Der Enztälen ^

^ L45.

Neuenbürg, Samstag den 15. September 1906.

64. Jahrgang.

vernüschtLs.

Berlin, 10. September. Ein 50jähriger Türke, namens Hussein Aga, non Beruf Tischler, baute mit einem Kostenaufwand von 27 720 eine Sage­mühle in der Türkei. Da es ihm an Betriebskapital mangelte, wandte er sich an den Sultan, der solche Unternehmungen gern unterstützt. Aber seine De­pesche ging durch die Hand des Palastbeamten Izzet Bey, der als Gebetteppichbewahrer des türkischen Herrschers einen großen persönlichen Einfluß auf den Sultan ausübt. Er schlug Hussein Aga vor, ihm die Hälfte des Reingewinnes zu überlassen, dafür wolle er ihm das notwendige Betriebskapital vor­strecken. Der Tischler ging auf den Vorschlag ein und wurde seitdem vom Sultan-Teppichbewahrer gründlich ausgebeutet. Schließlich wurde er aus der Mühle herausgesetzt. Beschwerden, die er an den Sultan richtete, gingen ebenfalls durch die Hand des Izzet Beys und wurden unterdrückt und die Gerichte wagten es nicht, ein Verfahren gegen den verdächtigen Beamten einzuschlagen. Da faßte Hussein Aga den Plan, die Sache dem Deutschen Kaiser zur Kenntnis zu bringen und ihn um Hilfe anzurusen. Er reiste nach Berlin. Die rührend geschriebene Bittschrift an den -Kaiser ist bereits an zuständiger Stelle eingelaufen. Auf den Ausgang darf man gespannt sein. Jedenfalls ist das Verfahren Hussein Agas ein Beweis dafür, welcher Hochachtung und Be­liebtheit sich der Deutsche Kaiser in der Türkei erfreut.

Eine unerwartete Erbschaft machte dieser Tage ein in Kassel ansässiges Ehepaar, dessen weibliche Hälfte aus Darmstadt stammt. Die Leute hatten vor einiger Zeit einen hochbetagten Herrn kennen gelernt, der sich für seinen Lebensabend ein gemüt­liches Heim wünschte. Nach langem Besinnen nahmen sie den alten Mann bei sich auf. Er starb aber schon, nachdem er kaum ein Jahr bei ihnen gewohnt. Seinen Pflegern gegenüber erwies er sich sehr dankbar, indem er ihnen sein ganzes Vermögen in Höhe von etwa 250 000 ^ vermachte. Die gerichtliche Ausschreibung nach Erben war ergebnis­los, und so fiel dem Ehepaar in Kassel die Erb­schaft zu.

Schlimme Folgen zeitigte einWitz", den sich eine Arbeiterin einer größeren Fabrik in Elber­feld gegen eine Mitarbeiterin erlaubte. Während der Kasfeepause steckte sie der Arbeiterin eine Steck­nadel ins Butterbrot, die diese ahnungslos mit hinunterschluckte.. Die Stecknadel setzte sich in der Speiseröhre fest und verursachte die heftigsten Schmerzen. Alle Versuche, die Nadel auf irgend

eine Weise zu entfernen, mißlangen. Das bedauerns­werte Opfer des unsinnigen Streiches muß sich jetzt operieren lassen.

(Des Sängers Lohn.) Eine hübsche Episode aus dem Künstlerleben erzählt der Gil Blas: Eines Tags gingen in Paris drei Freunde spazieren.Ich möchte gern ausgezeichnet frühstücken", sagte der eine. Ich würde mich auch mit einem Frühstück begnügen, das nicht gerade ausgezeichnet ist", sagte der andere. Und ich", bemerkte der dritte,würde mit jedem Frühstück zufrieden sein." Leider hatten sie alle drei nicht das dazu nötige Geld. Da kam dem einen von den dreien eine Idee. Er führte die beiden zu einem Musikverleger und machte ihm einen Vorschlag:Kaufen Sie von uns ein Lied; der Herr da hat den Text geschrieben, der andere Herr hat es in Musik gesetzt, ich will es singen, da ich der einzige von uns bin, der Stimme hat."Singen Sie es einmal vor", sagt der Verleger. Der junge Mann sang und der Verleger schien befriedigt zu sein. Denn er zahlte für das Lied 15 Frank, und die drei Freunde eilten strahlend in ein Restaurant. Das mit 15 Frank bezahlte Lied,Die Andalusierin", trug dem Verleger 4000 Frank ein.

(Schnell deutsch gelernt.) Eine köstliche Szene trug sich dieser Tage in einem Stadtteil Prags zu, auf welchen die sonst so wohltuende Freundlichkeit der Geschäftsleute sich nicht erstreckt. Ein gemüt­licher Preßburger will eben einen Kartengruß heim­senden; dazu brauchte er eine Fünf-Heller-Marke, die er in einem Laden verlangt. Schnippisch be­kommt er zur Antwort:M rosimi." Der Preßburger kam in Hitze.Was,nir deutsch" wolln Sie verstehn und da in Prag Karten verkaufen? Packens z'samm. Sie dumme Gans!"Was?" keifte jetzt die Ladnerin,dumme Gans? Das laß ich mir nicht gfalln!"So", lachte der Preß­burger,jetzt kinnens af amol Deutsch, die dumme Gans habns also doch verstanden! Sie werden auch verstehen, wos a Marken is." Und wirklich bekam er unter lustigem Lachen der Ladengäste eine Marke, und so konnte er seiner Frau berichten, wie schnell man manchmal in Prag deutsch lernt.

Tuberkulose in der Steinzeit. Eine Auf­sehen erregende Beobachtung teilte, wie wir der Umschau", Uebersicht über den Fortschritt u. s. w. auf dem Gesamtgebiete der Wissenschaften u. s. w., Frankfurt a. M., entnehmen, Dr. Paul Bartes auf der Versammlung der Deutschen anthropologischen Gesellschaft in Görlitz (August 1906) mit. Er zeigte eine menschliche Wirbelsäule, die kürzlich aus dem städtischen Grubenhofe zu Heidelberg zusammen mit

neolithischem Gerät aufgefunden wurde. Nach der Begutachtung von Prof. Hoffa läßt das Knochenstück mit größter Wahrscheinlichkeit eine tuberkulöse Wirbel­entzündung (8pon<JIitiK tudsrllulosu) erkennen, die nach kürzerem oder längerem Bestehen mit Hinter­lassung einer Rückgratsverkrümmung verheilt. Der bis jetzt einzig dastehende Fund beweist, daß die Tuberkulose bereits während jener sernentlegenen Kultur-Epoche bei uns heimisch gewesen ist, sodann bezeugt er, daß damals ebenso wie heutzutage ge­fährliche Knochenerkrankungen auch ohne Mitwirkung der ärztlichen Kunst zur Heilung gelangt sind.

Genügen Stallmist und Jauche allein zur Herbstdüngung? Eine Stallmist- und Jauche­düngung in gewöhnlicher Stärke reicht nicht aus, um das Nährstoffbedürfnis der Pflanzen nach Phosphor- säure zu decken. Um den Mangel an Phosphorsäure zu beseitigen, muß daher unbedingt eine Beidüngung mit Phosphorsäuredüngern erfolgen. In vielen Gegenden haben die Landwirte die Vorteile einer solchen Phosphorsäurezufuhr neben der Stallmist­düngung erkannt und bringen 400600 Thomas­mehl pro Hektar auf die mit Stallmist oder Jauche gedüngten Flächen, und sie fahren gut dabei.

Zur erfolgreichen Entfernung von Fettflecken benutzt man pulverisierte Magnesia, welche man mit Benzin befeuchtet und recht dick auf die Flecke auf­trägt. Zwischen Fließpapier gelegt, läßt man den befleckten Stoff 12 Stunden liegen, schüttelt die inzwischen getrocknete Magnesia ab und bürstet mit einer Bürste nach. Wenn die Flecke sehr hartnäckig sind, kann man das Verfahren zwei- bis dreimal wiederholen. Ein zweites gutes Mittel ist, Fließ­papier mit Benzin zu befeuchten und den befleckten Stoff dazwischen zu legen, dann legt man einen schweren Gegenstand darüber, um das Papier fest anzupressen.

(Ein glücklicher Unfall.) Fremder:Hier ist ja gestern ein Zug den Damm hinabgestürzt; sind Menschenleben zu beklagen?" Bahnwärter:Im Gegenteil: sogar zwei Verlobungen sind zustande gekommen.

(Auf dem Marsch.)Rekrut Hammelbom, wa­rum singen Sie nicht mit?" Hammelbom:Ich kann nicht singen."Na, dann machen Se wenigstens den Schnabel uff und zu; hier auf'm Pferd spazieren reiten und nischt duhn, jiebt's beim Militär nich!"

) )Vor der Wahl.)Den Wastlbauer nehma mir . zum Burgermoaster; der is der G'scheiter'; den Ham > s' sogar scho' amal ans Telephon g'ruf'n!"

Heinrich MM -enkMige Rächt.

Von Alfred Meißner.

3) - (Nachdruck verboten).

Unmittelbar darauf ging die Türe, durch welche der Abbate verschwunden war, wieder auf und ein hochgewachsenes Mädchen von etwa 18 Jahren trat ein, langsam, sehr langsam. Ihre Gestalt zeigte sich voll, fast üppig. Sie trug ein hlaßgrünes Seidenkleid und einen weißen Schleier in den Haaren. Ihr Gesicht war zu Boden geschlagen, vom Schleier fast umhüllt, doch Martin sah ein Profil in den edelsten Linien gezogen.

Blanca," sagte der Alte,"Dein Freund ist pünktlich erschienen."

Das Mädchen zuckte zusammen, Beschämung, Zorn und Gram kämpften in ihren Zügen, ihre Augen waren noch immer ans den Estrich gesenkt.

Nun stand sie still, hob die Augen ein wenig, ihre Lippen vibrierten, Entsetzen sprach aus ihren Blicken, mit einem lauten Aufschrei der Scham be­deckte sie das schöne Gesicht mit den Händen.

Das ist er nicht, mein Oheim!" rief sie,das ist er nicht!"

Natürlich nicht, das Hab' ich erwartet," kicherte der Alte.Es ist zwar undenkbar, daß ein anderer an seiner Stelle da sein kann aber es ist doch ein anderer!"

Ich sehe diesen zum erstenmal im Leben! Reden Sie," wandte sie sich energisch an Martin.

Kennen Sie mich? Haben Sie mich je vor dieser Stunde gesehen?"

Ich habe nie die Ehre gehabt," antwortete Martin.Ich sehe das Fräulein zum erstenmal im Leben."

Der alte Herr zuckte die Achseln.

Das höre ich mit Bedauern. Nun so sehen Sie sie heute das erstemal. Aber das ändert nichts an der Sache. Sie werden sich noch diese Nacht mit meiner Nichte trauen lassen. Eine Stunde Be­denkzeit gönne ich Ihnen."

Er wandte sich gegen die Türe, um fortzugehen.

Das Mädchen hielt ihn fest.

Oheim," ries sie mit großem Ungestüm,es kann unmöglich Ihr Ernst sein.Solche Heirat ist undenkbar! Und so abhängig von Ihnen der Abbate auch sein mag, er wagt es nicht, solch' ein Spiel mit dem heiligen Sakrament zu treiben. Der Himmel müßte es wehren. Und ich müßte mir nicht der Tod erwünschter sein, als solch' eine Hoch­zeit? Ist es möglich, daß Sie mein Wort be­zweifeln? Können Sie glauben, dies sei Er?"

Ich halte ihn dafür," erwiderte der zähe Alte. Denn wer sonst könnte? Doch sieh', Blanca: als Du Schimpf und Schande über unser uraltes Haus häuftest, verwirktest Du Dein Recht auf Rück­sicht. Dein Vater, wenn er noch lebte, hätte Dich, nachdem was stattgefunden hat, aus dem Hause ge­jagt. Also weigere Dich nicht, füge Dich, sei freund­lich! Im Kloster würde es Dir noch weniger behagen."

Er ging zur Türe hinaus.

Das Mädchen wandte sich mit wildfunkelnden Augen an Heinrich Martin.

Was bedeutet alles dies?" fragte sie.

Ich weiß es selbst nicht," erwiderte der junge Mann.Ich bin durch den seltsamsten der Zu­fälle in dies Haus geraten, aus dem man mich nicht fortlassen will in dies Haus, das, wie mir scheint, voll von Geisteskranken ist."

Wie kamen Sie denn herein?" fragte das Mädchen.

Heinrich Martin erzählte, so kurz und deutlich er konnte, die Vorfälle der Nacht.Und nun," schloß er, werden Sie mir die Lösung aller dieser Rätsel geben können!"

Blanca stand eine Weile stumm da, der Maler sah ihre Lippen zittern und ihre tränenlosen Augen blitzen.

Welches Verhängnis!" rief sie endlich.Wel­ches schreckliche Verhängnis! Doch sie sollen meine ganze Unglücksgeschichte erfahren, so schwer es mir auch fallen mag, sie zu erzählen. Ich heiße Blanca Banosti und bin, so lange ich zurückdenken kann, eine Waise. Ich habe mich von jeher unglücklich gefühlt, denn mein Oheim ist, wie Sie gesehen haben, ein harter Mann und dies Haus entsetzlich traurig. Jeden Sonntag pflege ich mit Frau Paulina, unserem alten Hausdrachen, in die Kirche zu gehen das ist sozusagen mein einziger Aus­gang. Seit drei Monaten pflegte ein junger Mann, ein Offizier der Bersaglieri, in die Nähe des Kirchen-