teresse war im allgemeinen erschöpft und das Haus meist schlecht besetzt. Nur noch die Tribüne war, wie überhaupt in den letzten Tagen, namentlich von Lehrern, stark besucht. Heute sprachen die Abgg. Keßler (Ztr.), Dr. Wolf (B.K.) und Dr. Elsas (Vp.) Letzterer besprach die Frage des Verhältnisses des Staats zur Gemeinde und betonte, daß man, so lange nicht die Uebernahme der persönlichen Schullasten auf den Staat erfolgt sei, in der finanziellen Durchführung der Bezirksschulaufsicht und in der Einführung des achten Schuljahres erheblich gehemmt sei. Werde das achte Schuljahr nicht obligatorisch eingeführt, so falle das Interesse seiner Partei an dem Zustandekommen des Gesetzes. Kultusminister v. Fleischhauer erwiderte darauf, daß die Erklärung des Vorredners die Hoffnung auf ein Zustandekommen des Gesetzes schwinden lasse. Nach der allgemeinen Finanzlage sei es unmöglich, mit dem Entwurf die Finanzfrage bezüglich des Verhältnisses zwischen Staat und Gemeinde zu regeln. Der Abg. Rembold (Ztr.) hielt eine polemische Nachlese, in der er sich besonders gegen Haußmann und Löchner wandte. An das Präsidium ist aus Friedrichshafen folgende Depesche gelangt: Die Anerkennung der Zweiten Kammer erfüllt mich mit ganz besonderem Stolz und Dank. Graf Zeppelin. Zum Schluß der Sitzung wurde ein K. Reskript verlesen, durch das die Ständeversammlung bis auf weiteres vertagt wird. Präsident v. Payer knüpfte daran die Hoffnung, daß die Abgeordneten alle gesund und frisch zur Wiederaufnahme der Arbeit sich einfinden werden.
Stuttgart, 4. Juli. Zu Beginn der heutigen Sitzung der Ersten Kammer wurde in einem feierlichen Akt eine Ehrung des Grafen Zeppelin beschlossen. Nach Reden des Präsidenten Grafen Rechberg und des Ministerpräsidenten Dr. v. Weizsäcker wurde einstimmig beschlossen, ein Glückwunsch- Telegramm an den Grafen Zeppelin abzusenden. — Außerdem wird auf Antrag des Grafen Uxkull der Präsident beauftragt, dem Grafen Zeppelin am 8. Juli zu seinem 70. Geburtstag die Glückwünsche des Hauses darzubringen. Ministerpräsident Dr. v. Weizsäcker führte zu der Kundgebung aus: „Es gereicht mir zu besonderer Genugtuung, Zeuge dieser Kundgebung des hohen Hauses für den Grafen Zeppelin zu sein. Zum Jubel des Landes hat er gestern das Königspaar über dem Schwäbischen Meer geführt, sicher, das kostbarste Gut des Landes ohne Sorge an Bord nehmen zu können. Dieses hohe Haus und die Zweite Kammer haben dem hochverdienten tapferen Schwaben eine Ehrung zu Teil werden lassen, wie sie in den Annalen des Landtags selten oder vielleicht in dieser Form nie zu finden ist. Die Staatsregierung empfindet mit den Ständen das Erhebende des Moments.
Die alte Furcht, daß alles ein Komplott sei, um ihn zu umgarnen, kam wieder über ihn.
„Warum schickte sie nicht Martha oder Dora?" fragte er. „Hast du dich dazu gemeldet?"
„Nein", erwiderte Susanns kurz, empört über eine solche Voraussetzung. Von da an war das Verhältnis zwischen dem Kranken und seiner Pflegerin etwas gespannt. William war indessen sehr mit sich zufrieden. Hatte er ihr nicht gezeigt, daß er hinter ihre Schliche gekommen und so leicht nicht zu fangen sei? Aber als ihm eines der anderen Mädchen den Tee brachte, war es ihm doch nicht recht.
„Wo ist Susanns?" fragte er verdrießlich.
„Sie hat mit mir gewechselt."
„Sage ihr, daß sie augenblicklich kommt", befahl er in einem Ton, der keinen Widerspruch litt.
„Du sollst mich weiter pflegen, Susanna", verlangte er, als sie wieder erschienen war.
Er sah sie an, und der innerliche Konflikt, der ihn gepeinigt, kam zu einem plötzlichen Ende. Was half es, sich dagegen zu sträuben, es nützte ja doch nichts. Er — William, der Weiberfeind — er war verliebt!
„Zum Kuckuck, Susanna!" rief er, verzweifelnd nach Worten suchend. „Willst du mich heiraten?"
„Nein", sagte Susanna, „sicher nicht."
Ihre Lippen zitterten, sie zerdrückte eine Träne, aber er war zu erstaunt, um diese Anzeichen ihrer Erregung zu bemerken. Während er sich gegen seine eigenen Gefühle wehrte, war es ihm nie in den Sinn gekommen, daß sie ihn abweisen könne.
„Ich habe dich aber doch lieb. Susanna", protestierte er, „wirklich von Herzen lieb."
„Ihr Tee wird kalt", ermahnte sie.
„Warum willst du mich denn nicht?" bat er, sich vergeblich bemühend, seine gewohnte lakonische Redeweise zu ändern.
Friedrichshafen, 4. Juli. Auf das gestern abend eingelaufene Telegramm des Kaisers, welches lautet: „Freue mich von ganzem Herzen über den famosen Erfolg. Halte Ihnen hier nach wie vor die Stange. Besten Gruß Wilhelm I. k.", hat Graf Zeppelin mit warmen Worten geantwortet.
Friedrichshafen, 5. Juli. Die Antwort des Grafen Zeppelin auf das bekannte Telegramm des Kaisers hat folgenden Wortlaut: Ew. Majestät danke ich alleruntertänigst aus tiefbewegtem Herzen für den allergnädigsten Gruß. Das Vertrauen Ew. Majestät wird den Vorteil für Deutschland zutage fördern, der in dem, was ich schaffen durfte, liegt. Graf Zeppelin.
Friedrichshafen, 4. Juli. Graf Zeppelin wird in den nächsten Tagen keinen Aufstieg unternehmen. Er ist heute mittag nach seiner Villa Giersdorf bei Konstanz abgereist und feiert am nächsten Mittwoch dort seinen 70. Geburtstag. Am darauffolgenden Samstag wird die Drachenstation offiziell eingeweiht. Wenn das Gas aus dem Zep- pelinschen Ballon gelassen wird, werden eine Anzahl benachbarter Luftschiffoereine, darunter auch der württembergische Verein für Luftschiffahrt in Stuttgart, ihre Ballone damit füllen und Freifahrten unternehmen. In der zweiten Hälfte des Juli, vermutlich am 16. oder 17., folgt sodann die Dauerfahrt des Grafen Zeppelin nach Mainz. Für die Fahrt über eine 453 Kilometer lange Strecke, die über Basel und Straßburg führt, sind zehn Stunden vorgesehen.
Stuttgart, 4. Juli. Der „Schwäb. Merk." schreibt: Ganz Stuttgart war heute nachmittag von dem Gerücht erfüllt, Zeppelin statte der schwäbischen Residenzstadt einen Luftbesuch ab. So waren zwischen 3 und 4 Uhr alle Aussichtspunkte, ja auch Dächer voll besetzt; auf den Straßen blickte alles erwartungsvoll gen Himmel. Die Hoffnungen waren aber vergeblich. Durch Anschlag an den bekannten Stellen machten wir bekannt, daß das Gerücht sich nach den Erkundigungen an zuständiger Stelle in Friedrichshafen nicht bestätigt, und daß Graf Zeppelin in den nächsten Tagen keine größeren Aufstiege beabsichtigt.
Stuttgart, 3. Juli. (Strafkammer.) Was ist Jagdausübung? Einem Bierbrauereibesitzer, der eine größere Jagd gepachtet hat, war wegen wiederholter Verstöße gegen das Jagdgesetz die Jagdkarte entzogen worden. Um die Jagd nicht nutzlos liegen zu lassen, lud er jagdberechtigte Freunde ein, lieh seinen Hühnerhund und beteiligte sich beim Treiben. In einem solchen Fall wurde er auf Anzeige eines Forstwarts vom Oberamt in eine Strafe von 25 Mk. genommen, wobei davon ausgegangen wurde, daß er selbst geschossen habe. Das Schöffengericht bestätigte diese Strafe, die angerufene Stras-
„Soll ich eine andere Tasse holen?"
„Ach, laß mich doch mit dem Tee in Ruhe", schrie er aufgebracht, „ich habe dich lieb und frage dich, ob du mich heiraten willst?"
„Und ich sage „nein!" fuhr Susanna ihn an. „In vier Wochen gehe ich. So, nun wissen Sie das."
Damit verließ sie ihn und war nicht zu bewegen, den Kranken weiter zu pflegen.
* * *
*
Vierzehn Tage waren vergangen, und William ging der vollständigen Genesung entgegen. Es war schwer zu sagen, ob man ihn bemitleiden oder auslachen sollte. Da stand er — das prächtige Modell eines kraftvollen Landmannes — fast vergehend aus Angst vor einem Mädchen, in das er wider Willen ganz toll verliebt war. Immer um Worte verlegen, war er in ihrer Gegenwart wie auf den Mund aeschlaaen.
„Willst du wirklich fort?" fragte er sie, sobald er sie zu Gesicht bekam.
Sie nickte, und unfähig, ein weiteres Wort zu finden, ging er wie ein begossener Pudel fort.
Die Zunge — so war das Resultat seiner Re- flektioneu — die Zunge war der Anfang und das Ende in ihrem Dasein. Von Natur redselige Geschöpfe, konnten auch nur redselige Gesellen ihre Herzen gewinnen, so ein gerader, einfacher Mensch wie er hatte kein Glück bei der aalglatten Gesellschaft. Wenn eine von ihnen „nein" sagte, wie konnte man wissen, ob sie nicht doch „ja" meinte?
Plötzlich biß er vor Aufregung die Bernsteinspitze von seiner Pfeife ab. Wenn er nun Susannas „Nein" für „Ja" nahm?
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Ein Sonntag brach an, ein nasser, kalter, wie sie im Herbst so häufig sind; es war der letzte
kammer sprach jedoch den Angeklagten frei, weil der Nachweis nicht voll erbracht wurde, daß er selbst geschossen habe. Dieses Urteil wurde auf Revision der Staatsanwaltschaft vom Strafsenat des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. Der Strafsenat sah eine Uebertretung des Jagdgesetzes schon darin, daß der Angeklagte seinen Hund zur Aufsuchung von Hühnern los ließ und ihn eines der geschossenen Hühner apportieren ließ. Auf dieses Urteil setzte die Strafkammer die Strafe auf 10 Mk. herab, wobei berücksichtigt wurde, daß der Angeklagte dadurch, daß er Jagdpacht bezahlen müsse, die Jagd aber nicht ausüben dürfe, schon sehr geschädigt sei.
Die kirchliche Umlage der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Stuttgart ist gegen das Vorjahr um 1°/o vermindert worden. Während sie für 1907 aus 10°/o fixiert war, ist für 1908 mit 9°/o festgesetzt worden. Die Reduktion konnte vorgenommen werden, da der Bedarf gegen die früheren Jahre, wo mehrere neue Kirchenbauten in Betracht kamen, ein geringerer geworden ist.
Stuttgart, 5. Juli. Der Bursche, der am 15. Juni ds. Js. im Walde zwischen Degerloch und Ruith ein 22jähriges Mädchen aus Ruith überfallen und genotzüchtigt hat und schließlich noch an der Ueberfallenen einen Mordversuch machte, ist nunmehr der Staatsanwaltschaft bekannt. Es ist der 1889 in Plattenhardt geborene ledige, va- gierende Maurer und Fabrikarbeiter Adam Siegle, der flüchtig ist. Der Täter hat sich noch vor kurzem ^ im Amtsbezirk Stuttgart und Nürtingen aufgehalten.
Stuttgart, 4. Juli. Dem Wochenbericht der Zentralvermittlungsstelle für Ob st Verwertung in Stuttgart ist zu entnehmen: Diese Woche sind eingegangen Angebote in Johannis- und Stachelbeeren aus Ehingen a. D., Bissingen a. E., Nußdorf, Bot- nang, Bietigheim, Reichenberg. Nachfragen in Walderdbeeren aus Großsachsenheim, in Himbeeren aus Cannstatt, in Johannis- und Stachelbeeren aus Reutlingsn, in Kirschen aus Heidenheim, Stuttgart, Aldingen, Gottingen, Blaubeuren, in Brennkirschen aus Cannstatt. Auf dem Stuttgarter Ln gros- Markt bei der Markthalle kosteten Prestlinge 35 bis 50 per V- Kilogramm, Erdbeeren 50 Himbeeren 30—35 ^s, Johannisbeeren 8—15 Stachelbeeren 10—12 Heidelbeeren 12—14 Nüsse
grün 12—14 Kirschen 16—24 ^s. Die Zufuhr war sehr stark, der Absatz ziemlich rasch.
Heilbronn, 4. Juli. Professor Dr. Gustav Schm oller in Berlin, ein geborener Heilbronner, hat dem Gemeinderat, der ihm zu feinem 70. Geburtstage gratuliert hatte, in einem langen Schreiben gedankt, in welchem er versicherte, er sei stolz darauf, zugleich ein guter Preuße und ein guter Heilbronner zu sein.
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Sonntag, bevor Susannas Kündigungsfrist abgelaufen war. Bei dem schwachen Lichtschimmer, der durch die bleigefaßten Scheiben der kleinen Dorfkirche drang, wurde der Gottesdienst abgehalten. In dessen Verlauf ging beim Verlesen der Heiratsankündigungen ein Ruck durch die ganze Versammlung.
„William West, Junggeselle und Susanna Merrell, ledig, beide aus diesem Kirchspiel."
Wie mit Blut übergossen rückte Susanna unruhig auf ihrem Sitz hin und her, während sich aller Augen voll Neugierde und Erstaunen auf sie richteten. Die unerhörte Kühnheit raubte ihr fast den Atem.
Ungeduldig wartete sie auf das Ende des Gottesdienstes, neugierig darauf, was er ihr zu sagen hätte. Ueber ihre eigene Antwort war sie keinen Augenblick im Zweifel! Schüchtern, wie immer suchte er sie, nun der große Wurf vorüber, wieder zu meiden, ausweichen wollte er dem Mädchen, dessen Namen er soeben mit dem seinigen verbunden hatte!
„Wie durften Sie das?" rief sie, ihn am Rockärmel ziehend, in anscheinender Entrüstung.
„Es war ein kleines Geheimnis zwischen dem Pastor und mir", grinste er.
Cs war die größte Frechheit, die mir je vorgekommen ist", erklärte sie. Aber es war etwas in ihrer Stimme, das ihm Mut gab, wenn auch keine Beredsamkeit.
„Du läßt es aber durchgehen, Susy, nicht? Sage ja, mein Mädchen, denn ich habe dich lieb und möchte dich heiraten, allen Zungen zum Trotz."
„Du großer, unbeholfener Junge, du", lachte sie, während Tränen in ihren Augen schimmerten, „ich habe dich all die Zeit schon liebgehabt, aber wie konnte ich zugeben, daß du heiratest, wenn du dich doch mit aller Gewalt dagegen sträubtest?"