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Hamburg, 17. Juni. Heute nachmittag 5'/« Uhr ging mit dem DampferPallatia" ein neuer Truppen- und Pferdetransport nach Deutsch- Südwestafrika ab.

St. Gallen, 16. Juni. Am 7. ds. Mts. wurde unweit St. Gallen, im sog. Hagenbuchwalde die Leiche eines etwa 5jährigen Knaben in ziemlich vorgeschrittener Verwesung gefunden. Das Kind, welches eine Schnur um den Hals hatte, ist laut ärztlichem Befund erdrosselt worden und ist jeden­falls schon 34 Wochen am Fundorte gelegen ge­wesen. Den umfassenden Nachforschungen der Be­hörde gelang, es, den Schleier über diesen Knabenmord zu lüften. Die Täterin wurde in der 25 Jahre alten Dameuschneiderin Frida Keller ermittelt, die ihr Kind in einer Kinderbewahranstalt untergebracht hatte, es dann am 2. Mai zu sich nahm und an der erwähnten Stelle erdrosselte und verscharrte. Ein heftiger Regenguß hatte an dieser Stelle die Erde weggeschwemmt und den Leichnam blosgelegt. Die Mörderin gestand, das Kind ermordet zu haben, weil sie sich demnächst verheiraten wollte. Sie wollte das Geheimnis ihrer Mutterschaft ihrem Bräutigam nicht offenbaren, da sie befürchtete, die Heirat könnte dadurch in Frage gestellt werden.

Paris, 19. Juni. Das Telegramm des deutschen Kaisers an den Präsidenten Lou- bet hat hier allgemein einen guten Eindruck ge­macht. Man sieht darin eine Kundgebung der Sympathie des Kaisers für Frankreich und seine Freude darüber, sich mit Frankreich auf einem an­deren als dem Kriegsschauplätze zu begegnen. Schon jetzt wird behauptet, daß bei dem nächsten in Frank­reich stattfindenden Gordon-Bennet-Rennen der französische Automobil-Klub das Beispiel des deutschen Automobil-Klubs nachahmen und den deutschen Kaiser zur Teilnahme an dem Rennen einladen werde.

Paris, 18. Juni. In Petersburg herrschte in der vergangenen Nacht enorme Auf­regung in höheren militärischen Kreisen infolge Einlaufens einer Depesche aus Liaoyang, welche einen Zusammenbruch der Armee Stackelberg während des Rückzuges meldete. Man konnte mit einiger Sicherheit nur erfahren, daß die Japaner mit furchtbaren Opfern ihrerseits den Russen in einer Reihe von Gefechten solche Verluste beibrachte, daß eine Armee Stackelberg nicht mehr in Betracht komme. Der ganze linke Flügel, welcher ohne Ge­schütze war, sei durch die japanische Artillerie nieder­geworfen. Man spricht von einem Verlust von 10000 Mann an Toten, Verwundeten und Ge­fangenen. Das japanische Hauptquartier soll sich schon nördlich von dem Standort Stackelbergs, Wantseline befinden.

Charleroi, 18. Juni. Wie mitgeteilt

wird, herrscht in der französischen Glasindustrie eine andauernde Krise. Man erwartet, daß inner­halb dreier Monate nicht ein einziger französischer Glasofen mehr arbeiten wird. Die Verkaufspreise find um 40 °/° niedriger als in den letzten 10 Jahren.

Antwerpen, 18. Juni. Die Nachricht über den Untergang der japanischen Schiffe Hitachi Maru" undSado Maru" hat hier großes Aufsehen erregt. Die Dampfer kosteten 2'/- Mill. Francs. DerSado Maru" hatte Antwerpen am 8. Februar verlassen und konnte nur mit großer Mühe zwei russischen Kreuzern auf der Höhe der Azoren-Jnseln entgehen.

Petersburg, 19. Juni. Im General­stab verzeichnet man die alarmierenden Meldungen von der angeblichen Vernichtung des Korps des Generals Stackelberg als nicht den Tatsachen entsprechend. Dasselbe habe zwar schwere Ver­luste erlitten. Der Rückzug des Korps sei aber in aller Ordnung vor sich gegangen und das Korps befinde sich jetzt außerhalb jeder Gefahr. Wie das Blatt Rußk meldet, wurden nach dem Kampf bei Wafangon wiederum scheußlich verstümmelte Leichen russischer Soldaten aufgefunden, worüber die ausländischen Militär-Attaches ein Protokoll ausgenommen hätten.

London, 18. Juni. Anläßlich des inter­nationalen Kongresses der Heilsarmee, welcher in London stattfinden wird, ist eine große Kund­gebung geplant. Ein Umzug, woran sich 7000 Mu­siker beteiligen werden, wird die Straßen durch­ziehen. General Booth erklärt, dies seien die Trompeten von Jericho, welche die Mauern der ungläubigen Stadt zum Einsturz bringen werden.

New - Iork, 18. Juni. Präsident Roose- velt hat den Sekretär für Handel und Industrie beauftragt, sich nach New-Iork zu begeben, wo er eine Unterredung mit dem Inspektor der Marine hatte. Die Regierung hatte beschlossen, eine weit­gehende Enquete zu eröffnen, um die Umstände festzustellen, unter welchen sich die Katastrophe des Generals Slocum ereignet hat.

Tokio, 18. Juni. DerHitachi Maru" wurde von 56 Granaten getroffen und fing Feuer. DerSado Maru" hielt an. Ein Offizier begab sich an Bord des russischen Schiffes und verlangte 40 Minuten Aufschub. Der Mannschaft wurde befohlen, sich von Bord zu begeben. Die Nicht- Kombattanten retirierten nach dem russischen Kriegs­schiffe, doch wurden sie mit Ausnahme des Chef- Ingenieurs, eines Schotten, nicht ausgenommen. Bevor die Russen ihre Torpedos abschossen, sprangen die Mannschaften derSado Maru" über Bord. 79 Mann kamen in kleinen Boten in Kuschina an. Die DampferKatsutona-Maru" undSchikoku- Maru", die zur Rettung der Ueberlebenden ausge­

sandt waren, stießen zusammen. DieKatsutono- Maru" sank. Das KanonenbootJamato" war gleichfalls zur Hilfe ausgesandt und soll auch einen Unfall erlitten haben.

Vermischtes.

Mittel gegen Trunksucht. Seit einigen Wochen geht durch die deutsche Presse ein sehr großes, auffallendes Inserat mit der fetten, ver­lockenden Ueberschrift:Keine Trunksucht mehr!" Empfohlen wird dann ein Pulver, das dem Opfer in Tee, Kaffee oder sonstigen Getränken beizubringen ist, worauf die Trunksucht sofort geheilt ist. Näheres durch das Institut E'Coda, Paris. Wieder ein Wundermittel, wie sie gegen Alkoholismus und Morphinismus alle Augenblicke neu ersteh'n; und doch immer der alte Schwindel. Bei der Analyse erwies sich nämlich dieses famose Mittel als KalmuS- wurzel, Gentianwurzel und doppelkohlensaures Na­tron in pulverförmigem Zustand. Helsen tut es einmal nur dem Fabrikanten, der das Packetchen mit ungefähr 10 verkauft; bei diesem Preis würde das Kilo es muß natürlich sehr langsam genommen werden etwa 350 ^ kosten, während der reelle Preis ca. 40 Pfennige beträgt. Wie lange dauert eS, ehe das nächsteMittel" erscheint?

(Münch, mediz. Wochenschr.)

Litterarisches.

v/lsrs Is I'our-Vionvills. Von Carl Bleibtreu. Illustriert von Chr. Speyer. In farbigem Umschlag geb. 1 Mark, eleg. geb. 2 Mark. Carl Krabbe Verlag Erich Gußmann in Stuttgart. Dieser neue Teil der großen Bleibtrcu'schen Serie ist von ganz besonderer Kraft und Bedeutung. Obschon die Kämpfe um Metz be­reits in seiner SchlachtdichtungGravelotte" be­handelt, hielt er es für nötig, die gewaltige Helden­schlacht des 16. August, die furchtbarste des ganzen Krieges, nochmals ausführlich zu entrollen. Dies geschieht nun hier in unübertrefflicher Weise. Das Ringen der Brandenburger, der Todesritt der Bri­gade Bredow und vor allem der heroische Sturm der 38. Brigade sind mit einer Anschaulichkeit und Fülle von Einzelheiten geschildert, wie nie zuvor. Desgleichen die Vorgänge auf französischer Seite. So bildet diese Dichtung zugleich das historisch ab­schließende vollständigste Bild der großen Schlacht, mit Ausmerzung und Beseitigung vieler noch be­stehender Jrrtümer, und bietet auch dem Kriegs- sorscher viel Neues als die erste durchaus wahr­heitsgemäße Darstellung in historischkritischer Hin­sicht, während auch die Schriften des Großen Ge­neralstabs noch mancherlei Falsches enthalten. Und dies alles wird in einem so fortreißenden, von Lebendigkeit glühenden, begeisternden Stile vorge­tragen, daß sich wohl niemand dem Eindrücke dieser schwungvollen Jliade entziehen kann. Die Branden­burger und vor allem die Westfalen und Nieder­rheinländer der 38. Brigade werden Bleibtreu sicher Dank wissen für die bleibende Verewigung ihrer Taten.

Allegrma!" rief er,ich bin untröstlich! Welch ein Unglück! Aber ich sehe dich gefaßt! Erlaß mir um deines Schmerzes willen jedes Wort! ... Ich kam selbst, um dir von Uümann das Bewußte zu bringen, und ich kam wohl zur rechten Stunde! Du stehst allein! Hier dies ..." er zog ein Papier aus der Brusttasche . . .wird dir den einzigen Trost bringen; es führt dich hinaus aus dem öden Trauerhause, giebt dir zerstreuende Beschäftigung. Selbstverständlich, Ehre und Glück! Zaudere also nicht Eurer väterlichen Zustimmung bedarf es nicht mehr, du hast nicht nur das Recht, auch die Pflicht, für dich selbst zu sorgen! Unterschreibe dieses Papier, das andere behältst du; ich muß zur Probe und scheute doch den weiten Weg nicht, es dir selbst zu bringen."

Er überreichte ihr das Papier, legte das andere auf den Tisch und führte sie dann an den kleinen Schreibtisch, vor dem er ihr die Feder in die Hand gab.

Der Kontrakt ist das gewöhnliche Schema, wie wir alle es unterschreiben müssen. Setze deinen Namen dahin, auf diese Stelle, und dann ... Ich kehre zurück, sobald ich heute noch eine freie Stunde habe. Diese Reise beginnt früher, als eigentlich beabsichtigt war!"

Er bot ihr Stuhl. Allegrma nahm die Feder. Sie blickte verwirrt, wie stumpfsinnig auf das Papier und unterschrieb. Dann sich erhebend, stand sie da, die Stirn in die Hand pressend. Ihr Herz pochte heftig. Wie entschlossen sie gewesen, sie überlegte erst jetzt noch einmal. Aber da gedachte sie der Schwester, blickte umher auf die jetzt so verödete Wohnung.

ES ist geschehen!" rief sie, die wieder feucht gewordenen Augen trocknend. Man wird mir ja die Zeit gewähren, die ich hier noch dem unvergeßlichen Vater zu widmen habe!"

Lorenzo ging, und bald erschien auch der Fürst. Er fand sie in dumpfer Erregung, und schien beruhigt, sie in so viel Fassung zu sehen, stutzte aber, als er auf dem Tische das aufgeschlagene Papier sah, das noch keiner Durchsicht unterworfen. Aber er schwieg, seine Bedeutung erratend, beleidigt, nicht zweifelnd, daß bereits geschehen, was er heute noch verhüten zu können geglaubt.

Sie sprach ihm ihren Dank für all seine Teilnahme aus, und er fragte, wie sie es mit ihrer Wohnung halten werde, um ihr Gelegenheit zur Mitteilung zu geben. Ein trübes Lächeln antwortete ihm.

Mein Weg ist mir ja vom Schicksal vorgezeichnet; erliege ich auf dem­selben, weil ich unkundig oder unfertig, ich muß ihn wagen! Vielleicht sendet mir der Himmel auf diesem Wege auch gute Menschen, die meinem Mangel an Wellkenntnis zur Seite stehen werden."

Sie fanden einen solchen, und ..." Er blickte sie fragend an.

Ich schätze ihn hoch, wie er eS verdient, aber ich darf ihm des Dankes nicht zu viel schuldig werden, Durchlaucht! Ich besitze nichts, als ein gutes Herz, und was vermag dies zu geben!"

Der Fürst vermochte eine unmutige Bewegung nicht ganz zu unterdrücken; sie bemerkte dieselbe erschreckend, und er verbarg seine Erregung durch einen neuen fragenden Blick.

Wird dieses Herz gut bleiben, und darf ich in diesem Falle auf Ihr ... Vertrauen zu mir rechnen?"

O, das wird es! G:wiß, es macht mich ja glücklich, einen Freund in meiner Verlassenschaft zu haben . . ."

Dem Sie dadurch zeigen, daß Sie seine Ratschläge verwerfen!"

Der Fürst sprach dies im Tone des Vorwurfs.

Allegrinas Brust hob sich wie belastet, aber sie fühlte seit ihrem Unglück eine Selbständigkeit und dieses Gefühl wuchs durch das Bewußtsein, eine Stel­lung in der Welt errungen zu haben.

Kann man nicht auch dankbar sein in seinem Bedürfnis nach Unabhängig­keit?" fragte sie.Erhalten Sie mir, Durchlaucht, Ihr Wohlwollen; Sie werdm keine Undankbare in mir finden!"

Es lag eine Weihe über der Sprechenden, die auf den Fürsten einen tiefen Eindruck machte. Er ergriff ihre Hand und führte sie an seine Lippen.

(Fortsetzung folgt.)