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Neuenbürg, Freitag de« 13. November 1914.
72. Jahrgang.
Der Krieg.
Mit der Gutmütigkeit des deutschen Michel, mit dem Geschwätz vom ewigen Frieden und dem ganzen kosmopolitischen Schwindel ists vorbei. Der letzte, der unter uns noch an solchen schwächlichen Vorstellungen krankte, hat die Zipfelmütze ins Feuer geworfen an dem Tage, als die bittere Kunde von dem Verluste unserer schönen, mit so viel Kosten begründeten und zu so glänzenden Hoffnungen berechtigenden Kolonie in Kiautschou hierher gelangte. Denkt an Tsingtau! Es galt nicht nur unseren Brüdern im Felde, sondern uns allen. Alt und Jung, Mann und Weib, was ein Poet in dieser Woche gesungen: „In eurem blutigen Kriegsgeschäfl' — Denkt an Tsingtau, denkt an Tsingtau — Und wo ihr die englischen Leute trefft: — Denkt an Tsingtau, denkt an Tsingtau! Sie haben gedrungen den Räuber, den Strolch — An ihrem Golde schliff sich sein Dolch: — Denkt an Tsingtau!" — Nach langem Warten hat sich die deutsche Regierung endlich auch entschlossen, Vergeltungsmaßregeln gegen alle die Völkerrechtsverletzungen unserer Feinde und besonders gegen die englischen Brutalitäten zu ergreifen. Da die Seeräuber in London, die sich Regierung des Vereinigten Königreiches schimpfen, den Krieg auch gegen harmlose Zivillisten führen und sich am Privateigentum vergreifen, sind wir endlich dazu übergegangen, auch die Engländer, die sich bis jetzt recht ungestört deutscher Gastfreundschaft erfreuten, gefangen zu setzen. In der Trabrennbahn von Ruhleben bei Berlin, in den Hallen, wo sonst russische Auswanderer eine wohlangebrachte Desinfektion von ihren kleineren oder größeren Leibesbeschwerden durchmachen, hat man die Söhne des stolzen Albion untergebracht und läßt sie nun die Annehmlichkeiten eines Konzentrationslagers verkosten. Sie mögen sich dafür bei ihrer Regierung bedanken, die den letzten deutschen Vermittlungs- Vorschlag nicht einmal einer Antwort für Wert erachtet hat. Es ist noch gar nicht so lange her, da war man auch in Paris derselben Meinung über die Engländer, die wir sie heute haben. Genau vor 15 Jahren hat das dortige Witzblatt „Le Rire" eine England und den Engländern gewidmete Spezialnummer herausgegeben, wo u. a. Napoleon I. auf St. Helena abgebildet war und in die Worte ausbrach: „Ich habe alle Völker besiegt und das feigste hält mich nun gefangen. Gott, wie grausam bist du!" und an einer andern Stelle war dort zu lesen: „Der Tag, an dem das perfide Albion verreckt, wird ein Freudentag der Menschheit sein." Die irregeleiteten Franzosen scheinen ihre Ansicht inzwischen geändert zu haben, aber sie werden — davon sind wir fest überzeugt — zu ihr zurückkehren, wenn sie nach Schluß dieses Krieges wieder zur Besinnung kommen und überlegen, wohin sie sich von England haben Hetzen lassen.
Amsterdam, 12. Nov. Wie der Berliner Lokalanzeiger von hier erfährt, wird dem „Telegraf" aus Slouis an der niederländischen Küste berichtet: Wir hören immer neue gewaltige Explosionen, welche die Häuser erschüttern. Die Deutschen fahren fort, die zahlreichen Brücken über den Leopoldkanal zu sperren, um sich gegen eine mögliche englische Landung im Rücken der deutschen Truppen zu schützen; auch die große Eisenbahnbrücke bei Heißt soll vernichtet sein. Der Schwerpunkt der Kämpfe hat sich nach Apern verschoben, wo das hügelige Terrain furchtbare Schwierigkeiten bietet. Aus Briefen belgischer Soldaten geht der mörderische Charakter dieser Kämpfe um Apern hervor. Es heißt in diesen Briefen: Wir glaubten, nachdem wir Lüttich, Mecheln, Nethe und Antwerpen durchgemacht hatten, in Frankreich nun etwas Ruhe zu bekommen. Nun wurden wir aber hier gerade in die erste Linie gestellt. Seit
10 Tagen haben wir die Laufgräben nicht verlassen. Die Schlacht ist hier noch viel fürchterlicher als an der Nethe und bei Antwerpen.
Berlin, 12. Nov. (WTB.) Die Blätter begrüßen es, daß mit der Erstürmung von Dixmuiden ein Schlüffelpunkt der ganzen Verteidigungslinie der Verbündeten gefallen ist und die Folgen seiner Eroberung zeigten sich nach der „Voss. Ztg." auch sofort darin, daß es den Deutschen gelang, südlich davon über den Kanal zu kommen. Damit ist das wichtigste Hindernis des deutschen Vormarsches an dieser Stelle beseitigt.
Rotterdam, 12. Nov. Die Deutschen gehen gegenwärtig auf ihrem rechten Flügel zur Offensive über. Apern steht vor dem Fall. Nach dem „Echo de Paris" machen die Deutschen die größten Anstrengungen, von Apern über Hazebrouk nach Calais zu marschieren. Auch bei Arras und an der Äser nähern sich die Kämpfe der Entscheidung. Die Stellungen der Verbündeten seien durch die deutschen Geschütze sturmreif gemacht worden.
Berlin, 12. Nov. (WTB.) Nach einem Londoner Bericht über die Kampfesweise der Inder verschwinden diese im Kampf mitunter ganz plötzlich. Sie werfen sich auf den Boden und kriechen wie Schlangen nach dem ersten deutschen Laufgraben.
Berlin, 12. Nov. (WTB). Einem Telegramm aus London zufolge sind wieder zwei deutsche Flieger über der englischen Küste beobachtet worden und zwar über Sherneß und Garwich. Sie wurden erfolglos beschossen.
Wien, 12. Nov. Die Serben haben, bevor sie Losnitza vor den österreichisch-ungarischen Truppen räumten, den Ort vollständig verwüstet und ausgeplündert.
Berlin, 12. Nov. (WTB.) Das St. Galler Tagblatt veröffentlicht den Privatbrief eines Schweizers in Newyork, worin über die ungleiche Weise geklagt wird, in der die Amerikaner ihre Neutralität beobachten. Letzte Woche ist ein Schiff mit 50 000 Gewehren und einer Ladung Dynamit nach einem französischen oder englischen Hafen abgegangen und fast jede Woche verlassen große für die Verbündeten bestimmte Ladungen von Konserven und Mauleseln New-Orleans.
Konstantinopel, 12. Nov. Die Ankündigung des Sheik-ul-Islam bedeutet tatsächlich den heiligen Krieg mit gewissen Einschränkungen zugunsten der Bundesgenossen und Neutralen. Hier eingelaufene Meldungen aus Indien, Persien und Afghanistan beweisen das Erwachen des Islams gegen ihre Feinde.
Gal atz. 11. Nov. Mehrere hiesige Besitzer von Schleppschiffen wurden heute davon verständigt, daß viele Schiffe und Schlepper, die sich beim Ausbruch des Krieges in Reni Kilia befanden, von den Russen beschlagnahmt worden seien. Die Schiffe waren mit Getreide beladen. Die Geschädigten haben sich unter Protest an die europäische Donaukommission gewandt. — Der „Berl. Lokalanz." meldet aus Konstantinopel: Laut rumänischen Meldungen flüchteten sich vier russische Kreuzer und 70 kleinere Fahrzeuge vor der türkischen Flotte nach dem rumänischen Hafen Galatz.
Köln. 11. Nov. Ein Mitarbeiter der „Köln. Zeitg." schreibt: Jrregeführt durch die bald widerrufene Nachricht, deutsche Reservisten dürften in kleineren Gruppen auf neutralen Schiffen nach neutralen Häfen fahren, schifften sich 50 Deutsche in Buenos Aires auf dem italienischen Dampfer „Garibaldi" ein. Am 29./10. lief dieser mit Volldampf, von einem englischen Kreuzer verfolgt, in Las Palmas ein. Bald darauf traf der große englische Kreuzer „Amphitrita" dort ein. der wieder abfuhr, dann nochmals zurückkehrte und dieses Manöver dreimal wiederholte. Als der „Garibaldi" am folgenden Tage weiterfahren wollte, folgte ihm das englische
Kriegsschiff einige Augenblicke später. Der „Garibaldi" aber machte Kehrt und landete die deutschen Passagiere. Ein Bravo dem wackeren italienischen Kapitän, der unsere Landsleute aus englischen Krallen gerettet hat.
München. 11. Nov. (WTB.) Der stellvertretende kommandierende General des ersten bayrischen Armeekorps, General von der Thann, erläßt folgende Bekanntmachung: Um den immer wiederkehrenden beunruhigenden Berichten künftig mit Nachdruck entgegentreten zu können, verfüge ich auf Grund des Artikels 4 des Kriegszustandgesrtzes: Mit Gefängnis bis zu einem Jahr wird bestraft, wer falsche Gerüchte ausstreut oder verbreitet, die geeignet find, die Bevölkerung zu beunruhigen.
Magdeburg. 12. Nov. (WTB). Die Magdeburger Ztg. veröffentlicht einen Aufruf zugunsten einer Natronalspende zum Ersatz der „Emden." Als Grundstock wurden 500 Mk. gezeichnet.
Karlsruhe, 12. Nov. Gestern wurden zwei feindliche Flieger in großer Höhe über Schwetzingen (bei Mannheim) beobachtet, die in der Richtung nach Darmstadt weiterflogen. Sie wurden durch Schrapnellschüsse vertrieben.
Berlin, 10. Nov. (WTB.) Ein englischer Kaufmann in Edinburgh, der Handelsbeziehungen mit Deutschland anzuknüpsen versuchte, wurde mit 5 Jahren Zuchthaus bestraft.
Berlin, 11. Nov. (Priv.-Tel.) Der kriegsge- fangene belgische General Leman hat gebeten, es möchte seiner Tochter gestattet werden, ihm in seiner Gefangenschaft in Magdeburg Gesellschaft zu leisten. Wie wir hören, hat General Leman daraufhin im Auftrags des Kriegsministeriums folgende Antwort erhalten: Es entspricht den ritterlichen Ueberliefer- ungen des deutschen Heeres, den tapferen Feind zu ehren und ihm auch das Los der Gefangenschaft so weit als möglich zu erleichtern. An sich wäre das Kriegsministerium hiernach gerne geneigt, bei dem Kommandanten von Lüttich eine Ausnahme von den sonstigen Regeln zu machen und sein Gesuch zu genehmigen. Wenn dies trotzdem nicht geschehen kann, so hat General Leman dies einzig und allein dem Benehmen seiner Landsleute und ihrer Verbündeten zuzuschreiben; nicht nur hat sich die belgische Bevölkerung wehrlosen deutschen Verwundeten gegenüber in zahlreichen Fällen Grausamkeiten und Untaten zu schulden kommen lassen, wie sie unter europäischen Völkern bisher nicht möglich erschienen; die Angaben einwandfreier Zeugen haben auch unzweifelhaft dargetan, daß die Behandlung deutscher Gefangener, namentlich Verwundeter, in Belgien und Frankreich an manchen Orten nicht nur im Widerspruch mit den internationalen Vereinbarungen steht, sondern jedem menschlichen Empfinden Hohn spricht. Da es hiernach eine schwere Verletzung der berechtigten Gefühle des deutschen Volks wäre, wenn deutscherseits den Kriegsgefangenen irgendwelche Erleichterungen gewährt würden. so kann die erbetene Erlaubnis nicht erteilt werden.
Wie die „Holzwelt" mitteilt, hat die deutsche Heeresverwaltung in ihrer Vorsorge für einen Winterfeldzug auch etwa 2000 Holz sch litten für Transportzwecke bestellt. Die Schlitten sind aus Esche, Eiche und Birke mit den erforderlichen Eisen- teilen anzuferligen. Da die Schlitten nur für den russisch-polnischen Kriegsschauplatz in Betracht kommen, sind in erster Linie ostdeutsche Firmen mit der Herstellung betraut worden.
Berlin, 11. Nov. Ermäßigung des Kaffeepreises. Aus Hamburg erfährt die Rundschau: Es wurden durch Vereinbarung mit der Reichsregierung beschlossen, die in Deutschland lagernden eine Million Sack Brasil-Kaffee zu festen Preisen unter der gegenwärtigen Notierung dem Verbrauch zuzuführen.