wesen; es ist vielmehr viel, viel schlimmer geworden. Es wird — jedenfalls auf dem Land — viel mehr getrunken als noch vor 30, 40 Jahren.
Dann wird aber auch der obengenannte zweite Satz falsch sein. Es kann vielmehr anders werden. Es gibt Länder, wie z. B. Schweden und Norwegen, die sich aus schwerer Alkohol-Verseuchung in der Zeit von etwa 60 Jahren emporgerungen haben. In Schweden, das einst das trunksüchtigste aller Länder war, ist der Alkoholkonsum dank der energischen Gegenwehr von 23 Liter absoluten Alkohols pro Kopf im Jahre 1829 auf 3,6 Liter im Jahre 1896 gesunken!! Glückliches Land! Also nicht verzagt, sondern die Hand ans Werk! Was könnte aus Deutschland werden bei seinen 3 Milliarden Ausgaben für berauschende Getränke! Man hat es uns schon deutsch und derb gesagt:
„Die Welt wir könnten kaufen
Für das, was wir versaufen."
Muß man nicht geradezu elektrisiert werden von dem Gedanken, was hier erreicht werden kann, wenn alle zusammenstehen, die ihr Volk wahrhaft lieben! Aber freilich daran fehlt es noch sehr, offen gesagt, auch im Bezirk. „Es ist doch nichts zu machen" heißt es da. „Geschieht ihnen recht, wenn sie es nicht besser haben wollen" erklärt man achselzuckend im Blick auf die unglücklichen Opfer des Alkohols. „Soll ich meines Bruders Hüter sein?" wer hat denn so gesprochen? Nein, gerade die Gebildeten, deren übles Beispiel — man denke an die studentischen Trinksitten l — vielfach das Volk in den Sumpf hineingeführt hat, haben die Ehrenpflicht, es wieder herauszuziehen. Es gilt, unermüdlich den lOOOmal widerlegten und doch noch so festsitzenden Aberglauben zu bekämpfen, als ob der Alkohol stärke, wärme und nähre — genau das Gegenteil ist richtig —, es gilt mit der Tat zu beweisen, daß fröhliche Geselligkeit und edle Lebensfreude keinen Tropfen Gift zu ihrer Erzeugung nötig haben, es gilt den kindischen Wahn zu zerstreuen — der lebt ja in unseren Rekruten —, als ob der der größte Held sei, der das meiste Bier in sich hineinschütten kann usw., hundert Fragen und Aufgaben sind zu lösen, wir stehen ja noch ganz am Anfang eines unendlichen Wegs. Darum auf zum Kampf, wer ein Herz im Leibe hat!
„Mit vereinten Kräften" heißts auch hier. Der „Deutsche Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke" tut die so nötige Aufklärungsarbeit. (Mindestbeitrag 2 — dafür 12 Monatshefte und
die Blätter zum Weitergeben). Er hat jetzt 28 Mitglieder im Bezirk. Was ist das unter so vielen! Es mögen doch alle beitreten, die es treibt, auch etwas gegen diese Not des Volkes zu tun. (Anmeldung bei der Geschäftsstelle: Berlin, Emserstr. 23 oder beim Bezirksvertreter Pfarrer Renz in Ottenhausen). Und was du tust, das tue bald! Der Alkoholgegnerbund und der Guttemplerorden gehen darauf aus, durch das persönliche Beispiel gänzlicher Enthaltsamkeit den Tatbeweis von der Entbehrlichkeit aller alkoholischen Getränke zu führen
Uor dem Schlimmsten bewahrt.
2) Novellistische Skizze von E. K.
Immer heftiger fuhr der Sturm über die Heide. Auf dem Grabhofe waren längst alle Lichter erloschen, die Bewohner lagen im tiefen Schlaf. Nur Türk machte mit alterssteifen Beinen feine nächtliche Runde. Plötzlich blieb er stehen und zog scharf die Luft ein. Er setzte sich und stieß ein gedämpftes Geheul ans, dann sprang er auf und lief aufgeregt suchend umher, er mußte etwas besonderes gewittert haben.
Gerade sandte der Mond wieder einmal sein bleiches Licht auf die Heide, als sich von dem Hünengrabe zwei Gestalten lösten, die bisher in den Ginstersträuchern gelegen hatten. Es waren zwei zerlumpte Männer mit verwilderten Haaren und Bärten, ihren Gesichtern sah man es an, daß alle schlimmen Leidenschaften in ihnen getobt hatten. Vorsichtig schlichen sie durch das Heidekraut, ge- radeswegs auf dem Grabhof zu. Etwas gutes beabsichtigten sie gewiß nicht. Der größere der beiden blieb mit einem Male schweratmend stehen; ein heftiger Hustenanfall, den er gewaltsam zu unterdrücken suchte, erschütterte seine offenbar kranke Brust. „Nein, Klaas, ich kann's nicht," flüsterte er seinem Begleiter zu, „so schlecht und tief gesunken ich bin, im Vaterhause einbrechen, nein, nein, ich kann's nicht!" Der andere ließ ein leises, rohes Lachen hören. „Sieh den Rührpeter I Ist es denn das erste Mal? Hast mir nicht selbst erzählt, daß Du Deinem Alten einst ein rundes Sümmchen aus der Kommode geholt? Aber freilich. Du hast recht.
! und zugleich den bei uns herrschenden Trinkzwang, I der die Hauptschuld am Alkoholelend trügt, zu zerbrechen. Man versteht darunter die mehr oder- weniger starke Nötigung, vor der sich Hoch und Nieder beugt, bei allen möglichen Gelegenheiten des Lebens, daheim oder draußen, bei Hochzeiten und Leichen berauschende Getränke zu genießen. Exemplare dieser an zweiter Stelle genannten Gattung von Alkoholbekämpfern sind noch wunderselten im Bezirk. Sollte die schwere Not, in die das Gräfen- häuser Vorkommnis wieder einen Blick tun läßt, nicht auch diesen oder jenen, Mann oder Frau, veranlassen, es einmal, wenigstens für eine gewisse Zeit, auf diesem Weg zu versuchen, so daß auch eine kleine Bezirksorganisation von Abstinenten möglich wäre? Sie werden — ich rede aus Erfahrung — selber in kurzem nicht das geringste Gefühl von Entbehrung mehr verspüren, sondern sich auch persönlich nur um so wohler fühlen und doch erheblich tiefer in eine der ersten Kulturfragen unserer Zeit eingeführt werden zu ihrem und der Sache Gewinn. — Die Zeit muß kommen, da unsere braven Bater- landsverteidiger aufhören, statt den Franzosen sich selber den Schädel einzuschlagen, die Zeit, da wieder mehr Glück und Frieden auf unsere jetzt voin Alkohol verheerten Fluren sich niederläßt.
0. 6. R.
Vermischtes.
Aus Vorarlberg, 24. Mürz. Von Brand aus, dem auf halbem Wege zwischen Bludenz und Lünersee liegenden Alpendorfe, wurde kürzlich gegen die Zalimalpe zu durchs Fernglas ein Hirsch bemerkt, der sich vergeblich bemühte, aus einer Schneewehe sich frei zu machen. Eine mit Skieren und Schlitten ausgerüstete Expedition brach dahin auf, und fand nicht nur einen, sondern sieben Hirsche, die im tiefen Schnee nicht mehr weiter kommen konnten. Sie wurden ausgeschaufelt und ließen sich willig zu Tal geleiten. Am andern Morgen wurden noch fünf Hirlche in ähnlicher Lage aufgefunden, so daß gegenwärtig in der viel besuchten Sommerfrische Brand zwölf, allerdings durch Hunger recht heruntergekommene Hirsche in einem Stall zu sehen sind. Sie werden bis zum Eintritt günstiger Witterung gefüttert und erhalten dann wieder ihre Freiheit.
Musikantenlocken. Musiker haben bekanntlich meistens lange Haare, und obwohl man sich an dieses Phänomen bereits zur Genüge gewöhnt hat, sind sie doch mit ihrem üppigen Lockenschmuck mancherlei Späsfen ausgesetzt und allerlei lustige Geschichten knüpfen sich an die wallenden Haarmassen berühmter Tonkünstler. Der große englische Musiker Sir August Manne, der vor kurzem gestorben ist, zeichnete sich durch eine besonders dichte Fülle schwarzen Haupthaares aus, das ihm manch neckische Anspielung, manchen boshaften Brief eintrug. Während er aber von seinem Reichtum all seinen Bewunderern gern mitteilte, sind sonst berühmte Musiker
Laß nur Dein Brüderlein dadrinnen sich ungestört I , des Lebens freuen, während Du als Lump auf der > ! Landstraße liegst. Das wäre ja noch besser! Aber ! das sage ich Dir, läßt Du mich jetzt im Stich, j j bringe ich Dich morgen ins Zuchthaus!" „Du bist s ein Teufel," stöhnte der große. „Teufel oder nicht, ! da, trink mal, das hilft über die Rührseligkeit hin- ^ weg!" Er reichte ihm eine gefüllte Schnapsflasche, aus welcher der unglückliche Johann, den der geneigte Leser schon erkannt haben wird, einen tiefen Zug tat. Dann gingen beide vorsichtig weiter Mit Leichtigkeit überstiegen sie die niedrige Mauer und wollten eben eine Fensterscheibe eindrücken und ins Haus steigen, als ein wütendes Knurren sie innehalten ließ. Die glühenden Augen des riesigen Hofhundes starrten sie an, ein verzweifelter Kampf schien unvermeidlich. Klaas, der die Vorsicht für der Tapferkeit besseren Teil hielt, raunte Johann zu: „Schlag' doch die Bestie nieder!" Aber Johann rührte sich nicht, er stand wie gebannt, sein Geist weilte in ferner Vergangenheit. „Türk, Türk, mein alter, treuer Türk," kam es wie im Traume über seine Lippen. Und nun geschah etwas seltsames. Der Hund stutzte einen Augenblick, dann stieß er ein so schauriges, weithallendes Geheul aus, daß Klaas schnell über die Mauer retirierte und in schleuniger Flucht durch die finstere Heide sein Heil suchte. Johann aber war in die Knie gesunken und drückte den Kops des alten Hundes, der ihm unter fortwährendem Freudengeheul Gesicht und Hände leckte, an seine Brust. Jetzt wurde es auch im Hause lebendig. Ein Schlüssel wurde in das Schloß der Haustür gesteckt und gleich darauf öffnete
Redaktion. DroS Wnd vertag »s« L. Me»h t« RrserrKLrK
mit ihren Locken sparsamer gewesen. Der gefeierte Geiger Paganini, der ja überhaupt sehr geizig war,, hielt auch mit seinen langen Lockensträhnen, die ihm geisterhaft das Haupt umwallten, sorglich Haus. Baten ihn Verehrer um eine Locke, die sie als Andenken an den diabolischen Violinisten aufbewahren wollten, so wurde diese Bitte immer gewährt; aber was sie erhielten, waren nur ganz geringe Haarschnittchen und dem Geschenk war stets die kategorische Aufforderung beigefügt, als Entgelt einen stattlichen Beitrag zu den wohltätigen Stiftungen zu überweisen, die der Musiker zu machen pflegte. Eine hübsche Geschichte wird von den Haaren Felix Mendelssohns erzählt. In Paris näherte sich ihm eines Tages eine arme Frau und bat um ein Almosen. Mendelssohn fuhr in die Tasche, um ihr ein Geldstück zu reichen, aber er bemerkte, daß er kein Geld bei sich hatte. Statt dessen zog er ein scharfes Messer heraus, das sich zufällig in seiner Tasche befand. Sollte er nun die Frau abweisen? Da kam ihm ein rettender Einfall: er schnitt sich mit dem Messer eine Locke seines Haars ab und reichte sie der erstaunten Bittflehenden dar. Doch das Erstaunen der armen Frau wuchs noch, als ein Passant, der den großen Komponisten erkannt hatte, sich augenblicklich auf sie stürzte und ihr für die eigentümliche Gabe ein Goldstück bot, das natürlich die Frau dankend annahm. Um einer wohltätigen Sache willen ließ sich auch Verdi herbei, eine Anzahl seiner Locken zu opfern, um die er so häufig in stürmischen Briefen gebeten worden war. Gegen eine bestimmte Summe, die einer humanen Stiftung zugewiesen werden sollte, wollte der Komponist des „Reqiem" alle Forderungen, die an seinen Haarschmuck gestellt werden sollten, befriedigen. Viele Briefe liefen ein und der Schatz der mildtätigen Stiftung füllte sich schnell, aber zum großen Erstaunen seiner Freunde verminderten sich die Haare des Komponisten nicht, vielmehr prangten sie weiter in gleicher Fülle und Länge. Lange erschien dies Phänomen den Fremden als ein Rätsel, aber endlich kamen sie hinter das Geheimnis und konnten sich des Lachens nicht enthalten, als sie bemerkten, wie kahl ein Diener Verdis, dessen Haar dem seines Herrn außerordentlich glich, auf seinem Haupte geworden war. Nach Richard Wagners Haaren war natürlich auch immer große Nachfrage und sein Friseur verdiente viel weniger mit dem Abschneiden der Locken, als mit den abgeschnittenen Locken. Da er die Nachfrage nie befriedigen konnte verkaufte er die Haare des Meisters schon im voraus, gleichsam „noch auf dem Kopf". Eines Tages aber ließ seine Frau die Haare sorgfältig sammeln und nahm sie mit fort zum größten Entsetzen des Figaro, der vergebens Frau Wagner beschwor, ihm nicht das Geschäft zu verderben. Doch das einzige, was er erlangte, war die Bemerkung, daß das Haar ihres Fleischers dem ihres Gatten in der Farbe sehr ähnlich sei, und dieser Hinweis wurde benutzt.
sich diese knarrend. Der Bauer, gefolgt von zwei Knechten, erschien mit einer Laterne in der Hand auf der Schwelle. „Was geht denn hier vor?" rief er, „Türk, was hast Du?" Der Hund aber hörte nicht, er heulte weiter und sprang wie rasend um den Wiedergefundenen. Der Bauer, der Türk im Kampfe mit einem Strolch glaubte, wollte dem Tier zu Hilfe kommen. Als er jedoch die Hand auf des Knieenden Schulter legte, fiel ihn der Hund wütend an und nur mit Mühe konnte er sich vor seinen Bissen schützen. Nun leuchtete er dem Manne ins Gesicht. „Johann!" schrie er auf, fast wäre die Laterne seiner zitternden Hand entfallen. Johann richtete sich auf. „Ja, Wilhelm," sagte er mit brechender Stimme, „ich bin es. Dein enterbter Bruder, der nur durch Türk davor bewahrt blieb, als Einbrecher ins Vaterhaus zu dringen. Doch nun laß mich gehen, wenn Du mich nicht der Polizei übergeben willst." Er tat einige Schritte, dann brach er ohnmächtig zusammen. Sorglich trug ihn Wilhelm mit einem Knecht ins Haus und brachte den stark Fiebernden zu Bett. Türk wich nicht von dessen Lager.
Trotz liebevollster Pflege starb Johann Hagemeister nach einigen Wochen. Er durfte die volle Verzeihung seines Bruders mit sich nehmen und starb besser, als er gelebt. In seinen letzten Stunden sprach er nur von seinen Eltern; er hoffte fest, sie in einer anderen Welt wieder zu finden und auch ihre Verzeihung zu erlangen. An der Seite seines Vaters wurde er beigesetzt. Einige Tage nach der Beerdigung fand man den treuen Türk auf Johanns Grab verhungert vor. — Ende. —