Berlin. 1. Nov. Ueber die gestrige Sitzung des Bundesrats, in der auch der Gesetzentwurf über die Schaffung eines Reichs-Petroleum- Monopols zur Beratung gelangte, wird berichtet: Die Sitzung dauerte mit geringer Unterbrechung von 9 Uhr früh bis 11 Uhr abends. Gegen die Fassung des vorgelegten Entwurfs sprachen sich die Vertreter Bayerns. Württembergs und der Stadt Hamburg Z aus. Die Einwürfe richten sich nicht gegen das Monopol als solches, sondern gegen die vorgeschlagene Form. Hierbei wurde von bayerischer Seite der Einwurf erhoben, daß bei der Schaffung eines Monopols ein Reichsmonopol wünschenswert sei und nicht die Schaffung einer Monopolbetriebsgesellschaft. Der Gesetzentwurf wurde in der ersten Lesung schließ­lich angenommen. Eine zweite Lesung wird im Laufe der nächsten Woche stattfinden.

Berlin, 29. Olt. Wie wir hören, ist eine Er­höhung des für die Kriegsveteranen bestimmten Fonds von 29 Millionen Mark vorgesehen. Die Höhe der Summe wird aber erst beim Abschluß der Etatsaufstellung festgesetzt werden. Um 4 Millionen, wie vielfach berichtet wird, kann der Fonds jeden­falls nicht erhöht werden. Die Einnahmen des Reichs aus Zöllen, Steuern und Gebühren haben in der ersten Hälfte des laufenden Rechnungsjahres rund 820 Millionen betragen und damit den Vor­anschlag um 14 Millionen überschritten. Unter diesen Einnahmen befinden sich aber auch die mchtbaaren Zollzahlungen mittels der Einfuhrscheine. Das Ein- s fuhricheinwesen benachteiligt auch in diesem Jahre ! die Reichskasse. Die Herabsetzung der Nmlaufszeit der Scheine und der Ausschluß ihrer Verwendbarkeit zur Bezahlung des Petroleum- und Kaffeezolls hat nach den Feststellungen der Zollbehörden gar nichts genützt. Unter diesen Umständen wird die Reichs- finanzverwaltung froh sein dürfen, wenn die Voran­schläge des Etats durch die baaren Einnahmen er­reicht werden.

Die beiden Häuser des bayerischen Land­tages sind am Mittwoch nach Beendigung ihrer Schlußsitzungen durch eine Botschaft des Prinz- Regenten auf unbestimmte Zeit vertagt worden.

In München erfolgte am Donnerstag die feierliche Beisetzung der Prinzessin Rupprecht von Bayern in Gegenwart zahlreicher fürstlicher Trauergäste. Der deutsche Kaiser ließ sich hierbei durch den Prinzen Eitel Friedrich vertreten.

Rom, 1. Nov. DieAg. Stef." meldet: Der italienische Minister des Aeußern, Marquis di San Giuliano, wird in Begleitung seines Kabinettchefs de Martino am 3. Nov. abends in Berlin eintreffen.

In London wurde am Mittwoch die ange­kündigte neue deutsch-englische Verständigungs­konferenz vom Lordmayor eröffnet. Er wies in seiner Eröffnungsansprache auf die Zwecke der Kon­ferenz hin und drückte die Ueberzeugung aus. daß ein Krieg zwischen England und Deutschland un- ' möglich sein werde. Alsdann übernahm der frühere Botschafter Englands in Berlin, Sir Frank Lascelles, mit einer Ansprache den Vorsitz, hierbei die deutschen Delegierten warm begrüßend. Der Präsident der deutschen Delegierten, Gesandter a. D. Graf Leyden, dankte für diese Begrüßung. In der Nachmiltags­sitzung vom 31. Oktober wurde die Frage der Ab­grenzung der englischen und deutschen Interessen­sphären auf kolonialem Gebiet behandelt. Sir Johnfton erörterte die in Deutschland herrschende Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Zustand und Deutschlands Anspruch auf ein Kolonialreich. Es folgten die Verlesung des Vortrages des Pastors O. Umfried. Reden von Prof. Arndt-Frankfurt a. M. und Lord Braßeys. Letzterer zollte der Entwickelung Deutschlands in Bezug auf Industrie, Handel und Schiffahrt Bewunderung und befürwortete ein englisch­deutsches Zusammenarbeiten statt der gegenseitigen Eifersucht.

Die Bank von England hat bekanntlich vor zwei Wochen ihre Rate auf den für englische Ver­hältnisse hohen Satz von 5 Prozent heraufgeseht. Die Bank von Frankreich, die nur selten ihren Wechseldiskontsatz über 3 Prozent steigert, hat ihre Rate auf 3^/s Prozent erhöht. Die Deutsche Reichs bank, die einige Tage hindurch eine ab­wartende Haltung einnahm, hat inzwischen gleichfalls den Wechseldiskont auf 5 Prozent festgestellt, in der Absicht, Goldausgänge zu verhindern, und dieOester - reiche Ungarische Bank hat ihren Zinsfuß sogar auf o'/r Prozent gesteigert. Es ist indes sehr frag­lich, ob damit die Periode der Diskonterhöhungen bereits ihren Abschluß gefunden hat.

Paris, 31. Okt. Die Bank von Frank­reich erhöhte den Diskont von 3Vr auf 4 Prozent und den Lombardzinsfuß von 4 auf 4*/s Prozent.

Württemberg.

Stuttgart, 1. Nov. Wie derSchwäb. Merk." hört, hat Württemberg im Gegensatz zu der Nachricht aus Berlin besondere Bedenken gegen den Entwurf eines Reichspetroleummonopols im Bundesrat nicht erhoben.

Stuttgart, 1. Noo. (Zur Landtagswahl.) Die Nationalliberale Partei hat den Major a. d. Schuster in Degerloch als Zählkandidaten für die Landtagswahl in Stuttgart-Amt aufgestellt.

Die Zusammensetzung der Oberamtswahl­kommission ist unter der Herrschaft der neuen Bezirksordnung diesmal total verändert gegenüber den Landtagswahlen von 1906. Geblieben ist nur der Oberamtmann als Wahlkommissär oder Vor­sitzender. Die zwei Mitglieder der Amtsversammlung und die zwei Mitglieder der Bürgerausschüsse des Bezirks, die von der Amtsversammlung gewählt wurden, sind nicht mehr. An ihre Stelle tritt der Bezirksrat. Dasselbe ist der Fall bei den zu eigenen Wahlen befugten Städten, wo seither dem Vor­sitzenden je zwei Mitglieder des Stadtrates und des Bürgerausschusses beigegeben waren. Die Tätigkeit der Oberamtswahlkommission liegt einmal darin, daß sie die endgiltigs Entscheidung fällt über Ein­sprachen gegen die Wählerliste, die von der Orts­wahlkommission nicht erledigt werden konnten. Hat die Oberamtswahlkommission solche Anstände be­hoben, so ergänzt sie danach die Wählerliste, prüft sie auf äußerlich wahrnehmbare Mängel und ver­anlaßt deren Berichtigung. Zuerst aber wählt sie für jeden Abstimmungsdistrikt ihres Wahlbezirks einen Wahlvorsteher oder Distriktswahlkommissär, der die Wahl zu leiten hat. auch hat sie einen Stellvertreter desselben für Verhinderungsfälle zu wählen. Ueber die Ermittelung des Wahlergebnisses hat die Ober- amlswahlkommission ein Protokoll aufzunehmen, aus dem die Zahl der Wähler, sowie der gütigen und der ungiltigen Stimmen und die Zahl der auf die einzelnen Kandidaten gefallenen Stimmen für jeden einzelnen Abstimmungsdistrikt ersichtlich sein muß und in dem die Bedenken zu erwähnen sind, zu denen die Wahlen in den einzelnen Abstimmungs­distrikten etwa Veranlassung gegeben haben. Zur Beseitigung solcher Bedenken ist der Vorstand der Oberamtswahlkommission befugt, die von den Wahl­vorstehern aufbewahrten Stimmzettel einzufordern und einzusehen. In dem Protokoll wird auch be­urkundet, daß Tag und Stunde, sowie das Lokal der Verhandlung durch Anschlag am Oberamtsge­bäude öffentlich bekannt gemacht wurden und daß das Lokal während der ganzen Verhandlung dem Zutritt der Wähler offen stand. Nach Feststellung des Wahlergebnisses stellt die Oberamtswahlkommission dem Gewählten die Wahlurkunde aus.

Stuttgart, 31. Okt. (Finanz. Wochenrückblick.) Die Zuspitzung der politischen Lage durch die Siege der Balkanstaaten, die den Status quo nicht aner- , kennen und auch von den Großmächten schwerlich ! dazu gezwungen werden können, hat die Börse mit ? neuen Besorgnissen wegen der Erhaltung des euro- ! päischen Friedens erfüllt. Der Ultimo brachte des­halb eine Menge von Exekutionen mit sich, die erst gegen den Schluß der Berichtswoche beendigt waren und einer allmählichen Erholung der Tendenz wichen. Diese Besserung der Stimmung, von der man ohne­hin nicht weiß, ob sie den kommenden Monat erlebt, vermochte gleichwohl nicht die schweren Kurseinbußen der vocausgegangenen Tage auszugleichen, sodaß die Kursveränderungen fast ausnahmslos aus Rück­gängen bestehen.

Stuttgart, 1. Nov. Heute vormittag stattete eine Anzahl hoher Beamter der Generaldirektion der Staatseisenbahnen dem Wartesaal III. und IV. Klasse zur Besichtigung des seit dem heutigen Tage «öff­neten Bahnhofs-Automaten einen längeren Be­such ab. Es erschienen u. a. die Präsidenten von Stieler und v. Zluhan, die Direktoren v. Leo und v. Neuffer, die sich sämtlich sehr anerkennend über die mustergültige Anlage äußerten.

Stuttgart, 1. Novbr. Von dem vermißten BallonDüsseldorf" ist bis heute abend immer noch keine Nachricht eingetroffen. Am Ergebnis der Fahrt würde durch diesen Ballon eine Aenderung nicht eintreten, da er außer Konkurrenz mitfuhr. Obwohl eine genaue Feststellung des Resultats der großen luftsportlichen Veranstaltung erst nach Ein­treffen der Bordbücher sämtlicher Ballone möglich ist, steht heute schon so viel fest, daß Frankreich dies­mal den Hauptpreis erhalten wird, denn die beiden französischen BallonePicardie" undIle de France" sind nicht weit von einander gelandet, beide in der ! Nähe von Moskau. Sie haben eine Entfernung von ' 2100 bezw. 2000 Kilometer zurückgelegt. Das ist

die größte Entfernung, die beim diesjährigen und überhaupt bei den früheren Gordon-Bennet-Wettfliegen erreicht wurde. Der seitherige Weltrekord wurde 1910 mit 1887 Kilometer Entfernung von dem amerikanischen BallonAmerika II" aufgestellt. Auch der an der diesjährigen Gordon-Bennet-Fahrt betei­ligte italienische BallonAndromeda" hat den bis­herigen Rekord gebrochen; die von ihm erzielte Entfernung beträgt etwas über 1900 Kilometer. Der für die längste Fahrt vom Deutschen Luflfahrer- vsrbande gestiftete Preis wird gleichfalls Frankreich zufallen, da der französische BallonPicardie" ins­gesamt 45 Stunden 55 Minuten in der Luft war. Der Ehrenpreis der Nordwestgruppe des Deutschen Luftfahrerverbandes für den besten deutschen Ballon dürfte dem BallonReichsflugverein" zufallsn, der 44 Stunden 56 Minuten in der Luft war.

Tübingen, 1. Nov. (Schwurgericht.) In der gestern verhandelten Strafsache gegen Albert Proß, Gastwirt in Beihingen, wegen Körperverletz­ung mit nachgefolgtem Tod lautete das Urteil auf zwei Jahre Gefängnis.

Evangelisches Bewußtsein.

Zum Reformationsfest 1912.

Unsere Zeit ist in Beziehung auf die religiösen Fragen recht widerspruchsvoll geworden. Auf vielen Gebieten tritt man leise auf, sobald Re­ligion und Konfession in Frage kommen. Im politischen Leben ist es nicht opportun, die religiösen Gegensätze zu betonen, die Staatsklugheit verbietet es. Im gesellschaftlichen Leben schwelgt man die Fragen tot aus Höflichkeit. Was einer glaubt, zu welcher Konfession er sich bekennt, ist gleichgültig, wenn er nur ein netter, umgänglicher Mensch ist das andere ist gleichgültig. So haben wir es uns allmählich angewöhnt, mit allen spezifisch religiös und evangelisch gefärbten, aus innerster Ueberzeugung gebornen Urieilen zurück zu Hallen. Kraftvolles evangelisches Bewußtsein ist nicht immer ausgelöscht, tritt aber vielfach zu sehr zurück.

Und daneben jener laute, oft heftige Kampf um religiöse Fragen in der Oeffentlichkeit, wie er besonders in den letzten Jahren gerade die evangelische Kirche erschüttert hat. Auf allen Seiten erklingen die Kampfrufe, allerlei Neues ringt sich empor. Es ist natürlich, daß es im Kampfe nicht immer ohne Bitterkeit abgeht, und wo gehauen wird, da fallen Spähne. Aber wer den Stimmen lauscht, der findet, daß des Verneinens, des Protestierens mehr ist als des Bejahens. Die Lust zum Widerspruch in übersprudelndem Selbst­bewußtsein ist größer, als die Kraft der Bejahung und des Bekennens. Protestantisch ist ein moderneres Wort als evangelisch.

Unser Marlin Luther aber war weder ein Leisetreter, noch ein rein verneinender Protestant. Die Kraft dieses mutigen Bekennens lag weder in einem sicheren Selstbewußtsein eigener Kraft, noch in zaghafter Vorsicht, sondern in einer aus tiefen Seelenkämpfen vor Gottes Angesicht ge­borenen Furchtlosigkeit und in einem Selbstbewußt- sein, aus dem man den tiefen Ton der Demut des begnadeten Gotteskindes heraushöcte. Luther würde heut allen vorsichtigen Rücksichten und Verleugnungen im öffentlichen Leben sein kraftvolles Bekenntnis zum Evangelium entgegensetzen und in allen verwirrenden religiösen Kämpfen der Gegenwart unermüdlich Hin­weisen auf den einzig sicher stehenden Stern am Himmel der Menschheit auf das biblische Evan­gelium, von dem man nicht weichen und nachgeben kann,es falle denn Himmel und Erden, und was nicht bleiben will." Solches echt evangelisches Bewußtsein fehlt heute zu viel. Dazu mahnt der Reformationstag mit Luthers Wort:Die Seele hat kein ander Ding weder im Himmel noch auf Erden, darinnen sie lebe, fromm, frei und ein Christ sei, denn das heilige Evangelium, das Wort, von Christus gepredigt."

Aur Landtagswahl.

(Eingesandt.) Im gegenwärtigen Wahlkampf wendet die Sozialdemokratie ihre ganze Stoßkraft gegen die verbündeten Mittelparteien und versucht an der liberalen Wählerschaft besonders bei den Linksstehenden abzusplittern. Vor allem wendet sie sich gegen die Volkspartei und will ihr die Bezeich­nungdemokratisch" vollständig absprechen. Sie beruft sich auf die Haltung der Demokratie im Jahre 1848. Um was handelte es sich damals? Vor allem war es der deutsche Einheitsgedanke, der von der Demokratie verfochten wurde, aus den s Einzelstaaten, die sich untereinander bekämpften, aus > dem ohnmächtigen Deutschland, das damals nur ein