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Der Lnztäler.
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Neuenbürg, Samstag den 12. Februar 1910.
68. Jahrgang.
Der Reichstag hat am Donnerstag seine Plenarverhandlungen nach mehrtägiger Pause mit der Beratung des Militäretats wieder fortgesetzt. Der Militäretat war am Mittwoch in der Budgetkommission fertiggestellt worden. Hierbei genehmigte die Kommission u. a. die Forderung für das neue Veterinär-Offizierkorps gegen die Stimmen der Sozialdemokraten. Abgelehnt wurde die Mehrforderung von 429112 Mk. für Pferdegelder, ferner strich die Kommission von der Position „Reisegebühren" 572129 Mk. Die Zentrumsresolution, wonach jährlich nur noch einmal Kontrollversammlungen stattfinden sollen, fand ungeachtet des Widerspruches der Regierungsvertreter mit 12 gegen 10 Stimmen Annahme.
Berlin, 11 . Febr. Dem Reichstag ist ein Gesetzentwurf über das Stellenvermittlerwesen zugegangen.
Das preußische Abgeordnetenhaus trat am Donnerstag in die erste Lesung der Wahlreformvorlage. Ministerpräsidentv. Bethmann- Hollweg leitete die Generaldebatte mit einer längeren Rede ein, in welcher er die genannte Vorlage ausführlich begründete und gegenüber den auf sie gerichteten Preßangriffen verteidigte. Der Ministerpräsident wurde HU Beginn seiner Rede von der Sozialdemokratie mit „Pfui"-Rusen und anderen Zwischenrufen, wie „Volksverräter", empfangen, wogegen die Rechte mit „Raus"-Rufen gegen die Linke antwortete. Der Ministerpräsident hielt über die Wahlrechtsreform eine längere Rede, in welcher er zunächst die praktischen Wirkungen des Dreiklassenwahlrechts besprach und aus führte, daß die bisherige preußische Gesetzgebung weder einen bureaukratischen noch einen einseitig plutokratischen Charakter habe. Er wies auf die Einkommen- und Vermögenssteuer hin, die noch manchem demokratischen Staat fehlen. Auch die Verstaatlichung der Eisenbahnen, die Behandlung der Arbeiter in den Staatsbetrieben und die Ausdehnung der Selbstverwaltung seien eine Kulturarbeit, deren sich Preußen vor der Welt nicht zu schämen brauche. Die Regierung vertrete nicht einseitig konservative Ansprüche; sie diene dem Staate, nicht einer Partei, welche es auch sein möge. Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen sagte v. Beth- mann, die Parlamente sind nicht mehr wie früher die Zeiten politischer Bildung. Die Demokratisierung des Wahlrechtes scheint mir eine Verrohung und Verflachung der politischen Sitten hervorzurufen. Wir wollen und können die Eigenarten des bayrischen, schwäbischen und sächsischen Volksstammes nicht missen — diese Eigenarten, die sich nicht nur in ihren Sitten und Gewohnheiten, sondern auch in den Formen ihres Staatslebens aussprechen. Wir achten und lieben in ihnen einen Teil unseres eigenen Deutschtums; aber man soll uns auch unsere preußische Staatsart nicht verkümmern; man soll sie nicht mit billigen Schlagwörtern, „feudal", „agrarisch" und „reaktionär" verrufen. Das dient nicht der deutschen Einigkeit. Daß die Rede einen streng konservativen Geist atmete, wurde nachher von dem konservativen Redner, Frhrn. v. Richthofen, mit Genugtuung unterstrichen. Auf liberaler Seite herrschte über Tendenz und Inhalt der Rede starke Enttäuschung. Der konservative Fraktionsredner be- hstlt sich jegliche prinzipielle Auseinandersetzung für die Kommission vor, während der Vertreter der Freisinnigen wegen des Fehlens der geheimen Wahl die Vorlage für unannehmbar erklärte und der nationalliberale Redner für die Verbesserung der Vorlage in der Kommission eintrat. Ueber die Aussichten der Vorlage läßt sich zurzeit noch nichts sagen. Es ist damit zu rechnen,, daß in der Kommission die geheime Wahl mit 15 gegen 13 Stimmen (nämlich gegen die Stimmen der beiden konservativen Fraktionen) angenommen wird.
Berlin, 10 . Febr. Die Reichsbank hat den Diskont auf 4 Prozent und den Lombardzinsfuß auf 5 Prozent herabgesetzt. Der Satz von 4^2 Prozent hat somit nur 3 Wochen Geltung gehabt. — Die Bank von England hat ihren Diskont um ^2 Prozent von 3'/? Prozent aus 3 Prozent ermäßigt und dabei jenen Satz erreicht, .der bei dem Institut als der normale angesehen werden kann.
München, 11. Febr. In der heutigen Nach- mittagssitzunz der Abgeordnetenkammer drohte bei der Generaldebatte über das neue Malzaufschlaggesetz der sozialdemokratische Abg. Harcher damit, daß im Falle einer Bierpretserhöhung die Arbeiter Gegenmaßnahmen ergreifen würden. Allgemein wird dies so aufgefaßt, als ob die Arbeiter in diesem Falle einen Bierkoykott in Szene setzen wollten.
Die Einweihung der Oelberg-Stiftung und der Marienkirche auf der Dormition sind auf Befehl des Kaisers auf 9. und 10 . April festgesetzt. Hierzu werden in Vertretung der Majestäten der Herrenmeister des Johanniterordens, Prinz Eitel Friedrich und seine Gemahlin am 6 . April in Jerusalem eintreffen und im Gebäude der Stiftung absteigen. Am 13. April wird, ebenfalls in Anwesenheit des Prinzlichen Paares, die 50 jährige Jubelfeier im Syrischen Waisenhause in Jerusalem stattfinden. Zahlreiche deutsche Pilger beider Konfessionen rüsten sich auf diese Zeit zur Fahrt nach dem Heiligen Lande.
Mit Genugtuung ist der Abschluß des deutschamerikanischen Handelsvertrages zu begrüßen, wenn gleich er aiH nicht alle berechtigten Wünsche Deutschlands erfüM zu haben scheint. Es war aber das Maximum dessen, was sich erreichen ließ und man braucht die Hoffnung nicht aufzugeben, daß in Amerika selbst in nicht allzu ferner Zukunft die Ueberzeugung durchdringt, daß die Richtung auf eine übertriebene Schutzzollpolitik sich auf die Dauer nicht ohne Schädigung der eigenen Interessen behaupten läßt. Sie hat eine Verteuerung des Lebens zur Folge, unter der schließlich jedermann leidet. Immerhin dürfen wir uns freuen, einem Zollkriege entgangen zu sein, den wir um so weniger gern auf uns genommen hätten, als er immer entfremdend wirkt.
Der amerikanische Senat hat den Gesetzentwurf angenommen, wonach ein Standbild des Generals v. Steuben als Gegengabe der Vereinigten Staaten für die Uebersendung des Standbilds Friedrichs des Großen an den deutschen Kaiser gesandt werden soll. Ferner nahm der Senat eine Entschließung an, wonach eine Untersuchung über die Ursache der Lebensmittelverteuerung in den Vereinigten Staaten anzustellen ist.
Das politische Gewitter, das sich auf der Balkanhalbinsel zusammengeballt hatte und dessen Ausbruch unmittelbar bevorzustehen schien, hat sich glücklich wieder verzogen, wenngleich eine Gewähr dafür nicht vorhanden ist. daß es nicht über Nacht wieder aufzieht und dann in Wirklichkeit mit Donner und Blitz niedergeht; denn von den Ursachen, die den Ernst der politischen Lage herbeigeführt hatten, ist noch keine beseitigt worden. Der Kern der kretischen Frage ist derselbe geblieben und die politischen Gegensätze zwischen den beiden slawischen Königreichen Bulgarien und Serbien einerseits und der Türkei anderseits bestehen unverändert fort. Die Kreter wünschen nach wie vor die Vereinigung mit Griechenland und Griechenland würde sie, wenn es könnte wie es wollte, mit offenen Armen aufnehmen; Bulgariens und Serbiens Gedanken aber richten sich nach wie vor auf Mazedonien. Geändert hat sich nur die Haltung der Schutzmächte, die sich haben überzeugen müssen, daß es unmöglich ist. Kreta sich selbst zu überlassen, ohne gefährlicher Ueberraschungen gegenwärtig sein zu müssen, und die deshalb ihren Einfluß in Bulgarien, Serbien, Griechenland und
Kreta zur Geltung gebracht und der Türkei die freundschaftlichsten Versicherungen gegeben haben. So hat sich vorläufig das Gewitter verzogen, ob und wann es wieder aufzieht, ist freilich eine andere Frage.
Wie Athener Blätter aus Kanea melden, beschloß die zurückgetretene kretische Regierung, bis auf weiteres im Interesse des Landes die Regierungsgeschäfte fortzuführen und den Schutzmächten einen scharfen Protest gegen die beabsichtigten Maßregeln wider Kreta zu übersenden. Die Regierung in Kanea wird noch vor Absendung des Protestes seine Proklamation an die Kreter erlassen.. Inzwischen ist au dem Gebäude der provisorischen Regierung in Kanea das griechische Kreuzwappen angebracht.
Petersburg, 11 . Febr. In diplomatischen Kreisen ist man erschreckt über die Haltung, welche die Pforte nunmehr in der kretischen Frage einnimmt. Die Haltung der Pforte ist völlig unversöhnlich. Sie ist bereit, an Kreta, das gegenwärtig eine ganz unmögliche staatsrechtliche Stellung einnimmt, eine Autonomie zu geben, welche Christen und Mohammedaner auf eine gleiche Basis stellt und eine Art Finnland des nahen Ostens schafft. Vorher aber müssen die Zustände vor dem Jahre 1898 wieder hergestellt werden unö Kreta seinem staatsrechtlichen Herrscher wieder zurückgegeben werden.
Petersburg, 11 . Februar. Der Zar fuhr gestern zum ersten Male seit seiner Regierung ohne Eskorde und ohne daß die Polizei benachrichtigt war, im offenen Wagen durch die Straßen. Der Zar fuhr zur Kaiserin Maria und machte nachher der Großfürstin Viktoria Melitta, der Gattin des Großfürsten Kyrill und geschiedenen Großherzogi» von Hessen, einen Besuch. Dieser gilt als Versöhnung der jahrelangen Opposition gegen den Großfürsten.
In Spanien ist das liberale Kabinet Moret, welches erst vor einigen Monaten dem durch die Ferrer Bewegung zu Fall gekommenen reaktionären Kabinett Maura nachfolgte, plötzlich zurückgetreten. Mit der Bildung des neuen Kabinetts beauftragte König Alfonso den Führer der demokratischen Partei, Canalejas.
Berlin, 11 . Febr. Der Kampf im Bäckergewerbe scheint einen großen Umfang annehmen zu wollen. Der Verband der Bäcker und Konditoren erläßt soeben einen Aufruf, in dem zur Abhaltung von Versammlungen in sämtlichen über ganz Deutschland zerstreuten Verbandsorten aufgefordert wird. Ueber den „Kampf um Menschenrechte, gegen den Kost- und Logiszwang beim Arbeitgeber und für auskömmlichen Lohn entsprechend der schweren Arbeit, sowie für einen wöchentlichen Ruhetag und Verkürzung der gesundheitsschädlichen langen Arbeitszeit" soll überall gesprochen werden. Verlangt wird ferner vor allem gute Beköstigung und reinliche Schlafgelegenheit, die vielfach nicht den Anforderungen entspreche.
Als der Kommandeur des Infanterieregiments Nr. 70 in Saarbrücken, Oberst v. Schwarzkoppen, Freitag mittag von der Rekrutenbesichtigung vom Exerzierplatz heimkehrte, scheute sein Pferd. Der Oberst stürzte und erlitt einen schweren Schädelbruch, der nach wenigen Minuten den Tod herbeiführte.
In Lünzen au bei Chemnitz brachen auf dem Eise des zum Rittergut Berthelsdorf gehörigen Teiches 3 Kinder im Alter von 13. 10 und 7 Jahren, darunter Bruder und Schwester, ein und ertranken, da das Unglück nicht sofort bemerkt worden war.
Köln, 11 . Februar. Der Rhein ist bis heute vormittag 9 Uhr langsam bis zur Höhe von 6,55 Meiern angestiegen, doch fällt er in seinem Oberlauf. Seine Nebenflüsse, auch der Neckar, fallen gleichfalls.
Vom Doubs, der Saöne und der Rhone wird ein Steigen des Wassers gemeldet. Bei Chalon
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