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7S.
Reue» bürg, Samstag den 11. Mai 1912.
I?0. Jahrgang.
RunSschau.
Im Reichstage gab es am Mittwoch verschiedene Abstimmungen. Nachdem das Haus zunächst die Debatte von der vorangegangenen Sitzung über das Thema »Mischehen rn den Schutzgebieten" fortgesetzt hatte, erfolgte die namentliche Abstimmung über die Resolution der Budgetkommis- sion, welche die Gültigkeit der Mischehen verlangt. Die Resolution wurde mit L03 gegen 133 Stimmen angenommen, die Mischehen in den deutschen Kolonien sind also gestattet. Dann nahm das Haus die Abstimmungen über die Anträge zur Aenderung der Geschäftsordnung vor. Die konservativen Anträge betreffs der Besprechung einer Interpellation wurden sämtlich abgelehnt und darauf die bezüglichen Beschlüsse der Kommission angenommen, womit die Neuerung der sogenannten „Kleinen Anfragen" durchgedrungen ist. Alsdann lehnte das Haus den Antrag der Reichspartei, wonach eine Fraktion als solche anerkannt werden soll, auch wenn sie erst durch Hinzuzählung von Abgeordneten unbestimmter Parteirichtung auf die Stärke von 15 Mitgliedern gebracht werden kann, mit 188 gegen 146 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen ab; dafür wurde der Kommis- fionsbeschluß, daß eine Fraktion mindestens 15 Vollmitglieder, dis Hospitanten mit eingerechnet, zählen müsse, angenommen. Dann folgte die zweite Lesung des Etats des Reichsschatzamtes nach, wobei man die Klasseneinteilung der Orte besprach und lebhaft die Wünsche der Ältpensionare aus Erhöhung ihrer Bezüge befürwortete. Weiter kamen die Vereinheitlichung des Zollwesens, die Veteranenbeihilfe usw. aufs Tapet. Das Gehalt des Staatssekretärs und mehrere weitere Ausgabentitel wurden bewilligt. — Am Donnerstag fand zunächst die 3. Beratung des Entwurfs betr. Aenderung des Strafgesetzbuchs (Hausfriedensbruch, Entführung Mindejähriger, Diebstahl aus Not. dienstwidrige Behandlung von Telegrammen rc.) statt. Die Novelle wurde unverändert angenommen. Darauf wurde die 1. und L. Lesung des Etats für den Kaiser Wilhelm-Kanal erledigt. Bei der 2. Lesung des Etats des Reichsschatzamts traten mehrere Redner für eine Erhöhung der Veteranenbeihilfen ein.
Berlin, 10. Mai. (Reichstag.) Am Bundesratstisch Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg. Kriegsminister v. Heerin gen u. a. Präsident Kaempf eröffnet die Sitzung um 1 Uhr. Auf der Tagesordnung stehen zunächst Wahlprüfungen. Es folgt die zweite Beratung der Wehrvorlage. Abg. Erzberger (Ztr.) beantragt zunächst eine allgemeine Besprechung der Borlagen und alsdann en bloe über die Vorlagen abzustimmen. — Abg. Gans Edler Hr. zu Putlitz (kons.) ersucht als Berichterstatter um unveränderte Annahme der Wehrvorlagen und um die Annahme des Militäretats nach den Beschlüssen der Kommission. — Abg. Dr. Gradnauer (Soz.): Die große Mehrheit dieses Hauses ist bereit die Neubelastung zu bewilligen, obwohl gar kein Grund für eine genügende finanzielle Fundamentierung vorhanden ist. Angesichts der großen Lasten für die Steuerzahler beantragen wir, für die Mannschaften der Kavallerie und reitenden Artillerie die zwei- und für die übrigen Mannschaften die einjährige Dienstzeit einzuführen. Im Fall der Ablehnung unserer Resolution werden wir für die freisinnige Resolution auf Verkürzung der Dienstzeiten und entsprechender besseren körperlichen und geistigen Ausbildung der Jugend stimmen. — Abg. Erz- berger (Ztr.): Die sozialdemokratische Resolution lehnen wir ab, der freisinnigen stimmen wir zu. Wir stimmen auch für die Vorlage, die unserem Volke und Vaterlande die Stellung als Großmacht sichern soll. — Abg. Bassermann (natl.): Auch nach Durchführung dieser Vorlage, sind wir nicht in der Lage, alle waffenfähigen jungen Männer mit der Waffe auszubilden. 70000 Mann bleiben noch
übrig. Die Ersatzreserve sollte zu einer kürzeren Ausbildung herangezogen werden. Die sozialdemokratische Resolution ist noch nicht durchführbar. Zu begrüßen ist die energische Förderung des Militärflugwesens. Wir stimmen der Stärkung unserer Wehrmacht zu. Wir wollen in unserer Armee ein gewaltiges Machtmittel zur Aufrechterhaltung des Friedens und im Ernstfälle auch für den Krieg haben. — Abg. Liesch ing (Fortschr. Vp.-): Das Spielen mit dem Kriegsgedanken in Frankreich ist nicht unbedenklich gewesen. Wir stimmen deshalb der Vorlage zu. Wir begrüßen die technischen Fortschritte und di« Förderung des Flugwesens. Wir erwarten aber, daß wir jetzt längere Zeit Ruhe vor Wehrvorlagen haben werden. Nicht nur eine starke Wehrmacht, sondern auch gute Beziehungen zu den anderen Großmächten find notwendig für uns. Deshalb hoffen wir auf gute Fortschritte und Abschluß der Verhandlungen mit England ; das wäre eine Wohltat für beide Länder. Es sprachen noch die Abgg. Hegenscheidt (Rp.), v. Seyda (Pole), Herzog (W. Vgg.) und Kriegs-Minister v. Heeringen. Ein Antrag auf Schluß der Debatte wird angenommen. Hierauf wird die Vorlage gesondert — Abg. Haase (Soz.) hatte gegen die 6» bloo-Annahme protestiert — gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Polen angenommen. Damit ist die Tagesordnung erledigt. Schluß 3.45 Ahr. — In der folg. Wendsitzung wurde mit der Beratung des Militäretats begonnen.
Die Budgetkommission des Reichstages genehmigte am Mittwoch den Rest der Hesres- vorlage und trat dann in die Erörterung des Etats der Heeresverwaltung für 1912 ein, welche Diskussion am Donnerstag und Freitag fortgesetzt wurde. Die Reichslagskommission für die Deckungsvorlage führte am Mittwoch die schwierige und verwickelte Debatte über die Branntweinsteuervorlage weiter, wobei u. a. sowohl die Bestimmungen der Regierungsvorlage als auch die von den einzelnen Parteien gestellten Anträge über den Vergällungszwang abgelehnt wurden. Dafür wurden die Bestimmungen über den Durchschnittsbrand und über die Differenzierung der gewerblichen Brennereien gegenüber den landwirtschaftlichen genehmigt.
Berlin, 10. Mai. Im Reichskanzlerpalais fand gestern ein parlamentarischer Abend statt, zu dem viele Hundert namhafter Persönlichkeiten erschienen waren, unter anderem die in Berlin anwesenden Mitglieder des Bundesrates, die Minister und Staatssekretäre und Vertreter anderer Behörden, sowie eine große Anzahl bürgerlicher Abgeordneter des Reichstags und des preußischen Abgeordnetenhauses und viele Mitglieder des preußischen Herrenhauses. Ein vielbemerkter Gast war der Botschafter Frhr. Marschall v. Bieberstein. Ferner waren zahlreich erschienen die Offiziere von Heer und Flotte, die führenden Persönlichkeiten der Bank- und Handelswelt, von Kunst und Wissenschaft, von Geistlichkeit und Presse. Nachdem die Begrüßung vorüber war, entwickelte sich bald eine außerordentlich rege Unterhaltung.
Berlin, 9. Mai. Im preußischen Abgeordnetenhaus weigerte sich heute bei det Fortsetzung der Beratung des Gesetzentwurfes, betreffend die Besitzergreifung in den gemischtsprachigen Landesteilen der Sozialdemokrat Borchardt fortdauernd, den Anweisungen des Präsidenten Freiherrn von Erffa, Zurufe nur von seinem Platze aus zu machen, Folge zu leisten. Der Präsident schloß Borchardt schließlich von der Sitzung aus, Abg. Borchardt erklärte, wer ihn von seinem Platze wegbringe, vergehe sich gegen das Strafgesetzbuch, das solche Vergehen mit Strafen bis zu 5 Jahren Zuchthaus ahnde. — Der Präsident wies seinerseits darauf hin, daß er im Hause das Recht eines Hausherrn habe und schloß, da Borchardt seinen Platz nicht verließ, unter ungeheurem Beifall der Rechten und gewaltigen Unruhen die Sitzung auf eine halbe Stunde. — Nach Wiederaufnahme der
Sitzung weigerte sich auf Aufforderung des Präsidenten Borchardt erneut, seinen Platz zu verlassen. Es erschien ein Polizeileutnant und vier Schutzleute, die den Abgeordneten Borchardt unter heftigem Sträuben aus dem Saale führten. — Als der Abg. Borchardt in der fortgesetzten Beratung im Plenum des Abgeordnetenhauses wiederum erschien, und erneut den Anordnungen des Präsidenten, sich aus dem Saale zu entfernen, nicht Folge leistete, wurde er erneut durch Schutzleute aus dem Saale gebracht.
Berlin. 9. Mai. Während des Aufenthaltes des Kaisers in Metz findet eine große militärische Uebung auf Fort Lothringen statt, wobei insbesondere das Zusammenwirken der Luftschiffe und Flugzeuge dem Kaiser vorgeführt werden soll. Neben der Garnison Metz wird das gesamte Metzer Fliegerkorps der Zeppelin- und Parsevalluftschiffe an den Uebungen teilnehmen.
Prinz Waldemar von Preußen, welcher zurzeit in Japan weilt, begab sich am Mittwoch vormittag unter Kavallerie-Ehreneskorte in das kaiserliche Palais zu Tokio, wo er mit dem Kaiser das Frühstück einnahm. Der Prinz ist bekanntlich ein Sohn des Prinzen Heinrich von Preußen und demnach ein Neffe des Kaisers.
Berlin, 10. Mai. In der gestrigen geheimen Sitzung des Stadtparlaments wurde von den 3 bürgerlichen Parteien der frühere Staatssekretär Wermuth als Kandidat für den Berliner Oberbürgermeisterposten aufgestellt. Die Wahl findet bereits am nächsten Mittwoch in öffentlicher Sitzung statt.
Oldenburg, 10. Mai. Im Reichstagswahlkreis Varel-Jever wurde gestern in der Stichwahl an Stelle des j- Abg. Träger (fortschr. Vp.) der Kandidat der fortschrittl. Volkspartei Dr. Wiemer mit 15 700 Stimmen gewählt. Sein sozialdemokratischer Gegner Hug-Rüstringen erhielt 13100 St.
Die französische Regierung hat sich in Hinblick auf die für die Franzosen fortgesetzt kritische Lage in Marokko zur Entsendung bedeutender Truppenverstärkungen nach Marokko entschlossen. Solche sind in der Gesamtstärke von etwa 43000 Mann aus Algier, Tunis, vom Senegal und auch aus dem Mutterlande selbst nach Marokko beordert worden, was wohl der beste Beweis ist, wie man in den Pariser Regierungskreisen selber die Situation in Marokko für hochkritisch erachtet. — Der Ueber- fall der deutschen Farm in Ouled-Dessam bei Elksar durch eine Anzahl marokanischer Soldaten, die von französischen Offizieren ausgebildet worden sind, ist von dem deutschen Botschafter in Paris beim dortigen Auswärtigen Amte zur Klarstellung des Zwischenfalles zur Sprache gebracht worden.
Ueber die neueste Phase des italienisch-türkischen Krieges, die Besetzung der türkischen Insel Rhodos durch die Italiener, läßt sich noch nicht klar urteilen. Vom tripolitanischen Kriegsschauplätze sind in den letzten Tagen keine besonderen Nachrichten eingegangen.
Konstantinopel, 9. Mai. Das Programm der bevorstehenden Durchfahrt der Schiffe durch die Dardanellen ist endlich fertiggestellt. Die Zahl der Schiffe ist durch den Zuwachs aus dem Schwarzen Meer auf 180 gestiegen. Täglich werden 60 Schiffe ausfahren, jede halbe Stunde vier.
In den südenglischen Gewässern haben große Manöver der englischen Heimatflotte begonnen, bei denen König Georg das Oberkommando führt. Der König hat sich zu diesem Zweck an Bord des Panzerschiffes „Neptun" begeben.
London, 9. Mai. Die Bank von England ermäßigte den Diskont von 3 '/,"/<> auf 3°/o.
Asuncion. 10. Mai. Die Regierungstruppen haben in der Nähe von Jtitucua unter dem Kommando des Präsidenten Jura stehende Revolutionstruppen geschlagen.