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43.
Reuenbürg, Samstag den 15. März 1913.
71. Jahrgang.
Rundschau.
Zur hundertjährigen Jubelfeier von Preußens und Deutschlands Wiedergeburt.
Hell klingt ein Jubel durch das Land Und füllt frohlockend jedes Haus,
Denn vor nun hundert Jahren stand,
Das Volk kühn auf im Sturmesbraus.
Es folgte seines Königs Ruf,
Der Kampspreis neues Leben schuf.
Und alle, alle, alle kamen!
Wer zählt die Helden, nennt die Namen!
Es war ein' Kampflust ohnegleichen!
Sieg oder Tod! Das war das Zeichen!
Denn schwere Ketten galt's zu brechen Und argen Schimpf am Land zu rächen.
Aus Deutschlands tiefster Schmach und Not Erstand der Freiheit Morgenrot,
Und alles sich so neu gebar In jenem großen Kampfesjahr.
Und schon winkt' auch aus jener Zeit Die Segnung deutscher Einigkeit.
Frisch grünen Deutschlands Lorbeerreiser!
Hoch Deutsches Reich und Deutscher Kaiser!
Welch ein Frühling zog vor hundert Jahren in Preußen und in das ganze deutsche Vaterland ein! Es war ein Frühling des geistig und echten großen nationalen Freiheitslebens wie er noch nie vorher in einem Volke erlebt worden war. Wohl war die Zeit besonders günstig, den französischen Zwingherrn aus Deutschland zu vertreiben und das schwere Joch abzuschütteln, denn Napoleon hatte durch den Brand Moskaus und durch den furchtbaren russischen Winter eine schwere Niederlage im Jahre 1812 in Rußland erlitten und nur ungefähr den dritten Teil seines Heeres und noch dazu in schlechtem Zustande zurückgebracht. aber die Ausnützung dieser günstigen Gelegenheit zur Niederwerfung Napoleons wäre in Preußen und Deutschland nicht möglich gewesen, wenn nicht bereits eine geistige und nationale Wiedergeburt in den Herzen der deutschen Patrioten durch eine tiefe innere Einsicht und dann vor allen Dingen auch durch den edlen Mahnruf eines Fichte und eines Arndt, durch die Kampfeslieder eines Theodor Körner und durch die genialen staatsmännischen und militärischen Maßregeln eines Stein, eines Hardenberg. eines Scharnhorst und Gneisenau in Preußen stattgefunden hätten. So mußte es kommen, daß bereits des Königs Friedrich Wilhelms Aufruf vom 3. Februar 1813 an alle gebildeten Preußen, sich freiwillig zum Eintritt in die bei allen Regimentern gebildeten Jäger-Detachements zu stellen, einen ganz ungeahnten Erfolg hatte, und so konnte nun Preußen im Vertrauen auf die todesmutige Tapferkeit und opsermutige Gesinnung des Volkes das Bündnis mit Rußland abschließen und am 16. März den Krieg gegen Frankreich erklären. Am 17. März 1813 erließ der König Friedrich Wilhelm von Breslau aus auch seinen so berühmt gewordenen „Aufruf an mein Volk", der die nationale Begeisterung für den Freiheitskrieg aufs höchste entflammte. Ganz aus dem Geiste der Zeit geboren, halte der König Friedrich Wilhelm auch bereits am 10. März das Eiserne Kreuz gestiftet, welches für Tapferkeit vor dem Feinde verliehen werden sollte und das in seiner Schmucklosigkeit und Einfachheit an den eisernen ^ Ernst der damaligen schweren Zeit erinnerte. Was ^ das damalige verarmte und zerstückelte Preußen mit seinem opfermutigen Volke und seinen genialen Führern für die Befreiung des Vaterlandes geleistet hat, steht beispiellos in der Weltgeschichte da, und ! die hundertjährige Jubelfeier an die Erhebung und ! Wiedergeburt Preußens und Deutschlands ist zugleich eine Zeit ernster Mahnung.
Wir stehen im Zeichen einer ganz ungewöhnlichen politischen Hochkonjunktur, fast jeder Tag schreibt in die Geschichte seine Lettern ein und Kundgebung folgt auf Kundgebung, so daß der Tages- politiker kaum mehr zum richtigen Nachdenken kommt.
sich in der Hast der sich überstürzenden Ereignisse kaum mehr ein abgeklärtes Bild zu machen im stände ist. — Für uns Deutsche stehen im Vordergrund die Erinnerungsfeiern an das große Befreiungsjahr, denen die großen nationalen Fragen die würdigste Unterlage gaben. Es kann doch mit aufrichtiger Genugtuung festgestellt werden, daß sich alle Kundgebungen anläßlich der Jahrhundertfeier der Befreiungskriege ohne jede Ueber- hebung abgespielt haben, daß uns alle, für die vaterländische Fragen mehr sind als eine flüchtige Erscheinung, ein ruhiges, ausgeglichenes Selbstbewußtsein beseelt. Ganz besonders wohltuend hat es berührt, daß der Kaiser in seinem Tagesbefehl an die preußische Armee in so warmherzigem Tone an das Innenleben des Soldaten appelliert hat mit den Worten, daß die Armee die Devise nicht bloß äußerlich, sondern vor allem im Herzen tragen müsse: „Gottesfurcht. Königstreue, Vaterlandsliebe in der Vollkommenheit, wie sie in der großen Zeit bewiesen worden ist, müssen das Heer unüberwindlich machen." Das sind königliche Worte aus dem Munde dessen, der ein Millionenheer zu führen hat. Und groß wie das Fühlen und Denken, das jetzt das deutsche Volk beseelt, werden auch die Taten sein, mit denen die Erinnerung an die große Zeit besiegelt werden soll. Der Bundesrat ist vorangegangen, indem er dem Plane einer einmaligen Abgabe vom Vermögen zur Deckung der großen Heeresoorlage einmütig die Sanktion gab, und diese Einmütigkeit läßt erwarten, daß auch die Volksvertretung sich dem großzügigen Plane anschließt und so der außerordentlichen Zeitlage Rechnung trägt. Damit wäre dann die Hauptfrage gelöst, und wenn bezüglich der fortlaufenden Ausgaben auch nur leise Andeutungen gemacht werden, so ist doch die Erwähnung, daß eine Besteuerung des Besitzes in Betracht gezogen werden soll, ein Zeichen dafür, daß die Regierungen sich auch hier auf dem richtigen Wege gefunden haben. Die Saat für das große nationale Werk ist ausgestreut, unser Vaterland wird als Ernte den Segen des Friedens einheimsen. Das ist der Zweck der großen Rüstung und darum ist es rein unverständlich, wie eine Presse, die deutsche Politik vertreten will, von „Kriegshetze" reden kann; man läßt sich ja jeden politischen Kampf, auch den in schärfster Form gerne gefallen, aber was einmal an Nichtswürdigkeit grenzt, das ist zu viel. Es ist doch wahrlich genug, wenn von der Auslandsmesse das ganze Jahr hindurch und in diesen Zeiten wieder insbesondere eine systematische Hetze gegen Deutschland getrieben wird, in welchem Treiben Frankreich gegenwärtig den Höhepunkt erreicht hat, so daß ein Blatt von dem Ansehen der „Kölnischen Zeitung, deren Worte Gewicht haben, sich zu der Feststellung veranlaßt sieht, „es sei noch nie so ohne Scham und Rücksicht in Frankreich gegen Deutschland gehetzt worden wie jetzt." Und das Blatt zieht daraus die einzig richtige Konsequenz, die zu ziehen ist. dahin nämlich, daß wir unsere Rüstung so stark wie möglich machen müssen, denn das sei das Einzige, was wir zur Erhaltung des Friedens tun können. Das Blatt hat dann bemerkt, wir sollten die Gründe für unsere Heeresvermehrung nicht allzu weit herholen, sondern sie dort aufnehmen, wo sie für jedermann sichtbar auf der Straße liegen: wir sollten deutlich nach Westen weisen: „den Finger drauf, denn dort sitzt der Störenfried — in Frankreich." Aber bei uns hat man der „Köln. Ztg." in gewissen Kreisen sogar diesen Ausspruch verübelt. — In einem ebenso angenehmen, wie bemerkenswerten Gegensatz zu Frankreich steht gegenwärtig England zu uns. Anläßlich der Parlamentseröffnung hat Premierminister Asquith die Gelegenheit wahrgenommen, die auswärtigen Beziehungen Englands und insonderheit dessen Verhältnis zu Deutschland zu besprechen, wobei er anläßlich der Ausführungen über den Balkankrieg sich also äußerte: „In
dieser Angelegenheit haben wir in einmütigem Wunsche mit Deutschland zusammengearbeitet. Dieses Zusammenarbeiten hat nicht nur den Weg der Diplomatie angenehmer gestaltet, sondern es hat — das ist unsere feste Ueberzeugung — auch gegenseitiges Vertrauen hervorgerufen, das zwischen den beiden großen Nationen andauern wird." Dieser freundschaftliche Ton, so ungewohnt er uns nach den langen Zeiten andauernder Verstimmung erscheinen mag. ist etwas mehr als eine der üblichen diplomatischen Redensarten, denn er ist in seinem Wesen bestätigt durch die Tatsache, daß während der ganzen Balkankrisis England von allen Staaten derjenige war, der sich am loyalsten verhalten hat und der durch eben diese Loyalität zum mindesten auf indirekte Weise milgewirkt hat, daß in den Zeiten der höchsten Spannung unbedachtsame oder direkt gewaltsame Schritte von der Seite unterblieben sind, die im Ernstfälle mit der Unterstützung Englands rechnen zu dürfen glaubte. — Was die internationale Spannung anbelangt, so ist durch die Verständigung Oesterreichs und Rußlands bezüglich der Demobilisierung an den beiderseitigen Grenzen zweifellos ein kleiner Fortschritt zu verzeichnen, aber die eigentlichen Schwierigkeiten beginnen erst, wenn es sich um die Neugestaltung der europäischen Politik auf Grund der Verteilung der Beute der Balkanstaaten handelt. Einstweilen ist man aber noch nicht so weit, denn der Schwierigkeiten, die sich dem Friedensschluß neuerdings entgegenstellen, sind es noch ganz gewaltige, ist doch der Vermittlungsaktion der Mächte vorerst kein weiterer Erfolg belchieden gewesen, als daß man aufs neue Gewißheit hat, daß die sieghaften Balkanstaaten in ihren Ansprüchen so rücksichtslos sind, wie es sich nur je ausdenken ließ. Um zu einem Ende zu kommen, gäbe es nur eine sichere Kur, daß die Mächte sich entschließen könnten, denjenigen Druck, den man bisher auf die Türkei ausgeübt hat. nunmehr auch gegenüber den Balkanverbündeten auszuüben. Aber hier hapert es eben noch gewaltig. Man hat wohl immer davon gehört, daß Rußland die Türkei oft genug habe fühlen lassen, daß sie mit schwerwiegenden Folgen zu rechnen haben werde, wenn sie sich nicht füge, man hat aber noch nichts davon gehört, daß es einen ähnlichen Druck auch für Bulgarien, Serbien, Montenegro und Griechenland in Bereitschaft habe, und in dieser unterschiedlichen Behandlung der orientalischen Frage durch Rußland liegt ohne jeden Zweifel die ganze Schwierigkeit der Lage, und von diesem Gesichtspunkte aus glauben wir uns zu der Warnung berechtigt, es möchte der Demobilisierungstaktik nicht allzuviel praktischer Wert für die ganze Lösung des Problems auf dem Balkan und damit der ganzen europäischen Frage beigelegt werden.
Berlin, 14. März. Der Kaiser nahm heute vormittag den Vortrag des Staatssekretärs des Aeußern v. Jagow entgegen.
Paris, 14. März. Der Kriegsminister Etienne übermittelte der Heereskommission der Kammer seine Antwort auf die gestellten Anfragen. Der Kriegsminister weist darin die Notwendigkeit nach: 1. die Zahl der Mannschaften zu vermehren, um die Schaffung von besonderen Telegraphen, Flugschiff- und Maschinengewehrabteilungen zu ermöglichen, ohne den gegenwärtigen Effektivbestand der Regimenter zu verringern, 2. den Effeklivbestand der Kompagnien und Eskadrons. der gegenwärtig zu gering sei. zu erhöhen. Die Mobilisierung würde sich unter den besten Bedingungen vollziehen. Die Truppen aus dem Innern des Landes würden sich jedoch erst am 2. Tag an der Grenze befinden.
In Frankreich ist die öffentliche Meinung keineswegs ganz für die Einführung der dreijährigen Dienstzeit; namentlich mehren sich die Einsprüche aus der Arbeiterschaft gegen diese Maßnahme. Auch gegen eine überstürzte Verabschiedung der Vorlage