Berlin, 18. Jan. AuS London wird uns mit- geteill: Der vorige Woche hier verhaftete Wilhelms- havener Schutzmann Gauß wurde gestern abermals vor dem Polizeigericht vorgeführt. Der Vorsitzende erklärte, daß einige Protokolle aus Deutschland eingetroffen seien, doch würden noch andere erwartet. Er vertagte die Verhandlung. Gauß wurde abgeführt.
Ludwigshafen, 18. Jan. Die Hinterbliebenen des am 22. v. M. auf der Strecke Frankfurt-Lud- wigshafen verunglückten Berliner Verlagsbuchhändlers Schotte erheben gegen die bayrische Bahnverwaltung Schadenersatzansprüche von 1 Million Mark.
In Schulitz (Provinz Posen) wurde von drei Kindern im Alter von 7, 6 und 2 Jahren, die von ihren Ellern in einem einsamen Gehöft allein zurückgelassen worden waren, das Haus angesteckt. Die beiden jüngsten Kinder sind umgekommen, das älteste wurde sehr schwer verbrannt. Das Gehöft ist niedergebrannt.
Auf der Oberspree bei Fürsten walde brach der 13jährige Sohn des Töpfermeisters Baum vor den Augen seiner Eltern beim Schlittschuhlaufen ein. Der Vater eilte zu Hilfe und versank ebenfalls. Herbeieilenden gelang es, den Vater an Land zu bringen. Der Sohn ertrank.
Von der badisch-schweizerischen Grenze, 15. Jan. In Selzach (O.Bad.) starb kürzlich unter großen Schmerzen ein vorher gesunder und kräftiger Mann im Alter von 34 Jahren drei Stunden nach dem Genuß seines Nachtessens. Die Leiche wurde seziert, und in ihrem Magen fand man eine Menge Slrichnin. Unter dem Verdacht, den Mann vergiftet zu haben, wurde dessen Frau und deren Geliebter verhaftet.
Paris, 17. Jan. Die Italiener haben einen schweren Mißgriff begangen. Sie haben den französischen Postdampfer „Carthague", der die beiden französischen Aviatiker Obre und Puval mit ihren Apparaten an Bord führte, gekapert und nach Cagliari geführt. Die Italiener sind der Ueber- zeugung, daß die beiden Aviatiker zur türkischen Armee stoßen wollten, während diese behaupten, daß sie nur in Tunis ein n Schauflug veranstalten wollten. Eine staatsrechtliche Autorität, die darüber befragt wurde, drückte ihr Befremden über den Vorfall aus. Aeroplane sind an sich als Kontrebande zu betrachten, aber der Dampfer, der unter der Flagge einer neutralen Macht zwischen zwei neutralen Häfen verkehrt, hätte unter keinen Umständen gekapert werden dürfen. Das bedeute einen schweren Eingriff in das Völkerrecht, der umso bedauerlicher sei, als Frankreich Italien nur Zeichen der herzlichsten Freundschaft gegeben habe und durch diesen Akt schwer verletzt sein müsse.
Die Bedeutung der Presse im Kriege. Im Tripoliskriege wird bekanntlich von der italienischen Heeresseite eine sehr scharfe Zensur gegenüber den Zeitungsberichterstattern ausgeübt. Der Presse wird dadurch eine große Bedeutung zugesprochen, wie auch jüngst von dem deutschen Militär-Wochenblatt anerkannt worden ist. Schon aus einigen Beispielen der neueren Zeit läßt sich erkennen, welche Bedeutung oft Zeitungsmeldungen im Kriege haben. So entnahm im Frühjahr 1854 der russische Generalstab nach einer Mitteilung des Obersten Boose im Militär-Wochenblatt aus Zeitungen des Auslandes, daß die Verbündeten die Absicht erwogen, Sewastopol auch von der Landseile anzugreifen. Als der Angriff im Sommer dann wirklich eingeleitet wurde, stieß er auf einen vortrefflich vorbereiteten Gegner. — Im Feldzuge 1866 befanden sich englische Berichterstatter im österreichischen Hauptquartier. Aus ihren in Londoner Zeitungen veröffentlichten Telegrammen konnte der preußische Generalstab sich über den jeweiligen Standort des feindlichen Oberkommandos unterrichten. — Am 18. Aug. 1870 brachte die „Times" Nachrichten über das 12. und 13. fran zösische Armeekorps, und über Mae Mahons Streit- kräfie bei Chalons. Die Zeitung meldete ferner, daß Kaiser Napoleon nach Reims gegangen sei, und am 24. August bestätigten englische Zeitungen die Nachrichten französischer Provinzblätter, daß Mac Mahon Chalons verlassen habe, um Bazaine die Hand zu reichen. Es ist bekannt, welchen Einfluß gerade diese Nachrichten auf die Entschlüsse der deutschen Heeresleitung gehabt haben. — Endlich sei noch erwähnt, daß die Nachrichten französischer Blätter, vom 20. Dez. ab würde die Eisenbahn bei Bourges nur für Militärtransporte benützt, dem deutschen Generalstab einen wichtigen Fingerzeig für den Verbleib der Armee Bourbakis gab, über die man schon seit 12 Tagen ohne sichere Nachrichten war. Die Presse hat also oft in entscheidenden Augenblicken im Kriege 1870 den deutschen Feldherrn sehr bedeutsame Fingerzeige
gegeben. Allerdings haben im selben Kriege Nachrichten von deutschen Zeitungen auch einmal großen Schaden angerichtet, weil dadurch von französischen Freischaren die Moselbrücke bei Fontenay gesprengt und damit die Aufrechtcrhaltung der Belagerung von Paris durch die deutschen Truppen sehr gefährdet worden ist. Es geht daraus hervor, daß die Presse sich ihrer Bedeutung im Kriegsfälle bewußt sein muß und nichts veröffentlichen darf, was irgendwie dem eignen Heere schaden könnte. Moltke hat allerdings mehrfach anerkannt, daß die deutsche Presse sich ihrer Pflicht zur Verschwiegenheit in militärischen Dingen sehr bewußt ist. Im Gegensätze dazu klagte jüngst das englische Armeeblatt, daß die englischen Zeitungen nur um der lieben Sensation willen die wichtigsten militärischen Dinge veröffentlichen. Die Sucht englischer Zeitungen, militärische Dinge mitzuteilen, geht, wie das englische Armeeblatt spottend hervorhebt, sogar so weit, daß sie von einfachen Soldaten sich Meldungen geben lassen, und daß es ihnen nur darauf ankommt, daß der Meldende eine Uniform anhat.
Paris, 16. Jan. In Tour wurde ein reicher Privatmann, der öffentliche Ehrenstellen bekleidet, verhaftet. Er hatte seit einem Jahrzehnt im Departement Seine zahlreiche Diebstähle, wobei ihm Hunderttausende in die Hände fielen, verübt. Er behauptet. aus den Diebstählen einen Sport gemacht zu haben.
Der Packwagen des Zuges Paris-Cherbourg, der 400 Säcke Zeitungen und Wertbriefe für Amerika enthielt, ist bei Mesnil Mauger in Brand geraten. Die Hälfte der Säcke konnte geborgen werden. Es wird befürchtet, daß ein großer Teil der Wertpapiere vernichtet worden ist.
Einer Meldung der „Stampa" zufolge wurde einem Juwelenhändler aus Mailand, als er sich am Schalter in Susa eine Fahrkarte nach Mailand löste, eine Börse mit Edelsteinen im Werte von 400 000 Franks, die er aus der Hand gelegt hatte, gestohlen und eine ähnliche Börse an ihre Stelle gelegt. Der Juwelenhändler erkannte erst in dem Augenblick, als er den Zug besteigen wollte, daß seine Börse vertauscht war.
Mürtteindei-g.
Stuttgart, 17. Jan. Gestern abend fand im Weißen Saale und den anstoßenden Räumen des Residenzschlosses der große Hof ball statt, an dem außer dem Königspaar die Mitglieder der Königlichen Familie teilnahmen und zu dem geladen waren: die Mitglieder des diplomatischen Korps und der standesherrlichen Familien, die Staatsminister und die Hofstaaten mit Damen, die Präsidenten der beiden Kammern, der engere ständische Ausschuß, die Generalität, eine große Zahl höherer Staatsbeamter, der Kanzler und der Rektor der Landesuniversität, der Rektor der Technischen Hochschule, sowie die Vorstände der übrigen Hochschulen des Landes, der Stadtdirektor, der Oberbürgermeister und der Bürgerausschußobmann von Stuttgart, sowie zahlreiche Offiziere, im ganzen über 700 Personen.
Stuttgart, 16. Jan. Die Staatsanwaltschaft sucht durch Steckbrief wegen Einbruchs und doppelten Mordversuchs den Johann Georg Pfrommer von Teinach, der unter dem Verdacht steht, den Maurer Grob von Steinenbronn und den Forstwart Rees in Rohr durch seine Schüsse tödlich verletzt zu haben. Wie das „Neue Tagbl." erfährt, neigt man der Ansicht zu, daß den Einbruch im „Rößle" in Unteraichen zwei Täter verübt haben, da einer kaum die vier mit Beute beladenen großen schweren Körbe hätte fortschaffen können. (Von den Gebrüder Pfrommer aus Teinach, die die Villa in Liebenzell ausgeraubl haben und im Zusammenhang mit anderen Einbrüchen in letzter Zeit verschiedentlich genannt wurden, ist einer, Gustav Pfrommer, und zwar derjenige, der bereits in Altensteig verhaftet wurde, in Calw in Haft. Der andere, Joh. Gg. Pfrommer, ist immer noch auf freiem Fuß und ist verdächtig, den Doppelmord ausgeführt zu haben. Verschiedenen Meldungen gegenüber, wonach Joh. Gg. Pfrommer zuerst auf der Station Teinach gesehen, alsdann in einer Wirtschaft in Ottenbronn festgenommen worden sein soll, werden von dem „Calw. Tagbl." als nicht zutreffend bezeichnet. Sicher sei nur, daß die Sicherheitsorgane unablässig seine Spur verfolgen. D. Red.) — Nun teilt das „Calwer Tagbl." mit: Der Einbrecher Pfrommer in Gewahrsam. Etwas Wahres war an dem Gerücht, Pfrommer sei in, bezw. um Teinach gesehen worden. Er wurde von einem Bahnwärter erkannt. Bei Altbulach wurde er zuletzt gesehen. Die Verfolgung mußte in der Nacht aufgegeben werden und ist gestern früh mit
Hilfe von Polizeihunden fortgesetzt worden. Die Brüder des Pfrommer, welche bei seinen Einbruchsdiebstählen in unserer Gegend beteiligt waren, befinden sich in Sicherheit. — Gestern nachmittag nun gelang seine Verhaftung in Ottenbronn im „Rößle". E.c wurde von dortigen Männern entwaffnet und festgenommen und dann unter starker Landjägerbewachung in einem Auto in das Amtsgerichts- gefängnis hierher nach Calw überführt. Der Hunger scheint ihn aus seinen gut gewählten Waldverstecken Herausgetrieben zu haben. Die Landjägermann- schasten entwickelten in den letzten Tagen, unterstützt von der Einwohnerschaft, eine angestrengte Tätigkeit. Bei seiner Verhaftung, die durch den Schultheißen und einen Forstwart erfolgte, fand man bei ihm einen Armeerevolver, der noch 2 scharfe Patronen enthielt. Nach seiner Einlieferung an das hiesige Amtsgerichtsgefängnis leugnete Pfrommer beide Mordtaten mit dem Bemerken, man könne ihm nichts beweisen. Er wurde heute vormittag durch Stationskommandant Sanier zur weiteren Untersuchung an das Landgericht Stuttgart überführt.
Calw, 18. Jan. Wie aus Ottenbronn weiter gemeldet wird, erfolgte die Festnahme des Doppelmörders Pfrommer in der Rößleswirtschaft unter der Mitwirkung des Schultheißen und des Forst- warts. Pfrommer war kurz vorher in einem Hause in Ottenbronn von einem Hausierer aus Teinach erkannt worden, als Pfrommer in das Haus gekommen war. um offenbar zu betteln. Der Hausierer sagte zu Pfrommer: „Guten Tag Schorsch, wie gehts?" Pfrommer gab aber keine Antwort, sondern machte sich gleich davon. Später trieb ihn der Hunger ins „Rößle", wo er sich dadurch verdächtig machte, daß er immer in den Taschen herumfühlte, in denen er den Revolver stecken hatte. Er kam jedoch bei der Festnahme nicht mehr zum Schießen, da der Forstwart sofort auf ihn anlegte und ein anderer ihm den Revolver aus der Tasche riß.
Stuttgart, 17. Jan. In verschiedenen Teilen des Landes wurden heute früh 5'/, und 6ffi Uhr zwei ziemlich kräftige Erdstöße verspürt, die aus der - Cbinger Gegend herzurühren scheinen. Die Stöße, die auch von der Erdbebenwarte Hohenheim registriert wurden, wurden in Stuttgart, Feuerbach, Botnang, Cannstatt, Ludwigsburg, im Remstal, in Tübingen, Ebingen und Balingen wahrgenommen. In Stuttgart ist besonders die Gegend am Hasm- berg und der Gaisburg und Uhlandstkaße beteiligt. In Ebingen wurde um 8.52 nochmals ein leichter Erdstoß bemerkt. Ferner treffen aus weiteren Orten des Oberlandes Nachrichten ein. daß auch dort das Erdbeben bemerkt wurde. Es liegt die Vermutung nahe, daß sich die Erschütterungen wieder auf dasselbe Gebiet in Württemberg erstreckten, das am 16. November 1911 betroffen wurde. Schaden ist, soweit bis jetzt bekannt, glücklicherweise nicht entstanden.
Tübingen, 17. Januar. (Auszug aus der Geschworenenliste für das 1. Quartal 1912.) Brenner, Gottlob, Landwirt von Neubulach, OA. Calw; Häberlen, Karl, Alt-Schultheiß von Calmbach; Rühm, Karl, Bauer von Stammheim; Haug, Ernst, Kassier von Gültlingen; Gaßner. Heinrich, Privatier von Calw; Dreiß, Eugen, Kaufmann von Calw; Flick, Christian, Schultheißen-Sohn von Althengstelt.
Reutlingen, 17. Jan. In der Adlerwirtschaft in Gönningen wurden gestern abend die Gäste in keinen geringen Schrecken versetzt, als auf einmal die Wirtschaft mit faustgroßen Steinen bombardiert und mehrere Fenster, die Lampe und Gläser zertrümmert worden sind. Es soll ein Racheakt vorliegen.
Vom Lande, 16. Jan. (Baumschutz gegen Hasen.) Mit dem Eintritt des Frostes wird auch Hasenschaden beobachtet. Die Langohren kommen auf die Baumäcker und nagen von unten auf die Rinde der Obstbäume ab. Das beste Mittel gegen die Nager sind bekanntlich Drahtschutzgitter. Wem aber diese zu teuer sind, für den gibt es Mittel, die den Vorzug haben, daß sie wenig kosten und ohne fremde Hilfe hergestellt werden können. Gute Dienste z. B. tut ein Brei aus faulem Fleisch und Lehm. Man sammelt alle unbrauchbare Fleisch und Fleischabfälle, läßt sie im Wasser faulen und rührt mit diesem Wasser und Lehm einen Brei an, mit welchem man die Obstbäume unten bestreicht. Meister Lampe rührt keinen so behandelten Baum an, er ist ihm zu anrüchig. Den gleichen Dienst tut auch eine Salbe aus Schweinefett und Schießpulver. Auf einen Liter Fett nimmt man ffs Pfund Pulver mischt alles zu einer Salbe durcheinander und bestreicht den Baum ringsum vom Boden an einen halben Meter aufwärts. Die Langohren bleiben von den so gesalbten Aepfel- und Birnbäumen sicherlich weg.
Druck und Verlag der C. Meeh'schen Buchdruckerei des EnztLlerS (Inhaber G. Conradi) i« Neuenbürg.