Bei dem Eröffnungsakte waren u. a. Staatsminister Sydow, Oberberghauptmann v. Velsen, der Ober- präfident der Provinz Schlesien. Günther, die Regierungspräsidenten von Breslau und Liegnitz und noch andere offizielle Persönlichkeiten anwesend.
Unsere Landleute haben den Segen eines guten Erntewetters nun doch noch in reichem Maße erfahren dürfen, was ihnen nach der herben Prüfungs- zeit nicht nur von Herzen zu gönnen ist. sondern auch eine vorteilhafte Rückwirkung auf das ganze wirtschaftliche Leben ausüben wird. Diese Wendung ist noch umsomehr zu begrüßen, weil sie gegenüber der Depression, die sich gegen die letzten Jahre einer glänzenden Hochkonjunktur als naturgemäße Erscheinung jetzt einzustellen pflegt, wenigstens einigermaßen noch einen Ausgleich schaffen und vielleicht auch der Abwanderung in die Industriegebiete für einige Zeit etwas Eintrag tun kann. Wenn man z. B. höri, daß in Berlin zurzeit allein ein Heer von ca. 50 000 Arbeitslosen sein „Dasein fristet", so dürfte die Lust, die Annehmlichkeiten der Großstadt dem ruhigen und sicheren Leben auf dem Lande vorzuziehen, vielleicht doch manchem vergehen und es ist wohl gerade jetzt, wo gediente Soldaten bald wieder zu Tausenden in das Erwerbsleben eintreten, nicht unangebracht, auf die verschiedenen üblen Be- gleiierscheinungen einer unüberlegten Landflucht hinzuweisen.
Erfurt, 4. Sept. Die Verhandlung gegen die vom Erfurter Kriegsgericht zu mehr als 5 Jahren Zuchthaus- und Gefängnisstrafen verurteilen si e b e n Reservisten wurde heute vor dem Kriegsgericht des Armeekorps in Kassel hier fortgesetzt. Das Urteil wurde heute nachmittag 5 Uhr nach Ltägiger Verhandlung gefällt. Es lautete gegen Hagemeier wegen Widerstand, militärischem Aufruhr und Beleidigung auf 2 Jahre 1 Monat Gefängnis (erstes Urteil 5'/» Jahre Zuchthaus), gegen Kolbe wegen Beleidigung und Achtungsverletzung auf 4 Monate Gefängnis (erstes Urteil 5 Jahre 1 Monat Gefängnis), gegen Georges wegen Beleidigung. Widersetzung und Aufruhr auf 1 Jahr 9 Monate Gefängnis (erstes Urteil 5^2 Jahre Gefängnis), gegen See wegen Beleidigung. Widerstand und Aufruhr auf 2 Jahr 1 Monat Gefängnis (erstes Urteil 5 Jahre 1 Monat Zuchthaus), gegen Schirmer wegen Beleidigung, Widerstand und Aufruhr 2 Jahre 1 Monat Gefängnis (erstes Urteil 5 Jahre 2 Monate Zuchthaus.) Den Angeklagten Hagemeier. Georges, See und Schirmer wurden je 9 Wochen, dem Angeklagten Kolbe 5 Wochen Untersuchungshaft angerechnet. Die früheren Angeklagten Ropte und Langhelm hatten gegen das erste Urteil keine Berufung eingelegt.
Konstantinopel, 5. Sept. Die bulgarischen Friedensdelegierten sind überaus zufrieden mit der Aufnahme, die sie hier gefunden haben. Von leitenden türkischen Persönlichkeiten wurde ihnen die Zusicherung gegeben, daß es ganz bestimmt in kürzester Zeit zu einem, beide Teile befriedigenden Vertrag kommen werde.
Belgrad, 5. Sept. Die unterbrochenen Grenz- verhandlungen mit Montenegro sind wieder ausgenommen worden. Sie dürften noch im Laufe dieser Woche zu Ende geführt werden.
König Alfonso von Spanien hat mehrere zum Tode Verurteilte begnadigt, unter ihnen auch Sanchez Allegre, welcher am 13. August das bekannte Attentat auf den König unternahm. — In Nordmarokko gehen die Kämpfe zwischen den Spaniern und den feindlichen Eingeborenenstämmen weiter. Bei Ceuta wurde eine spanische Proviantkolonne, die sich in d'e weiter vorgeschobenen Positionen begeben wollte, von feindlichen Marokkanern angegriffen. In dem sich entwickelndem Kampfe gab es spanischerseits einen Toten und elf Verwundete.
Württemberg.
Stuttgart, 5. Sept. Der Landtagsabg. Hildenbrand hat mit Schreiben vom 28. August dem Präsidium des Ständischen Ausschusses seine Wohnsitzverlegung mitgeteilt, und damit nach der Verfassung sein seit 1901 innegehabtes Landtagsmandat niedergelegt. Der Ständische Ausschuß hat nun die Schritte zur Anberaumung einer Neuwahl zu unternehmen.
Stuttgart, 4. Sept. Ein bedeutender Teil der bei der Firma Robert Bosch ausgesperrten und ausständigen Arbeiter, rund 900, stehen noch außerhalb des Betriebs und werden auch kaum damit zu rechnen haben, in absehbarer Zeit bei der Firma wieder eingestellt zu werden. Die „Schwäb. Tagwacht" führt dies auf den Mangel an Aufträgen bei der Firma Bosch und auf die Krisis in der Industrie zurück, da nicht nur Bosch, sondern auch
die Konkurrenzfirmen seit Wochen Einschränkungen der Produktion vorgenommen, Feierschichten eingelegt und Arbeiter entlassen hätten. Auch ohne den Kampf würden heute mehr als 1000 Bosch'sche Arbeiter auf der Straße liegen. Zurzeit seien etwa 2650 Arbeiter und Arbeiterinnen bei Bosch beschäftigt, vor der Aussperrung seien es nach Angabe der Firma 3750, im Februar anläßlich der ersten Arbeiterausschußwahl 4200 gewesen, noch etwas weiter zurück, in der Hochkonjunkur habe die Firma Bosch 4800 Arbeiskräfte gezählt.
Heilbronn, 5. Sept. Einem hier verbreiteten Gerücht zufolge hat sich der flüchtige Stadtpfleger Burger in Hamburg erschossen. Eine amtliche Bestätigung der Nachricht steht noch aus.
Brackenheim. 5. Septr Die bürgerlichen Kollegien haben die Beschaffung einer zweiten Stadtarztstelle beschlossen. Als Warteqeld werden 500 Mk. ausgeworfen. Nachdem der Oberamtsarzt für den Bezirk Besigheim in den Ruhestand getreten ist, sollen die Bezirke Brackenheim und Besigheim durch einen Oberamtsarzt im Hauptamt versehen werden. Als solcher ist Medizinalrat Or. Schmid in Brackenheim in Aussicht genommen. Dessen Ernennung ist zwar noch nicht erfolgt, die Stadt und die ganzen umliegenden Orte haben jedoch das lebhafteste Interesse, daß ein tüchtiger Arzt hierher kommt.
Die Schreckenstat in Mühlhausen a. E.
Mühlhausen an der Enz, 5. Septbr. Ein grauenhaftes Verbrechen wurde (wie schon in Folge telephonischer Mitteilung auch in diesem Blatt kurz berichtet) heute nacht in unserem so friedlichen Orte verübt, so grauenhaft und erschütternd, daß sich die Feder sträubt, all das Unglück und all den Jammer, von dem unser Ort und seine friedlichen Bürger betroffen wurden, niederzuschreiben. Daß die Tat von einem Menschen mit normalem Sinn verübt worden ist, kann man nicht annehmen. Der Mann heißt Wagner, ist von Beruf Schullehrer und gegenwärtig in Degerloch angestellt; vor mehr als 10 Jahren war er hier als Unterlehrer tätig. Vor 4 Wochen kam er auf kurze Zeit wieder hieher und brachte seine beiden Kinder zu seinen Schwiegereltern zu Besuch. Noch vor 8 Tagen war eines seiner Verwandten bei ihm in Degerloch und auch da war das Verhältnis das denkbar beste, und nun kam er plötzlich heute nacht in unseren stillen Ort wie ein wildes Tier. Gegen 12 Uhr hörten und sahen die Nachbarn des Schulhauses plötzlich, daß eine Scheune brannte. Als sie sich bei einem Manne, der in der Dunkelheit vorbeikam, nach der Ursache des Feuers erkundigten, fiel statt der Antwort ein Schuß und ein Mann sank totgetroffen nieder. Nachdem nun der Täter entdeckt worden war, wandte er sich nach anderen Ortsteilen, um auch dort zu brennen und zu morden. Im Oberdorf zündete er eine zweite große Doppelscheune an, von der aus noch ein Nebenhaus in Brand geriet. Hier wurde einer der beliebtesten Bürger, Christian Vogel sen., von ihm niedergeschossen. Vogel sah, nur notdürftig bekleidet, nach der Ursache des Feuers. In dem Augenblick aber, als er das Fenster öffnete und den Brandstifter nach der Brandursache fragen wollte, erhielt er einen Schuß in den Mund, der ihn sofort tot niederstreckte. Die Kugel drang am Oberkiefer ein und trat am Hinterkopf wieder heraus. Ohne sich noch einmal zu rühren, fiel er tot zu Boden. Im ganzen hat Wagner den Ort an vier Stellen angezündet, außer an den genannten noch im Oberdorf und im Adler, dem Hause seiner Schwiegereltern. Als er zum fünften Mal versuchte, Feuer zu legen, wurde er erwischt. In den Händen hatte er zwei große Armeerevoloer, mit denen er blindlings darauf losschoß. Der Polizeidiener erhielt 2 Schüsse und der Nachtwächter ebenfalls einen. Wo sich Menschen, ganz gleich ob Greise, junge Männer, oder Frauen oder Kinder zeigten, wurden sie von Wagner angeschossen. Im ganzen fielen ihm acht Personen zum Opfer, außer dem bereits genannten Christian Vogel noch Heinrich Knützele, Jakob Schneider, Chr. Wiedmaier, Friedr. Geisinger, Georg Müller, Friedr. Bauer und die 11jährige Marie Bader, die sämtlich auf der Stelle tot waren. Ganz besonders tragisch ist das Schicksal der Familie Bader: Vater und Mutter sind lebensgefährlich verletzt, und die 11jährige Tochter ist tot. Die Zahl der Verwundeten beträgt 11, von denen die Hälfte lebensgefährlich verletzt ist. Ihre Namen sind: Friedrich Maier, Karl Benz, Johann Martini, Polizeidiener Kintsch, Christian Müller; dieser erhielt im ganzen 4 Schüsse, darunter einen Lungenschuß. Weiter sind verletzt: die bereits genannten
Bader'schen Eheleute. Jakob Knützele. ein Bruder des Erschossenen. Friedr. Nägele, Friedr. Müller und Jakob Bopp. Kein Mensch traute sich nach diesen vielen Schüssen mehr auf die Straße. Wer sich zeigte, wurde von dem Wahnsinnigen kurzerhand niedergeschossen. Endlich ging der Polizeidiener. der selbst schon angeschossen war, mit einem Eisenbahnarbeiter auf den sich wie rasend gebärdenden Mann los und schließlich gelang es den beiden Männern, ihm die Revolver aus den Händen zu schlagen. Nachdem er überwältigt worden war. wurde ihm von der inzwischen angesammelten höchst erregten Bevölkerung übel mitgespielt. Eine Hand wurde ihm zweimal abgeschlagen und sein Kopf trägt kein unverletztes Fleckchen Haut mehr. Erst als er ohnmächtig am Boden lag, ließ die Menge von ihm ab. Er wurde gefesselt und ins Armenhaus eingeliefert. wo er jedoch bald wieder zum Bewußtsein kam. Der Eindruck, den der Daliegende jetzt auf die Beschauer macht, ist durchaus nicht so, als ob er geistesgestört wäre. Das Feuer an den 4 Stellen konnte sich dank der Windstille und dem sofortigen Eingreifen der Bevölkerung nicht weiter ausdehnen. Nach der Ueberwältigung des Mörders nahm die Bevölkerung sofort die Löscharbeiten, tatkräftig durch die hiesige Feuerwehr, die Feuerwehr der 8 km entfernten Oberamtsstadt Vaihingen und durch eine in Vaihingen einquartierte Abteilung Fußartillerie unterstützt, auf. Die Feuerwehr von Enzweihingen brauchte nicht mehr in Tätigkeit zu treten. Wagner wird als ein überaus ruhiger stiller Mensch geschildert. Er hatte schon vor Tagen von Degerloch aus einen Ausflug nach Ludwigsburg geplant. Ohne den Hausbewohnern vorher etwas zu sagen, fuhr er mit Frau und vier Kindern gestern früh ab, kam aber gestern abend wider seine früher geäußerte Absicht nicht zurück. Er wurde nachts beobachtet,, wie er dem '/212 Uhr-Zug in Vaihingen a. d. E. entstieg und nach Mühlhausen zuging. Es fiel auf, daß er ein schwarzes Netz vor dem Gesicht hatte. Er trug ein kleines Handköfferchen und war auch noch, wie gesagt wird, mit einem Gürtel versehen, in dem zwei Revolver staken. Die Gerichtskommission ist heute früh bereits eingetroffen, ebenso Oberamtmann Pflüger aus Vaihingen. Wagner hat sich inzwischen bereit erklärt, der Gerichtskommission gegenüber sich zu äußern. Man weiß noch nicht, ob man ihn für geisteskrank halten soll, denn er spricht außerordentlich ruhig über die Tat, obwohl er schwer verwundet ist. Doch wird er mit dem Leben daoon- kommen.
Mühlhausen a. Enz, 5. Sept. Von den von dem Hauptlehrer Wagner verletzten Personen sind n^och 2 im Lause des Tages gestorben. Die Ermordung seiner Frau und seiner 4 Kinder in Degerloch wurde durch eine Postkarte bekannt, auf der Wagner seine Hauswirtin, eine Lehrerswitwe, um Verzeihung bat, daß er in ihrem Haus den Mord begangen habe. Als die Polizei die Wohnung gewaltsam öffnen ließ, fand sie heute früh 10 Uhr die Frau mit mehreren Dolchstichen im Halse tot im Bette liegen. Ein grauenhafter Anblick bot sich im Zimmer der Kinder, in dem die 4 Kinder, von denen das älteste ein Mädchen im Alter von 11 Jahren ist, mit durchschnittenem Hals tot in den Betten lagen. Die Untersuchung hat ergeben, daß Wagner von 300 Patronen 80 verschossen hatte. An jedes Handgelenk hatte er eine automatische Selbstladepistole angeschnallt und in der Tasche fand sich ein weiterer Revolver, eia Dolchmesser und ein Totschläger. Nach seiner Verhaftung simulierte der Mörder Bewußtlosigkeit, da er fürchtete, von der erbitterten Menschenmenge gelyncht zu werden. Aus demselben Grunde verweigerte er auch bei seiner Vernehmung in Mühlhausen jede nähere Auskunft. Er gab aber zu, die Tat bereits seit 6 Jahren vorbereitet zu haben. Dies geht auch aus einem bei dem Mörder Vorgefundenen Briefe hervor. Bei der gerichtlichen Vernehmung ergab sich keinerlei Anhaltspunkt für die Annahme, daß der Mörder irrsinnig sei. Auch die zugezogenen Aerzte haben von einer Unzurechnungsfähigkeit nichts bemerkt. Die Empörung der Bevölkerung ist derart gestiegen, daß der Mörder heute nachmittag unter starker polizeilicher Bedeckung nach Vaihingen ins Amtsgericht eingeliefert werden mußte. Der Täter ist von Eglosheim bei Ludwigsburg gebürtig und war nach dem Besuch der Volksschule und des Lehrerseminars in verschiedenen Orten kürzere Zeit tätig, so in Plieningen, Schorndorf und Lorch. In Radelstetten OA. Blaubeuren war er 8 Jahre lang angestellt und seit 2 Jahren Hauptlehrer in Degerloch. Bei seinen Schülern soll er beliebt gewesen sein. Sonst war er aber etwas menschenscheu. Nach einem Schreiben an seinen Rektor hatte er an seinem Beruf