(Im 99. Lebensjahre aus der Strafanstalt entlassen.) Der wohl einzig dastehende und kaum glaubliche Fall, daß ein weiblicher Sträfling an der Schwelle des 100. Lebensjahres aus dem Kerker entlassen wird, hat sich, wie das „Neue Wiener Tagbl." berichtet, gegenwärtig ereignet. Vor einigen Tagen wurde die im 99. Lebensjahre stehende Marie Jamnikar aus der Weiberstrafanstalt Vigaun (Kram), wo sie eine vieljührige Kerkerstrafe abbüßen sollte, entlassen. Der Kaiser Franz Josef hat ihr, nachdem sie zwei Jahre von ihrer Strafzeit abgebüßt, den Rest der Strafe im Gnadenwege erlassen. Im Jahre 1904 hatte sich die damals im 97. Lebensjahre stehende Marie Jamnikar wegen versuchten Meuchelmords vor dem Schwurgericht in Cilli zu verantworten. Sie hatte ihre Schwiegertochter, mit der sie in fortwährendem Zank lebte, durch Arsenik zu vergiften versucht. Mit Rücksicht auf das hohe Lebensalter der Angeklagten unterließ es das Gericht nicht, den Geisteszustand der Greisin durch Gerichtspsychiater prüfen zu lassen. Das Gutachten lautete dahin, daß im vorliegenden Falle trotz des hohen Alters der Angeklagten keine Geistesschwäche angenommen werden könne, und daß die Angeklagte sich ihrer Handlungsweise bewußt gewesen sei. Sie wurde daher von den Geschworenen schuldig gesprochen. Die geistigen Kräfte der Hochbetagten hielten aber nicht so lange an, daß man sie bis zur vollständigen Abbüßung ihrer Strafe hätte im Gefängnis lassen können. Sie glaubte in der letzten Zeit im Krankenhause zu sein, und nach ihrer in den letzten Tagen erfolgten Freilassung erzählte sie ihren Bekannten, daß sie jetzt geheilt aus dem Spital entlassen worden sei. An die Vorgänge vor und nach der Gerichtsverhandlung kann sie sich nicht mehr erinnern.
Gewissenhaft. In einem Schnellzug lehnt sich ein Reisender beim Durchfahren der Station zu weit aus dem Fenster, verliert das Gleichgewicht und stürzt heraus. Glücklicherweise befindet sich an der Absturzstelle ein Sandhaufen, so daß es wenigstens ohne eine ernstliche Verletzung abgeht. Arg zerschunden und geprellt, mit zerfetzten Kleidern, klüglich aussehend, fragt der Reisende den Betriebsbeamten: „Was soll ich denn jetzt tun?" . . . .: „Auf Ihrer Fahrkarte haben Sie die Fahrunterbrechung bestätigen zu lassen!"
Der Gipfel der Unverschämtheit ist dieser Tage in Paris erklettert worden. Die „Pariser Zeitung" berichtet darüber: Eine elegante Gesellschaft, aus zwei Herren und mehreren Damen bestehend, mietete sich des Abends in der „Rue Scribe" ein Automobil. Nachdem man eine lustige Fahrt ins Bois gemacht hatte, schlugen die splendiden Freunde vor, ein Vergnügungslokal auf der „Place Blanche" zu besuchen. Der Chauffeur nahm respektvoll den Befehl der Herren entgegen und bald war man vor dem Portal abgestiegen, wo sich eine Schar diensteifriger Leute um die vornehme Gesellschaft bemühte. Als erstes ordneten nun die Gäste an, daß die Zigeunerkapelle in einem „Labinet parüeulikw" spielen solle, und boten hierfür eine Summe, die alle Bedenken aus dem Felde schlug. Der Restaurateur konnte nicht
Heinrich Rmtin's denkMigc Nach!.
Von Alfred Meißner.
2) - (Nachdruck verboten).
„Was war das für ein Geräusch?" fragte einer den andern mit gedämpfter Stimme, offenbar beunruhigt.
„Ratten, Du Narr," sagte der andere. „Zu ganzen Rudeln kommen sie aus den Kellerlöchern solcher alten Häusern und galoppieren davon, wenn jemand herankommt."
„Du magst Recht haben. Es werden Ratten gewesen sein .... Aber wo ist er, den wir erwarten?"
„Der ist uns entwischt. Kein Zweifel daran," war die Antwort. „Oder — hat es vorgezogen, in der Trattoria zu übernachten. Morgen gibt's kein Frühstück, Girolamo. Mißlungen!"
Die Gesellen trollten sich davon.
Jetzt erst, da er aus einer Gefahr befreit war, kam Heinrich Martin dazu, an die andere Gefahr zu denken, in die er dadurch geraten war, daß er sich zur Nachtzeit auf dem Balkon eines fremden Hauses befand. Mau konnte ihn für einen Einbrecher halten, vielleicht waren schon Einbrecher oben, und er konnte für einen derselben angesehen werden. Doch nein! Die Strickleiter deutete mit weit größerer Wahrscheinlichkeit aus ein geheimes verbrecherisches Stelldichein . . . Unstreitig war der Liebhaber schon bei seiner Geliebten und hatte die
minder mit der Champagnerlaune und den sonstigen Wünschen zufrieden sein ... Es war Heller Morgen, als der Kellner die Rechnung präsentierte. Sie bewegte sich so um das fünfte Tausend herum. Der Zigeunerprimas näherte sich mit Devotion — und auch die Damen wollten bei der Preisverteilung nicht leer ausgehen. Die Herren lasen, studierten, dann singen sie aber beide so zu lachen an, daß in den andern ein grauenvoller Verdacht aufstieg. Nachdem sich die unerklärliche Fröhlichkeit gelegt hattte, erzählten die beiden mit der natürlichsten Miene von der Welt, daß sie tagsvorher ohne einen Sou aus sechsmonatiger Haft entlassen worden wären und daß sie den begreiflichen Wunsch gehabt hätten, sich „wieder einmal anständig zu amüsieren." Man führte unter Zeter und Mordio die Herren dem Polizeikommissar vor, der die Zechpreller in Haft nahm.
(Zärtliche Gattin.) Zu einem Polizeirichter in New york kommt eine Frau. „Euer Ehren, kann ich vielleicht einen Haftbefehl für meinen Mann bekommen? Er hat mich gestern geohrfeigt! Richter: „Gewiß, Madame, da werde ich Ihnen sofort einen Haftbefehl wegen tätlichen Angriffs und Körperverletzung ausstellen lassen." — Sie: „Kann ich mir vielleicht den Haftbefehl in einem Monat abholen. Euer Ehren?" — Richter in einem Monat erst? Ja, warum nehmen Sie ihn denn nicht gleich?"
— Sie: „Ich will ihnen nur sagen. Euer Ehren,
— wie mein Mann mir 'ne Ohrfeige gegeben hat, habe ich meine Nudelwalze genommen und ihm damit auf den Kopf gehauen, daß er nach dem Hospital geschafft werden mutzte. Die Doktoren sagen aber, daß er erst in einem Monat wieder auf den Beinen sein wird."
(Eine begeisterte Leserin.) „Du strahlst ja vor Freude, Elli?" — Backfisch: „Ja, weißt Du, der Held des Romans, den ich gerade lese, ist soeben vom Oberleutnant zum Rittmeister befördert worden.,,
(Ein Glücklicher.) A.: „Was ist Dir denn, Freundchen, Du strahlst ja vor Vergnügen? — B.: „Ja, denke Dir, mein Kassierer ist mir heute mit meiner Frau durchgegangen, und seine Kaution von fünfhundert Mark habe ich noch obendrein!"
sJe nachdem.) „Wo werden Sie denn das nächste Jahr Hinreisen?" — Wenn wir diesen Winter eine tüchtige Köchin kriegen, nach . . . Marienbad!"
Letzte Nachrichten u. Telegramme
Berlin, 13. Septbr. Aus Braunschweig meldet die „Vossische Ztg.: Die welfischen Parteien erlassen einen Aufruf, in dem ausgeführt wird, es sei die Pflicht der maßgebenden Instanzen des Herzogtums, auf die Aushebung des Bundesratsbeschlusses vom 2. Juli 1885 hinzuwirken. Bis dahin sei Prinz Georg Wilhelm von Cumber- land, event, dessen Bruder Ernst August, der berufene Regent. Jede andere Regelung der Thronfolgefrage sei verfassungswidrig und solle mit allen erlaubten Mitteln bekämpft werden.
Köln, 13. Septbr. Die „Köln. Ztg." meldet folgende heute vom Kaiser in Liegnitz befohlene
Leiter wegzunehmen vergessen. Wenn ihm nun Gatte oder Vater in den Weg träten? Wenn der Liebhaber ihn zur Verantwortung wegen Verlust der Leiter zöge? Eines oder das andere konnte geschehen, vor allem andern aber: er konnte für einen Dieb gehalten werden . . .
Die Lage war wirklich fatal und schwierig über die Maßen.
Auf dem Balkon konnte Heinrich Martin nicht bleiben. Er schlüpfte somit zwischen die beiden geöffneten Flügel der Balkontüre und stand bald in einem engen, aber anscheinend sehr langen Gelaß, einer Art von Corridor. Das ohnehin schwache Licht, das der immer mehr sich mit Wolken bedeckende Himmel herabschickte, wurde in diesem Raume zur dunklen und immer dnnkleren Nacht.
Heinrich Martin gedachte durch diesen Corridor die Haupttreppe des Hauses zu erreichen und schritt sachte vorwärts. Vielleicht konnte er die Haupttreppe herabsteigen, die mit Schlüssel oder Riegel verschlossene Haustüre öffnen und so entkommen, ohne daß ihm jemand im Hause zu Gesicht gekommen. Das wäre dann der beste Ausgang dieser fatalen Geschichte gewesen. . . .
Er tabte vorwärts, aber die vollständige Finsternis, die ihn umgab, begann ihn zu ängstigen. Es roch so modrig. Alles war still. Aber nein — es schien ihm nicht ganz still zu sein. Es ivar, als ob mehrere Personen in seiner Nähe atmeten, ganz leise, um sich nicht zu verraten. Es'durchschauerte ihn. Es war ihm plötzlich zu Mute, als ob diese
Personalveränderungen in der Armee: Der General der Infanterie v. Lindequist und der General der Kavallerie Edler v. d. Planitz wurden unter Belastung in ihren Stellungen zu Generalobersten befördert.
Literarisches.
Gesetz, betr. die Einkommensteuer sür das Königreich Württemberg
von v,-. HH. Skstorivs.
Von diesem Buch liegt nunmehr die zweite, sehr vermehrte und vervollständigte Auflage vor. Das Buch verfolgt einen doppelten Zweck: Einesteils erhält der Privatmann oder Geschäftsmann, oder kurz gesagt, der Steuerzahler Auskunft über das Wesen der neuen Steuer und eine leicht- faßliche Anleitung, ebenso über die zu machenden Steuererklärungen Aassionenl; andererseits ist der Kommentar dem Steuerbeamten ein sicherer Führer in allen Fragen, die bei der Einführung dieses Gesetzes an ihn herantreten werden. — In kurzer, aber praktischer Form sind dem Texte des Gesetzes sür jedermann leichtverständliche Erläuterungen beigegeben, vielfach durch praktische Beispiele anschaulich gemacht. Diese neue Auflage hat aber eine wesentliche Vermehrung erfahren. Dem bisherigen Inhalt, Einkommensteuergesetz und Kommentar, Ausführungsbestimmungen zur Einkommensteuer nebst Kapitalsteuergesetz, sind in der neuen Auflage noch weiterhin beigefügk: die Gesetze über die Grundsteuer, die Gebäudesteuer, die Gewerbesteuer und über die Gemeindesteuern. Bor allem aber wurde dem Kommentar über die Einkommensteuer selbst eine wesentliche Vermehrung zuteil, denn es kouuten die Erfahrungen, die bei der Durchführung der neue« Steuer gemacht wurden, sowie die dabei gewonnenen Ergebnisse in dieser neuen Auflage berücksichtigt werden. So hat der Text der Anmerkungen allein eine Vermehrung von mehr als 3V Druckseiten erfahren. Ein wesentlicher Vorzug dieser neuen Auflage besteht darin, daß die beiden Hauptteile des Buches: das Einkommensteuergesetz mit seinem Kommentar, und die Ausführungsbestimmungen nunmehr in eine enge, den ganzen Stoff einheitlich zusammenfassende organische Verbindung gebracht werden konnten. Die FassionSbeifPiele haben durch Einfügung eines in der bisherigen erprobten Weise behandelten und probemäßig durchgeführten Fassionsbeispiels für eine Aktiengesellschaft eine wesentliche und wichtige Erweiterung erfahren. Bei jetziger Beschwerdezeit ist das Buch für jeden Steuerpflichtigen von großer Wichtigkeit: denn dem Beschwerderecht ist eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet, damit jeder Steuerpflichtige, dem seine Steuerquote nicht verständlich sein sollte, die gewünschte Aufstellung findet. Das steuerpflichtige Publikum aber findet in dem Buche einen sicheren Führer, um ohne Zuhilfenahme die Fassionen in aller Korrektheit auskühren zu können und erhält einen Einblick in das Wesen des Gesetzes und in die Bestimmungen für seine Durchführung. Namentlich sind es die zahlreichen Beispiele und vor allem die Musterfasfionen, die dem Steuerpflichtigen eine große Hilfe sind: es sind darin wohl alle für die Einkommensteuer re. in Betracht kommenden Verhältnisse des täglichen Lebens miteinbezogen. Das Einkommensteuergesetz von Dr. Pistorius ist in 2. Auflage erschienen im Verlag von Otto Maier in Ravensburg und kostet -4t 4.40. — Bestellungen nimmt die Exp. d. Bl. an.
Personen, wie „Igel zusammengekauert, rechts und links von ihm auf dem Boden lägen — oder, wie wenn die Steine des Gemäuers atmeten. Atmende Steine — das ist etwas höchst Unheimliches. Es durchschanerte ihn, es war, als ob es an sein Leben ginge.
„Wie entkomme ich aus diesem Hause?" fragte er sich. „Torheit, zu meinen, daß ich das Tor von innen werde öffnen können! Wäre es zu öffnen — warum wäre dann die Strickleiter dagewesen?"
So sprach Martin und sann nach, was er zu tun habe. Da war ihm, als sähe er aus mäßiger Höhe ein Lichtschimmer, der aus dern Schlüsselloch einer Tür hervorging, sein, wie der Senkfaden einer Spinne.
Seit er von der Vorstellung gefoltert war, es sei etwas Lebendes in der Nähe, das sich vor ihm verberge, schlug sein Herz fieberhaft. Nichts war natürlicher, als der Wunsch, sich aus dieser Lage zu befreien, selbst auf die Gefahr hin, einem Feind zu begegnen. Wenigstens würde er nicht mehr im Finstern Phantome sehen.
Er schritt mit vorgestreckten Armen vorwärts, bis sein Fuß an eine Treppenstufe schlug. Nun begann er emporzusteigen. Eine Stufe und noch eine — sie schienen unter seinen Sohlen zu weichen. Endlich war er oben, auf einem breiten Treppenabsatz.
Der feine Lichtsaden, der aus dem Schlüsselloch ging, war stärker geworden.
Er klopfte leise, ein Entra! scholl ihm entgegen;