Württemberg.
Stuttgart, 30. Sept. Der König wird sich zu den Leichenfeierlichkeiten nach Karlsruhe begeben. Weiter hat der König angeordnet, daß die Offiziere des württ. Armeekorps vom 28. Sept. an auf sieben Tage Trauer anlegen, bei dem in Straßburg garnisonierenden 8. Infanterie-Regiment 126, dessen Chef der verstorbene Großherzog war, dauert die Trauer 14 Tage. Eine Abordnung dieses Regiments mit dem Regimentskommandeur an der Spitze nimmt auch an den Beisetzungsfeierlichkeiten teil.
Stuttgart, 1. Okt. (Zinsfußerhöhung.) Der Gemeinderat hat beschlossen, den Zinsfuß für die Kapitalausstände der unter seiner Verwaltung stehenden Stiftungen und, vorbehaltlich der nachträglichen Genehmigung der Ortsarmenbehörde, auch der Kapitalausstände der unter der Verwaltung der Ortsarmenbehörde stehenden Stiftungen von 3^4 bezw. 4 Prozent auf 4'st Prozent zu erhöhen und die Rechner anzuweisen, Schuldnern, die sich der Zinserhöhung nicht unterwerfen, das Kapital auf den nächstzulässigen Termin zu kündigen.
Eine bedeutsame Bekanntmachung des Stadtpolizeiamts Stuttgart betr. Verkaufsprovision an die Kellnerinnen. Es ist bekannt, daß die Kellnerinnen in vielen Gegenden Deutschlands, besonders in den Großstädten, an dem Gewinn für die Getränke einen prozentualen Anteil haben. Sie sind selbstverständlich in diesem Falle daran interessiert, daß die Gäste möglichst viel trinken'und werden es an entsprechender Ermunterung, die in der Form bald gröber bald feiner sein kann, nicht fehlen lassen (offenes oder verdecktes Animiersystem). Das Stadtpolizeiamt Stuttgart hat nun den Wirten bekannt gemacht, daß die Entlohnung des Personals durch Provision für verkaufte Getränke, als Förderung der Völlerei angesehen werden kann, was nach der Reichsgewerbeordnung zur Entziehung der Konzession führt.
Stuttgart, 1. Okt. Zu einer großen Schlägerei ist es mit dem gestrigen Schluß des Volksfestes gekommen, die dadurch entstanden sein soll, daß ein Angestellter eines Kinematographen am Fuße der Treppe der König-Karlsbrücke einen Besucher des Kinematographen, 'der sich abfällig über die Vorstellung geäußert haben soll, mißhandelt^. Das Publikum ergriff die Partei des Mißhandelten und verlangte das Einschreiten der Polizei gegen den Täter. Da inzwischen, es war gegen 9^2 Uhr, der Schluß des Volksfestes eingetreten war, sammelte sich eine gewaltige Volksmenge bei dem Brückenaufgang. Die Gemüter waren derart erhitzt, daß es den Anschein hatte, das Publikum wolle den Kine- matographen stürmen. Ein Angestellter der Bude spritzte auf das Publikum Wasser heraus, was aber nicht zur Besänftigung der Gemüter beitrug. Die Budenbesitzer und deren Angestellten fühlten sich solidarisch und vereinigten sich zu einem Haufen von 20—30 Mann, die sämtlich mit Lattenstücken, Eisenstangen rc. bewaffnet waren. Als nun aus der Mitte des Publikums die elektrischen Bogenlampen vor dem Kinematographen mit Steinwürfen- zertrümmert wurden, zog die Polizeimannschaft, die bisher das Publikum lediglich zurückzutreiben versuchte, blank. Jetzt gelang es der Polizei, die Menschenmassen gegen den Brückenaufgang zurückzutreiben. Zugleich mit den Schutzleuten drangen nun auch die Verteidiger des Kinematographen gegen das Publikum vor und schlugen mehrere Personen nieder. Die großen Menschenmassen, die sich nun hauptsächlich auf der Brücke zusammengezogen hatten, wurden von den Polizisten allmählich zurückgedrängt. Die ganze wüste Szene dauerte über eine Stunde.
Stuttgart, 1. Okt. Die Stuttgarter Straßenbahnen haben über die 4 Volksfesttage 569524 Personen nach dem Wasen befördert; im vergangenen Jahr waren es 537 881. Die höchste Ziffer entfällt auf den Sonntag mit 175 528 Personen. Der Volksfestsonntag im Vorjahr wies die Ziffer von 164497 auf. — Die Poststelle auf dem Volksfestplatz hatte täglich eine reich bemessene Arbeitslast zu bewältigen. An den beiden Schaltern des Postamts wurden über die 4 Volksfesttage allein rund 55 000 Stück Fünfpfennigmarken verkauft, dazu kommen noch Tausende von Dreipfennigmarken. Die Zahl der aufgegebenen Postkarten beträgt etwa 75 000, wozu noch Briefe, Pakete u. Geldsendungen in erheblicher Anzahl kommen. Außerdem wurden 2000 Telephongespräche vermittelt. — Getrunken wurden auf dem Volksfest nach steueramtlichen Erhebungen rund 2600 KI Bier, außerdem wurden 100 KI Wein und 2000 Flaschen Champagner ver
tilgt. In den Riesenbierzelten von Beckstein, Gaus und Binder wurden allein 31800 Liter verzapft.
Stuttgart, 1. Okt. Die Leitung des Kinematographen International hat vom Grafen Zeppelin die Erlaubnis erhalten, einige besonders wirksame Bilder vom Aufstieg seines Luftschiffes von einem Dampfboot aus kinematographisch aufzunehmen. Die Films werden im Lauf der Woche sertiggestellt und können vom nächsten Samstag ab vorgeführt werden.
Friedrichshafen, 30. Sept. Mit der am heutigen Montag ausgeführten fünften Uebungs- fahrt des Zeppelin'schen Luftschiffes sind alle bisherigen Erfolge übertroffen worden. Von heute vormittag ^2 11 Uhr bis abends 8 Uhr befand sich Graf Zeppelin in den Lüften. Nachdem während des gestrigen Rastttages die Motore gründlich nachgesehen worden waren, befanden sie sich heute in bestem Zustande und tadellos ging der Aufstieg und die Fahrt von statten. Zur Abwechslung unternahm Graf Zeppelin heute eine mehrstündige Fahrt landeinwärts, und zwar von Friedrichshafen über Althausen, Ravensburg, Tett- nang und Lindau, dann mehrmals den Bodensee durchkreuzend, mit Ausführung der verschiedensten Manöver. Um 6 Uhr abends erfolgte bei der Ballonhalle ein Abfstieg, aber nur, um zwei Teilnehmer abzusetzen und dafür Hauptmann Kehler und Major Hesse vom Großen Generalstab in Berlin aufzunehmen. Alsdann erfolgte noch eine weitere zweistündige Uebungsfahrt bis in die Nacht hinein.
Lindau, 30. Sept. Graf Zeppelin wurde hier mit seinem Luftschiff um 1 Uhr nachmittags sichtbar. Dem deutschen Ufer folgend vollführte er in der Höhe von Kreßbronn verschiedene Manöver. Dann wurde in unbedeutender Höhe Lindau in großem Bogen umkreist, worauf sich der Ballon dem Schweizer Ufer näherte und westwärts steuerte.
Cannstatt, 28. Sept. Eine merkwürdige Erscheinung konnte am heutigen Mittag im Neckar beobachtet werden. Durch den außerordentlich niederen Wasserstand wurden die Fische genötigt, ihren gewöhnlichen Platz zu verlassen und günstigere, sauerstoffreichere und kühlere Stellen neckarabwärts aufzusuchen. In dichten Scharen zogen die Flüchtlinge durch die noch vorhandene enge Wasserstraße in einer solchen Anzahl, daß größere und kleinere Exemplare aus das trockene Ufer gepreßt wurden. Natürlich fehlte es an beutegierigen Fischliebhabern nicht. Die Erscheinung dauerte über eine halbe Stunde.
Ebingen, 27. Sept. Hoch klingt das Lied vom braven Mann! Bei dem schrecklichen Unfall, der Hrn. Redakteur Ostertag zugestoßen ist, hat Hr. Ingenieur Eismann, der am Bahnbau Sig- maringen-Jungnau angestellt ist, die wichtigste Hilfe geleistet. Seines eigenen Lebens nicht achtend, ging er dreimal in die lodernden Flammen hinein, um das Automobil zu heben und den Verunglückten aus seiner fürchterlichen Lage zu befreien. Erst zum drittenmal gelang es ihm. Hr. Eismann hat selbst bei seiner edlen Tat schwere Brandwunden an Armen und Händen erhalten, sein Bart war versengt ' und seine Kleider vollständig ruiniert. Ueberall, wo man von dem tragischen Ende G. Ostertags spricht, wird man auch den Namen dieses wackeren Mannes nennen.
Ueber die Tätigkeit der gewerblichen Organisationen spricht sich der Jahresbericht der Handwerkskammer Reutlingen u. a. in folgender Weise aus: „Eine Anzahl gewerblicher Organisationen klagt, wie immer, so auch für das Jahr 1906 über mangelndes Interesse und flauen Besuch der Versammlungen, der größere Teil der Berichte spricht dagegen erfreulicherweise von befriedigenden oder guten Verhältnissen, mehrere von einer „Besserung gegenüber früheren Jahren." Dabei können wir unschwer beobachten, daß bezüglich derjenigen Vereine, in denen das Organisationsleben entweder stagniert oder gar sich rückwärts entwickelt, entweder in der Vereinsleitung sich erhebliche Mängel zeigen oder aber die Gründung selbst eine erzwungene und dadurch von vornherein lebensunfähige war. Es ist eben leider eine nicht sehr weit verbreitete Kunst, das Interesse an Handwerkerfragen im Kreise der Organisation zu wecken und wachzuhalten, die Versammlungen interessant zu gestalten und die einzelnen Mitglieder zur Mitarbeit in geeigneter Weise heranzuziehen. Vielen Vorsitzenden fehlt es weiter an der Fähigkeit, eine Versammlung in parlamentarischer Ordnung zu leiten; andern mangelt es wieder an der nötigen „Zeit". Interesse und Verständnis den allgemeinen Handwerkerfragen gegenüber sind wohl gewachsen, aber doch findet man noch viel
Teilnahmslosigkeit, namentlich wenn es gilt, sich auf einen höheren idealeren Standpunkt zu stellen. Am meisten Zustimmung und Entgegenkommen darf man bei Behandlung von Einzelfragen aus einem einzelnen Berufe erfahren. Dementsprechend gestaltete sich auch der Besuch der Versammlungen mehr oder weniger günstig. Zahlreiche fachliche Vereinigungen haben einheitliche Preislisten ausgegeben und für die Mitglieder verbindlich gemacht. Wenn auch natürlich die ungesäumte Einführung dieser Preise nicht gelingt, so wirkt das Vorgehen doch meist bis zu einem gewissen Grade regulierend aus die Preisbildung und gibt dem Handwerker wenigstens die Möglichkeit, sich in Einzelfällen auf die Preisliste zu berufen. Gemeinsames Vorgehen bei Submissionen hat nach den eingegangenen Berichten in zahlreichen Fällen stattgefunden, und was das erfreuliche ist, vielfach mit Erfolg. Einigen Bückerinnungen ist es gelungen, für öffentliche Lieferungen das Türnusverfahren zu erreichen. Wo die Gefahr der Konsumvereine Rabattvereine erstehen ließ, so in Freudenstadt und Tübingen, haben sich auch viele Handwerker an letzteren beteiligt. — Trotz der anerkennenswerten Leistungen in den Organisationen könnte und sollte doch noch wesentlich mehr geschehen, manches neue Gebiet noch bebaut werden. Eine dankbare und wichtige Aufgabe wäre u. a. die Bekämpfung des Borgunwesen und die Behandlung von Fragen des Geldverkehrs überhaupt (Kontokorrent-, Ueberweisungs-, Check- und Wechselverkehr, Barzahlungsrabatte rc.) Vielleicht wären auch periodische Zusammenkünfte der Vorsitzenden gewerblicher Vereinigungen zu gegenseitiger Aussprache von Nutzen.
Ueber Zahlungsverhältnisse, Kredit und Geldverkehr des Handwerkers enthält der Jahresbericht der Handwerkskammer Reutlingen einen interessanten und lehrreichen Abschnitt. Nachdem die Aeußerungen verschiedener Vereine zu diesem Punkt angeführt sind, heißt es u. a.: „Daß der langsame Eingang der Gelder zu einem großen Teil, in gewissen Handwerkszweigen vielleicht zum größten Teil, seine Ursache in der verspäteten und unregelmäßigen Ausgabe der Rechnungen und in dem Mangel einer nach kaufmännischen Regeln geordneten Beitreibungsweise der Ausstände hat, ist eifte Beobachtung, die uns von fast allen Kreditgenossenschaften des Bezirks bestätigt wird." Und eine Gewerbebank des Bezirks berichtet zu demselben Gegenstand: „Bei Kreditnahme hört man vielfach Klagen über schlechten Eingang der Guthaben, doch sind häufig die Handwerker selbst daran schuld, weil sie — in der irrigen Voraussetzung, daß der Kunde dadurch beleidigt werden könnte — sich scheuen, bei Ablieferung der Ware bezw. der Arbeit die Rechnung beizugeben. Werden die Rechnungen erst ausgeschrieben, wenn Wechsel einzulösen, oder sonst größere Zahlungen zu machen sind, so kommt es leicht vor, daß dann das Geld nicht zur rechten Zeit flüssig wird und. der Handwerker in Verlegenheit kommt. In der Regel hat der Besteller einer Ware oder Arbeit vorher schon mit der betreffenden Ausgabe gerechnet, erhält er aber die Rechnung erst nach einem halben Jahr oder noch später, dann ist das Geld einstweilen anderweitig verwendet worden, er hat augenblicklich den Betrag nicht bei der Hand und denkt, wenn der Lieferant so lange warten konnte, dann kann er auch noch warten, bis ich mich wieder auf die Zahlung eingerichtet habe. Es kommt hier auch noch ein weiterer Punkt in Betracht. Bei rechtzeitiger Abgabe der Rechnung ist der Empfänger in der Lage, dieselbe auf die Richtigkeit in Beziehung auf Maß, Gewicht oder dergleichen zu prüfen, später ist das in den meisten Fällen nicht mehr der Fall, und es tauchen Zweifel auf, ob alles, was auf der Rechnung steht, auch geliefert worden ist. Es kann dann leicht ein Mißtrauen entstehen, das viel eher eine Entfremdung des Kunden herbeiführt als die sofortige Zusendung der Rechnung." Von der Beteiligung'«»: Bankverkehr überhaupt sagt der Bericht, daß sie erfreulicherweise eine zunehmende sei und auch im letzten Jahre beträchtliche Fortschritte gemacht habe.
Stuttgart. lLandeSproduktenbörje.s (Bericht vom 30. Septbr.f Auch in der abgelaufenen Woche hatten wir trockene Witterung mit sommerlicher Temperatur ausnahmslos zst verzeichnen. Bei der rückschauenden Betrachtung über die Bewegung am Weltmarkt ist festzustellen, daß die Lage auf allen maßgebenden Plätzen beruhigter aufgefaßt wird und daß die Preise in Chicago, Newyork, Liverpool, Paris, Pest etwas billiger geworden sind. Trotzdem haben sich die einschlägigen Verhältnisse nicht günstiger gestaltet. Diese ganz außergewöhnliche Erscheinung ist durch eine Reihe von Umständen zu erklären. Vor allem herrscht immer noch großer Mangel an Vorräten, so daß wir gegenwärtig von der Hand in den Mund leben. Sodann haben sich infolge der ganz erheblich gestiegenen und wohl noch weiter steigenden Rheinfrachten, sowie der höher gewordenen Arbeitslöhne und Lagerkosten in Antwerpen, Rotterdam