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schule, hat sich hier um den Preis von 57 OVO ein Gebäude in der Moltkestraße angekauft zwecks Gründung einer Töchterhandelsschule.
Schelklingen, 19. Juni. Die Rettungsund Erziehungsanstalt St. Kon radihaus hier hat im vorigen Jahre und Heuer bedeutende bauliche Veränderungen erfahren. Insbesondere ist durch Aufbau weiterer Lokale die Möglichkeit gegeben, eine weit größere Anzahl Zöglinge unterzubrtngen. Der Raum ist für mindestens 120 Zöglinge voll ausreichend. Die Anstalt stellt ein großes stattliches Gebäude mit luftigen lichten Räumen dar, so daß die Zöglinge, die aus dem ganzen Lande hieher gebracht find, ein gutes Unterkommen und eine treffliche Erziehung finden. Die Anstalt wird nächsten Herbst das 25jährige Jubiläum ihres Bestehens feiern.
Saalburg, 18. Juni. Der Ausgang des Gordon-Bennet-Rennens ist folgender: Thery (Wagen Richard Braster) passierte 5 Uhr 15 Min. mit 5 Stunden 50 Min. 3 Sek. als Sieger das Ziel. Zweiter war Jenatzy mit 6 St. 1 Min. 21 Sek. Baron de Caters passierte das Ziel mit 6 St. 46 Min. 31 Sek. , als Dritter. Werner schloß ab mit 7 St. 32 Min. 14. Sek., Lancia mit 7 St. 17 Min. 54 Sek., Braun mit 6 St. 59 Min. 45 Sek. Während des Rennens ist kein wesentlicher Unfall gemeldet worden. Im Laufe des Nachmittags begab sich der Kaiser mit dem amerikanischen Botschafter auf eine von der Saalburgstrecke abwärts gelegene Tribüne und beobachtete von hier aus das Rennen. Das Publikum begrüßte den Kaiser stürmisch. Um 12 Uhr begab sich der Kaiser im Automobil nach Homburg, um im Schloß das Frühstück einzunehmen. Nach 4 Uhr erschien wiederum die Kaiserin im offenen vierspännigen Wagen mit Spitzenreitern auf der Saalburg, der Kaiser im Automobil. Die Rennfahrer verfolgten trotz der großen Hitze ihre Fahrt mit ungeminderter Energie. Jenatzy und Thery wurden im Ziel stürmisch empfangen. Der Präsident des französischen Automobilklubs Baron de Zuylen und die übrigen Mitglieder des Klubvorstands wurden dem Kaiser und der Kaiserin in der Hofloge vorgestellt. Baron de Zuylen hielt hiebei in französischer Sprache folgende Anrede: „Ich danke Ew. Majestät im Namen des Automobilklubs von Frankreich für den so wohlwollenden Empfang, den wir in Deutschland gefunden haben, und für alle Maßnahmen, die in so ausgezeichneter Weise getroffen worden sind, um den Triumph des Automobilismus zu fördern, der überhaupt der Gnade Ew. Majestät so viel zu verdanken hat. Meine Herren! Ich ersuche Sie, zum Zeichen unseres Dankes mit mir einzustimmen in den Ruf: Seine Majestät der deutsche Kaiser lebe hoch!" Das „Vive l'Empereur!"
wurde von dem Publikum auf den Tribünen mit Hurrarufen ausgenommen. Um 5'/- Uhr verließen die Majestäten unter den Klängen der Nationalhymne und Hochrufen den Fcstplatz. — Der Sieger Thery ist seit 1898 im Automobil-Sport bekannt. Die Fabrik, aus der das siegreiche Fahrzeug stammt, die Richard Brafier-Werke, waren zum erstenmal in Wettbewerb getreten. Während Deutschland nur 3 Wagen zum Rennen hatte stellen können, wußte Frankreich durch ein Auswahlrennen zwischen 29 Wagen, die von 10 Firmen gebaut waren, die Auslese unter einer Elite von Wagen und Fahrern zu treffen. Die deutschen Farben — sagt die „Köln. Ztg." — haben eine Niederlage erlitten, aber eine ehrenvolle, sie haben England, Italien und die übrigen französischen Wagen glänzend geschlagen. Das Verdienst dieses Erfolges der deutschen Industrie gebührt den Daimler-Werken in Cannstatt. Für die deutschen Farben nicht ehrenvoll schnitt Opel ab, der schon in der ersten Runde einen Steuerbruch erlitt und als erster aus dem Rennen schied. Gleich schlecht für die englischen Farben schnitt Edge ab, dem man große Aussichten zugedacht hatte. — Nachdem die beiden ersten Sieger auf der Ehrenvorbeifahrt vor dem Kaiserzelt mit kaiserlichem Gruß und Beifall beehrt worden waren, empfing der Kaiser die beiden Fabrikanten Daimler und Brasier und darauf den Vorstand des deutschen Automobilklubs. — Der Gordon-Bennet-Preis ist 1899 von dem Herausgeber des „New-Jork Herald", James Gordon Bennet, gestiftet worden. Er besteht aus einem silbernen Motorwagen, den der Genius des Fortschritts lenkt. Das Kunstwerk, von dem Pariser Silberschmied Andrö Aucoc ausgeführt, hat ein Gewicht von 17 kx und einen Wert von 12000 Frks.
Homburg v. d. H., 18 Juni. Hotelbesitzer Mühling aus Berlin, Besitzer des bekannten Hotel de Rome, welcher am Donnerstag nachmittag mit dem Automobil des Berliner Hotelbesitzers Uhl bei Dornholzhausen verunglückte, ist heute Morgen an den erlittenen Verletzungen (Bruch der Wirbelsäule) im hiesigen Krankenhaus gestorben. Uhl, der bei dem Unfall einen Armbruch erlitt, befindet sich auf dem Wege der Besserung und liegt in einem Wiesbadener Hotel. Der Chauffeur und eine dritte Person kamen mit dem Schrecken davon.
Leipzig, 17. Juni. Der ehemalige Direktor der verkrachten Leipziger Bank, Exner, ist nach Verbüßung seiner auf 2'/, Jahre Gefängnis bemessenen Strafe, aus der Strafanstalt Zwickau entlassen worden und hat sich, sehr wohl und munter aussehend, über Gera, Jena, Weimar nach Schottland auf die Reise gemacht, wo seine Frau ihn erwartet; Leipzig, den Schauplatz seiner verderblichen Wirksamkeit, hat er also nicht wieder betreten. In Schottland wartet seiner die Direktorstelle eines
großen Unternehmens. Auch ist er durchaus nicht mittellos, denn, wenn auch s. Zt. auf sein eigenes Vermögen sofort Beschlag gelegt wurde, so hatte er doch dasjenige seiner Frau, das etwa 200000 beträgt, in Sicherheit gebracht. Außerdem fließen ihr noch die jährlichen Einkünfte der Glasgower Reederei ihres verstorbenen Vaters anteilig im Betrag von etwa 20 000 zu. Der einstige Willionen- könig braucht also auch jetzt nicht zu darben, während er Tausende um ihren letzten Pfennig gebracht, zahlreiche wirtschaftliche Existenzen und Institute schwer erschüttert und eine Anzahl Ruinierter in den Tod getrieben hat. Ursprünglich war, wie erinnerlich, Exner zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt, in der Revisionsverhandlung kam er aber mit 2'/, Jahren Gefängnis davon, da sich ihm der betrügerische Bankerott nicht Nachweisen ließ, während sein Kompagnon, der zweite Direktor der Bank, vr. für. Gentzsch, der ganz unter seinem Einflüsse stand, 3 Jahre Gefängnis erhielt. (Schw. M.)
Berlin, 16. Juni. Zum Mord ander Lucie Berlin hat die Polizei eine wichtige Entdeckung gemacht. In der Wohnung der „Friseurin" Johanna Liebetrut, die unmittelbar neben der Familie Berlin wohnt, fand man in einem großen Bündel schmutziger blutbefleckter Wäsche eingepackt ein etwa 50 Zentimeter langes Messer, das ebenfalls Blutspuren zeigt. Die Liebetrut erklärte, daß sie erst am Tag nach der Tat in ihre Wohnung zurückgekehrt sei, die sie drei Tage lang ihrem „Freund", dem Arbeiter Berger überlassen habe, während sie selbst eine stttenpolizeiliche Hafistrafe habe verbüßen müssen. Diese Angabe ist richtig. Der Zufall wollte es, daß der „Freund" Oskar Berger erschien, als die Polizei bei der Liebetrut war. Berger ist wiederholt vorbestraft, zuletzt mit 1'/- Jahren Gefängnis wegen Körperverletzung. Er und die Ltebe- trut wurden festgenommen. Nachweislich hatte die kleine Lucie nicht nur der Liebetrut, sondern auch dem Berger häufig kleine Gänge besorgt. Dem Berger ist eine frühere Schulfreundin der Lucie gegenüber gestellt worden, die ihn aufs schwerste belastet. Sie bekundet mit größter Bestimmtheit, daß sie die Lucie in Begleitung des Berger am Donnerstag nachmittag von der Ackerstraße nach dem Gartenplatz zu gehen sah.
Berlin, 18. Juni. Die in Charlottenburg auf gefundene zerstückelte Leiche wurde als die 43jährige verheiratete Putzmacherin Radatus aus der Bartelstraße, die von ihrem Mann getrennt lebte, festgestellt. Die Radatus hatte sich am 2. Juni zu dem Masseur Köhler, Stefanstraße Berlin begeben. Hier ist sie infolge eines Verbrechens wider das keimende Leben gestorben. In der Angst und um die Leiche zu beseitigen, hatte Köhler sie zerstückelt und die Teile teils zu verbrennen gesucht, teils ins Wasser geworfen. Köhler ist geständig.
Aertilletritt. Nachdruck »erb°lrn
Die Schwestern.
Roman von Hans WacheIIhustn.
(Fortsetzung.)
„Als ein Glück betrachteten wir es," schrieb Rosa weiter, „daß ein Herr, der in dem Boardinghouse wohnt, als er von unserem Schicksal hörte, uns ein Engagement an einem anderen Theater anbot, das eben auch nach hübschen und jungen Tänzerinnen für eine große Ausstattungs-Komödie suchte. Wir waren sogleich bereit, als aber der Wirt davon hörte, lachte er und sagte uns, das sei ein Winkeltheater, in welchem das Publikum zumeist aus Niggern, Chinesen und Tagedieben bestehe. Wir waren also wieder ratlos und in dieser Not, die furchtbar werden kann, denn der Wirt zeigte uns schon eine unfreundlicke Miene, rufe ich Euch um Hilfe an, wie schwer diese auch dem armen, kranken Vater werden mag, den ich fußfällig um Verzeihung bitte, daß ich vor meiner Abreise ihn so vernachlässigt. Mir hing ja der Himmel voller Geigen und ich sehe jetzt leider erst ein, wie schlecht ich immer gegen ihn gewesen.
Ich schreibe schon den zweiten Tag nach meiner Ankunft; wie die nächsten Tage werden mögen? — Mir graut vor ihnen! Ich habe auch keinen Sinn, Dich zu fragen, wie es sich mit Deiner Laufbahn gestaltet hat. Ich wünsche Dir das Beste! Vor Allem aber helft mir, denn ich weiß nicht, was sonst aus mir werden soll! Meine Kolleginnen haben angenommen, was sich ihnen geboten; ich aber schauderte davor, nachdem ich gestern Abend mir dieses Theater und dieses Publikum angesehen. Bietet sich mir etwas, so schreibe ich Dir mit dem nächsten Schiff, aber ich verzweifle daran! Ich will zurück, sobald ich die Mittel dazu habe; erhalte ich sie nicht, so weiß ich nicht, was mit mir geschieht!"
Allrgrina ließ den Brief in den Schoß sinken und starrte ratlos vor sich hin.
„Entsetzlich! Kaum faßbar!" ächzte sie. „So hoffnungsfroh ging sie in die Welt hinaus, und heute, nach so wenig Wochen schon . . .! Sie ahnt nicht, daß der arme Vater uns entrissen ist! . . . Vielleicht sehe ich Euch ja niemals wieder, sagte sie damals so gleichgiltig. Nein, ihn, den Edlen, den sie nie gewürdigt, ihn sieht sie nicht mehr, und ob mich . . .?"
„Aber was beginne ich, wie soll ich ihr helfen? Und so schnell! Des Fürsten Großmut erspart mir zwar die Kosten der Bestattung, und Jppolita hat sich erboten, die Leiche in die Heimat zu begleiten! Ich werde danach allein in dieser Wohnung sein, für deren Bezahlung kaum der kleine Rest ausreicht, und wie groß wird der Erlös für unsere Einrichtung sein, die so alt und unmodern!"
Sie erhob sich; ihren eigenen Schmerz vergessend, schritt sie im Zimmer auf und ab.
„Heute ist der Tag, wo Ullmann die Unterschreibung des Kontraktes verlangt; des armen Vaters Zustimmung ist ja nicht mehr erforderlich; ich darf über mich selbst verfügen, darf mich auch nicht schämen, einen Vorschuß zu verlangen, nicht für mich, für die arme Schwester. Auch den Fürsten muß ich empfangen, er ist so teilnahmsvoll! Von der unglücklichen Rosa darf ich ihm nichts sagen; eS ist mit ihm nie die Rede von ihr gewesen; vielleicht weiß er auch manches von ihrem Leichtsinn, was wir nicht erfahren. Gott schütze sie vor Schlimmerem» und deshalb muß ich ihr helfen, soweit und so schnell ich eS vermag. Neun Uhr war's, als sie in ihrem schwarzen Seidenkleide, das sie in den Konzerten anzulegen gewohnt, am Fenster stand und mit pochendem Herzen erwartete, was der traurige Morgen bringen werde. Der Schwester Unglück hatte ihr gezeigt, was sie zu tun habe, und dies geschah schneller als sie erwartet.
Jppolita meldete ihr, Lorenzo Garzoni sei gekommen, er sei außer sich, habe erst durch sie von dem Todesfall gehört. Und Lorenzo wartete nicht erst auf Jppolitas Bescheid, er stand bereits im Zimmer, eilte mit gespannten Zügen auf sie zu und erfaßte ihre Hände.