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Der Lnztäler.
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299.
Neuenbürg, Samstag den 19. Dezember 1998.
66. Jahrgang.
NtmSschair.
In der inneren deutschen Politik herrscht im allgemeinen weihnachtliche Stille, zumal der Reichstag und die meisten einzelstaatlichen Parlamente — soweit letztere überhaupt tagen — in die Weih- nachtsferjen gegangen sind. Allerdings sind verschiedene einzelstaatliche Landtage gerade noch kurz vor Weihnachten zusammengetreten, so die zweite württembergische und die hessische Kammer und der koburgische Speziallandtag. Bestritten wird von anscheinend unterrichteter Berliner Seite, was neu aufgetauchte Sensalionsgerüchte behaupten, daß nämlich am Berliner Hofe ernste Machenschaften gegen den Reichskanzler Fürsten Bülow im Gange sein sollen. Das Dementi erklärt, Fürst Bülow habe zweifellos politische Gegner bei Hofe, aber die Behauptung, sie hätten sich zu seinem Sturze förmlich untereinander verbündet, sei ein bloßes Hirngespinst. Hoffentlich ist's so!
In einem Teile der Tagespresse sind Gerüchte aufgetaucht, wonach angeblich die Verlobung des Königs Dom Manuel von Portugal mit Prinzessin Viktoria Luise, der einzigen Tochter des deutschen Kaiserpaares, zu erwarten sein soll. Offenbar handelt es sich hierbei aber um eine bloße Kombination, die vermutlich der Nachricht ihr Entstehen verdankt, der portugiesische Herrscher beabsichtige, im kommenden Jahre einen Besuch beim Kaiser in Berlin oder Potsdam abzustatten. Die Ankündigung dieses Besuches mag zutreffend sein, was jedoch die angeblich bevorstehende Verlobung des jugendlichen portugiesischen Herrschers anbelangt, so braucht dieses Gerücht wohl kaum besonders widerlegt zu werden; in Berliner Hofkreisen glaubt man denn auch nicht an das Heiratsprojekt.
Zur Reform der Invalidenversicherung. Zur Beratung von Verwaltungsfragen der Invalidenversicherung trat am Dienstag im Reichsversicherungsamt unter dem Vorsitz des Präsidenten Dr. Kaufmann eine Konferenz von Vertretern der Landesversicherungsämter, Jnvalidenversicherungs- anstalten und zugelassenen Kasseneinrichtungen zusammen. Die Konferenz beschäftigte sich zunächst mit dem Mißstand des Eintritts älterer Personen in die Versicherung, die alsbald um die Rente ein- kommen. Es bestand Einverständnis darüber, daß die Versicherungsträger der Angelegenheit ernste Aufmerksamkeit zuwenden müßten. Alsdann wurde eine Kommission mit der Feststellung von Mustern für ärztliche Begutachtung und zu Anträgen auf Berücksichtigung von Invalidenrente beauftragt. Die Versammlung verwarf die Aufstellung einheitlicher Grundsätze für die Bewilligung von Heilverfahren. Mit Bezug auf den Alkoholmißbrauch wurde eine sorgfältige Auswahl der in Fürsorge zu nehmenden Personen empfohlen. Ferner wurde die Nutzbarmachung der Fortschritte der medizinischen Wissenschaft für die Feststellung des Zustandes der Lungenkranken besprochen und eine lebhafte Beteiligung der Versicherungsanstalten : an der Bekämpfung des Lupus empfohlen. Dagegen wurde eine Beteiligung an den aus den ärztlichen Kreisen angeregten Bestrebungen, leicht lungenkranke Arbeiter in Deutsch- Südwestafrika anzusiedeln, nicht für angezeigt erachtet.
Die Stellung des österreichisch-ungarischen Ministers des Auswärtigen v. Aehrental gilt wegen der mancherlei unangenehmen Folgen der Annexion der okkupierten Provinzen für Oesterreich- Ungarn als ernstlich erschüttert.
Zwischen Rußland und Oesterreich-Ungarn ist eine Verständigung über die schwebenden Balkanfragen angebahnt worden. Das Petersburger Kabinett erteilte seine Zustimmung zu dem Vorschläge in der jüngsten Note des Wiener Kabinetts, es sollten die Mächte vor dem Zusammentritte der Balkankonferenz die bosnische Annexionsfrage ge
wissermaßen privatim erörtern. Diese zustimmende Antwort Rußlands eröffnet erfreuliche Aussichten auf die weitere diplomatische Behandlung der Balkanprobleme.
Das neue türkische Parlament ist nunmehr gewählt, die Wahlen haben bis fast zum Vorabend der Parlamentseröffnung gedauert. Die Verhandlungen zwischen Oesterreich-Ungarn und der Pforte wegen Aufhebung des antiöslerreichischen Warenboykotts in der Türkei nehmen einstweilen noch keinen sonderlichen günstigen Verlauf. — In Arabien soll ein neuer Aufstand gegen die Türken ausgebrochen sein.
Im französischen Senat erklärte am Mittwoch der neue Marineminister Picard bei der Diskussion des Marinebudgets, es würden alle Anstrengungen gemacht werden, um die Rivalen Frankreichs einzuholen. Die großen Einheiten würden im nächsten Flottenprogramm einen hervorragenden Platz einnehmen, jedoch sollten die kleinen Schiffe nicht geopfert werden. Picard entwickelte sodann das bereits in der Kammer bekannt gegebene Programm für die Reorganisation der Marine. Die ersten fünf Artikel wurden in der Spezialberatung angenommen.
In Frankreich herrscht wegen der Affäre der desertierten Fremdenlegionäre an der algerischmarokkanischen Grenze lebhafte Erregung. Inzwischen sind zwar alle flüchtigen Legionäre, auch ihr Anführer, von den nachsetzenden Gendarmen- und Truppenabteilungen wieder festgenommen worden. Ueber die Ursachen der stattgehabten Desertionen der 50 Legionäre herrscht noch einigermaßen Ungewißheit, die das Emportauchen von allerhand Gerüchten begünstigt. Eines von ihnen will wissen, die Desertion sei von einer eigens für die Erleichterung von Desertionen aus der Fremdenlegion in Algerien bestehenden geheimen deutschen Agentur unterstützt worden. Es ist dies natürlich eine lächerliche Behauptung, sie kann aber unter Umständen leicht dazu führen, neue Verstimmungen zwischen Deutschland und Frankreich zu erzeugen.
Berlin, 18. Dezbr. Zu der Fahnenflucht der Fremdenlegionäre wird der „Köln. Zeitung" offiziös aus Berlin geschrieben: Der Vorfall mit den algerischen Fremdenlegionären sollte, wie peinlich er auch für Frankreich sein mag, doch nicht dazu führen, daß man dem Gefühl der Verstimmung Deutschland gegenüber Luft macht, so wie es jetzt in einem Artikel des „Temps" geschieht. Vorfälle wie der erwähnte können freilich den Franzosen den Gedanken nahe legen, ob in der Einrichtung der Fremdenlegion oder in deren Führung nicht Fehler vorhanden seien, welche die Unzufriedenheit der Legionäre verschuldet haben und deren Beseitigung anzustreben wäre. Das aber haben die Franzosen mit sich selbst auszumachen. Wir haben weder Anlaß noch Lust, uns in diese Fragen hineinzumischen, dagegen möge man aber auch aufhören, Deutschland, wie es der „Temps" tut, in die Angelegenheit hineinzuziehen, mit der es nicht das Geringste zu tun hat.
In den Vereinigten Staaten hat Präsident Roosevelt, wie schon kurz berichtet, seine letzte Botschaft an den Kongreß gerichtet und darin nochmals die starke Faust, die seinen alles bestimmenden Einfluß während seiner ganzen Amtstätigkeit kennzeichnete, gezeigt. Die Botschaft läßt das unerschütterliche Erstarken des Imperialismus erkennen und zielt auf eine straffe Zusammenfassung des gesamten Volkswillens, insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet im Kampfe gegen die Trusts und auf politischem zur Schaffung einer großen Flotte hin. Wenn dies der Abschied Roosevelts ist, fo ist es zugleich ein Beweis dafür, daß er nicht als müder Mann aus dem Amte scheidet, sondern nur den Ablauf der neuen Präsidentschaft seines Strohmanns Taft abwartet, um sich selbst wieder an die Spitze der größten aller Republiken zu stellen.
Infolge des Erlasses des öfter. Justizministers gegen die tschechische Boykott-Bewegung hat die Staatsanwaltschaft in Böhmen eine Reihe von tschechischen Blättern, die Boykott-Artikel brachten, konfisziert. In der Provinz wurden insgesamt 20 Blätter beschlagnahmt.
Nachrichten aus Wien zufolge beabsichtigt die österreichische Postverwaltung im kommenden Jahre den Bau einer dritten Fernsprechleitung von Wien nach Berlin und den Bau einer direkten Leitung von Wien nach Frankfurt.
Berlin, 18. Dez. Für den Zeppelinfonds hat die „New-Dorker Staatszeitung", wie dem „Lokal-Anz." aus New-Uork berichtet wird, als Ergebnis einer Sammlung 5000 Mk. übermittelt.
Mannheim, 18. Dez. Die meisten Firmen, die gemäß dem Beschluß des Metallindustriellen- Verbandes ihre Arbeiter aussperren, haben den nicht organisierten Arbeitern Unterstützung versprochen. So werden Heinrich Lanz und Mohr u. Federhaff den Verheirateten 20 Mk. und den Unverheirateten 12 Mk. pro Woche zahlen. Die Maschinenfabrik Gebr. Schulze in Ludwigshafen gewährt 60 Prozent des Tagelohns.
Aus Baden, 17. Dez. Die Rheinflotte besteht zurzeit aus 9750 Segelschiffen, 1318 Dampfern und einer großen Anzahl Schleppkähnen. Die gesamte Besatzung beträgt rund 32000 Mann. Das schwimmende Schiffsmaterial auf dem Rheine, zum größten Teile Deutschland, Belgien und den Niederlanden gehörig, dürfte den Wert von mindestens 100 Millionen Mark erreichen.
Dover, 18. Dez. Im Kanal stieß heute der schwedische Dampfer „Lindholmen" mit dem deutschen Dampfer „Friederike Müller"-Stettin zusammen und sank. Sieben Personen ertranken. Die übrigen Insassen des schwedischen Dampfers wurden nach Dover verbracht. Die Mannschaft der „Friederike Müller" hat ihr äußerstes getan, sie vermochte jedoch nur 7 Mann von 16 der Besatzung zu retten, unter ihnen den Kapitän und den 2. Maat. Die „Friederike Müller" ist mit beschädigtem Bug in Dover eingetroffen.
Der Techniker Maagh, der sich wegen des am 3. Dezember im Eisenbahnwagen an dem Agenten Regen begangenen Mordes in Haft befindet, hat seine Schuld eingestanden.
Karlsruhe, 17. Dez. Hr. Maximilian Harden wird in den nächsten Tagen auf seiner Vortragstournee auch hier sprechen. Der Herr schätzt seine Weisheit sehr hoch ein, nach den Preisen zu schließen, die er für die Plätze angesetzt hat. Und er wird aus seine Rechnung kommen, so gut wie der Hauptmann von Köpenick oder sonst eine „Berühmtheit" unserer Zeit.
Karlsruhe, 17. Dez. Das „Karlsruher Tagblatt", bisher fast ausschließlich Anzeigeblatt, zeigt an, daß es von nun an Telegramme und sonstige Mitteilungen von öffentlichem Interesse bringen werde. Jede parteipolitische oder konfessionelle Tendenz soll ausgeschlossen sein.
Rom, 18. Dez. Aus Catania wird gemeldet: Der Aetna befindet sich in vulkanischer Tätigkeit. Aus dem Hauptkrater steigen Feuersäulen und schwarzer Rauch auf. Man hört fortwährend unterirdisches Getöse.
Rostow a. D. (Rußland), 17. Dezbr. Das Zentrum der Stadt sowie ein ganzes Stadtviertel sind durch eine Feuersbrunst zerstört worden. Mehrere Hotels, Engros-Magazine und Warenlager wurden vernichtet. Verschiedene Personen sind umgekommen.
Der Prozeß der 10 000 Jungfrauen hat am Donnerstag inVilbao begonnen. Zehntausend Mädchen hatten bekanntlich einen Protest gegen die Verurteilung der Putzmacherin Jehusa Pajana, die ihren untreuen Geliebten getötet hatte, unterzeichnet und dadurch den Zorn des Staatsanwalts erregt.