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liche musikalische Begabung, gestützt auf eine sympathische, kraftvolle und geschulte Stimme. Daß sich Steidle mit seiner Lust zum Gesang früh zum Stuttgarter Liederkrauz hingezogen fühlte, ja daß er dorthin den Schwerpunkt seines öffentlichen Wirkens verlegte, ist nicht verwunderlich. Er wurde hier bald in den Ausschuß berufen, zum Vizevorstand und im Jahre 1885 zum Vorstand gewählt. Steidle hat es verstanden, die äußere Stellung des Vereins glänzend zu gestalten, und unter ihm war es dem Stuttgarter Liederkranz auch vergönnt, die von dem König verliehene große goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft an seine Fahne zu heften. Auch auf den Sängerreisen des Stuttgarter Liederkranzes nach Bayern und Tirol, nach Berlin und Mailand war Steidle ein vorzüglicher Repräsentant des Vereins, dem nie das rechte Wort fehlte. Daß er bei den vielfachen Beziehungen zu auswärtigen und einheimischen Vereinen häufig durch Ehrenmitgliedschaft gefeiert wurde, ist naheliegend, ebenso, daß seine tüchtige Kraft vom Schwäbischen Sängerbund bald zur Mitarbeit in seinen Ausschuß herangezogen wurde, wo er denn auch besonders als Kassier verdienstlich wirkte. Im Schwäbischen Schillerverein und in der Deutschen Schillerstiftung läßt sein Tod ebenfalls eine Lücke. Ucberall, wo Steidle mit warmer Teilnahme mit dabei war, wird man sich seines eifrigen, opferbereiten Tuns dauernd erinnern, und namentlich im Stuttgarter Ltederkranze, dessen Ehrenvorstand er seit 1899 gewesen, wird man seine lebhafte Anregung. sein feuriges Temperament vermissen und dankbar alles dessen gedenken, was er in langen Jahren für die Förderung des deutschen Liedes und für das Gedeihen des Vereins getan hat.
Stuttgart, 2. Juni. Aus Anlaß drr gestern in Jerusalem erfolgten Beisetzung des verst. Stadtdekans vr. v. Braun fand auf der Hospitalkirche um 6 Uhr gestern abend Trauergeläute und Choralblasen statt. Morgen, Freitag, abend 8 Uhr wird in der Stiftskirche zum Gedächtnis deS Verstorbenen ein Trauergottesdienst veranstaltet. Die Predigt wird Prälat v. Weitbrecht, einen Nachruf Stadtpsarrer Kopp halten und den Lebenslauf wird Stadtpfarrer Gauger geben.
Reutlingen, 2. Juni. Die 38. Versammlung des Ausschusses der deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger veranstaltete vom Festort Stuttgart aus gestern einen Ausflug auf das nahe Schloß Lichtenstein. Die vormittags hier eiutreffenden Festteilnehmer wurden am Bahnhof vom hiesigen Bezirksverein, sowie von Oberbürgermeister He pp und BürgcrauSschuß- obmann Pöppel namens der Stadtgemeinde Reutlingen begrüßt und darauf zum Lichtenftein begleitet. Nachmittags vereinigte die Festteilnchmer ein gemeinschaftliches Essen in den Räumen des Gasthofs z. „Kronprinzen".
Grunbach i. R., 31. Mai. Heute nach
mittag wurde hier Frau Inspektor Landenberger, 87 Jahre alt, zu Grabe getragen. An der Seite ihres Gemahls, des um die Schwachsinnigen so verdienten Inspektors Landenberger, vertrat sie in Stetten 27 Jahre lang an Hunderten von Schwachen und Kranken mit viel Umsicht und Liebe Mutterstelle. 5 Kinder, 20 Enkel und 6 Urenkel blicken der Greisin ins Grab nach.
Stetten i. R., 1. Juni. Letzten Donnerstag wurden von hier die ersten Frühkirschen zu Markt gebracht. Seit vorgestern werden Kirschen in größerer Menge gefaßt, um besonders nach Augsburg und München verfrachtet zu werden. Gestern und vorgestern wurden 20 pro Pfund bezahlt, heute ist der Preis bereits zurückgegangen. Man schätzt hier eine dreiviertel Ernte. Besonders in den mittleren und unteren Lagen sind die Kirschbäume reich mit Früchten behängen.
Ochsenbach, 2. Juni. Ein Unglücksfall ereignete sich gestern in einem hiesigen Steinbruch. Ein Arbeiter ließ einen schweren Stein über einen Felsen rollen, an welchem 2 Kinder mit Sandgraben beschäftigt waren. Der Sohn des Stein- bruchbesitzerS sah die gefährliche Lage der Kinder und sprang hinzu, um sie zu retten, wurde aber selbst von dem Stein getroffen und schwer verletzt.
Steinheim a. Murr, 2. Juni. Gestern abend kam das 1'/» Jahre alte Kind des Schreiners Froscher unter einen mit Holz beladenen Wagen. Dem Kinde wurde durch das Pferd der Kopf vollständig zusammen getreten. Der Tot trat sofort ein. Ob den Fuhrmann eine Schuld trifft, ist noch nicht festgestellt.
Nordheim, 2. Juni. Gestern Abend wurde in der oberen Mühle ein IKjähriges Dienstmädchen von der eisernen Welle einer Transmission erfaßt und so schwer verletzt, daß sie lt. „Neckarztg." ohne zum Bewußtsein gekommen zu sein, starb.
Von der Tauber, 2. Juni. Gestern wurden größere Posten Schäferwollen aufgekauft. Die Preise stellen sich zwischen 117—120
Mergelstetten, 1. Juni. Heute früh erlegte der hies. Forstwart Ma st im nahen Walde ein W ildsch w e in, das sich schon längere Zeit in den umliegenden Wäldern Herumgetrieben und auf den Feldern erheblichen Schaden angerichtet hat.
Berlin, 2. Juni. Wegen verschiedener D i eb stäh le in der S p a nd a u er Artillerte- Werkstätte und Geschützgicßerei wurden gestern von der Strafkammer des Landgerichts II die Kutscher Kaluhra und Lis, sowie drei Arbeiter zu je vier bis sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Der Produktenhändler Schwarz erhielt wegen gewerbsmäßiger Hehlerei ein Jahr Zuchthaus unter Anrechnung von drei Monaten Untersuchung.
Hamburg, 1. Juni. Der Lloyddampfer „Aachen" ist heute nachm. 5 Uhr mit einem Truppen
transport in Stärke von 12 Offizieren, 3 Portepeeunteroffizieren und 177 Unteroffizieren und Mannschaften nach Südwestafrika obgegangen, nachdem sie vom kommandierenden General des 9. Armeekorps von Bock und Polach verabschiedet worden waren. — Wie aus einem Briefe des in Südwestafrika weilenden Hauptmanns Dannhauer hervorgeht, verwenden die Herero an der Spitze eingekerbte Geschosse, die den Dumdum-Geschossen in ihrer Wirkung vollkommen gleichkommen, sich wie jene beim Einschlagen in den menschlichen Körper stark deformieren, sehr große Wunden reißen und besonders starke Blutungen nach sich ziehen. „Hoffentlich", so fügt Dannhauer seiner Mitteilung hinzu, „machen ihnen unsere Leute — nach dem Grundsätze „Wie du mir, so ich dir," — von jetzt ab das Kerben der Geschosse nach. Wenn zart besaitete Leute in der lieben deutschen Heimat über diesen meinen aufrichtigen Wunsch lamentieren sollten, kann ich ihnen nur empfehlen, die Sache einmal selbst am eigenen Körper zu probieren, und das am besten hier an Ort und Stelle. Sie dürften alsdann ihre nur immer den schwarzen „Menschenbrüdern" gewidmeten philantropischen Ansichten ungemein schnell ändern! Jedenfalls starben zwei der Unseligen, die einer Verwundung durch legale Geschosse nicht erlegen wären, infolge des durch Dumdum-Geschosse erzeugten Blutverlustes."
Troppau, 2. Juni. Auf den schlesischen uttd galizischen Pferdemärkten kaufen deutsche Pferdehändler sämtliches brauchbare Pferde- uiaterial für russische Rechnung auf.
^ ^ Hemberg, 2. Juni. Die Stadt Kowy- Witkow ist teilweise niedergebrannt. 168 Häuser sind ein Raub der Flammen geworden. Von öffentlichen Gebäuden find die ruthenischc Kirche, die Synagoge und die Post etngeäschert worden. 12 Personen werden vermißt, die vermutlich in den Flammen umgekommen sind. Ueber tausend Menschen sind obdachlos. Das Elend ist groß.
Wien, 2. Juni. Dem Lemberger Blatt „Slowo PolSki" wird aus Charkow berichtet, daß dort jüngst bei dem Transport von Reservisten nach dem ostasiatischen Kriegsschauplatz sich schreckliche Szenen abspielten. Die Reservisten mußten gewaltsam in die Waggons gedrängt werden, da sie sich weigerten, dieselben zu besteigen. Als der Zug dann abgehen sollte, warfen sich die Frauen der Reservisten auf das Bahngeleise und wollten den Zug nicht abgehen lassen. Nachdem sie mit Gewalt entfernt waren, warfen sich 16 Frauen nochmals vor den bereits fahrenden Zug auf das Geleise. Mehrere wurden von der ^A»komotive zermalmt, andere schwer verletzt.
Petersburg, 2. Juni. Die Nachricht r-vvu.-der Besetzung Dalnys hat hier große - Sensation und Bestürzung hervorgerufen.
unbezwingbarem Erröten wieder erkannt, ihn in das Wohnzimmer geleitet, cls cr sie mit dem verbindlichsten Lächeln ersucht, ihn ihrem Vater, als einen alten Freund zu melden, wenn er so glücklich sei, ihn zu Hause zu treffen, und Sekunden hatte sie im Nebenzimmer gebraucht, um sich von ihrem Erschrecken zu erholen, ehe sie den Vater rufen konnte.
Fürst Leopold hatte den Alten, wie er mit seinem Augenschirm erschien, aufs Herzlichste begrüßt, und auch dieser war sichtlich bewegt, ihn wieder zu sehen; er hatte auch versprochen, er werde kommen, um zu prüfen, was der Fürst auf seinen Reisen gesammelt, aber Über die Abnahme seiner Arbeitskraft geklagt, und ihm offen von seinen Sorgen gesprochen.
Da Allegrina nicht wieder erschien, hatte der Fürst von seiner Freude erzählt, diese — ohne zu wißen, daß sie seine Tochter sei — auf der Bühne bewundert zu haben; er hatte gebeten, dieselbe möge ihm nicht ihre Gegenwart entziehen und so war sie denn wieder erschienen.
Noch einmal war er dann gekommen, um den Vater abzuholsn, und während dieser sich anklridete, hatte er sie in eine Unterhaltung in italienischer Sprache gezogen, die er perfekt beherrschte. Schon bei seinem ersten Erscheinen hatte er ihr sein« Komplimente hinsichtlich ihres Debüts in der knappesten Form gesagt; diesmal hatte er sie gebeten, ihm das Lied privatim zu singen. Er sei ein großer Verehrer der Gesangskunst, hatte er ihr gesagt, aber, hatte er so sonderbar lächelnd hinzugefügt, er sehe die Koulissen immer von der umgekehrten Seite, was ihm den reinen Genuß der dramatischen Illusion störe. So auch habe er, als er sie bewundert, eine gewisse Rührung nicht unterdrücken können, wie er sie unter den fahrenden Künstlern gesehen, sie, ein so reines, bescheidenes Wesen, dessen nahe Berührung mit der Teaterwelt ihm so wehe tue. Er hatte das Wort Berührung so sonderbar betont, daß sie dies unwillkürlich an den Moment erinnerte, in
welchem Lorenzo sich ihrer Hand bemächtigte. Sie hatte erröten müssen bei dem Gedanken, daß er dies dennoch in jenem Restaurant beobachtet habe.
Seitdem waren ihr viele Tage der Unruhe und Bangigkeit verstrichen.
Der Vater kränkelte; er litt auch wieder an einer bedenklichen Tätigkeit des Herzens, vor welcher ihn der Arzt schon früher gewarnt. Jede Aufregung mußte das Uebel steigern und eine solche bereitete sie ihm absichtslos, da nichts von ihrem Engagement verlautete. Der Direktor der Oper ließ nichts von sich hören; Lorenzo zürnte ihr wahrscheinlich, da er sein Alleinsein mit ihr durch Vertraulichkeiten zu mißbrauchen gesucht.
„O, mein Gott, warum das Alles!" seufzte sie endlich. „Ich wollt', ich wäre tot! Hätt' ich doch niemals den Fuß auf die Bühne gesetzt! Man betrachtet mich auf ihr jetzt wie eine Beute, an der man zerrt, die Jeder, der ein Wort führt, sich zueignen möchte! Und mit welcher Minderachtung dieser Mann, der Fürst, von ihr sprach, obgleich er ein so großer Verehrer der Musik! Ich
verstehe Rosa sitzt erst, die so anders geworden, seit sie am Tester ist!.
Aber was bleibt auch mir Aermsten, die ich bald ganz verlassen dastehen werde! — Und was will auch dieser Mann, der unter den höchsten Frauenkreisen wählen könnte, und einen Gefallen daran findet, mir seine Artigkeiten zu bringen!
Ich bin wie vogelfrei geworden, seit ich für Geld singen will, das doch die anderen auch mit dem erwerben, was sie können: Die Agenten suchen mich auf, aber keiner bietet mir Bestimmtes; Kunstverehrer gaben nach meinem Debüt ihre Karten in unserer so fern gelegenen anspruchslosen Wohnung ab, als wäre ich schon eine Größe, und ich sehe doch, welch' ein Nichts ich bin! Jener Abend war so schön, da« Herz wvr mir so groß, so weit; offen sah ich sie vor mir liegen, die große, herrliche Zukunft, die ich ja kaum zu träumen gewagt, und jetzt schon will alles zerrinnen in unheimlicher Stille, als wäre ich zu den Toten geworfen!"