Die Anklagedokumente bedecken 157 896 Seiten und mußten auf drei Wagen nach dem Gerichtssaal ge­schafft werden. Natürlich konnten nur wenige der Angeklagten auf den Bänken Platz finden. Diese hatten dazu mit einer für ihr Geschlecht seltenen Unparteilichkeit die schönsten Mitschwestern heraus­gesucht. Der Staatsanwalt beantragte 4 Monate Gefängnis für die Angeklagten, die den Protest ver­faßt, und einen Tag für jede, die ihn unterzeichnet hat.

Württemberg.

Stuttgart, 18. Dez. Fürst zu Wied, Ritt­meister L la suito des Drag.-Regts. König Nr. 26, wurde unterm 17. Dezember von dem König zum Major befördert.

Der kommandierende General Herzog Albrecht wird sich zur Neujahrsgratulation nach Berlin be­geben, um dem Kaiser die Glückwünsche des württ. Armeekorps zu übermitteln. Ebenso eine Offiziers­abordnung des Jnf.-Regts. Kaiser Wilhelm II. Nr. 120 in Ulm.

Stuttgart, 18. Dez. Die Zweite Kammer hat heute in der fortgesetzten Beratung der Volks­schulnovelle sich zunächst mit den fakultativen Unterrichtsfächern beschäftigt. Nach dem Kom- missionsantrage können solche weitere Lehrfächer ein­geführt werden, insbesondere für die Knaben Hand­fertigkeitsunterricht, für die Mädchen Turn- und Haushaltungskunde. Eine längere Debatte hierüber wurde durch einen Antrag der Sozial­demokratie hervorgerufen, wonach unter diese frei­willigen Fächer auch die Gesetzes- und Bürgerkunde ausgenommen werden soll. Schon früher ist ein Antrag dieser Partei, das genannte Fach den obli­gatorischen Unterrichtsgegenständen anzugliedern, ab­gelehnt worden. Dieselben Gründe, die damals gegen den Antrag geltend gemacht worden waren, wurden auch heute wieder ins Feld geführt, nämlich daß ein solcher Unterricht über das Verständnis des Volksschülers hinausgehe, daß mit der Einführung dieses Unterrichts eine Einschränkung des übrigen Unterrichts verbunden sein müsse, daß die not­wendigsten Kenntnisse aus der Bürgerkunde schon jetzt gelegentlich in andern Fächern den Kindern vermittelt werden und daß diesem Unterricht in der Fortbildungsschule die richtige Heimstätte gegeben würde. Auf diesen Standpunkt stellten sich die Abgg. Dr. Hieber (D. P.), Dr. Späth (Ztr.), Löchner (Vp.), Schrempf (B.K.), Rembold-Aalen (Ztr.) und Weber (Ztr.) Für den sozialdemokratischen Antrag erklärte sich nur der Abg. Betz (Vp.) Minister v. Fleischhauer hob hervor, daß durch das Wort insbesondere" den Gemeinden die Möglichkeit gewährt sei, die Bürgerkunde als Unterrichtsfach einzuführen. Der Kommissionsantrag wurde schließ­lich angenommen. Auch die Einführung von Hilfs­schulen für Kinder, deren Veranlagung eine besondere Fürsorge nötig macht, rief längere Erörterungen hervor. Die Redner sämtlicher Parteien erklärten, daß sie diesen Schulen, die dem Lehrer der normalen Volksschule die Möglichkeit gewähren sollen, die Kinder in der Heranbildung gleichmäßig vorwärts zu bringen, sympathisch gegenüberstehen. Der Redner des Zentrums knüpfte allerdings an diese Sympathie die Voraussetzung, daß die Hilfsschule konfessionell gestaltet werde. Im übrigen bestanden Differenzen nur darüber, ob diese Schulen mit vereinfachten Unterrichtszielen errichtet werden können, wie dies der Regierungsentwurf wollte und heute vom Zentrum und Bauernbund gewünscht wurde, oder errichtet werden sollen, wo die Verhältnisse dies gestalten. Das Haus entschied sich für letztere Fassung. Minister v. Fleischhauer teilte mit, daß ein Gesetzentwurf über die Schularztfrage aus- gearbeitet und die Verhandlungen darüber auch abgeschlossen seien, über die Zeit seiner Einbringung aber aus finanziellen Gründen noch nichts gesagt werden könne. Weiterhin befaßte sich das Haus mit der Frage, wer die Befugnis haben soll, über die Einführung fakultativer Fächer, sowie über die Einführung von Mittel- und Hilfsschulen zu ent­scheiden. Das Haus faßte unter Annahme zweier Anträge des Berichterstatters Dr. Hieber folgenden Beschluß: Ueber die Einführung weiterer Lehrfächer und deren Verbindlichkeit für die Schüler, sowie über die Errichtung von Mittel- oder Hilfsschulen, ebenso die Aufhebung solcher Lehrfächer oder Schulen haben nach Anhörung des Ortsschulrats die zur Verwaltung der örtlichen Angelegenheiten berufenen Organe unter Mitwirkung des Bürgerausschusses zu beschließen. Mit diesem Beschluß war nach der 6. Sitzung Art. 1 der Novelle erledigt. Das Haus begleitete die Konstatierung dieser Tatsache durch den Präsidenten mit Bravorufen. Samstag Fortsetzung.

Die Generaldirektion der Staatseisen­bahnen hat folgenden Erlaß ausgegeben:Die Bauinspektionen, Bahnbau- und Hochbauseklionen werden angewiesen, darauf hinzuwirken, daß bei Bauarbeiten, soweit es nach ihrer Art angezeigt er­scheint, von den Unternehmern in erster Linie ge­eignete einheimische Arbeiter verwendet und im übrigen Reichsangehörige vor den Ausländern be­rücksichtigt werden. Es ist deshalb bei Vergebung von Arbeiten jeweils eine entsprechende, die Unter­nehmer verpflichtende Bestimmung in die Akkords­bedingungen aufzunehmen. Bei der Einstellung von Arbeitern zur Ausführung von Bauten im Selbst­betrieb ist das gleiche Verfahren einzuhalten.

Stuttgart, 15. Dezbr. Wie derSchwäb. Merkur" von unterrichteter Seite erfährt, wird die württembergische Eisenbahnverwaltung in­folge ihres Eintritts in den deutschen Staatsbahn­wagenverband binnen drei Jahren etwa 800 Güter­wagen anzuschaffen haben, um den Bestand auf die vereinbarte Höhe zu bringen. Diese Vermehrung wäre auch geboten gewesen, wenn der Verband nicht zustande gekommen wäre. Soweit sich vorläufig beurteilen läßt, wird nach dem Zustandekommen des Verbandes auch eine entsprechende Verzinsung des in den Wagen steckenden Anlagekapitals eher er­langt werden können als bisher. Daß sich künftig die laufende Vermehrung der Güterwagen in be­scheideneren Grenzen Hallen kann als bisher ist selbst­verständlich, denn infolge der zu erwartenden Er­sparnisse an Leerkilometern wird der zum Besorgen des gesamten deutschen Verkehrs vorzuhaltende Wagenbestand kleiner sein dürfen als ohne den Verband. An diesen Ersparnissen nimmt Württem­berg entsprechend teil.

Stuttgart, 15. Dezbr. Die Volkspartei kommt zu ihrer Jahresversammlung am 6. Januar zusammen, die Landesversammlung der Deutschen Partei findet am Sonntag den 10. Januar statt.

Stuttgart, 16. Dez. (Schöffengericht.) Der Bildhauer Karl Schlayer spielt sich hier als Wunderdoktor auf. Er behauptet, mit seiner Tinktur die verschiedensten Krankheiten heilen zu können, sie soll heilsam wirken bei Gicht, Rheu­matismus, Flechten usw. und nach seiner Behauptung sollen bei ihrer Anwendung sogar Kröpfe ver­schwinden. In Wirklichkeit hat aber die Tinktur keinen Heilwert; Schlayer ließ sich dafür schon bis zu 50 Mk. zahlen, während sie höchstens einen Wert von einer Mark hat. Er wurde wegen Betrugs schon wiederholt bestraft, trotzdem preist er seine nichtssagende und höchst bedenkliche Tinktur immer wieder an und behandelt damit Kranke. Heute hatte er sich wieder wegen Betrugs zu verantworten und das Schöffengericht verurteilte den Kurpfuscher zu 4 Wochen Gefängnis.

Stuttgart. 17. Dez. Die Weihnachtsmesse nahm heute ihren Anfang. Die ganze Anordnung ist dieselbe geblieben, wie in früheren Jahren. Die Verkaufsstände konzentrieren sich hauptsächlich auf dem Alten Schloßplatz und in der Dorotheenstraße, während der Marktplatz dieses Jahr eine verhältnis­mäßig schwache Besetzung aufweist. Die Möbel­messe ist in der Gewerbehalle. Die Zufuhr ist nicht besonders stark. Nachfrage war vor allem nach einfachem Möbeln. Während der ersten Markt­stunden rekrutierten sich die Käufer hauptsächlich aus auswärtigen Wiederverkäufern.

Stuttgart, 18. Dezember. Dem Stuttgarter Liederkranz ist die Erlaubnis erteilt worden, be­hufs Gewinnung von Mitteln zum Umbau der Liederhalle eine zweite, in 2 Serien auszuspielende Geldlotterie mit je 80000 Losen zu 2 Mk. zu veranstalten. Die Ziehung der ersten Serie findet am 10. März 1909 statt.

Stuttgart, 18. Dez. Bei einer eindrucksvollen Kundgebung der drei Stuttgarter Hochschulen wurde gestern abend eine Resolution gegen die Exzesse der Tschechen in Prag beschlossen.

Tübingen, 18. Dezbr. Die vereinigten stu­dentischen Korporationen beschlossen auf ihrer gestrigen Ausschußsitzung als Sympathie-Kundgebung für die deutschen Studenten in Prag vom Januar ab Pilsner Bier, soweit es aus tschechischen Brauereien stammt, zu boykottieren.

Lauffen a. N., 17. Dez. Die gestern aus der hiesigen Dorfmarkung abgehaltene Feldtreibjagd, bei der 45 Schützen zu Gast waren, hatte ein sehr befriedigendes Ergebnis, nämlich 345 Hasen. Lauffen a. N. zählt, wie bekannt, zu den allerbesten Hasenjagden Württembergs.

Güglingen, OA. Brackenheim, 17. Dez. Die Firma Mugler in Lauffen a. N., die hier eine Zigarrenfabrikfiliale mit einigen 80 Arbeitskräften betreibt, ließ das heurige Tabakgeld an die hiesigen

Produzenten auszahlen. Ernte und Preis waren recht zufriedenstellend. Für den Zentner dachreifen Tabak wurden 42 Mk. erzielt, wie im Vorjahr. Der Tabakbau findet infolge der guten Preise der letzten Jahre immer mehr Anhänger, wogegen der Cichorienbau auf hiesiger Markung beinahe ganz verschwunden ist.

Altensteig, 17. Dez. (Niehmarkt.) Bei dem gestrigen Viehmarkt war die Zufuhr eine sehr große. Der Handel war zwar etwas lebhafter als beim letzten Markt, aber eine wesentliche Besserung der Marktlage ist doch nicht zu verzeichnen. Zugeführt waren 133 Paar Ochsen und Stiere, 51 Kühe, 41 Stück Jung- oder Schmalvieh, 108 Läuferschweine, 37 Milchschweine. Es kosteten Ochsen und Stiere 7201215 Mk. pro Paar, Kühe 201310 Mk., Jung- oder Schmalvieh 125201 Mk. je per Stück, Läuferschweine 4295 Mk. das Paar, Milch­schweine 2236 Mk. das Paar.

Vermischtes.

Ein Beispiel übertriebener Vereinsmeierei gibt der etwa 15 000 Einwohner zählende Harzort Thale. In ihm bestanden bislang 80 Vereine. Nun das neue Vereinsgesetz in Kraft getreten ist, hat sich die Polizei veranlaßt gesehen, verschiedene Vereine aufzuheben. Dabei fand sich u. a. der Fall, daß einer derVereine" aus Vater, Sohn und Hausknecht bestand, was indes nicht hinderte, daß dieserVerein" jährlich eine Reihe von Festivitäten veranstaltete. Zu diesen Festlichkeiten aber führten die Vereinsmitglieder, Vater, Sohn und Hausknecht, eine Menge Gäste ein, die durch Festbetrag und Tanzgeld wacker zur Deckung der Unkosten beitrugen.

Auflösung der Siun Rätsels in Nr. 197.

Alles.

Richtig gelöst von Friederike Stoll in Engelsbrand.

Auflösung des Zahleu-Rätsels in Nr. 198. Neustadt, Eduard, Uhr, Stern, Taube, Adler, Donau, Therese.

Richtig gelöst von Otto Haizmann, Wilhelmine Titelius und Gotthilf Weissert in Neuenbürg.

Briefkasten v. Red.

Aach Itotens. Die heurige Bürgerausschußwahl scheint ja wunderbar viel Leben in Ihren sonst so stillen Ort ge­bracht zu haben; allerhand Festlichkeiten und sogar Umzüge und Freinächte mit Orchesterbegleitung, daß es recht schwere Köpfe gab !?! Der Hintere Bezirk scheint sich überhaupt durch ein besonders lebhaftes Wahltreiben hervorzutun. Der Bericht darüber gibt aber leider kein so übersichtliches Bild, wie Sie dies wohl meinen. Wir könnten ihn nur in anderer Fassung der Oeffentlichkeit übergeben. Selbstver­ständlich müßte auch Alles auf voller Wahrheit beruhen. Darum nichts für ungut!

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Eingesandt.

Es ist dem Publikum sicher nicht entgangen, daß deS öfteren Waren aller Arten Schuhwaren, Kleiderstoffe, Haushaltungssachen, Nahrungsmittel usw. zu wirklichen Schundpreisen angepriesen werden. Jeder klardenkende Mensch mutz sich sagen, datz zu solchen Preise« keine brauchbare« gute« Ware« zu liefern find, sondern nur Schundware, die nicht wert ist, nach Hanse getragen zu werden. Es ist daher Aufgabe des reellen Handels, das Publikum im eigenen Interesse vor Ankauf solcher Schundwaren zu warnen, denn Schund bleibt Schund, selbst wenn er auch auf die marktschreiendste Weise angepriesen wird. Lasse sich deshalb niemand beirren und kaufe seine Sache nur bei bekannt reellen Firmen.

Kiezu zweites und drittes Matt.