Blätter bezeichnen es als skandalös, daß das Schicksal unzähliger Reisender auf der stark befahrenen Strecke in den Händen eines halb verhungerten Mannes gelegen hat. Verschiedene Blätter verzeichnen die beschämende Tatsache, daß nach dem Unglück verkommenes Raubgesindel von Antwerpen nach Contich strömte und die Verwirrung benutzte, um die Verwundeten ihrer Wertsachen und Börse zu berauben. Erst die Abstimmung verhinderte ihr weiteres Treiben. Gelobt wird das Verhalten des Lokomotivführers und des Heizers, die bis zuletzt ausharrten, obwohl sie selbst verletzt waren.
Petersburg, 23. Mai. Aus Woronesch wird gemeldet: 40 Schüler und Schülerinnen des Gym- ! nasiums und der Realschule wurden verhäftet, darunter sieben aus einer Familie. Sie gehörten sämtlich dem „Verbände der freien Liebe" an und hatten empörende Orgien in verschiedenen geheimen Lokalen gefeiert.
La Corunna, 23. Mai. In einem Beichtstuhl der St. Georgs-Kirche explodierte während der Messe, an der die hier garnisonierenden Truppen teilnahmen, eine Bombe. 2 Soldaten wurden dabei verletzt.
Württemberg.
Stuttgart, 23. Mai. Die Zweite Kammer hat heute die Beratung der Bauordnung fortgesetzt und ist dabei über die Erörterungen zu Art. 3, die schon gestern begonnen hatten, nicht hinausgekommen. Dieser Artikel betrifft die Aufstellung von Ortsbausatzungen und ihre Vollziehbarkeitserklärung. Während der Regierungsentwurf die Genehmigung des Ministeriums des Innern für die Errichtung neuer und die Aufhebung und Abänderung bestehender Ortsbausatzungen vorgesehen hatte, ist von der Kommission beschlossen worden, daß diese Satzungen dem Bezirksrat vorzulegen sind und nach Ablauf von drei Monaten vollziehbar sein sollen, wenn nicht früher vom Bezirksrat ihr Vollzug untersagt oder genehmigt worden ist. Für die Vollziehbarkeitserklärung durch den Bezirksrat sprach zum besseren Schutz der Privatinteressen der Abg. Kraut (B.K.), während Mattu- tat (Soz.) dies durch das Ministerium wünscht. Er warf dem Bezirksrat Abhängigkeit von den Interessenten vor. Diese Angriffe gegen den Bezirksrat, der ein Selbstverwaltungskörper ist, wurden von Rem bald-Aalen (Ztr.) als undemokratisch und von Gauß als in hohem Grade merkwürdig und in striktem Gegensatz zu den Parteigrundsätzen der Sozialdemokratie stehend bezeichnet. Auch Liesching (Vp.) nahm sich des Bezirksrats an. Zu einer Entscheidung ist es nicht gekommen. Die Debatte wird am Dienstag nachmittag fortgesetzt werden.
Stuttgart, 23. Mai. Die Pfingstkollekte zur Unterstützung evangelischer Kirchengemeinden im In- und Auslande hat im vorigen Jahre die Summe von 22124 Mk. ergeben. Davon sind 57 württem- bergische Kirchengemeinden sowie mehrere ausländische unterstützt worden. — Die am Sonntag den 5. April zugunsten des Kirchenbaus in Entringen und Pfäf-
blieben die Nacht dort und rückten heute vormittag hier ein."
Auf Wolfs blassen Backen brannten zwei rote Flecken, die hohe Erregung hatte sie hervorgerufen. „Was haben Sie von Stetten und von Eckard gehört?"
Reckling blickte ihn prüfend an. Nein, kein Vertuschen, volle Wahrheit, Auge in Auge, Mann zu Mann! Er legte seine Hand aus Wolfs Arm. „Wir zwei haben viel verloren, wir habem dem Vaterland ein schweres Opfer zu bringen, denn wir sind nicht mehr unser vier, wir zwei sind allein zurückgeblieben."
Sprachlos starrte ihn Wolf an und er fuhr fort. „Ich habe einen Offizier ihrer Kompagnie gesprochen. Er sagte mir, nie würde er den Eindruck vergessen, wie er Stetten hätte vorwärts springen sehen kurz vor dem verhängnisvollen Schüsse. Strahlend hätte er ausgesehen, wie ein jubelnder Held, dem man das Hurra von den Lippen liest. Ein schwerer Schuß verwundete ihn gleich darauf. Eckard sprang zu, wollte ihn aus dem Feuer schleppen — da traf dieselbe Kugel beide. Sie starben den Heldentod fürs Vaterland. So endigt deutsche Tapferkeit und Treue!"
Er schwieg, überwältigt von seinen Gefühlen. Wolf war auf sein Lager zurückgesunken, zwei schwere Tränen rollten langsam aus seinen Augen und tropften auf das Kiffen. „Siegfried, unser Sonntagskind," murmelte er, „immer so voll Licht, so voll Sonnenschein bis zuletzt! Man muß es ihm gönnen, diesen Heldentod im Siegesbewußtsein. Keinen Schatten, keine Enttäuschung, keine Ernüchterung
fingen veranstaltete allgemeine Kirchenkollekte hat 16191 Mk. ertragen.
Bauausstellung Stuttgart 1908. Die Materialprüfungsanstalt an der K. Technischen Hochschule Stuttgart wird in einer der Eisenbetonhallen mit Hilfe großer maschineller Einrichtungen ihre sich auf das Baugewerbe erstreckende Tätigkeit zur Schau stellen und dem Publikum an bestimmten Tagen in Betrieb vorführen. Die Untersuchung von Zement in Bezug auf Erhärtung, Temperatur, Bindezeit, Volumenbeständigkeit, Feinheit der Mahlung, Zugfestigkeit und Druckfestigkeit wird mit Hilfe von einem Zweihammerapparat, einem Normalzugfestigkeitsapparat und einer Druckmaschine für Kraftäußerungen bis 30000 gezeigt werden. Ferner wird man die Einrichtungen zur Herstellung von Versuchskörpern aus Beton mit und ohne Eiseneinlagen sehen, desgleichen solche zur Ermittlung der Druckfestigkeit von Beton, Steinen rc., wobei u. a. eine Druckmaschine für Kraftäußerungen bis 500 000 KZ verwendet wird; des weiteren kommen die Einrichtungen zur Ermittlung der Zug- und Druckelastizität von Beton sowie schließlich solche zur Untersuchung von Eisenbetonbalken mittelst Biegungsmaschinen zur Ausstellung.
Stuttgart, 23. Mai. Dem Polizeibericht zufolge ist gestern in der Bohnenbergstraße eine 32 Jahre alte Frau aus dem 3. Stockwerk gestürzt und war sofort tot.
Zur Oberndorfer Landtagswahl. Nachdem der Landtag die Wahl des Zentrumsabgeordneten Andre für ungültig erklärt hat, ist im Bezirk Oberndorf eine Ersatzwahl notwendig, die in Bälde stattfinden wird. Betrachtet man das Ergebnis der letzten Wahl, so ist kein Zweifel darüber, daß es sich bei der neuen Wahl um einen heißen Kampf handeln wird, an dem sich hauptsächlich das Zentrum und die Volkspartei mit einer intensiven Agitation beteiligen werden. Bei der Wahl am 5. Dezember 1907 erhielt von 5757 abgegebenen gültigen Stimmen Andre (Z.) 2647, der bisherige Abgeordnete Gastwirt Harttmann (Vp.) 1496, Rechtsanwalt Dr. Mil- zewsky (D. P.) 995 und der Gewerkschaftsbeamte Solle (Soz.) 1117 Stimmen, bei der darauf nötigen zweiten Wahl Andre 3057, Hartmann 3049, Mil- zewsky 162 Stimmen.
Heilbronn, 22. Mai. Die Sammlungen für einen Theaterneubau haben, wie Oberbürgermeister Dr. Göbel in der gestrigen Gemeinderats- sitzung mitteilte, nunmehr die Summe von rund 400000 Mk. erreicht. An der in Aussicht genommenen Bausumme fehlen somit nur noch 100 000 Mark, die aber zweifellos noch zusammen kommen.
Heilbronn, 21. Mai. Uebel zugerichtet wurden gestern in der Sichererstraße zwei Kinder von einem Hund. Das Tier durchstöberte einen Mülleimer und als das etwa sechsjährige Söhnchen des Steinhauers Schneider vorbeiging, wurde es von dem Hunde angefallen und gebissen. Ein Mann trug den Knaben nach Hause, bis er zurückkam zeigte eine große Blutlache, daß noch weiteres Unheil geschehen war. Ein
hat er durchgemacht — es ist ihm alles erspart! Aber wir, die Braut, die Freunde, die Kameraden, wir verlieren namenlos!"
Reckling nickte schmerzerfüllt. „Die Lücke bleibt, wir werden unsere Helden nie vergessen."
„Und Eckard, der Treuen Treuester! Wie wird seine Anni leiden", fuhr Wolf mit unsicherer Stimme fort.
„Wer sich einem Helden anverlobt, der muß auch des Helden würdig sein und mit ihm Lorbeer und Grabzypressen teilen können", antwortete Reckling. „Der Trennungsschmerz mag wohl wie ein Schwert durch das junge Herz gehen, aber ein deutsches Mädchen muß auch unter Tränen danken können, solch einem Manne das Liebste auf der Welt gewesen zu sein. Wenn ich jetzt an Eckard denke, fällt mir immer unser letztes Zusammensein in der Heimat ein.
„Der Offizier wußte von der Freundschaft, die mich mit Stetten und Eckard verband, er übergab mir die Wertsachen, die bei den Toten aufgefunden waren," berichtete Reckling weiter. „Es ist dabei auch ein Brief von Stetten an seine Braut und Eckards Kriegstagebuch, das er für seine Anni bestimmt hat. Ich werde es durch das Hauptquartier am sichersten befördern lassen."
Wolf zog unter seinen Kissen den vorhin geschriebenen Brief hervor. „Nehmen Sie auch diesen mit dazu," bat er, „er soll mir das Jawort der Erwählten bringen. Siegfried hat mich oft bestürmt, daß ich diesen Schritt tun solle. Legen Sie die
Mädchen namens Scheerle war ebenfalls insbesondere im Gesicht so stark durch den Hund verletzt worden, daß es blutüberströmt ins Krankenhaus gebracht werden mußte.
Kirchheim u. T., 23. Mai. Rechtsanwalt Faber-Backnang hat seine Bewerbung um den hiesigen Stadtschultheißenposten zurückgezogen. Es stehen sich somit nur noch sechs Kandidaten gegenüber, von denen voraussichtlich noch verschiedene von der Wahl zurücktreten werden.
Lotterie. Zu Gunsten der Marienkirche in Reutlingen ist von Se. Maj. dem König von Württemberg eine Geldlotterie genehmigt werden, deren Ziehung bereits am 19. Juni 1908 in Reutlingen stattfindet. Bei dieser Lotterie werden 7313 Geldgewinne im Gesamtbeträge von Mark 130 000 mit Haupttreffern von 50 000 Mk., 15 000 Mk., 5000 Mk. rc. bei kleiner Anzahl Lose zur Ausspielung gelangen. Der Verkauf der Lose ist gestattet in Württemberg, Baden, Bayern, Braunschweig, Elsaß-Lothringen und Sachsen-Weimar-Eisenach. Die Lose zum Preise von Mk. 3.— (10 Lose 28 Mark) sind bereits erschienen.
Aus ^laSt. Bcstl-k uns Umgebung
Die Eröffnung der Bergbahn in Wildbad.
Den 23. Mai 1908.
I.
Wenn auch infolge des jähen Witterungsumschlags vom Wetter wenig begünstigt, fand heute nachmittag die Eröffnung der neuen Bergbahn auf den Sommerberg in feierlicher Weise statt. Nach dem Empfang der auswärtigen Festgäste auf dem Bahnhof und deren Geleite durch die festlich beflaggte Stadt sammelten sich die zahlreichen Festteilnehmer im unteren Stationsgebäude des neuen Bauwerks. Es waren u. a. erschienen der Vorstand der Regierung des Schwarzwaldkreises Präsident v. Hofmann, der Vorstand der Domänendirektion Präsident Dr. v. Schwarz, der Vorstand der Forstdirektion Direktor Dr. v. Graner, Oberforstrat v. Keller, Ministerialrat Dr. v. Köhler vom Ministerium des Innern, die Bezirksbeamten Oberamtmann Hornung und Dekan Uhl, Kommerzienrat Heermann von Heilbronn, Landtagsabg. Wasner u. a. m., sowie die eingeladenen Vertreter der Presse von Stuttgart, Oberndorf, Pforzheim und Neuenbürg. Die Feier eröffnete der Leiter des Bauwesens, Oberbaurat v. Leibbrand, mit einer kurzen Ansprache, in der er das in so verhältnismäßig kurzer Zeit vollendete Werk übergab unter lebhaftem Dank an alle, welche zu dessen Gelingen beigetragen haben und mit dem Wunsche, daß es für seine Aktionäre eine „Goldgrube" werden möge. Der Vorstand der Bergbahngesellschaft, Fabrikdirektor Schnitzer, hieß in herzlichen Worten alle Festteilnehmer willkommen und führte des weiteren aus: Das Werk, ein schönes Zeugnis württembergischer Jngenieurkunst, das dem und den Erbauern alle Ehre macht, indem es die Prüfung des Staatstechnikers glänzend bestanden, sei nun vollendet. Viele, viele, welche die Schön-
Briefe zusammen, Freude und Schmerz liegt ja auch im Leben dicht nebeneinander."
Reckling nahm den Brief und drückte Wolf die Hand. „Wir müssen doppelt fest Zusammenhalten, jetzt, wo uns der Tod eine so schmerzliche Lücke riß", sagte er.
Mit warmem Blicke, der in einem feuchten Glanze schimmerte, antwortete dieser: „Treu, wie unsere zwei Helden, treue Freunde und Kameraden bis zuletzt."
Als Reckling gegangen war, ließ bei Wolf die Anspannung seiner Kräfte nach, fieberhafter Schlummer umfing ihn und die zuckenden Lippen murmelten dabei: „Treu — treu bis zuletzt — Inge — wir waren unser vier."
Ihr hieltet in dem sanddurchglühten Lande Die alte deutsche Treue bis zum Tod,
Es festigten sich der Kameradschaft Bande In den Entbehrungen in Kamps und Not.
Ihr gingt zum Kampfe wie zum Hochzeitsfeste,
Als Helden zahltet ihr den höchsten Preis Und gabt voll Jubel hin das Größte, Beste,
Des treuen Herzens Blut, so jung und heiß.
Doch in die Klage um das junge Leben Mischt sich ein jubelnd Wort wie Glockenton,
Für eure Pflicht habt ihr euch hingegeben Getreu — getreu — ench winkt die ew'ge Krön.
Ihr pflücktet Lorbeer euch und Grabzypressen,
Jetzt ruht ihr sriedevoll bei eurem Gott.
Wir werden unsrer Helden nie vergessen,
Sie lehren uns die Treue bis zum Tod.
Nun halten über den verklärten Toten Die Hellen Sterne droben stille Wacht,
Sie weben als des Himmels heil'ge Boten Lichtstrahlen um sie in der Tropennacht.