Im Reichstag fand am letzten Freitag der erste Schwerinstag statt. Auf der Tagesordnung stand der Zentrumsantrag zur Erhaltung und För­derung des Handwerkerstandes und des kaufmänni­schen Mittelstandes, den Abg. Trimborn (Z.) in langer Rede begründete. Abg. Pauli (kons.) schloß sich im wesentlichen dessen Ausführungen an. Abg. Frhr. v. Gamp (Rp.) äußerte Bedenken gegen die Schaffung eines Reichshandwerkerblattes und gegen die Einführung von Handelsinspektoren. Die Weiter­beratung fand am Samstag statt.

Berlin, 7. Dez. In einer zahlreich besuchten Versammlung inHamburg sprach gestern derNational- liberale Wassermann über deutsche Politik. Er bezeichnete den Block als die aus dem Volkswillen herausgeborene Organisation und gab der Ueber- zeugung Ausdruck, daß der Block von Dauer sein werde.

Essen, 7. Novbr. Der Leiter des rheinischen Luftschiffahrtsvereins teilt mit, daß der entflogene BallonBamler" in größere Höhe gestiegen sei, so daß seine Hülle schließlich platzte und in 2 Teilen bei Bür in Westfalen niederging. Die Hülle hat 5000 Mk. gekostet, während die Reparaturkosten nur 200300 Mk. betragen.

Der DampferPräsident Lincoln" der Ham- burg-Amerika-Linie ist mit der bisher noch nie erreichten Gesamtzahl von 3848 Passagieren von New-Uork nach Italien abgegangen.

Auf Schloß Serrahn hat heute früh die Ver­lobung des Fürsten Ferdinand von Bulgarien mit der Prinzessin Eleonore Reuß-Köstritz j. L. stattgefunden. Die Verlobung wurde in Sofia durch den Fürsten von Calais aus gemeldet und war eine vollständige Ueberraschung für die Regierung und den Hof. Der Premierminister Gudow teilte sie sofort der Sobranje mit, die unter Beifallsrufen die Sitzung aufhob. Die Regierung und der Kammer­präsident beglückwünschten telegraphisch den Fürsten, sowie die Prinzessin. Fürst Ferdinand von Bul­garien ist 1861 geboren, also jetzt 46 Jahre alt. Vermählt war er mit der Prinzessin Luise von Parma, die im Januar 1899 gestorben ist. Aus dieser Ehe sind 2 Prinzen und 2 Prinzessinnen hervorgegangen. Die Braut des Fürsten ist 1860 geboren, also ein Jahr älter als der Fürst. Sie ist die älteste Schwester des Fürsten Heinrich XXIV. von Reuß-Köstritz.

In der Nähe von Versailles werden gegen­wärtig Schießübungen mit einer in der Waffenfabrik von St. Etienne hergestellten Mitrailleusc abgehalten, die 350 Projektile in der Minute abgeben kann, ohne daß die Hitze des Rohrs 45 Grad übersteigt.

Der König von Spanien teilte dem Prä­fekten des Departements Gironde mit, daß während der sehr stürmischen Ueberfahrt von Portsmouth nach. Brest 2 Lotsen des Schiffs, die mit nach Frankreich zurückkehrten, ertrunken seien.

Am Donnerstag abend rissen sich von einem Güterzuge Frankfurt-Bebra bei Elm in der größten Steigung über 30 Wagen los, welche mit größter Geschwindigkeit zurückliefen. Erst in der Nähe von Salmünster gelang es den auf dem ab­gerissenen Teil sitzenden Bremsern ihn zum Stillstand zu bringen. Die nachfolgenden Personenzüge er­litten größere Verspätungen.

Portsmouth, 6. Dezbr. Das Schlachtschiff Prinz Georg" hat sich gestern nacht im hiesigen Hafen losgerissen und ist mit dem Kreuzer Stamson zusammengestoßen. Das Schlachtschiff hat ein Leck bekommen und ist heute in Dock gegangen.

London, 7. Dez. Eine furchtbare Berg­werkskatastrophe, bei der 400, nach anderer Angabe sogar 500 Bergleute das Leben verloren, ereignete sich gestern mittag in einer Kohlenmine im Staate Virginia. Die Mine befindet sich unweit der Stadt Fairmondt und bestand aus einer Anzahl

zusammenhängender Betriebe. Die Explosion war so gewaltig, daß man glaubte, die Erde spalte sich. In der nächsten Umgebung glaubte man zunächst an ein Erdbeben. Die Fensterscheiben sind bis auf sechs Meilen Entfernung eingedrückt worden. Jetzt lagern dichte Rauchwolken über den Gruben; aus den Schächten steigen übelriechende giftige Gase auf. Die Grubeneingänge werden von Angehörigen und Freunden der verschütteten Bergleute umdrängt. Es spielen, sich unbeschreibliche, herzerschütternde Szenen ab. Die Grubenbeamten erklären, sie hätten wenig Hoffnung, daß es gelingen werde, irgendwelche der Verschütteten zu retten. Die Gruben liegen im Manongah-Tal; die Bevölkerung der Umgebung be­steht zum weitaus größten Teil aus Bergarbeitern.

Wegen Unterschlagung von 30 000 Mk. amtlicher Gelder verurteilte das Schwurgericht den städ­tischen Rentanten Brock aus Gelsenkirchen zu 7 Monaten Gefängnis. Der Schaden war voll­kommen gedeckt worden.

Ein Vorfall, der an Wildwest erinnert, hat sich in Hochstadt (Elsaß) zugetragen. Etwa 10 Wil­derer überfielen die Wohnung des Försters und schoßen alle Fenster kaput. Dann zogen sie vor das Haus des Altbürgermeisters Riedinger und eröffneten ein wahres Schnellfeuer. Sämtliche Scheiben im Hause wurden zertrümmert und alle Möbel von Kugeln durchbohrt. Es ist ein Wunder, daß der Bürgermeister und dessen Sohn, ein Referendar, nicht verwundet wurden. Die Polizei hat bereits mehrere Verhaftungen vorgenommen.

Der in Großwardein ansässige junge Graf Joseph Wenckheim hatte sich in die Tochter eines Kutschers verliebt und wollte sie heiraten. Da der Vater des Grafen seine Einwilligung zu dieser Mesalliance nicht gab, schoß sich der junge Graf aus Verzweiflung eine Kugel in die Brust. Wäh­rend er auf dem Krankenlager lag, verheiratete der Vater die Kutscherstochter an den Lehrer. Vor kurzem genas der junge Graf und bestellte seine ehemalige Braut sofort auf die Skation Gyulase- hervar. Das Liebespaar traf dort auch zusammen und seither ist jede Spur von beiden verloren.

Dresden, 5. Dez. Hier kursiert ein Gerücht mit solcher Bestimmtheit, daß an der Wahrheit des­selben nicht mehr zu zweifeln ist. Dabei handelt es sich um das Wiedererwachen eines für tot ge­haltenen Menschen. In die Totenhalle im St. Pauls-Friedhofe wurde vor einigen Tagen eiu Toter gebracht, dessen Ableben ein Arzt bescheinigt hatte, und wurde zwischen den andern Toten aufgebahrt und dann die Halle wie üblich geschlossen. In der Nacht ist nun der Mann, ein hiesiger Fleischermeister, an dem in einer ärztlichen Privatklinik eine Operation vollzogen worden war, bei deren Ausführung sein Tod scheinbar herbeigeführt wurde, wieder erwacht und hat in dem Glauben, sich in seinem Bett zu befinden, die Hand nach seiner Gattin ausgestreckt. Diese Hand berührte aber das eiskalte Gesicht eines Toten und durch den Schreck erlangte der Erwachte das volle Bewußtem zurück. Er lärmte nun so lange, bis man ihn hörte. Schreckensbleich trat der Totengräber in die Halle, wo er von dem erregten Manne über den Vorgang aufgeklärt wurde. Der Fleischermeister wurde unverzüglich nach dem städt. Krankenhaus überführt, wo er dann am Tage da­rauf tatsächlich gestorben ist.

München, 2. Dez. Ueber eine Millionen­erbschaft, die einem in keineswegs glänzenden Verhältnissen hier lebenden Schuhmachermeister zu­fallen wird oder inzwischen schon zugefallen sein dürste, ist folgendes zu berichten: Im selten hohen Alter von 98 ff- Jahren starb vor mehr als zwei Jahren in Amerika ein als Sonderling bekannt ge­wesener Junggeselle namens Jonas Hederich, der 19^2 Millionen Mark und daneben noch eine Schiffs­werft im Werte von mehreren Millionen Mark hinterließ. Das Testament sagte kurz und bündig:

Ich sterbe ohne leibliche Nachkommen und sind meine Erben, welche mir nicht bekannt sind, im fränk. Bayern, in Deutschland zu suchen. Ich stamme aus dem Pfarrorte Hausen bei Würzburg, von wo ich vor fast 73 Jahren nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika mit ganz geringen Mitteln aus­gewandert bin. Mein Vermögen habe ich zuerst als Kaufmann und Viehhändler und später als Grund­stücksspekulant und Reeder (Mitreeder) erworben." Das war so ziemlich alles, was der verschlossene Mann, der sich vor etwa 15 Jahren von den Ge­schäften (außer der Reederei) zurückzog und in der Nähe von Mexiko auf einem kleinen Gute ein sehr anspruchloses Leben führte, letztwillig verfügte. Die zuständige amerikanische Behörde machte dem Bürger­meisteramt Hausen Mitteilung und es wurden Erben gesucht. Aber trotz öffentlichem Anschläge am Pfarr- und Schulhause und trotz wiederholter Bekanntmach­ung in verschiedenen bayerischen und außerbayerischen Zeitungen meldete sich nicht ein einziger Erbberech­tigter; kein Mensch begehrte die herrenlosen Dollars. So vergingen zwei Jahre. Da kam ganz zufällig im Oktober d. I. die Frau eines hiesigen Schusters nach dem weltverlorenen Orte Hausen, wo ihr Mann heimatberechtigt ist. Die Frau sah und las den Anschlag und erinnerte sich sofort, daß die längst verstorbene Mutter ihres Mannes eine geborene Hederich war. Sie fuhr heim nach München und erzählte ihre Wahrnehmung dem Manne. Dieser lachte seine Frau zuerst aus, machte sich dann aber doch auf die Sohlen und fuhr nach Würzburg, um sich persönlich zu überzeugen. Mit Hilfe zweier Rechtsanwälte und des Konsulats betrieb er die Erbschastsangelegenheit energisch. Die angestellten Recherchen waren von überraschendem Erfolge: der amerikanische Sonderling war tatsächlich der einzige Bruder der verstorbenen Mutter des Jüngers Hans Sachs'. Mithin ist der Schuster der alleinige Erbe des für ihn fabelhaften Nachlasses. Nachdem der Glückspilz, der schon viel Not und Elend überwunden und reich mit Kindern gesegnet ist, die Angelegenheit in die Hand genommen und den Stein ins Rollen gebracht, meldeten sich noch mehrere Leute, deren Namen mit jenem Hederichs nur wenig Aehnlichkeit haben aber umsonst. Der biedere Münchner ist und bleibt urkundlich nachgewiesenermaßen der einzige und echte Erbe des Riesenvermögens. Hederich war, wie sich jetzt hat ermitteln lassen, seinerzeit nach Amerika geflüchtet, nachdem er im Verein mit zwei Kameraden einen Bauernburschen am Kammerfenster erschlagen hatte.

In Lausanne fand dieser Tage die Taufe eines kleinen Mädchens statt, das vor ein paar Monaten auf der Straße von Echallens gefunden wurde. 18 Damen und zwei Herren warenPaten" des Findlings, der den Namen Marguerite Laurier erhielt. Die Paten verpflichteten sich jährlich je 50 Frcs. aus der Sparkasse für das Mädchen zu deponieren, also 1000 Frcs. per Jahr.

Württemberg.

Stuttgart, 6. Dezbr. (Schöffengericht.) Das schwindelhafte Treiben gewisser Finanzierungsinstitute und ihrer Vertreter wurde durch eine Verhandlung vor dem Schöffengericht wieder aufs neue beleuchtet. Angeklagt des Betrugs war der verheiratete Kauf­mann Eberhard Lang von hier. Er versprach als Generalvertreter des FinanzierungsinstitutsBritania" in Amsterdam einer Reihe hiesiger Personen, die durch Inserate Darlehen suchten, ihnen bestimmt ein Darlehen zu verschaffen, wenn sie einen Kostenvor­schuß zur Einholung von Auskünften leisten. In den meisten Fällen wurde ihm von den Darlehenssuchern ein Vorschuß in Höhe von 2045 Mk. gewährt. Dem Finanzierungsinstitut war es nur um den Kostenvorschuß zu tun, wovon auch der Angeklagte einen Teil erhielt. Einem Arbeiter von Feuerbach, der ein Darlehen von 200 Mk. suchte, nahm der

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195.

Neuenbürg, Montag den 9. Dezember 1907.

65. Jahrgang.