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Unteroffizier Bonz vom Grenadierregiment, der einem Gefreiten nachts aus geringfügigem Anlaß ein Kochgeschirr an den Kopf warf und auf diese Weise, wenn auch ungewollt, den Tod des Soldaten herbeiführte. Ferner ist ein Sergeant Müllerschön wegen Mißhandlung Untergebener angeklagt, und endlich werden sich Leutnant Fricke von der 3. Komp, des Grenadierregiments wegen Mißhandlung Untergebener und Hauptmann v. Besserer-Thailfingen wegen Vergehen gegen Z 147 M.-St.-G.-B. zu verantworten haben. Der betr. Paragraph lautet: „Wer die ihm obliegende Beaufsichtigung seiner Untergebenen in schuldhafter Weise versäumt, oder wer die ihm obliegende Meldung oder Verfolgung strafbarer Handlung seiner Untergebenen vorsätzlich unterläßt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten bestraft; gegen Offiziere kann zugleich auf Dienstentlassung erkannt werden."
Tettnang, 18. Sept. Vorgestern wurden einige Hop senk äufe abgeschlossen und 175—185 Mark bezahlt.
Waldsee, 17. Sept. Im Furtweiher bei Roßberg ist heute abend die Leiche eines etwa 2 Jahre alten Knaben in einem mit Steinen beschwerten Sack eingewickelt aufgefunden worden. Wem der Knabe gehört, ist nicht bekannt. Am Kopf der Leiche zeigt sich eine schwere Verletzung; anscheinend ist der Schädel zertrümmert. Das Gericht ist mit dem Gerichtsarzt noch bei Nacht an die Fundstelle abgegangen.
Dresden, 18. Sept. In der gestrigen Sitzung des sozialistischen Parteitages sprach der Abgeordnete Bebel in drcieinhalbstündiger Rede über die Taktik der Partei. Er suchte nachzuweisen, daß die zerfahrenen Verhältnisse der inneren und äußeren Politik und die immer wachsenden Steuern und Militärlasten den glänzenden Sieg der Sozialdemokratie bei den Wahlen herbeigeführt haben. Dieses Anwachsen der Macht mache eine Aendcrung der Taktik notwendig. Es lasse sich aber nicht mehr verschweigen, daß die Uneinigkeit in der Partei größer sei, als je. Die Sozialdemokratie erstrebe die Zertrümmerung und Abschaffung der Gesellschaft. Es sei Pflicht des Parteitages hierüber Klarheit zu schaffen. (Stürmischer Beifall.) Die Verhandlungen wurden dann auf heute vertagt.
Berlin, 18. Sept. Die Schneefälle im Ga st einer Tal haben nach einer Wiener Depesche des Lokalanzeigers das erwartete Ende der Wasser- Katastrophe nicht herbeigeführt. Diese dauert mit immer größerer Gewalt fort. Gastein ist im vollsten Sinne des Wortes abgesperrt. Es kann kein anderer als telegraphischer Verkehr mit Bad Gastein stattfinden. Die höher als Gastrin gelegenen Ortschaften sind von den Einwohnern verlassen, welche auf die Pablenberge flüchteten. Der Ort Uggowitz im Ronal- tale ist vom Hochwasser gänzlich vernichtet. Die Häuser sind buchstäblich unter Schutt und Geröll begraben. Der Ort Gmünd ist, da die Brücke über
die Lieser abgerissen wurde, abgesperrt. Auf der Lieser schwimmen offene Särge und Totengebeine, welche von den Fluten auf den Kirchhöfen ausgewühlt wurden. In Gmünd werden 30 Personen vermißt. In die Elektrizitätswerke von Gmünd schlug der Blitz ein und zündete. Hierbei kamen 7 Personen ums Leben. Vollständig vernichtet ist Leoben im Hatschtale. Dort wurden 32 Häuser von den Fluten weggerissen. Im Maltatale ist ein Försterhaus mit 9 Insassen fortgeschwemmt worden.
Berlin, 18. Sept. Wieder „Lokal-Anzeiger" aus London meldet, gelang es Spencer bei seinem gestrigen Versuch, mit seinem Luftschiff vom Krystallpalast aus um die St. Pauls-Katedrale herum zum Ausgangspunkt zurückzukehren, nicht, den beabsichtigten Kurs einzuhalten.
Berlin, 18. Sept. Nach einer Meldung aus Kiel erfolgt die Rückreise des Großherzogs von Hessen nachDarmftadt amSonntag. Gestern Abend fand im Kieler Schloß Familientafel statt.
Berlin, 18. Sept. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt an der Spitze ihrer heutigen Nummer im Anschluß an den herzlichen Empfang, den Kaiser Franz Josef heule dem Kaiser Wilhelm in Wien bereitet, daß man in Deutschland jeder neuen Bekräftigung der unverbrüchlichen Freundschaft und Bundestreue, welche die Oberhäupter der durch Geschichte, Ueber- lieferung und gemeinsame Interessen eng verknüpften mittel-europäischen Kaiserreiche umschließen, als Bürgschaft des Friedens und der Wohlfahrt hoch einzuschätzen wisse und den Verlauf der Wiener Kaisertage mit dem zuversichtlichen Vertrauen begleite, daß über ihnen wie über dem gesammten Wirken der beiden verbündeten Herrscher der Geist rückhaltloser Friedensliebe ausgebreitet ist. Von der gleichen Tendenz würden die Unterredungen der Monarchen und der leitenden Staatsmänner beherrscht bleiben, die von der hohen Mission des Bündnisses beseelt sind, das binnen weniger denn Jahresfrist auf ein Vierteljahrhundert ungeschwächten Bestehens zurückblicken kann.
Berlin, 18. Sept. Bei Nischni-Nowgorod (Rußl.) brannten gestern, wie das Berl. Tageblatt meldet, zwei Dörfer mit 400 Häusern nieder. Die ganze Ernte ist vernichtet. 8 Personen wurden ein Opfer der Flammen.
Lemberg, 18. Sept. Die Stadt Mon a- sterzyska ist samt der Vorstadt Folwark niedergebrannt. 4000 Einwohner sind obdachlos. Das Elend ist groß. Ebenso steht die Kreisstadt Zloczow in Brand.
Kiel, 18. Sept. Der Großherzog von Hessen hielt bei der Taufe des Linienschiffes li, folgende Rede: „Seine Majestät der Kaiser haben mir und meinem Lande eine hohe Ehre erwiesen, indem allerhöchst dieselben geruht haben,
dem Linienschiffe O den Namen „Hessen" zu verleihen und mir den Auftrag erteilt, den Taufakt zu vollziehen. Seiner Majestät dem Kaiser spreche ich für diese Huld meinen und meines Landes tief gefühlten Dank aus, dem neuen Linienschiff aber als Träger deutscher Wehrkraft im Frieden wie im Kriege wünsche ich Glück und Segen auf allen seinen Wegen und Aufgaben in der festen Zuversicht, daß es seinem und dem deutschen Namen in allen Meeren und allen Welten Ehre machen und das Band noch befestigen werde, welches mich und mein Volk mit der deutschen Marine verknüpft. Auf allerhöchsten Befehl übergebe ich nun das Schiff, ein rühmliches Zeugnis deutscher Kunst und deutschen Jndustriefleißes, den Wellen und taufe es auf den Namen „Hessen". Nach dem Tarifakt sandte der Großherzog ein Telegramm an den Kaiser, in welchem er ihm von dem glücklich erfolgten Stapellauf Mitteilung machte.
Ostende, 18. Sept. Das Wrack des untergegangenen Fischerbootes Nr. 152 aus Ostende wurde von einem Fischerboote aus La Panne auf offener See angetroffen. Die aus 6 Mann bestehende Besatzung des elfteren ist umgekommen.
Wien, 18. Sept. Kaiser Wilhelm ist heute vormittag 9'/- Uhr aus dem Südbahnhof hier eingetroffcn und von Kaiser Franz Josef und den übrigen Mitgliedern des kaiserlichen Hauses empfangen worden. Die Monarchen begrüßten sich außerordentlich herzlich mit mehrmaligem Händedruck und Umarmung und küßten einander wiederholt. Nach dem Abschreiten der Ehrenkopagnie fuhren beide Herrscher unter den stürmischen Huldigungen der am Bahnhof versammelten und dis Straße einsäumenden Menge nach der Hofburg. Bei der Ankunft Kaiser Wilhelms am Bahnhof wie auch an der Hofburg gab die Artillerie einen Salut von 24 Schüssen ab.
Antwerpen, 18. Sept. Der aus Braila kommende Dampfer „Arcadia" stieß auf der Schelde mit dem den Hafen verlassenden Rheindampfer „Agnes" zusammen. Die „Agnes" wurde in der Mitte entzwei geschnitten. Das Vorderteil sank sofort, während das Hinterteil bis ans Ufer geschleppt werden konnte. Die Passagiere wurden gerettet. Der durch die Zerstörung des Schiffes verursachte Schaden wird auf 400 000 Frs. geschätzt.
London, 17. Sept. Kolonialsekretär Cham- berlain, Schatzsekretär Nitchi und der Staatssekretär für Indien Lord Hamilton erklärten ih ren Rücktritt.
Vermischtes.
— (Heilung des Schielens.) Ueber diesen Fehler ist wohl jede Mutter untröstlich. Und dies mit Recht. Tie schönste Gcfichtsbildung, der reizendste Lockenkopf hat durch die häßliche Störung der Augen seinen Reiz eingebüßt. Fast alle neu.
Konrad Holtensen hatte sich erhoben, um den ihn interessierenden Fremden nachzugehen. Die Erscheinung der jungen Französin hatte einen tiefen Eindruck auf sein Herz gemacht; er glaubte, noch niemals eine so eigenartige Schönheit gesehen zu haben. Als er die Gouvernante der kleinen Madeleine erblickte, blieb er betroffen stehen. Dieses ernste Gesicht mit dem abschblonden üppigen Haar und den tiefen, blauen, etwas melancholischen Augen mußte er kennen! Aber vergeblich besann er sich darauf, wo er die Dame gesehen haben könnte. Es war ihm, als wenn die Bekanntschaft auch schon viele Jahre zurück liegen mußte. Wie ein längst vergessener Ton, wie ein Bild aus längstvergangenen Tagen trat die Erinnerung an dieses ernste Gesicht vor seine Seele.
In Sinnen versunken schritt er dahin. Fast wäre er mit einem alten Offizier zusammengestoßen, der ihn am Arm faßte und lachend rief:
„Alle Wetter, mein Junge! Das ist ja wider alle Subordination!"
Konrad schaute in das lachende Gesicht des alten Herrn, grüßte streng militärisch und entgegnets: „Verzeihen, Herr General — ich hatte den Herrn General nicht gesehen."
„Ja mein Junge", fuhr General von Brunken lächelnd fort, „Du bist erst vier Wochen hier und noch nicht an das Metzer Pflaster gewöhnt. Hier in Metz muß man sich versehen, sonst stolpert man über die Generäle. — Aber — wohin willst Du?"
Leicht errötend blickte sich Konrad um. Eben verschwand die Gesellschaft der Franzosen in der Priesterstraße.
»Ich - ich wollte nach Hincke, Onkel," stotterte der junge Offizier.
„Nun, wirst wohl zu Haus- nichts zu versäumen haben. Komm, begleite mich ein Stück Wegs. Wir trinken dann im Hotel du Nord ein Glas Spatenbräu, 's ist heute ein heißer Tag."
Konrad konnte die Aufforderung nicht ablehnen. General von Brunken war ihm ein zweiter Vater geworden, nachdem sein Vater in der Schlacht von St. Privat gefallen war und seine Mutier einige Jahre nach dem Kriege starb. Konrad war in dem Hause des Onkels ausgewachsen. Die Ferien während seiner Kadettenzeit, den Urlaub als junger Offizier hatte er stets im Hause des Onkel Brunkens zugebracht; erst die letzten Jahre war er nicht mehr so häufig bei dem General gewesen, da dieser nach Metz versetzt worden war, Konrad aber in Pommern in Garnison stand. Da war die Reise zu weit gewesen; Konrad besaß nur ein kleines Vermögen und Onkel General war auch nicht gerade mit Glücksgütern gesegnet. Seit vier Wochen war Konrad nach Metz versetzt worden und verkehrte nunmehr wieder viel in dem Hause des Onkels General.
„Willst du mich nächster Tage auf einem Ritt über dis Schlachtfelder begleiten?" fragte der General nach einer Weile.
„Sehr gern, lieber Onkel. Ich hatte noch keine Zeit, mich auf ihnen umzusehen."
„Elaub's dir. So dicht vor dem Manöver giebt's stets viel Dienst. Wann kommt dein Bataillon auf Wache?"
„Uebermorgen, Onkel."
„Nun, dann hast du Zeit. Voraussetzt, daß du keinen Wachdienst hast?"
„Nein, Onkel, ich bin noch nicht wieder an der Reihe."
„Dann also übermorgen. Sei Morgens neun Uhr bei mir. Ich werde Dir dann auch die Stelle zeigen, wo Dein Vater schwer verwundet wurde, auch das Schloß, in dem er einige Zeit später starb und begraben liegt."
„Es war schon lange mein Wunsch, diese Stätten zu besuchen."
„Ja, ja, heilige Erinnerungen tauchen auf, wenn man über jene Felder reitet! — Aber da sind wir im Hotel du Nord!"
(Fortsetzung folgt.)