Zweites
Zweites
Blatt.
Der «nztäler.
^6 12S>
Neuenbürg, Samstag den 13. August MO.
68. Jahrgang.
RunSschau.
Worte, für die man nur einen Wunsch haben möchte, daß ihnen auch die Taten folgen, hat bei der Jubelfeier der Breslauer katholischen Arbeitervereine Fürstbischof Kardinal v. Kopp gesprochen. Er sagte: „Wir fragen nicht, welcher Religion unser Landesherr ist; wir wissen, daß er von Gott berufen ist, unsere bürgerlichen Verhältnisse zu leiten und erkennen ihn als solchen vorbehaltlos an. Wir fragen nicht, ob die Träger der Obrigkeit, dieser Gewalt, der wir unterstehen, katholisch oder nichtkatholisch sind; es ist uns genug, daß die Obrigkeit von Gott gesetzt ist, um in Gehorsam und Vertrauen uns ihr unterzuordnen. Wir fragen nicht, ob der Herr, der Arbeitgeber, der Vorgesetzte katholisch oder nichtkatholisch ist; die Arbeit, die wir ihm schulden, erfüllen wir als Gewissenspflicht. Wir fragen nicht, welcher Religion unser Mitmensch ist, wenn wir ihn in Not und unserer Hilfe bedürftig sehen; wir erblicken in ihm unfern Mitbruder, den wir nach der Lehre des Apostels in Wahrheit und Tat lieben sollen." Das sind goldene Worte für den konfessionellen Frieden. Wenn man nur auch hoffen dürfte, daß die Saat aufginge I
„Noch ist Polen nicht verloren," lautet ein bekannter Ausspruch, aber verlorene Mühe ist es anscheinend, dem polnischen Volke eine auch nur einigermaßen loyale Gesinnung gegen die Deutschen beibringen zu wollen. Wie tief der Deutschenhaß noch in dem Polenvolke wurzelt und planmäßig geschürt wird, dafür gibt folgender Satz aus einem polnischen Blatte sprechenden Beweis: „Scham und Schande solchen Eltern (die ihre Kinder deutsch sprechen lernen.) Wenn so ein kleiner Junge nicht hören will und sowohl zu Hause wie mit andern Kindern deutsch schwätzt, dann darf man nötigenfalls auch die Rute nicht schonen, um ihm das fremde Wesen auszuklopfen, so lange es noch Zeit ist."
Berlin, 10. Aug. Die fortschreitende Untersuchung gegen den Rektor Bock, der wegen sittlicher Verfehlungen gegen seine Schülerinnen sich in Haft befindet, hat zu weiteren Verhaftungen geführt. Dem Rektor ist gestern einer seiner Lehrer ins Untersuchungsgefängnis gefolgt und auch sein eigener Sohn, der noch nicht ganz 16 Jahre alt ist, hat sich nach dem Beispiel seines Vaters mit Schülerinnen zu schaffen gemacht.
Karlsruhe, 11. Aug. Bei einem Automobilunglück in New-Aersey (Amerika), dem fünf Personen zum Opfer fielen, verlor, wie mitgeteilt, auch Fritz Mergenthaler, der Sohn des Erfinders
Die Ahnung.
Eine tragi-komische Geschichte von F. W. Selbach.
—-- (Nachdruck verboten.)
Mit gesteigertem Selbstgefühl verließ Frau Prietzke die Kartenlegerin und trat die Heimfahrt an. Die Frau hatte ihre Energie richtig erkannt. Sie ließ sich nichts vormachen, am wenigsten von den Männern.
Um die vierte Nachmittagsstunde fand sich, tipptopp gekleidet, unser Freiersmann ein. Blitzschnell erinnerte sich Mutter Prietzke seiner Begegnung von heute früh und dank ihres Blickes in die Zukunft wußte sie sofort, daß sie es mit einem der bösen Menschen zu tun hatte, vor denen sie gewarnt worden war. Zu allem Ueberfluß hatte der Polizeipräsident vor einer Stunde am Rathaus wieder eines jener ziegelroten Plakate anschlagen lassen, in dem er lausend Mark für die Ergreifung des neuesten Kapial- verbrechers aussetzte. Kein Zweifel, sie stand dem steckbrieflich Verfolgten gegenüber; das halb verlegene, halb selbstbewußte Wesen des anscheinend stark erregten Menschen bestärkte sie in ihrer Annahme. Zudem stimmte das Signalement.
Ihre erste Handlung war daher, den Kommoden- schlüffel abzuziehen und die eiserne Bratpfanne, mit der sie im Augenblick unter der Küchentür hantierte, schlagfertig zu erheben.
Bestürzung, Beschämung und Zorn wechselten auf dem sonst harmlosen Gesichte des jungen Monteurs, schließlich faßte ihn aber eine echt bajuvarische Wut über das „einfältige Weibsstück." Das Herz
der Setzmaschine, sein Leben. Der verunglückte Mergenthaler ist hier nicht unbekannt, denn während seines hiesigen Aufenthalts vor zwei Jahren — er war Student an der Technischen Hochschule — machte er als Urheber eines schweren Automobilunfalles viel von sich reden. Er fuhr damals in Gesellschaft mehrerer Freunde bezw. Verbindungsbrüder mit seinem Automobil in rasendem Tempo durch die Kaiserstraße, wobei er am Mühlburgertor die Kurve zu kurz nahm, daß das Automobil an einen Mast der elektrischen Straßenbahn rannte und die Insassen herausgeschleudert wurden. Einer der Mitfahrenden erlitt dabei so schwere Verletzungen, daß an seinem Aufkommen gezweifelt und Mergen- thaler als Urheber des Unfalls verhaftet, gegen Stellung einer Kaution von 100 000 ^ aber dann wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Da der Schwerverletzte wider alles Erwarten wieder genas, hatte das Unglück damals für Mergenthaler keine weiteren Folgen.
Darmstadt, 10. Aug. Woher kommen die vielen Auto-Unfälle? Als eine verdienstvolle Tat der hessischen Regierung wird es in den Kreisen der Automobilisten bezeichnet, daß sie, dem Drängen des Hessischen Automobilklubs nachgebend, die ganze Provinz Starkenburg durch eine Polizeifahrt bereisen ließ, an der der Chef der hessischen Landespolizei und die Spitzen der Behörden teilnahmen. Das Resultat war überraschend. Weit über die Hälfte aller begegnenden Gefährte, nämlich 402 Wagen, fuhren entgegen der Polizeiverordnung auf der linken Straßenseite, und eine große Zahl der Wagenlenker konnte erst nach wenigen Bemühungen veranlaßt werden, nach der vorgeschriebenen Seite hinüberzuwechseln. Auch an Belästigungen seitens des Publikums, durch Steinwürfe und .beleidigende Zurufe, war kein Mangel, so daß die inkognito mitfahrenden Schutzleute wiederholt Veranlassung hatten, einzuschreiten. Ferner wurden fast 50 Prozent der passierten Gefährte nach Eintritt der Dunkelheit als unbeleuchtet festgestellt.
Koblenz, 12. August. Ein hier angestellter Hotelportier erschien an patriotischen Festtagen mit Kriegsdenkmünzen geschmückt. Es stellte sich jetzt heraus, daß er niemals gedient hat, aber jahrelang Veteranenunterstützung erhielt.
Mürzzuschlag, 12. Aug. Ein Metzger geriet mit seinem Gesellen in Streit. Letzterer zog einen Dolch und schnitt seinem Meister die Nase ab. Der Täter wurde verhaftet.
In der amerikanischen Union steht man noch unter dem Eindrücke des Mordanschlages
klopfte ihm bis an den Hals herauf und er verließ rasch und wortlos den Kampfplatz.
Das alles vollzog sich in wenigen Augenblicken und als jetzt die schneidige Amazone, deren Mut in der unheimlichen Stille der Situation gewaltig ins Wanken gekommen war, die Türe zwischen sich und dem gemeingefährlichen Menschen wußte, schrie sie aus Leibeskräften um Hilfe. Um einer weiteren Blamage aus dem Wege zu gehen, verließ der junge Freiersmann eiligst das Haus.
Den herbeieilenden Nachbarn gegenüber ließ nun Frau Prietzke dem durch die Angst gewaltsam zurück- gedümmten Redestrom freien Lauf und entwickelte eine staunenerregende Beredsamkeit. Als ihre Tochter nach Feierabend nach^ Hause kam, wußte bereits der ganze Ort von dem erfolgten Ueberfall. Auch die Behörde war benachrichtigt worden.
„Weißt du schon?" stürmte die Mutter atemlos auf die Tochter zu, als diese die Stubentür öffnete.
„Ich weiß alles," sagte die Tochter. Dessen ungeachtet ließ die Mutter es sich nicht nehmen, das inzwischen lawinenartig angewachsene Ereignis nochmals zu erzählen, und die Tochter starrte geistesabwesend nach der Wanduhr und fragte sich voll banger Sorge, wo „er" nur blieb. Ihre Mutter, die den starren Ausdruck ihrer Augen auf den Eindruck ihres dramatischen Vortrags zurückführte, stieß plötzlich einen durchdringenden Schrei aus.
Jenseits der Hecke, die ihr kleines Besitztum von den umliegenden Laubenkolonien trennte, war plötz-
gegen den Bürgermeister von Nerv-Jork Gaynor. Bereits jetzt steht fest, daß das Attentat auf Gaynor wegen seines energischen Zugreifens bei dem Unternehmen, die Korruption und Liederlichkeit in der städtischen Verwaltung New-Iorks zu beseitigen, erfolgt ist. Zahlreiche untergeordnete Angestellte in städtischen Diensten sind wegen gröblicher Vernachlässigung ihrer Pflichten auf Anordnung Gaynors entlassen worden, und zu ihnen gehörte auch Gallagher, welcher die Gaynor verhängnisvollen Schüsse auf ihn abgab, er wollte sich für seine Entlassung rächen. Es wird versichert, daß noch verschiedene andere städtische Angestellte New-Jorks ebenfalls die Ermordung des Bürgermeisters geplant hätten. Das Befinden des schwerverwundeten Gaynor ist zwar ein ernstes, jedoch hoffen die behandelnden Aerzte bestimmt, ihn am Leben zu erhalten. Es sind bis jetzt keine Anzeichen einer Wundoergiftung bei ihm hervorgetreten. In der öffentlichen Meinung Amerikas gibt sich die tiefste Teilnahme an dem Geschick des New-Iorker Bürgermeisters kund.
London, 9. Aug. In Benisicarla, einer kleinen Stadt in Portugal, endete eine Hochzeitsfeier mit einem förmlichen Blutbad. Ein einflußreicher angesehener Mann hatte seine Hochzeit mit großem Pomp gefeiert und dazu alle Bewohner der Stadt geladen. Nach dem üblichen Hochzeitsmahl wollte ein Teil der Gäste tanzen, während die anderen nach dem Spieltisch drängten, um dem Hasardspiel zu fröhnen. Es kam zwischen den vom Wein erhitzten Leuten zuerst zu einem Streit, der aber bald zu Tätlichkeiten ausartete, wobei man auf beiden Seiten zu Dolchen und Revolvern griff. Von allen Seiten knallten die Schüsse und blitzten die blanken Klingen. Die Weiber heulten und kreifchten und erst als die Polizei auf dem Schauplatz erschien, wurden die Kämpfenden auseinander getrieben. Es zeigte sich ein furchtbares Bild der Verwüstung. Der; Saal glich einem Trümmerhaufen. Zwei Personen waren getötet und neun schwer Verwundete wälzten sich in ihrem Blute, darunter auch zwei Weiber, die sich an dem Kampfe beteiligt hatten.
Württemberg.
Ulm, 12. Aug. Der große Brand des Rauhfuttermagazins in Neu-Ulm ist durch drei Schulbuben im Alter von 9 bis 13 Jahren verursacht worden. Die Buben hatten hinter dem Magazin Zigaretten geraucht und dabei achtlos ein Zündholz weggeworfen. Um den Verdacht von sich abzulenken, gaben sie bei der Polizei an, ein Radfahrer habe den Brand gelegt.
lich ein Kopf aufgetaucht und ebenso schnell wieder verschwunden. Mutter Prietzke hätte darauf schwören können, daß es jenes verdächtige Jndividium war. Der Tochter, der alles mit einem Male klar war. pochte das Herz wie ein Schmiedehammer in der Brust, denn auch sie hatte den Geliebten gesehen. Unter, allen Umständen mußte sie ihn sprechen und sich Klarheit verschaffen. Deshalb verließ sie, einen kleinen Gang vorschützend, unter den lebhaften Widersprüchen der Mutter das Haus.
Kaum war Manschen draußen, als auch die Mutter, von fürchterlicher Angst ergriffen, auf die Straße eilte und zwar zuerst zu dem Krämer. Da gewahrte sie ihren Mann, der mit dem Vorortzuge aus Berlin kam. Er unterhielt sich mit der jungen Molkereibesitzerin, die vor ihrer Tür stand. Da fielen der geängstigten Frau die Worte der Wahrsagerin ein, und ein fürchterlicher Argwohn tauchte in ihr auf. Unter keinen Umständen durfte ihr Mann sie sehen. Deshalb trat sie bei dem Bierverleger ein und ließ ihren Alten vorübergehen.
„lieber Ihren Ueberfall haben wir gesprochen," antwortete die Frau harmlos. Allen weiteren Fragen wußte sie dadurch vorzubeugen, daß sie sich, ihr Geschäft vorschützend, in ihren Laden zurückzog. Der Stachel des Mißtrauens aber saß einmal in Frau Prietzkes Brust und das Verhalten der jungen Frau grub ihn noch tiefer ein. Beim Betreten des Bäckerladens warf sie noch einen Blick zurück und sah, wie ihr Mann gerade die Haustüre aufzuklinken versuchte, und da er sie verschlossen fand, seine Schritte offen-