf sie gefaßt sein! Verzeih' mir, Du sollst mich ruhiger sehen! Bleib' jetzt, ich will Dich nicht verscheuchen! Plaudern wir, als sei heute garnichts vorgekommen; Du mußt Dich überzeugen, daß ich vernünftig sein kann.
Sie kehrte zurück an ihren Platz und nahm schweigend ihre Arbeit wieder zur Hand. Und ihm gelang, was er ihr versprochen; er schöpfte Hoffnung aus ihrem Anblick und erreichte eine ruhige Stimmung wieder.
8 .
Die Zeit war gekommen, um welche Jobst zurückkehren sollte, und das gab der Oberstin Veranlassung, wirklich ein vertrauliches Wort mit Priska über ihn zu sprechen, daS diese überzeugte, Bernhard habe mit seinem Argwohn nicht Unrecht gehabt. Sie war überrascht, den Namen Jobst endlich wieder nennen zu hören.
„Sag' mir, Priska, würdest Du dich entschließen können, wirklich unsere Tochter zu werden?" So fragte nämlich die Oberstin, als sie mit ihr auf dem Balkon stand, den Arm ihr über den Nacken legend. „Wenn zum Beispiel jetzt Jobst . . ."
Priska erbleichte. Sie fühlte ein leichtes Schauern, das ihre Glieder durch, bebte, und schwieg lange wie sinnend.
„Du bist gütig, wie immer, Tante!" antwortete sie endlich, „aber verzeih' wenn ich, wie eS meine Pflicht, offen und ehrlich bin. Ist das Jobsts Wunsch?"
„So glaube ich! Du mit Deiner frohsinnigen Natur würdest ihn von seinem Trübsinn heilen! Du weißt, wieviel Kummer uns dieser macht?"
„Wo ist Jobst? Ich hörte es nie."
Die Oberstin ward verlegen durch diese Frage. Sie schüttelte den Kopf.
„Er wird eS selbst Dir ja sagen können."
„Es schmerzt mich, Tante, diesen einzigen Deiner Wünsche Dir versagen zu müssen! Hättest Du ihn nicht ausgesprochen!" Sie zog die Oberstin mit in den Salon. „Jobst selbst will ich es sagen, wenn er davon zu mir sprechen will. Ich schätze ihn, Ihr wißt es! Frage mich nicht nach den Gründen, weshalb ich Dir ungehorsam bin."
Bernhard trat eben ein; argwöhnisch blickte er die beiden in so erregter Unterhaltung an.
„Ein Brief aus Brünn für Dich, Priska! Vermutlich von Deinem Vormund!" Er überreichte ihr denselben.
Seit lange hatte sie von diesem nichts gehört; ihr warS willkommen, ihr Zimmer suchen zu dürfen, um dort den Brief zu lesen.
Eine halbe Stunde war erst verstrichen, als sie, die Tante nicht mehr findend, bleich und erregt zu dem Obersten in dessen Zimmer trat, ihm schweigend den Brief überreichte und sich erschöpft vor innerer Bewegung auf einen Sessel niederließ und gespannt, während er las, sein Profil beobachtete.
Der Oberst wechselte inzwischen mehrmals die Farbe. Er blickte sie an, als er zu Ende gelesen, dann wieder in den Brief, der auch ihn in Aufregung versetzte; endlich sann er schweigend vor sich hin, den Inhalt überlegend.
„Kind!" rief er aufspringend und ihr die Hand auf die Schulter legend. „Schade, daß Dein armer Vater das nicht mehr erlebte!"
Priska konnte noch immer keine Worte finden. Der Vormund teilte ihr in einem Schreiben mit, auf Verwendung des Gouvernements habe der Kaiser die Gnade gehabt, die konfiszierten Güter des in der Verbannung gestorbenen Gräfen Sz. in Rücksicht auf das traurige Schicksal seiner Tochter wieder frei zu geben und befohlen, dieselben den rechtmäßigen Erben auszuliefern.
(Fortsetzung folgt.)