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^ 33.

Neuenbürg, Montag den 25. Februar 1907

65. Jahrgang.

ZrunSschau.

Reichstagsauflösung, Neuwahlen, Zu­sammentritt des neuen Reichstags und die Wahl des Präsidiums, dessen Zusammensetzung gleichsam das Spiegelbild der veränderten Mehr- heitsverhültnisse darstellt, das alles hat sich mit einer solchen Schnelligkeit vollzogen, daß wir die schroffen politischen Uebergänge, welche wir in dieser Zeit er­lebt haben, kaum als solche empfunden haben. Jetzt, nur ein wenig mehr als zwei Monate nach dem be­deutsamen 13. Dezember, der eine so folgenschwere Wandlung in unseren innerpolitischen Verhältnissen herbeiführte, ist der nengewählte Reichstag bereits an die Arbeit gegangen, deren praktischer Teil frei­lich erst mit dem Beginn dieser Woche einsetzen wird. Hatte schon die Thronrede, milder am Dienstag der Reichstag vom Kaiser eröffnet wurde, mit be­merkenswerter Rückhaltslosigkeit die Vorgänge betont, die zur Ausschreibung der Neuwahlen geführt hatten, so gab auch der Ausfall der Wahlen für das Reichs­tagspräsidium von der völlig veränderten politischen Lage Kunde. Das Zentrum, welches seit 12 Jahren den Präsidenten des Reichstags gestellt hatte, obwohl es als die stärkste Partei aus dem Wahlkampf wiederkehrte, aus dem Präsidium völlig ausgeschieden, da es sich mit dem Posten eines Vizepräsidenten nicht begnügen wollte. So zeigt denn das neue Präsidium Graf Stolberg. Paasche, Kaempf ein konservativ-nationalliberal-freisinniges Gepräge, indem es die Minderheit vom 13. Dezember dar­stellt, die durch die Wahlen in eine Mehrheit ver­wandelt worden ist. Und zwar in eine Mehrheit, die stärker ist als die aus dem Zentrum, den Polen und der Sozialdemokratie bestehende, die am 13. Dezember den auch jetzt wieder dem Reichstage zu­gegangenen Nachtragsetat ablehnte. Wie weit freilich diese neugebildete Mehrheit bei den mancherlei schwierigen Fragen, die den Reichstag beschäftigen werden, sich bewähren wird, das bleibt abzuwarten.

Berlin, 23. Febr. Der Prozeß Poeplau wurde heute auf Antrag des Staatsanwalts wegen Krankheit des Angeklagten auf unbestimmte Zeit vertagt.

München 23. Febr. General der Kavallerie, Herzog Karl Theodor in Bagern (der Augenarzt auf Schloß Tegernsee) begeht heute den Jahrestag seines vor 50 Jahren erfolgten Eintritts in die bayerische Armee.

König Eduard von England hat an Kaiser Wilhelm kürzlich ein Handschreiben gerichtet, worin er erklärt, daß sein Aufenthalt in Paris keinen politischen Zweck gehabt habe, sondern lediglich als Privatbesuch aufzufassen sei. Die verwandtschaft­lichen Beziehungen werden nach solchen Kundgeb­ungen immer intimere und bessern auch die politischen.

England geht in seiner inneren Politik voraussichtlich bewegten Zeiten entgegen. Das liberale Ministerium hegt aus Anlaß des über die Schulvorlage zwischen Oberhaus und Unterhaus entbrannten Konfliktes die Absicht, die gesetzgeber­ischen Rechte der oberen Kammer zu beschränken. Zur Erreichung dieses Zieles wird, wie verlautet, beabsichtigt, das bisherige absolute Vetorecht des Oberhauses gegenüber Beschlüssen der anderen Kammer in ein lediglich aufschiebendes Vetorecht umzuwandeln, so daß dem Oberhause künftig nur noch die Befugnis verbleiben soll, für die laufende Tagung oder für einen begrenzten Zeitraum, etwa ein Jahr, die Gültigkeit eines Unterhausbeschluffes außer Kraft zu setzen. Im Falle einer erneuten Genehmigung derselben Vorlage durch das Unter­haus würde diese sonach Gesetzeskraft erlangen, ohne nochmals das Oberhaus zu passieren. Neben der Oberhausfrage gibt sodann die geplante Ein­führung einer besonderen beratenden Versammlung für Irland zu lebhaften Erörterungen Anlaß. Man darf danach also der Tagung des kürzlich

eröffneten britischen Parlaments mit berechtigter Spannung entgegenblicken.

Konstanz, 23. Febr. Der langjährige Führer der Konstanzer sozialdemokratischen Partei, Reichs­und Landtagskandidat Crohn, wurde von dem Konstanzer sozialdemokratischen Verein von der Partei ausgeschlossen. Veranlassung dazu gab das Verhalten Crohns gegenüber den bei ihm be­schäftigten Arbeitern.

Aus denn Allgäu, 22. Febr. Die größte Straßenbrücke Bayerns, die Brücke über den Argentobel bei Grünenbach, ist gestern für den Per­sonenverkehr eröffnet worden. Die Brücke ist 204 Meter lang und wurde von der Maschinenbau­gesellschaft Nürnberg erbaut.

Köln, 23. Febr. Der Wasserstand des Rheins ist seit gestern 0.58 Meter gestiegen, er beträgt heute 5,10 Meter.

Rotterdam, 22. Febr. Der Prinzgemahl ist heute vormittag per Automobil aus dem Haag in Hoek van Holland eingetroffen. Der Prinz bestieg sofort ein Pilotenboot, welches versuchte, in die Nähe der Schiffbrüchigen zu gelangen. Der Versuch blieb zweimal erfolglos. Das dritte Mal war er von Erfolg gekrönt, indem es gelang, eine Verbind­ung zwischen dem Boot und dem Wrak des Dampfers B^lin" herzustellen. In letzter Stunde wird mit­geteilt, daß 8 der Schiffbrüchigen gerettet werden konnten. Die Rettungsversuche werden fortgesetzt. Man hofft, noch mehr Schiffbrüchige, falls sich solche noch auf dem Wrak befinden, zu retten. Der dritte Versuch gelang heute nachmittag. Der Prinz­gemahl besichtigte nachher in der Bahnhofshalle die dort aufgebahrten Leichen der angeschwemmten Opfer. Nachschrift: Von dem zurück­kehrenden Schleppboot wurde an Land gerufen: Zehn Mann gerettet an Bord des Lotsenbootes!" Es sind noch weitere Ueberlebende auf dem Wrak." Unter den Opfern sind mehrere Kaufleute aus der Londoner City und Diamant-Kaufleute aus Amsterdam, die Diamanten von ungeheurem Werte mit sich führten und ein Jockey. Zu der Liste der an Bord befindlich Gewesenen sind hinzuzufügen Frl. Grunberg, Frau Bertram (die Gattin des be­kannten Sängers Theodor Bertram, Berlin; Herr Bertram hatte London schon Dienstag verlassen, seine Frau sollte einen Tag später folgen und Hr. Großwendt, der nach Köln reisen wollte. Kammer­sänger Theodor Bertram erfuhr erst am Freitag früh von dem schrecklichen Unglücksfall, der ihn seiner jungen Gattin beraubte, die ihm erst vor wenigen Tagen in London angetraut wurde. Ihr Mädchen­name war Lotte Wetterling. Bertram, der beim Empfang der Trauerbotschaft aufs schmerzlichste be­troffen war, ist sofort nach Hoek van Holland ab­gereist. Unter den Namen der Liste befinden sich auch die Mitglieder der deutschen Operngesellschaft Hr. Davidson, Hr. und Frau Wendeburg mit Kind und Gouvernante, Frau Schröter, zwei Fräulein Lohmann, Frl. Buttel, Frl. Sterndorf, Frl. Wild, Hr. Stelmach, Frl. Gobel vom Dresdener Hoftheater, Hr. Franz Denninger aus Koburg, Hr. Selix aus Straßburg, Hr. Memler aus Chemnitz. Unter den Passagieren werden auch Raismann und Sohn, Diamantenhändler aus Amsterdam, genannt. Die unverheirateten Damen Buttel, Sternsdorf, T. Lehmann und Hermine Lehmann, Wild und Kalischer, alle aus Berlin, Gäbler und Thile aus Dresden, Frau Schröter aus Berlin. Herr und Frau Rumk aus Berlin, Herr und Frau Wemberg mit Kind und Dienstmädchen, die HH. Stelmach-Köln, Franz Hartmann-Berlin, Otto Dara-Trier, Heilbronn- Berlin und Reininger, ebenso Frl. Schöne-Mannheim sind in der zweiten Liste ausgeführt. Die Pianistin Irene Scharrer hatte sich auf dem DampferBerlin" als Passagier nach Berlin angemeldet, die Reise im letzten Augenblick aber verschoben. Der Dirigent Boyk hatte schon seinen Koffer für die Reise gepackt.

ist aber des Sturmes wegen zurückgeblieben, ebenso der Dirigent Reichweir.

Hoek van Holland, 23. Febr. Die Rettung der 3 Ueberlebenden auf dem Wrak derBerlin" war schwierig und gefährlich. An Bord des Wraks sind noch wenigstens elf Tote. Prinz Heinrich der Niederlande besuchte die zuletzt Geretteten auf und unterhielt sich mit mehreren längere Zeit. Einige Schiffe sind von Rotterdam abgegangen, um die noch im Wrak derBerlin" befindlichen Leichen, etwa 12, auszunehmen. Prinz Heinrich befand sich an Bord eines Dampfers, um beim Bergungswerk zugegen zu sein. Sämtliche Blätter sind voll des Lobes über die Haltung des Prinzen bei der Rett­ung der Schiffbrüchigen. Etwa 40 Leichen sind bis­her geborgen; bei 6 ist die Persönlichkeit noch nicht festgestellt. Unter den Geretteten des Dampfers Berlin" befindet sich ein Württemberger: Emil Jung aus Gerabronn. Die bisherigen Rettungsarbeiten waren außerordentlich schwierig. Ein Matrose legte das Geständnis ab, ohne den Zuspruch des Prinzen Heinrich wäre das gefährliche Werk unausgeführt geblieben. Als Prinz Heinrich an Land kam, wur­den ihm stürmische Ovationen gebracht.

Haag, 23. Febr. Heute abend 7 Uhr brachten Tausende dem Prinzen Heinrich der Nieder­lande vor dem Schloß Huldigungen für seine Teilnahme an den Rettungsversuchen bei dem DampferBerlin" dar. Man sang nationale Lieder. Beim Erscheinen der Königin und des Prinzen erschollen brausende Bravorufe. Der Prinz dankte und brachte auf die tapferen Retter ein Hurra aus, in das die Menge begeistert einstimmte.

London, 22. Febr. DieDaily Mail" meldet aus Hoek, daß die Passagiere nach der Katastrophe sich zusammenhielten. Die Frauen schrieen unauf­hörlich, und ihre Hilferufe konnten am Lande deut­lich gehört werden. Die Leichen, die ans Land ge­schwemmt wurden, sind vielfach verwundet und ver­stümmelt. Von der Leiche einer Dame fehlt ein Arm. Von einer anderen Leiche fehlt der Kopf. Drei Personen, welche noch abends lebend ans Land geschwemmt wurden, starben alsbald, ohne das Be­wußtsein wiedererlangt zu haben.

Hoek van Holland, der Ausgangspunkt der Dampferlinie nach Harwich, ist eine Halbinsel zwischen den beiden Mündungsarmen der neuen Maas in der Provinz Südholland und liegt unge­fähr 20 km südöstlich von Haag und ebenso weit westlich von Rotterdam. Hoek van Holland heißt auch die an der Endspitze der Halbinsel gelegene Kopfstation der Eisenbahn, welche über Dortrecht und Nymwegen in die Rheinprovinz zum Anschlüsse an die großen deutschen Eisenbahnlinien führt. Die Eisenbahn bis Hoek van Holland wurde im Jahre 1893 ausgebaut, und seither ist der Verkehr von dort zur gegenüberliegenden englischen Küste ein ziemlich reger. Die Ueberfahrt von Hoek nach Harwich dauert wesentlich länger als die von Calais nach Dower und wird trotz der guten Verbindung, welche einige über Köln führende Schnellzüge haben, nur von besonders seetüchtigen Passagieren frequen­tiert. Die Maasmündung umsäumt die Halbinsel von beiden Seiten und bildet schmale Kanäle. In van Hoek sind mehrere Moli errichtet. An einen derselben wurde dieBerlin" bei dem orkanartigen Sturm geschlendert und zerschellte sofort.

Triest, 23. Febr. Der am 29. Februar von Triest nach Bombay in See gegangene Dampfer Jmperatrix" vom österreichischen Llqyd ist am 22. Februar abends auf der Höhe von Kreta ge­strandet und gesunken. Der DampferCastor" ist von Candia sofort an die Unfallstelle beordert worden. Die Ursache des Schiffbruchs scheint schwere See zu sein, lieber Verluste an Menschenleben liegen noch keine bestimmten Nachrichten vor. DieJmperatrix" hatte 120 Mann Besatzung und