Schule und Post. Im amtlichen Postverkehr der Volksschulrektoren und Volksschullehrer werden an Stelle der Uebergabescheine mit eingedrucktem amtlichen Wertzeichen künftig solche ohne Wertzeichen verwendet werden, deren Versendung in verschlossenem Umschlag unter Frankierung durch Postwertzeichen für den amtlichen Verkehr der Staatsbehörden erfolgt.
Stuttgart, 29. Okt. Der Vorstand der Stuttgarter Polizeidirektion, Dr. Bittinger, hat, wie nach der Debatte vom letzten Donnerstag auf dem Rathaus zu erwarten war, bei der Stadtverwaltung sein Entlassungsgesuch eingereicht. Die fortgesetzten Polizeidebatten auf dem Rathaus haben anscheinend seine Erwartungen bezüglich der durch die württemb. Gemeindeverfassung gewährleisteten Selbständigkeit des Amtes nicht erfüllt. Insbesondere war Bittinger tief verstimmt über den Beschluß vom letzten Donnerstag, die Polizeidebatte morgen fort- zusetzen. Da außerdem gestern abend eine 18gliedrige Kommission in besonderer Sitzung nicht zum Entschluß kam, von der Fortsetzung der Debatte abzusehen, erblickt Dr. Bittinger eine Durchkreuzung seiner Reorganisalionsarbeiten im Stuttgarter Polizeiwesen. Die bürgerlichen Kollegien haben nunmehr über die Annahme seines Entlassungsgesuches zu entscheiden. Dr. Bittinger wurde seinerzeit von der königlichen Polizeidirektion München hierher berufen. Er hatte sich den Rücktritt in den bayerischen Staatsdienst innerhalb dreier Jahre ausdrücklich Vorbehalten.
Stuttgart, 29. Okt. Wegen Vergehens gegen das Nahrungsmittelgesetz hatte sich der Filialleiter der Firma Mettler u. Gengenbach, Jakob Schenkelberg, vor dem Schöffengericht zu verantworten. Er hatte am 6. und 8. September von Würmern belebte Himbeermarmelade verkauft. Daß er wissentlich gehandelt hat, konnte ihm nicht nachgewiesen werden; das Schöffengericht verurteilte ihn dagegen wegen fahrlässiger Nahrungsmittelfälschung zu 25 Mk. Geldstrafe, wobei die grobe Fahrlässigkeit in Betracht gezogen wurde.
Stuttgart, 29. Okt. Der letzte Mitgründer der Stuttgarter Turngesellschaft vom Jahre 1843, Zahntechniker Hermann Enlen, ist gestern im Bürgerhospital, 86 Jahre alt, gestorben. Fünfmal war er erster Sieger auf Kreisturnfesten des Kreises Schwaben.
Stuttgart, 30. Okt. Gestern abend kurz nach 7 Uhr ist der 10 Jahre alte Knabe Friedrich Hai sch beim Ueberqueren der Straße von einem Automobil des Fabrikanten Bosch überfahren worden. Der Knabe erlitt mehrere Rippenbrüche und auch innere Verletzungen. In dem Automobil saß eine Tochter des Fabrikanten Bosch, die den Wagen sofort halten ließ, sich des verunglückten Kindes annahm und es selbst in die Olgaheilanstalt verbrachte.
Eßlingen, 29. Oktbr. Eine größere Feld- dienstübung des 7. Infanterie Regiments Kaiser Friedrich Nr. 125 in Stuttgart, die es unter der Führung des Majors Schiele gestern zwischen Eßlingen und Wäldenbronn abhielt, gestaltete sich zu einem Volksfest im Kleinen. Alt und Jung war auf den
Beinen. Die Uebung endete mit einem Sturmangriff auf die Burg. Nachher wurde auf dem Festplatz hinter derselben abgekocht. Bei den Klängen der Regimentsmusik entwickelte sich oben ein fröhliches, belebtes Treiben. Bald war der Kontakt zwischen der Bevölkerung und dem Militär, von dem ein Teil über's Jahr die Eßlinger Garnison bilden wird, hergestellt und als die Truppen auf dem Rückweg durch die von einer dichten Menge besetzten Straßen zogen, .wurden sie mit freundlichen Zurufen begrüßt und mit Blumen beworfen. Der militärische Geist ist hier noch bei alt und jung vorhanden und, wenn die Garnison kommt, wird sie herzlich willkommen sein.^
Tübingen, 27. Okt. Vor dem Schwurgericht kommt weiter als letzter Fall zur Verhandlung am Montag den 10. Nov. und ev. am folgenden Tag, vorm. 10ffi Uhr, die Strafsache gegen den Kaufmann Friedrich Riekert in Tübingen wegen betrügerischer Brandstiftung. Für Samstag 1. Nov., vorm. 9 Uhr ist weiter auf die Tagesordnung des Schwurgerichts gesetzt worden die Strafsache gegen den verheirateten Goldarbeiter Carl Mayer von Obernhausen, O/A. Neuenbürg, wegen versuchter Notzucht.
Ulm, 29. Okt. Zwei Automobildiebe und ein Saccharinschmuggler wurden in der vergangenen Nacht hier verhaftet. Der Hilfsarbeiter Heinrich Kempe aus Hannover und der Schaukelarbeiter Josef Glorim aus Colmar hatten in Stuttgart aus einem Verkaufslokal einer Automobilhandlung in der Marienstraße ein Automobil entwendet und an dessen Vorderseite ein falsches Kennzeichen angebracht. Durch das falsche Kennzeichen wurde die Polizei aufmerksam und die Burschen wurden samt einem in ihrer Gesellschaft befindlichen Saccharinschmuggler namens Fromm aus München in einem Nachrkaffee verhaftet.
Giengen a. Br., 29. Okt. (Glück im Stall und in der Familie.) Am letzten Sonntag vormittag wurde einem Landwirt im benachbarten Dorfe H. ein seltenes Glück zuteil. Ein Mutterschwein bescherte ihm zehn Junge, eine Kuh ein Kalb und zuguterletzt brachte der Storch einen strammen Buben!
Friedrichshafen, 29. Oktbr. Bei starkem Südwind und bewegtem See war gestern ein Alpenglühen von seltener Schönheit zu sehen. Das herrliche Naturschauspiel währte über eine halbe Stunde. Es gilt als Prophet von schlechtem Wetter.
Stuttgart, 80. Okt. (Vom Markt.) Aus dem heutigen Großmarkt kosteten Aepsel 14—30 Birnen 15-80 ausländische Trauben 17—25 per Pfund. — Auf dem Karlofselgroßmarkt war der Preis für runde 2.60—3.— per Zentner. — 100 Stück Filderkraut kosteten 10—12 ^
WorausstchMche Witterung.
Der Kern des Tiefs im Westen hat sich mehr nördlich verlagert. Ein Teiltief ist bis nach Norddeutschland vorgedrungen. Im Westen und im Zentrum von Europa ist das Barometer gestiegen. Die föhnige Luftströmung wird allmählich Nachlassen; infolgedessen steht bei schwachen Morgennebeln vorwiegend bewölktes Wetter ohne wesentliche Niederschläge und milde Temperatur bevor.
Akten, sowohl Gerichts-, Vormundschafts- als auch Steuerakten vom Amtsgericht Rüdesheim verschwunden waren.
Mannheim, 28. Okt. Ueber einen Entführungsversuch wird folgendes berichtet: Eine Telegraphistin wurde auf ihrem Weg zum Postdienst von einem Herrn eingeladen, mit ihm eine Autofahrt zu unternehmen. Das Automobil stand schon bereit, die Telegraphistin setzte aber ihren Weg fort, ohne sich um die Einladung zu kümmern. Als der Herr dem Fräulein folgte und ihr eine größere Summe Geldes anbot, fuhr das Auto nebenher und der Herr versuchte schließlich, das Fräulein in das Auto zu ziehen. Auf die Hilferufe erschien niemand. Schließlich gelang es aber der Telegraphistin zu entfliehen und sich dadurch ihres Verfolgers zu entziehen.
Varnhalt, 28. Okt. Der Traubenherbst ist beendet. Der Ertrag war gering, die Güte des Weines dagegen ist bedeutend besser, als man erwartet hatte. Der „Neue" findet schnellen Absatz.
London, 29. Okt. Das Tafftal in Südwales ist am Montag nacht der Schauplatz eines furchtbaren Wirbelsturms gewesen, über dessen Verheerungen jetzt Einzelheiten vorliegen. Der Sturm, der eine Breite von 250 Meiern halte, richtete einen Sachschaden an, der auf 1 Million geschätzt wird. Kirchen und Kapellen, sowie viele Häuser sind vollständig zerstört. Ein Mitglied eines lokalen Fußballklubs wurde vom Sturm 20 Meter weit durch die Luft getrieben und gegen eine Mauer geschleudert. Er ist seinen Verletzungen erlegen. Ein Kohlenbergarbeiter wurde vom Sturm von der Straße über 300 Meter weg in ein Feld entführt, wo er tot aufgefunden wurde. Zu dem Sturm gesellten sich später Ueber schwemmungen. Hunderte von Personen sind obdachlos und viele sind verletzt worden.
New-Uork, 29. Okt. Nach einer Meldung aus San Salvador haben dort ungewöhnlich starke Regenfälle stattgefunden, wodurch große Ueber- schwemmungen verursacht wurden. Wie bisher festgestellt wurde, sind 54 Personen ertrunken, doch wird befürchtet, daß noch weit mehr umgekommen sind. Die Landwirtschaft hat großen Schaden erlitten. Der Eisenbahn- und der Telegraphenverkehr sind unterbrochen.
Gent, 29. Okt. Ein vorgestern in der Ausstellung ausgebrochener Brand, der vierte seit der Eröffnung, erstreckte sich auf etwa 600 Quadratmeter im Umkreise. Die Hitze war so stark, daß die Telephondrähte schmolzen, sodaß die Feuerwehr nicht sofort benachrichtigt werden konnte. Es wird der Ausbruch weiterer Brände befürchtet.
Württemberg.
Stuttgart, 29. Oktbr. Zum Nachfolger des verstorbenen Direktors der Lebensversicherungs- Abteilung des Allgemeinen Deutschen Versicherungsvereins a. G. in Stuttgart, Dr. Buschmann, ist A. Kimmel, bisher stellv. Direktor bei der „Arminia" - München, bestellt worden.
Urkraft der Kieke.
Roman von Karl Engelhardt.
211 (Nachdruck verboten.)
Er wollte ihn nicht mehr lesen. Und dennoch.begann er.
„Mein lieber, lieber, lieber Goldschatz! Acht Tage bist du nun schon von mir weg. Acht lange, lange Tage. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie lange sie für mich waren. Wenn es auch manchmal anders geschienen hat — sobald du fern von mir bist, da merke ich erst recht und immer wieder, daß wir zusammengehören: für immer; wie sehr wir uns lieben. Wie sehne ich mich nach dir! Wenn ich daran denke, daß ich einmal ohne dich leben müßte! Nie — nie — nie könnte ich dich vergessen, mein Liebling, mein Alles. Und nicht wahr, auch du mich nicht? Nie, so lange du lebst? Schwöre mir es! Aber was rede ich. Du kannst ohne dein „kleines Frauchen" ebensowenig leben wie ich ohne dich; könntest sie ebensowenig vergessen. Ich weiß es ja, daß ich doch, trotz allem, ein Teil von deinem Leben bin und immer bleiben werde."
Da sprang er auf und riß und riß an dem Brief, bis er ihm in winzigen Fetzen auf der Hand lag. Darauf öffnete er erregt das Fenster und warf mit vollen Händen die Schnitzel hinaus.
Dann kehrte er langsam zum Schreibtisch zurück und ließ sich schwer in den Sessel fallen. Sein Haupt sank ihm aus die Brust. Die Hand bedeckte seine Stirn.
„Daß ich doch, trotz allem, ein Teil von deinem Leben bin und immer bleiben wyrde!"
Und wieder zogen alte Bilder herauf. Bilder von wilder Verzweiflung und glühender Leidenschaft, wo sprungweise, unversehens der Himmel sich in die Hölle verwandelte.
„Daß ich doch, trotz allem, ein Teil von deinem Leben bin und immer bleiben werde!"
Wie diese Worte plötzlich in seinem Hirn brannten! Und ohne sich zu wehren, gab er sich ihnen hin. Er sah mit einemmal ein, daß ihm alles Philosophieren nicht darüber hinweghelfen würde. Was sollte ihm das unsinnige Sträuben nützen? Sie war ein Teil von seinem Leben geworden. Und sie war es noch. Das Verhängnis in seinem Leben. Wie wollte er es leugnen? Vergällte ihm doch die Erinnerung all seine Tage und nahm ihm die Freudigkeit zum Leben, die siegreiche frohe Kraft zu lieben und glücklich zu lieben. Alles, sein Leben, sein Fühlen, seine Liebe waren angekränkelt durch das Gift dieser Vergangenheit. Wie ein Sträfling war er an sie angeschmiedet und fröstelte im Schatten seiner Zelle. Und sehnte sich nach Freiheit und Licht!
Denn das fühlte er im Innern, mit der Fähigkeit war nicht auch zu gleicher Zeit das Verlangen, glücklich zu sein, erloschen. Im Gegenteil; je mehr ihm die innere Harmlosigkeit und Unberührtheit fehlte, desto lebhafter begehrte er sie. An ihre Stelle waren der Ernst und die Bitterkeit getreten, die getäuschte Illusionen und Zerstörung tiefempfundener Ideale Hervorrufen. Und er war nicht oberflächlich genug, um mit veränderter Lebensanschauung und veränderten
Empfindungen sich auch sofort wieder einem neuen Glück hingeben zu können.
All das trat plötzlich mit schmerzend-greller Deutlichkeit vor ihn hin.
Und drüben — da harrte seiner ein liebebebendes Weib und heischte ein volles Herz und jugendfrische Liebe! Ein Weib, der er so gern alles gegeben hätte, was eine junge Mädchenseele sich erträumt, die er so gern voll und ganz glücklich gemacht hätte.
Und das wäre ja auch seine Pflicht.
Aber würde er es können? „Nein" schrie es in ihm auf. Wenn er nicht heuchelte, war er ihr das nicht, was sie in ihrer grenzenlosen Hingabe, in ihrer unendlichen Liebe von ihm erhoffte.
Tiefer senkte sich sein Haupt, und seine Hände gruben sich in seine Haare.
Jammer und Verzweiflung griffen ihm an das Herz. Tränen traten ihm in die Augen. Wie in Fesseln zuckte und wand sich seine Seele. Und grenzenloses Mitleid ergriff ihn mit Maja, mit seinem Weibe
„Erich — ?" sagte eine weiche, bebende Stimme, und eine leichte Hand berührte seine Schulter.
Wie elektrisiert zuckte er empor und starrte Maja an, die noch im Reisekleid vor ihm stand.
Und da sah sie, wie zwei Tränen sich von seinen Augen lösten und ihm langsam über die Wangen liefen. Namenloser Schrecken, ein starres Entsetzen durchfuhr ihren Körper und bohrte sich ihr in die Seele.
Er weinte — — — — l Heute! Zu dieser Stunde! (Fortsetzung folgt.)
Druck und Verlag der C.Meeh'schen Buchdruckerci des Enztälers (Inhaber G. Conradi) in Neuenbürg.