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einem Lohnkampf erwartet werden könne. Ein großer Teil der Anwesenden erklärte sich zuerst dafür, daß schon auf Dienstag abend die Antwort der Meister verlangt werden soll; doch wurde schließlich der Mittwoch-Abend als äußerste Grenze bezeichnet, an welchem die Entscheidung fallen müsse. Von den seit 19. Juni im Streik befindlichen 580 Gipsern und Stukkateuren sind bis jetzt 420 Mann von hier abgereist, die in verschiedenen Städten Ar­beit erhielten. Vier hiesige Firmen haben die For­derungen der Streikenden bewilligt; sie beschäftigen zusammen 62 Mann, die gestern nachmittag die Ar­beit wieder ausgenommen haben. Nur noch ein kleiner Teil der Streikenden, etwa 100, sind am Platze, von denen nochmals 20 heute von Stuttgart abreisen, so daß nur 80 Ausständige hier bleiben werden.

Stuttgart, 22 Juni. In der Nacht von Samstag zum Sonntag fuhr der Personenzug Stutt­gart-Tübingen im Bahnhofe Metzingen infolge fal­scher Weichenstellung auf ein Rangiergeleise. Ma­schine und Tender stürzten eine Böschung hinab. Ein Packwagen und ein leerer Personenwagen wurden stark beschädigt. Der Lokomotivführer, der Heizer und ein Schaffner wurden schwer jedoch nicht lebens­gefährlich verletzt. Die Passagiere kamen mit dem Schrecken davon.

Stuttgart, 23. Juni. Nach einer zwei­tägigen teilweise sehr lebhaften Debatte, in welcher gegen Baden, Bayern und die Schweiz sowie auch gegen Preußen schwere Vorwürfe erhoben wurden dahingehend, daß diese Staaten die württembergischcn Eisenbahnen durch Umleitung des Verkehrs kon­kurrenzieren würden, ist heute einstimmig ein von den verschiedenen Parteien eingebrachter Antrag an­genommen worden, in dem die Kammer die Regierung ersucht, das Interesse Württembergs an der gleich­artigen Entwickelung des Eisenbahn-VerkehrS den anderen Eisenbahnverwaltungen gegenübrr mit aller Entschiedenheit zu verfolgen und auf eine Beseitigung des derzeitigen sowohl dem Sinn und Zweck des Artikels 42 der Reichsverfassung als dem Grund­sätze einer einheitlichen deutschen Wirtschaftspolitik wie dem Anspruch aller Bundesmitglieder auf Schutz gegen künstliche Unterbindungen ihres Verkehrs durch andere Bundesstaaten widersprechendenZustandes hin- zuwirken. Sodann wurde noch mit 51 gegen 18 Stimmen ein Antrag auf Einführung der Kilo­meterhefte angenommen.

Kirchheimu. T., 22. Juni. Wollmarkt, erster Tag. Zufuhr ca. 4000 Ztr. Wäsche sehr schön. Der Verkauf gestaltete sich außerordentlich lebhaft, bis mittags 4 Uhr war die ganze Zufuhr bis auf 3 Partien verkauft. Die Preise bewegen sich von 118135 feine Wolle bis 145 Aufschlag gegenüber dem Vorjahr 1520°/°.

Schwenningen, 22. Juni. Am letzten Samstag entlud sich hier ein heftiges Gewitter. Durch einen Blitzstrahl wurden sechs gefüllte Trockenschuppen der außerhalb Etters liegen­den Dampfziegelei von Gebrüder Schlenker zerstört, so daß eine Fläche von annähernd einem Viertcl- morgen ein undurchdringliches Gewirre von Balken, Latten, Ziegeln und Backsteinen bildete. Durch einen anderen sog. kalten Schlag wurde innerhalb des Ortes ein Haus beschädigt, während die Bewohner beim Mittagessen saßen.

Ravensburg, 20. Juni. Gestern wurde

dem Bierbrauereibesitzer Lutz in Zußdorf von einem bis jetzt unbekannten Täter Seife ins Bier geworfen, wodurch etwa 5000 Liter unbrauchbar gemacht sind. In Winterbach, Gem. Wolketsweiler, wurde vor dem Haus einer 70 Jahre alten verwitweten Bäuerin ein kleines einige Tage altes Kind, welches bloß in ein Kissen gewickelt war, auf einer Holzbeuge nieder­gelegt. Von wem das Kind ausgesetzt worden ist, konnte bis jetzt nicht ermittelt werden. Demselben waren 14 beigelegt und ein Brief, in welchem die Frau gebeten wird, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen.

Berlin, 22. Juni. Nach einem Telegramm der National-Zeitung herrscht in Belgrad bei allem Mitleid für die Schwestern der Königiu Draga große Entrüstung über deren unwahre Aussagen in Wien. Die Vorgefundenen 6000 Francs entstammten einem Vorschuß, den Leutnant Lunjewitza unrecht­mäßig dem Kriegsministerium entnommen hatte. Die Absicht, Dragas Schwestern zu ermorden, be­stand nicht. Ferner ist unwahr, daß König Ale­xander bei dem Sturz aus dem Fenster noch gelebt habe. Auch die sonstigen Behauptungen der Schwe­stern Dragas sind unwahr oder entstellt.

Berlin, 23. Juni. Nach einer Berner Depesche des Lokalanzeigers beabsichtigt Leopold Wölfling in etwa 14 Tagen Fräulein Adamo- witsch zu heiraten. Er will sich bemühen, das Schweizer Bürgerrecht zu erwerben.

Marburg, 22. Juni. Gestern Abend ging in der Gemarkung Ockershausen ein Wolkenbruch nieder. Die Wassermassen, welche von den Bergen kamen, richteten großen Schaden an. Im Torfe selbst drang das Wasser meterhoch in die Viehställe.

Wien, 22. Juni. Zur Herbeiführung ruhiger parlamentarischer Verhandlungen im Abgeordneten- hause wurde gestern in einem unter dem Vorsitz des Kaiser stattgefundcnen Kronrat beschlossen, die in diesem Jahre geforderte erhöhte Rekrutenziffer von 123,000 Mann fallen zu lassen und die bis­herige Ziffer von 103,000 Mann aufrecht zu er­halten. Lediglich die für die Bedienung der neuen Haubitzen sowie für die Vermehrung der Marine unbedingt notwendigen 6000 Mann werden gefordert. Weiter soll der Kaiser seine Zustimmung zur Ein­führung der zweijährigen Dienstzeit gegeben haben und soll dies dem ungarischen Abgeordnetenhause schon in allernächster Zeit in Form einer Vorlage bekannt gemacht werden. Mit dieser Konzession hofft Ahnen Hejervary ein Kabinett zu Stande zu bringen.

Vermischtes.

Wahlergebnis! Eine Moritat! Am 25. Juni dem Tage der Stichwahlen erscheint ein Flugblatt des Simplizissimus. Das Ergebnis der Reichstagswahlen und die ver­blüffende Wirkung derselben werden in einer Moritat von Th. Th. Heine und Ludwig Thoma geschildert. Vier Seiten Text mit fünf­undzwanzig Illustrationen. Preis 10 Pfennig.

Eingesandt.

Zur Reichstagswahl.

Der Artikel in Nr. 97 dieses Blattes,Auf zur Stichwahl", veranlaßt einige Wähler, verschiede­nes an demselben richtig zu stellen. Es heißt dort, daß die Bauernbündler zumeist bereits im ersten

Wahlgang unterlegen sind. Dieses ist nun einfach nicht wahr, aber wahr ist, daß dteVolks- p artei in Württemberg beider ersten Wahl überhaupt keinen Kandidaten durchgebracht hat. Ferner wird behauptet, daß die Volkspartei ihren Wahlkampf rein sachlich geführt habe und daß ihr dagegen von gegnerischer (d. h. Schrempf'scher) Seite in der gehässigsten Weise gcgenübergetreten wurde. Gerade das Gegenteil ist Tatsache. Die Flugblätter der Volkspartei:Was hat der Bauernbund bis heute fertig gebracht" undDie heuchlerischen Macher des Fleischbeschaugesetzcs strotzen geradezu von Unwahrheiten, Verstellung der Tatsachen und persönlichen Angriffen und man muß cs der gesunden Ansicht der Wähler überlassen, über die Behauptungen der Volkspartei zu urteilen. In demEingesandt zur Stichwahl" in der gleichen Nummer ds. Bl. wird dann unter anderem gesagt, daß wir infolge der Handelsverträge jährlich einen Geldstrom von 11 Milliarden Mark über die Grenze rollen lassen konnten. Hiegegen muß nun aber auch eingewendet werden, daß die Bodenverschuldung für das deutsche Reich seit Be­ginn der Handelsverträge und durch die Caprivi'sche Handelspolitik um ca. 5'/- Milliarden Mark zu­genommen hat, infolge der geringeren Rentabilität der Landwirtschaft durch Herabsetzung der Zölle auf' landwirtschaftliche Erzeugnisse. Dieses ist die Kehrseite der Medaille und glauben wir, daß obige Zahlen manchem auch zu denken geben.

Man hört ferner die Volkspartci sich so gerne ihrer liberalen Gesinnung rühmen. Wer aber kürzlich bei einer Wählerversammlung Gelegenheit hatte zu hören, wie von vielen der anwesenden volksparteilichcn Wähler dieser Liberalismus einem gegnerischen Redner gegenüber sich geltend machte durch Zwischenrufe, Schreien, Beschimpfungen u. s. w., der bekam einen Begriff davon, was solche Leute unter liberal und freiheitlich verstehen. Wir müssen hiezu bemerken, daß der konservative Redner in klarer und sachlicher Weise die Angriffe des Gegners widerlegte und glauben auch, daß viele volksparteiliche Wühler mit dem Verhalten dieser Unruhestifter nicht einverstanden waren. Wir sind aber der Ansicht, daß es für Hrn. Schweick- hardt keine Ehre sein wird, wenn er mit Hilfe solcher Wähler den Sieg erlangen würde und es werden sich deshalb auch viele volksparteiliche Wähler die Frage vorlegen müssen, ob sie bei der Stichwahl mit solchen Elementen Hand in Hand gehen wollen.

Das Wahlresultat im Herrenberger Bezirk, wo Hr. Schweickhardt als Müller und Brennerei- besitzer auf den Märkten viel mit den Bewohnern zusammenkommt, wird manchem Wähler auch zu denken geben.

Unsere Ansicht ist die, daß wenn Schrempf nicht mehr gewählt würde, dann hätte nicht er den 7. Wahlkreis verloren, sondern der 7. Wahlkreis hätte einen hervor­ragend tüchtigen Volksvertreter, einen echt national gesinnten Mann und einen auf allen politischen Gebieten erfahrenen, gewandten und schlag­fertigen Redner verloren und das Groß­kapital hätte in der Person des Millionärs Schweick­hardt einen weiteren Vertreter im Reichstag.

Wer dieses nicht will, der gebe heute seine Stimme ab für Friedrich Schrempf.

gewiß nicht aus hiesiger Gegend, wo alles zu Stein und Bein gefriert und der Schnee haushoch liegt im Winter?

Doch, gute Frau."

Aber dann müßte cs der gnädige Herr doch wissen. Wir Wäldler da oben kommen selten anders davon. Wollen gewiß zur Fräulein Braut, daß Sie sich so haben? Mich treibt cs auch meinem Enkel, Kandidaten, sein Eeburtitog ist morgen, und sie schlachten, da sind so alte Großmutterhände immer noch zu gebrauchen, wenn sie nicht lahm sind. Und fühlen Sie nur, was das für eine Wolle ist zu den Socken hier in dem Bündelchen. Fasten Sie nur zu, ich packe es schon wieder fest. Die habe ich dem Jungen gestrickt so nach und nach, denn auf einmal kann man die teure Wolle nicht kaufen, nur langsam, wie man es sich von der Pfründe abdarbt. Jo, es ist eine Wohltat, das neue Gesetz von wegen der Altersversorgung. Sonst dürfte man nicht an so was denken. Und gar zu fahren! Niemals zu erschwingen wäre eine solche Ausgabe, wenn es gleich nur sechs Groschen sind vom Dorfe bis zur Station. Ja früher, wo's Reich noch kein Reich nicht war; ach, du grundgütiger Himmel! Wie ging es da manchen alten Leuten I Sorge, Hunger, schlechte Behandlung bei den Schwieger­kindern, denen man zur Last liegt. Haben Sie auch noch eins Mutter, gnä­diger Herr?"

Gott sei Dank, ja, beide Eltern."

Beide? Und hier herum? Da sollte ich Sie doch kennen! Ich weiß doch ein jede- Haus in der Umgegend auf zehn Meilen wie ist denn der werte Name?"

Arnold von Brunneck."

Die Alte haspelte sich eilig von ihrem Stuhle empor und machte einen alt­

modischen tiefen Knix.Ach nein was Sie sagen! Von der Brunneckrhöhe? Ach, die Ehre! Wohl gar der Heir Premier aus Berlin, der so jählings auskratzen mußte?"

Auskratzen? Wie so? Was heißt das, gute Frau?"

Ach, verzeihen Sie, Herr Premier! Daß wir Weibsleute nie unsere Zunge nicht im Zaume haben. So herauszureden, was man doch nicht sagen darf! Na, cs ist halt einmal geschehen. Freilich, etwas Gewisses weiß man nicht bei uns gemeinen Leuten. Es verlautet nur gerüchtweise, des Herrn Baron Vater hätten den gnädigen Herrn Baron Sohn na wie spreche ich es denn nur aus?"

Ein wenig in die Welt geschickt, damit er das Gruseln lerne. Nicht wahr, so steht es doch im Märchenbuchs? Aber nun bin ich wieder da für immer."

Ei, da glaube ich dem gnäd-g-n Herrn, daß er heim eilt.Ja, bei Muttern! da ist cs holt am schönsten auf der ganzen Erde; das ist so bei Reich und bei Arm. Aber der liebe Herrgott legt den liebsten Menschen dis größten Steine in den Weg alsDenkstein"; oft just vor die Schwelle zum Glück. Da Hilst kein Zittern und wider den Stachel löcken. Diesmal ist es nun der gewal­tige viele Schnee aber hören Sie es? Eben rufts der Herr Inspektor dem Personal zu, daß der Zug einfahren kann."

Hören Sie noch so fein?"

Nur wenn ich mit dem Gemüt horche, sonst nie nicht."

Ach! sagen Sie liebe Frau," fuhr Arnold mit heftig zitternder Stimme fort,kennen Sie das Waldwärterhous, darin Holdermanns wohnen, Tante und Nichte?"

(Fortsetzung folgt.)