Zweites
Blatt.
Der Lnztäler.
Zweites
Blatt.
181.
Neuenbürg, Mittwoch den 12. November 1913.
71. Jahrgang.
RunSschau.
Karlsruhe. 9. Nov. Die „Bad. Landesztg." bestätigt, daß im Januar d. I. zwischen der Stadt- Verwaltung, dem Ministerium und der Bad. Lokaleisenbahngesellschaft eine Vereinbarung über die Lage der Endstation der Albt alb ahn zustande gekommen ist. Die Einzelheiten sind noch nicht bekannt; man darf aber annehmen, daß die hier gemachten Mitteilungen, wornach die Endstation auf die Ostseite des Beiertheimer Wäldchens in die Nähe der Garlen- straße zu liegen kommt, nicht weit neben der Wahrheit vorbeischießen. Die Polemik in der Presse gehl inzwischen weiter. Eine Einsendung will geltend machen, daß die städt. Straßenbahn, wenn die Alb- lalbahn am neuen Bahnhof endigte, Werktags nicht im Stande wäre, die Hunderte von Arbeitern und Schülern und Sonntags die Ausflügler rasch genug ins Innere der Stadt und heraus zu besördern. Das sieht treffend aus; aber man muß sich dann um so mehr wundern, wie die Straßenbahn die mit der Staatsbahn ankommenden Arbeiter. Schüler und Ausflügler bewältigen will, denn das sind doch mindestens zehnmal mehr als die mit der Albtat- bahn ankommenden Personen. — Die „Bad. Presse" schreibt: Es wurden Wünsche laut, die die Endstation außerhalb der Stadt haben wollten, da die Züge der Albtalbahn, besonders wenn sie von bedeutender Länge sind, lähmend und störend auf den übrigen Verkehr wirken. Nun wäre auf rechtlichem Boden nichts gegen die Beibehaltung der bisherigen Endstation zu machen, da die Direktion der Albtalbahn sich auf ihre Konzession berufen kann. Wie es heißt, soll indessen die Frage der Verlegung des Albtal- bahnhofes von den beteiligten Seiten auf gütliche Art gelöst worden sein und zwar in einer Weile, die auf allen Seiten Zustimmung finden wird. Darnach soll die Endstation auf einen freien Streifen auf der Ostseite des Beiertheimer Wäldchens kommen und ein Haltepunkt wird an der Reichsstraße eingerichtet werden. Die Züge bis zu zehn Wagen dürfen bis zur Endstation fahren, die größeren aber nur bis zur Reichsstraße. Die Slaalsregierung wollte die Haltestelle in das Beierlheimer Wäldchen verlegt wissen, die Staatsverwaltung ist jedoch aus Gründen des Naturschutzes mit Ersolg sür die Errichtung neben dem Wäldchen eingetreten. >
Forbach. (Ausnutzung der Murgwasferkräfte.) s Trotz der staatlichen Inanspruchnahme der Murg- , Wasserkräfte lassen sich Private und Gemeinden nicht davon abhalten, auch ihrerseits die Kräfte der
Murg für ihre Zwecke auszunutzen. So ist u. a. nachgesucht worden, die Wasserkräfte der Unteren Sägmühle an der Murg und der früheren Sägmühlen, sowie der Glasfabrik sämtlich an der Schönmünz vereinigen zu dürfen, da in dem Glashüttengebäude in Schönmünzach eine Holzschleiferei mit Pappen- und Karlonnagefabrik eingerichtet werden soll. Zu diesem Zweck soll das Gefälle des Gewerbekanals an der Schönmünz erhöht, das bestehende Wehr 235 Meter flußaufwärts verlegt und dadurch die Wehrkrone des neuen Stauwehrs um 2,7 Meter höher als diejenige des bestehenden Wehrs gelegt werden. Das ««gestaute Wasser wird in einem neu anzulegenden Kanal von 3 Meter Sohlenbreite am linken Ufer entlang zum Werk geleitet. Der Kanal vertäust zunächst offen, dann unterirdisch teils in Betonstollen, teils m schmiedeisernen Röhren. — Auch die Sladtgemeinde Freudensladt bittet bekanntlich um die Erlaubnis, die Wasserkräfte der Murg von der Schwarzenberger Brücke bis zur würltembergisch- badischen Landesgrenze bei Schönmünzach zur Gewinnung von elektrischer Kraft ausnützen zu dürfen. Unlerhatb der Schwarzenberger Brücke soll in die Murg ein festes Uebersallwehr eingebaut werden, dessen Länge 23 Meter beträgt. Der Oberkanal wnd vom Wehr an 430 Meter lang als bedeckter Betonkanal, dann bis zu Grundstück Nr. 236 der Markung Schönmünzach als Stollen ausgesührt. Aus dirsem Grundstück wird ein 2stocklges Turbtnen- haus erstellt, worin 2 Franzis-Spiral-Turbmen mit liegender Welle ausgestellt werden.
Frankfurt a. Ai., 10. Nov. Fräulein vr. weä. Rahel Hirsch, eine Franksurterin, seit langen Jahren Assistentin an der zweiten medizinischen Klinik der Berliner Charite, hat den Titel Professor erhalten.
Wattenscheid, 8. Novbr. In der Familie des Gärlnerelbesitzrrs Müller im nahen Weflen- seld wurde aus Unvorsichtigkeit statt Petersilie giftiger Wasserschierling für eine Suppe gebraucht. Infolge des Genusses der Suppe erkrankten die Frau, acht Kinder und zwei Lehrlinge. Ein neunjähriges Mädchen ist bereits gestorben, von den übrigen schweben mehrere in Lebensgefahr.
Donaueschingen, 7. Nov. In zahlreichen Ortschaften der Umgegend, so in Gutmadingen, Gelsingen, Kirchen, Blumberg u. a. treten mit Bestimmtheit die Nachrichten auf, daß in den Wäldern zahlreiche Rehe tot aufgefunden werden. Die verendeten Tiere sollen Zeichen der Infizierung durch Maul- und Klauenseuche aufweisen. Es wird auch vermutet, daß die Rehe auf mit künstlichem
Dünger bestreuten Herbstweiden geäst hatten und dadurch vergiftet worden sind.
Kiew, 10. Nov. Im Ritualmordprozeß ist der Angeklagte Beilis freigesprochen worden. Der Rttualmordprozeß zu Kiew, der am 8. Oktober 1913 begann, der jedoch in seinen Anfängen bis zum März des Jahres 1911 — am 25. März 1911 wurde Andrei Juschtschinski in Kiew ermordet — zurückreicht, ist nunmehr durch die Freisprechung des Angeklagten, des jüdischen Kaufmanns Menachil Mendel Tewjw Beilis, erledigt. Das Interesse der ganzen Kulturwelt an diesem Prozeß, in dem nicht das Jndividium Beilis, sondern die gesamte Judenheil unter Anklage gestellt war, ist begreiflich gewesen, so ungeheuerlich auch die Tatsache ist, daß im 20. Jahrhundert die Legende des Ritualmordes noch in den Köpfen nicht bloß weniger Fanatiker, sondern weiter Kreise im heiligen Rußland und ihm nahestehender Begriffsbezirke spuken kann. Die Geschworenen, die Beilis freisprachen, haben dieses Mal, einsichtiger als die offiziellen Träger des Rechtsgedankens selbst, den Ruf der russischen Justiz gerettet. Zu dem Urteil wird ergänzend gemeldet, daß die Geschworenen die Frage 1, ob das Verbrechen in einem der Räume des Gehöfts Saizew begangen worden sei, bejaht, und die Frage 2, ob Rilualmord vorliege und das Verbrechen von Beilis verübt worden sei, verneint haben. Daraufhin erfolgte die Freisprechung des Angeklagten.
Dublin, 6. Nov. Am Donnerstag erfolgte in Kingstown die Beisetzung von James Byrne, Sekretär der Ktngstown-Abteilung des irischen Trans- porlarbeilerverbandes, der an den Folgen eines Hungerstreiks starb, den er im Gefängnis begonnen Halle. Er war bei den letzten irischen Streikunruhen verhaftet worden. Zweitausend Mitglieder des irischen Transportarbeilerverbandes waren von Dublin nach Kingstown gekommen, und im ganzen wohnten etwa 5000 Menichen der Beerdigung bei. Ungefähr eine Stunde lang war jeder Straßenverkehr unterbrochen. Der Verstorbenene hinterläßt 1 Witwe und 6 kleine Kinder. Frau Byrne brach am Grabe zusammen und wurde besinnungslos vom Friedhof forlgeschafft.
Kus Staöt» Bezirk uns Umgebung.
Neuenbürg, 6. Nov. Die Unteroffizierslausbahn im Heere hat sich in letzter Zell außer- ordentlicy verbessert und wird noch ständig verbessert. So schweben zurzeit Erwägungen darüber, den Unterosfizieren, die schon nach acht- oder neunjähriger
Urkraft der Kieke.
Roman von Karl Engelhardt.
29s (Nachdruck verboten.)
„Ich werde mich nie zu Zugeständnissen herbeilassen, die meinem künstlerischen Geschmacke zuwiderlaufen. Die übermodernett „Klecksereien" mit ihren sogenannten großzügigen Linien, die es so bequem machet:, die Einzelheiten zu vernachlässigen, und mit ihrer verrückten Farbenphantasie — nein, mir können sie nicht imponieren."
Karla lächelte über seinen Eifer. Sie kannte ihn ja in diesem Punkte. Dann wandte sie sich an Maja, die schweigend zuhörte.
„Nun, Fran Throndhjem, Sie reden ja gar nicht? Sie stehen natürlich auf Seiteir Ihres Herrn und Meisters?"
„Eigentlich nicht so ganz," gestand sie etivas zögernd. „Aber das sind rein subjektive Gefühle und wohl keine fachkundige Kunstanschauung."
Erich hatte ganz erstaunt aufgesehen. Karla aber ging lebhaft darauf ein.
„Aber was kann nian denn Besseres verlangen, gerade bei der Malerei, als das gesunde Gefühl sprechen zu lassen? Was denken Sie also von der Moderne?"
„Ich meine, daß Erich sie ein wenig zu schroff verurteilt. Gewiß, die Extreme, wie sie auch in der Malerei herrschen, muten mich auch nicht sonderlich an. Aber ich habe mir immer gesagt, daß all das, was wir heute „Moderne" nennen, nur ein Suchen
und Tasten ist. Und daß man bei Reformen leicht ins Extrem verfällt, ist klar. Ich habe manche von den neuesten Gemälden gesehen und war zunächst überrascht. Allmählich wurde ich mit ihnen vertrauter und prüfte ruhiger. Und da sah ich oft doch so viel Stimmung in diesen Gemälden, die auf die Einzelheiten bisweilen so wenig eingehen, und ich bemerkte durch einzelne Versuche, daß die Verschiedenheit der Farbenreflexe in der freien Landschaft tatsächlich oft mehr vorhanden ist als man in der älteren Schule beachtete. Und es schien mir ähnlich auch auf dem Gebiete der Literatur. Ich sah überall einen Keim des Guten, von dem ich glaube, daß er noch Früchte zeitigen kann und wird. Wenn die Extreme erst einmal ein bischen überwunden sind."
Sie war ganz rot geworden während ihrer Worte. Erich aber traute seinen Ohren nicht. War denn das wirklich Maja, die mit so ruhiger, klarer Auffassung Kunstrichtungen vertrat? Von der Seite hatte er sie überhaupt noch nicht gekannt!
Karla warf ihm einen triumphierenden Blick zu.
„Ei, der Kuckuck!" rief Erich angeregt, zu Maja gewandt. „Das wußte ich ja gar nicht. Da habe ich in dir ja eine Gegnerin?"
„O nein!" erwiderte sie mit innigem Blick. „Ich liebe deine Kunst."
Und froh, zärtlich, faßte sie seine Hand und strich leise darüber. Langsam wie zufällig zog er sic zurück.
Karla hatte sie beide betrachtet. Nun erhob sie sich plötzlich und streckte Maja über den Tisch hinüber die Hand zu.
„Frau Throndhjem — wollen Sie mir eine Liebe tun? Eine sehr — sehr große?"
Maja sah sie überrascht und fragend an.
„Aber gewiß, Fräulein Fannemor-"
„Wir wollen Freundinnen sein, Frau Throndhjem. Wahre, wirkliche Freundinnen, die kein Falsch, keinen Hehl vor einander haben. Ich bin zwar ein bischen ruppig —"
„Aber wie gern — wie gern, Fräulein Fannemor!" rief Maja voller Freude und drückte Karlas Hand. Dann eilte sie um den Tisch herum, umschloß Karla und küßte sie.
Erich saß gegenüber und sah mit seltsamer, innerer Bewegung die beiden Frauen den Freundschaftsbund schließen. Aber eine wohlige Empfindung durchranu ihn, eine Ahnung, als würde da etwas Gutes gestiftet.
Das Ereignis müsse gefeiert werden, sagte er dann gut gelaunt.
Er stieg selbst in den Keller hinab und holte zwei Flaschen Cliguot.
Und ernst stießen Maja und Karla zum Schwestertrunk an.
Maja freute sich wie ein Kind über die Veränderung in Erichs Wesen.
Sic empfand es gar nicht, daß für sie eigentlich gar keine Liebe abfiel. Sie war schon glücklich, Erich froh und heiter zu sehen. Und sie versprach sich das Schönste und Beste von diesem Zusammensein mit Karla.