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165.

Neuenbürg, Mittwoch den 16. Oktober 1912.

. Jahrgang.

RunSlchau.

Die Krise aus dem Balkan.

Belgrad, 14. Oktober. (Wolffs-Büro. Tele- gramm an de»Euztäler", Uhr abends.) Nach amtlicher Meldung haben heute früh 5 Uhr die türkischen Truppen die Grenze überschritten und die Terbe« bei Irsch angegriffen.

Athen, 14.Okt. (Wolffs-Büro. Telegramm au denEnztäler", '/«6 Uhr abends.) Die Regier­ung ließ der Pforte eine Rote überreichen, welche die Freigabe der griechischen Handels­schiffe und Entschädigung der Eigentümer inner­halb 24 Stunde« fordert.

Während die Montenegriner schon seit einigen Tagen im Kampfe stehen, der aber schon zu ihren Ungunsten auszufallen beginnt, haben Bul­garien, Griechenland und Serbien ihrUlti- matum an die Pforte überreicht. An der serbi­schen Grenze wird schon gekämpft. Jeder Teil wirft dem andern vor, zuerst angefangen zu haben. Bulgarien fordert nichts mehr und nichts weniger als die sofortige türkische Abrüstung, Griechenland die Freigabe der beschlagnahmten griechischen Han­delsschiffe und Entschädigung der Eigentümer inner­halb 24 Stunden. Zugleich wird von Griechenland gemeldet: Athen, 15. Oklbr. Die Kammer trat gestern zusammen. Auch die kretischen Abgeord­neten waren anwesend. Ministerpräsident Veniselos erklärte formell, daß künftighin nur noch eine einzige Kammer für Griechenland und Kreta bestehe. Das ist in deutschen Worten die Erklärung der Vereinig­ung Kretas mit Griechenland, die die Mächte nicht zugeben und zu deren Verhinderung die Kriegsschiffe schon unterwegs sind. Nach einem Privattelegramm äußerte der König zu einem Vertreter einer Groß­macht: Ich sehe keine Hoffnung auf Erhaltung des Friedens. Auch Ministerpräsident Veniselos ver­hehlte gestern nicht, daß der Krieg vor der Türe stehe.

Bukarest, 15. Okt. Nach einem Privattele­gramm wird Rumänien nicht mobilmachen. Es wird nur den letzten Jahrgang unter den Waffen behalten.

London, 14. Oktbr. Reuterbüro meldet aus Podgoritza: Nach einem Telegramm des Generals Wukotitsch (Montenegro) haben seine Truppen gestern die Höhe Visitor bei Gusfinje besetzt.. Die Türken, die heftigen Widerstand leisteten, erlitten beträchtliche Verluste. Am nämlichen Tag haben die Montenegriner zwei weitere Stellungen der Türken besetzt. Die Verluste der Montenegriner seit Beginn des Krieges betragen 256 Tote und 800 Verwundete.

Belgrad, 15. Okt. Nach den aus Ristowatz eingetroffenen amtlichen Nachrichten sind bei dem Geplänkel" an der türkisch-serbischen Grenze auf serbischer Seite 2 Mann getötet und 4 verwundet worden. Die türkischen Truppen haben sich über die Grenze zurückgezogen.

Konstantinopel, 15. Okt. Wie amtlich be­kannt gegeben wird, sind die türkischen Truppen in der Gegend von Gusinje zum Angriff überge­gangen, nachdem sie Verstärkungen erhalten hatten, und haben die Montenegriner über die Grenze zurückgeworfen. Die Verluste der Montenegriner sind beträchtlich. Der Sultan hat gestern in Begleitung von Zivil- und militärischen Würden­trägern das Generalquartier besucht und eine Parade über die Truppen abgenommen, deren ausgezeichnete Haltung allgemein bewundert wurde. Der Parade wohnten der deutsche, der österreichisch-ungarische und der englische Militärattache bei.

Wien, 15. Oktbr. DieNeue Freie Presse" meldet aus Belgrad; Heute wird ein Regierungs­kommunique folgenden Inhalts verlautbar werden: Türkische Truppen haben die Grenze überschritten

i und sich auf serbischem Gebiet verschanzt. Sie wur- i den im Laufe des Nachmittags zurückgeschlagen, i wobei wir einen Verlust von 2 Toten und 4 Ver- i wundeten hatten. Die Regierung betrachte diesen ! Ueberfall aber nicht als ea8U8 belli, wohl aber als i eine Provokation und einen Beweis der feindseligen ! Gesinnung der Türkei. Die Regierung ist gleichwohl i entschlossen, in korrekter Reserviertheit die Antwort j auf ihre gestrige Note abzuwarten.

^ Die offiziöseNordd. Allg. Ztg.", welche bislang ! noch immer eine gewisse Zuversicht betreffs der ! diplomatischen Aktion der Mächte zur Ver- - Hinderung eines allgemeinen Balkankrieges bekundete, j geht nun auch zu den Pessimisten über. Das Ber- i liner Regierungsblatt erklärt in seiner jüngsten ; Wochenschau, daß man sich irgendwelchen Erfolg z von dieser Aktion nicht mehr versprechen könne, und ; betont, es komme jetzt nur noch darauf an, zu ver- > hüten, daß die Mächte selber in die Balkanwirren ! hineingezogen würden, wofür ihr gemeinsam kund- ! gegebener Entschluß, keine Aenderung des territorialen ! 8tutu8 quo auf dem Balkan zuzulassen, eine Ge- j währ biete.

? Nach auffälligem Zögern haben endlich die bul- ^ garische und die serbische Regierung die den ^ beiden Regierungen durch die Gesandten Oesterreich- 1 Ungarns und Rußlands in Sofia und Belgrad über- i gebene gemeinsame Note der Großmächte, welche j Bulgarien und Serbien vor kriegerischen Schritten i warnt, beantwortet. Es ist dies am Sonntag abend i geschehen; die betreffenden Antwortnoten enthalten, wie gemeldet wird, übereinstimmend die Forderungen der administrativen Autonomie für Mazedonien. Alt­serbien und des Sandschak Novibazar, sowie der Stellung der Autonomie unter die direkte Kontrolle der Großmächte und der Balkanstaaten. Es gilt als ausgeschlossen, daß die Pforte diese Forderungen annehmen wird, und so steht denn nun auch der Ausbruch des Krieges vor den Türen.

Englische Intrigen in den Balkanwirren.

Es kann kaum einem Zweifel mehr unterliegen, daß in den jüngsten Balkanwirren englische Intrigen und Machinationen tätig sind, um nicht nur einen neuen Kriegsbrand auf der Balkanhalbinsel, sondern möglichst auch einen europäischen Krieg zur Förderung der politischen Interessen Englands hervorzurufen. Diese in ihren letzten Zielen und innerstem Kern gegen Deutschland gerichteten Machenschaften Eng­lands zielten zunächst darauf, Rußland langsam in einen Balkankonflikt, der sich für die englischen Be­strebungen als am geeignetsten erwies, hineinzuzerren, dann Rußland auf die Gegnerschaft Oesterreich- Ungarns. auf welche die russischen Interessen im europäischen Orient stoßen, hinzuweisen und so schließ­lich den Stein ins Rollen zu bringen. Und man muß gestehen, daß dieser Plan bis jetzt durchaus gelungen ist. Mit Hilfe englischen Goldes und englischer Versprechungen wurden die christlichen Balkanstaaten gegen die Türkei aufgestachelt, und noch während der russische Minister Sassonow als reisender Friedensapostel auf englischem Boden weilte, brach die neueste Balkankrisis offen aus. Gleich­zeitig erfolgte die famoseProbemobilisierung" des von England mißtrauisch gegen Oesterreich-Ungarn gemachten Zarenreiches, und die Sache war nun im schönsten Gange. Es galt jetzt nur noch, die unter Führung der Herren Poincare und Sassonow inszenierte diplomatische Vermittlungsaktion der Mächte zur Ver­hütung des drohenden Balkankrieges auf ein totes Geleis zu leiten, auch das ist den hinter den Kulissen arbeitenden Künstlern der skrupellosen englischen Diplomatie nur zu sehr geglückt. Die Zerfahrenheit der Mächte bei ihren offiziellen Bemühungen, die Balkankrisis zu beschwören, und der schließliche Miß­erfolg, den hierbei die Mächte verzeichnen mußten, sind ganz zweifellos das Werk englischer Intrigen

und Machenschaften, und die heimlichen Drahtzieher jenseits des Kanals können sich vergnügt die Hände reiben, daß ihnen alles so nach Wunsch gegangen ist. Natürlich entspricht es auch völlig den englischen Plänen, daß inzwischen das kleine Montenegro flott und unverzagt gegen die Türkei bereits losgeschlagen hat, gestützt auf die geheimen Zusicherungen, welche es vom Newa- und Themsestrand höchst wahrschein­lich empfangen hat. Das Unheil nimmt also seinen Lauf, und wenn sich jetzt Bulgarien, Serbien und Griechenland zur tatkräftigen Unterstützung des monte­negrinischen Bundesbruders im Kampfe gegen die Türkei anschicken, so dürfte dies durchaus in das Rezept der unverantwortlichen Unruhestifter an der Themse passen. Dann fehlte nur noch, um den Erfolg des englischen Intrigenspiels vollständig zu machen, die Umwandlung des Balkankrieges in einen europäischen Krieg, bei welchem das ränke­lustige Albion so recht im Trüben fischen könnte. Die weiteren Ergebnisse werden ja von selbst zeigen, ob den englischen Machenschaften auch die Erreichung dieses letzten Zieles gelingen wird, ob sie wirklich imstande sein werden, auf Grundlage der Balkan­wirren Rußland und Frankreich in einen Krieg gegen Oesterreich Ungarn und Deutschland hineinzutreiben. Man kann nur hoffen und wünschen, daß ein solches entsetzliches Experiment, zu welchem sich der nackte Jnteressenegoismus Englands zu versteigen sucht, noch in letzter Stunde scheitern möchte, daß man in den maßgebenden Kreisen Rußlands und Frankreichs noch rechtzeitig erkennt, auf welches blutige Endziel die politischen Machenschaften ihres beiderseitigen englischen Ententefreundes zusteuernl

Kaiser Wilhelm hat seinem Herbstaufenthalt im Jagdschloß Rominten und dann in Cadinen noch einen auf mehrere Tage berechneten Jagdbesuch in Hubertusstock Nachfolgen lassen, wo er seit Sonntag früh mit der Kaiserin weilt. Im Laufe des ge­nannten Tages traf auch der Reichskanzler v. Beth- mann-Hollweg zum Vortrage beim Kaiser in Hubertusstock ein, was in erster Linie wohl mit der immer bedrohlicher werdenden Gestaltung der Balkanwirren Zusammenhängen dürfte.

In Deutschland macht sich eine gewisse Strömung geltend, die die an sich verständliche Besorgnis der Inhaber von Wertpapieren dahin zu mißbrauchen suchen, daß sie die finanzielle Lage Deutsch­lands als besonders ungünstig hinstellt. Das entspricht durchaus nicht den Tatsachen. Wenn auch ein ungewöhnlich starker Kurssturz an der Börse infolge der künstlich genährten Bestürzung erfolgt ist, so sind doch die Kursstürze in Paris und in Wien noch erheblich größer.

Mit der Verbeugung vor Frankreich, das leider umsonst allen Eifer zur Erhaltung des Friedens aufgeboten habe, schließt eine Kundgebung der deutschen Regierung, welche die Besorgnis des Publikums vor einem Weltbrande beiseitigen soll. Die Kundgebung erscheint in der Form einer Ber­liner Meldung derKöln. Ztg.", wird vomWölfi­schen Bureau" weiter verbreitet und lautet: Nach der Entwicklung der letzten Tage kann es für nie­mand mehr eine Ueberraschung sein, wenn das von Herrn Poincarä veranlaßte Vorgehen unmittelbaren Erfolg zur Verhinderung des Krieges unter den Balkanvölkern nicht mehr haben wird. Die Schuld an diesem wahrscheinlich gewordenen Ausgang wollen einige Blätter der zögernden Haltung der englischen Regierung zuschreiben, was unseres Erachtens jedoch zu weit geht. Vor allem ist nach hiesiger Auffassung daran festzuhalten, daß der Haupizweck des Schrittes und der vereinbarten Haltung der Mächte erreicht ist. Auch bei Eintritt der anderen Balkanvölker in den Krieg ist ein Riegel dagegen vorgeschoben, daß der Brand weiter um sich greift und die Großmächte in direkte Mitleidenschaft zieht. Das Verdienst hier­für kommt sicherlich Herrn Poincare zu.