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Fernsprecher Nr. 4.
Telegramm'Adreffe:
„EnztLler, Neuenbürg".
87.
72. Jahrgang.
RrmSiehau.
Saarbrücken, 30. Mai. Der Kronprinz mit einer Anzahl Generalstabsoffiziere unter Führung des Generalstabschefs v. Moltke werden am Dienstag den 2. Juni, von Baden-Baden kommend, mit Gefolge in Saarbrücken eintrrffen.
Berlin, 30. Mai. Nach dem Armeeverordnungsblatt werden im Kaisermanöver das 7., 8.. 11. und 18.. ferner das 2. und 3. bayrische Armeekorps beteiligt sein. An den Manövern im Korpsverband gegen Flaggenfeind beteiligen sich das 4.. 8 . 9.. 11. und 18. Armeekorps, an den Manövern von Korps gegen Korps das Gardekorps gegen das 2, das 1. gegen das 20., das 13. württembergische gegen das 14, das 16. gegen das 21. Armeekorps.
Berlin, 30. Mai. Der „Täglichen Rundschau" wird von besonderer Seite bestätigt, daß tatsächlich von russisch-französischer Seite an die englische Regierung die Zumutung gestellt wurde, der Flotten ko nvention der beiden verbündeten Mächte beiz »treten. Aus bester Quelle wird dem Blatt jedoch versichert, daß der russische Botschafter Jswolski von England eine ablehnende Antwort erhalten hat. Die englische Regierung wünsche mit Rücksicht auf die Stimmung im eigenen Lande und die guten Beziehungen zu Deutschland jeden Schritt, der als gegen eine befreundete Macht gerichtet angesehen werden könnte, zu vermeiden.
Berlin, 28. Mai. Die Einberufung dreier Reservrjahrgänge in Rußla-vd erregt in Wien großes Aufsehen. Sie bedeutet die Heranziehung von einer Million Reservisten zu einer sechswöchigen Uebung. Für diese Dauer sind demnach die Truppen der ganzen russischen Armee auf Kriegszustand gesetzt. Daß keine Einberufung bei der Kavallerie erfolgte, ist dadurch zu erklären, daß diese Waffe sich ohnehin schon im Frieden auf vollem Stand befindet. Zu der Einberufung bemerkt die österreichische „Militär-Rundschau": Zweifellos stellt diese Maßregel einen neuen Einschüchterungsversuch Rußlands dar, einen Versuch, Oesterreich-Ungarn durch aufgezwungene Gegenmaßnahmen finanziell zu erschöpfen und militärisch zu schwächen. Unter diesen Umständen muß man endlich fragen: Wie lange wird diese systematisch von Rußland geübte Beunruhigung und Bedrohung des europäischen Friedens andauern, und wie lange wird sie von seinem friedliebenden Nachbar geduldet werden?
Berlin, 30. Mai. Ein ungenannter Kommerzienrat hat der Stadt Berlin zur Stiftung für allgemeine Wohlfahrtszwecke 100000 Mark überwiesen. Frau Helene Rosenthal, geb. Burchhardt, vermachte Berlin testamentarisch 50 000 Mark ebenfalls zu Stiftungszwecken.
München, 30. Mai. Die „Viktoria Luise" wurde heute vormittag ^/iio Uhr hier gesichtet. Sie kam mit Passagieren von Friedrichshafen und wurde vom Publikum freudig begrüßt. Kurz vor 10 Uhr landete das Luftschiff glatt auf dem Oktoberwiesenfelde. Nach Vornahme des Fahrgästewechsels stieg es um 10 Uhr wieder auf, um nach Frirdrichshafen zurückzukehren.
Lindau, 28. Mai. Nun sind auch die Baro- gramme der gestrigen ff-"üge sestgestellt: Hirth benötigte für 800 Meter-rHöhe 9:05 Min. und gewinnt den ersten Preis von 2500 -^ü nebst Ehrenpreis der Stadt Lindau: Truckenbrodt benötigte 9:35 Min. und gewinnt den zweiten Preis von 1000 Mark; Schirrmeister benötigte 9:55 Min. und gewinnt den dritten Preis von 500 Stöffler benötigte 10:20 Min. und bleibt ohne Preis.
Großbeck (Niederrhein). 30. Mai. Bei dem Brande eines Anwesens sind drei Kinder des Bäckermeisters Homberger verbrannt.
Paris, 29. Mai. Der nationalistische Deputierte von Nancy, Major Driand, erklärte einem Redakteur des Blattes La Ropublique d'Jsöre, er könne einen
entscheidenden Beweis dafür erbringen, daß das Dreijahrgesetz für Frankreich eine Lebensfrage sei. Vor kurzem habe der Zar Herrn v. Gontau empfangen. Im Lauf dieser Privataudienz sei auch von dem Dreijahr ge setz und den leidenschaftlichen Angriffen die Rede gewesen, welche die Sozialisten und die Revolutionäre gegen selbes richteten. Aus den Aeußerüngen des Kaisers Nikolaus habe Herr v. Gontau sehr deutlich den Eindruck gewonnen, daß die Abschaffung des Dreijahrgesetzes den Bruch des französisch-russischen Bündnisses herbeiführen würde. Auch der französische Botschafter in Petersburg, Palöologue, habe in dieser Hinsicht Warnungen erhalten, die nicht minder bezeichnend wären.
Paris, 28. Mai. Ein riesiger Bankkrach ist hier zu verzeichnen, durch den die Mitglieder der höchsten Pariser Gesellschaftskreise in Mitleiden, schaft gezogen werden. Das im Jahre 1656 in Frankfurt a. M. gegründete Bankhaus de Neufville, dessen Sitz später nach Paris verlegt wurde, ist in Konkurs geraten. Der jetzige Inhaber der Firma Henry de Neufville und sein Neffe Robert wurden wegen Betrugs und Unterschlagung verhaftet. Die Passiven belaufen sich nach den ersten Feststellungen auf 14 bis 15 Millionen Franken, denen Aktiven von 3 Millionen Franken gegenüberstehen. Das Haus zählt auch zahlreiche Deutsche zu seinen Privatkunden.
Paris, 29. Mai. Infolge der in der letzten Zeit aufgetauchten Gerüchte über die Gefahren, welche dieHerzschcn l! en angeblich insbesondere
für die in den Pulverkammern der Kriegsschiffe aufbewahrten Sprengstoffe herbeiführen könnten, hat der Handelsminister Poret die Abteilung für Funkentelegraphie beauftragt, ihm über diese Frage einen eingehenden Bericht zu erstatten.
Quebek, 30. Mai. Dr. Grant, Passagier der „Empreß of Jreland", gibt folgende Darstellung des Unglücks: Im dichten Nebel fuhr das Schiff langsam den Lorenzstrom hinauf. 8 Minuten vor 2 Uhr morgens erfolgte der Zusammenstoß. Kapitän Kendall ließ bei Annäherung der „Storstad" dreimal die Sirenen ertönen, der norwegische Dampfer seine Pfeifen. Darauf gab Kapitän Kendall zu verstehen, daß er sein Schiff still liegen lasse. Trotzdem näherte sich die „Storstad". Darauf setzte der Kapitän der „Empreß of Jreland" das Schiff mit Volldampf rückwärts in Bewegung. Es war jedoch zu spät. Der Zusammenstoß erfolgte, die „Empreß of Jreland" wurde backbord angerannt und von Mittschiff bis an die Schrauben unter der Wasserlinie aufgerissen. Sie sank sofort. Der Kapitän gab sofort Befehl, die Boote zu Wasser zu bringen, aber trotzdem alles in größter Ordnung vor sich ging und die Besatzung bis zum letzten Augenblick auf ihrem Posten blieb, war an eine Rettung nicht mehr zu denken. Die meisten Passagiere sprangen über Bord; nur wenige konnten sich mit Rettungsgürteln versehen. Nach 17 Minuten war das Schiff vollständig gesunken. Nach den Erzählungen der Geretteten kann man sich allmählich ein Bild von den Ereignissen der furchtbaren Nacht machen. Die Tragödie spielte sich mit einer solchen Schnelligkeit ab, daß keine Zeit mehr blieb, um die Reltungs- gürtel anzulegen. Gleich nach dem Zusammenstoß erfolgte, sobald das Wasser die Kessel erreichte, eine Explosion. Die Dynamomaschine arbeitete nicht mehr, und die um ihr Leben kämpfenden Menschen befanden sich in tiefster Finsternis. Der erste Schiffsarzt erzählte, daß, wenn der „Storstad" nicht so bald zurückgefahren wäre, würde noch eine größere Anzahl von Menschen gerettet worden sein. Der Dampfer sei mit schrecklicher Schnelligkeit gesunken. Me. Jntyrs, ein Mitglied der Heilsarmee, erzählte, als er das Deck erreichte, habe er die Leute auf ihm umher stehend gefunden. Rettungsringe seien dort nicht vorhanden gewesen. Als das Schiff sank, sei er auf das Kohlenschiff zugeschwommen, das ihn
ausgenommen habe. An Bord des Kohlendampfers hätten sich viele Gerettete befunden. Die Mehrzahl von ihnen sei nur notdürftig bekleidet gewesen. Man hörte Frauen und Männer schreien, dann verschwanden sie im Dunkel der Nacht. Ein anderer Ueberlebender berichtet, daß das Wetter außerordentlich ruhig gewesen sei. Die Haltung der Mannschaft sei im ganzen gut gewesen, obwohl sie kaum die Zeit dazu gehabt halten, die Rettungsvorrichiungen systematisch ins Werk zu setzen. — Die endgültige Zusammenstellung der an Bord gewesenen Personen ergibt 954 Tote und 433 Gerettete. Von den Geretteten waren 29 Passagiere 1. Klasse, ebenso- viele 2. Klasse, 101 Zwischendecke! und 237 Mann Besatzung. 37 Kranke und Verletzte konnten noch nicht klassifiziert werden, sie bleiben vorläufig in Rimouski. Der Kapitän Kendall von der „Empreß of Jreland", der eine halbe Stunde schwimmend im eiskalten Wasser zubrachte, liegt im Sterben. Bis jetzt sind 250 Leichen geborgen worden. Fünf Personen, die man tot glaubte, konnten ins Leben zurückgerufen werden. — Um 7.45 Uhr abends sind 396 Ueberlebende der „Empreß of Jreland" hier angekommen. Nur 12 Frauen wurden gerettet. — Die „Empreß of Jreland" stellte einen Wert von 10 Millionen Franken dar. Das Schiff ist für 580 000 Franken versichert.
Rußlands neues Goldland. Die fortschreitende Vollendung der Amurbahn, die auf der Strecke bis Nikolajewsk noch im Laufe dieses Sommers ir. Betrieb geru-mmen werden soll, eröffnet die wirtschaftliche Erschließung eines Gebietes von ungeheurer Ausdehnung. Das Gelände, das zum Teil in der Zone ewiger Vereisung liegt, ist so reich an Gold, daß aus Petersburg und Moskau ganze Scharen von Abenteurern und Goldsuchern aufbrechen und sich in das Amurgebiet begeben, um dort nach Gold zu suchen. Man betreibt natürlich Raubbau. Das Leben ist dort freilich nicht gefahrlos, denn das Klima ist geradezu mörderisch. Mord und Totschlag sind an der Tagesordnung; man findet oft ganz kleine Ansiedlungen ausgeraubt und die Einwohner ermordet. Von der Beschaffenheit des Klimas kann man sich ein ungefähres Bild machen, wenn man weiß, daß die Kälte im Winter bis 40 Grad Reaumur und die Hitze im Sommer bis 37 Grad Reaumur im Schatten zeigt. Diese Witter- ungsverhältnisfe ergeben ganz eigenartige Erscheinungen, vor allen Dingen fördern sie die ungeheuren Waldbrände, die oft monatelang währen. Die schneelose Kälte dörrt Moos und Torf aus, im Sommer werden die Wälder trocken, wie Zunder; ein Funke genügt, um sie in Flammen zu setzen. Man fährt tagelang durch Gebiete, die ausgebrannt sind; die Bäume, die keine Pfahlwurzeln in den ewig vereisten Boden treiben können, liegen wirr durcheinander und bilden Verhaue, die nur mit der Axt mühselig zu bewältigen sind. In diesen nordischen Dschungeln haust auch der Amurtiger, der sich nicht selten einen Arbeiter holt und ihn im nächsten Dickicht zerfleischt. Da der weitaus größte Teil des Gebietes für die landwirtschaftliche Bearbeitung vollständig ungeeignet ist, so wird im Amurlande sich wohl ein ähnlicher Betrieb entwickeln, wie in Australien und Südafrika; es wird ein Goldland ersten Ranges werden. Es ist sogar schon eine neue Stadt, Alexe- jewsk. entstanden, die freilich noch sehr urwüchsig ist. aber alle Aussicht hat, rasch aufzublühen. Das Gebiet hat bereits im vorigen Jahre für 20 Mil- lionen Rubel Gold geliefert. Ein weiteres Produkt ist der Amurlachs, die sogenannte Keta, der aus dem Stillen Ozean in den Amur und seine Nebenflüsse steigt, um dort zu laichen. Die Fischmassen find so groß, daß man den Lachs mit Schaufeln ans Ufer wirft, wo er gesalzen oder gedörrt wird. Sehr wertvoll ist der rote Ketekaviar, der an Ort und Stelle mit etwa 6 Kopeken das Pfund bezahlt wird, während er in Moskau und Petersburg 80