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Berlin, 28. Febr. Das Kaiserpaar fuhr heute Morgen beim Chef des Generalstabs der Armee, Grafen Schlieffen vor, um demselben seine Glückwünsche zum 70. Geburtstage zu überbringen. Später hatte der Kaiser eine Besprechung mit dem Reichskanzler Grafen Bülow und hörte von 10 Uhr ab im Schlosse die Vorträge des Reichsmarineamtes und des Chefs des Marine- Kabinetts.
Berlin, 28. Febr. Am gestrigen Hochzeitstage des Kaiserpaares fand bei demselben eine Festtafel statt, zu welcher die Herren und Damen der ehemaligen und der jetzigen Umgebung geladen waren. An die Tafel schloß sich ein Konzert.
Berlin, 28. Febr. Dem „Lokalanzeiger" zufolge wurde auf der letzten Bundesratssitzung beschlossen, daß sich Mitglieder der Reichstagskommis- fion zur Vorbereitung über das Gesetz betreffend die Phosphorzündwaren einem von ihnen geäußerten Wunsche entsprechend auf Reichskosten nach Kassel begeben sollen zur Besichtigung und Prüfung der von einer dortigen Fabrik erfundenen Zündmasse, deren Patent das Reich erwerben will, um es den deutschen Zündholzfabrikanten kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Inzwischen sind die Kommissionsmitglieder auch in Kassel eingetroffen und besichtigten die Zündholzfabrik in Bettenhausen.
Berlin, 28. Febr. Die in voriger Woche verhafteten Anarchisten werden des Verbreitens verbotener anarchistischer Schriften beschuldigt. Der Anarchist Röhr bleibt in Haft. Es haben bereits mehrere Vernehmungen durch den Untersuchungsrichter stattgefunden. — An Stelle des durch die Flucht des Herausgebers eingegangenen Anarchistenblattes „Freiheit" wird vom 1. März ab in Düsseldorf ein neues Anarchistenblatt erscheinen.
Berlin, 28. Febr. Nach einer Wiener Meldung der „Berliner Morgenpost" erhielten Fürst Ferdinand und die bulgarische Regierung sehr beunruhigende Nachrichten aus dem Innern Mace- doniens. Man befürchtet, die Türkei werde unter dem Schutz des Wiener und Petersburger Kabinets, welche ihre Rüstungen billigen, einen energischen Vorstoß gegen Makedonien unternehmen. Die Parole laute, daß die Macedonier ausgerottet werden müßten.
Berlin, 28. Febr. Aus London meldet der Lokalanzeiger: Der Sturm, welcher Donnerstag und gestern über ganz England dahinraste, stellt sich erst jetzt als einer der furchtbarsten und heftigsten seit vielen Jahren heraus. Der Orkan hat sämtliche Haupt-Telegraphenlinien iw Norden Englands zerstört, so daß die telegraphische Verbindung des größten Teiles von England und von ganz
Schottland mit London völlig unterbrochen ist. Der Schaden beläuft sich auf viele Millionen Mark. Zahllose Dächer und Schornsteine, Kirchtürme, elektrische Drähte wurden niedergeblasen und viele Menschen verloren unter den herabstürzenden Trümmern ihr Leben. Auch von allen Küsten werden zahlreiche Schiffsunfälle berichtet. Ein sensationeller Unfall betraf den Schnellzug auf Carnforth, als er gestern früh um 4 Uhr auf der Brücke über den Leven bei Ulverston fuhr. Der Sturm raste mit erschreckender Gewalt und der Führer mäßigte das Tempo, als er plötzlich ein Hindernis auf den Schienen bemerkte, welches sich als ein herabgerissener Telegraphendraht erwies. Der Zug wurde zum Stehen gebracht und hatte kaum angehalten, als eine Windsbraut sämtliche acht Personenwagen umstürzte und auf das Nebengeleise der Brücke warf. Die nun folgenden Szenen in der Finsternis spotteten jeder Beschreibung. Die Passagiere versuchten ans den Fenstern herauszuklettern, konnten sich aber im Sturm nicht aufrecht halten. Ungefähr 30 Personen sind verletzt, zum Teil schwer. — Ferner wurde die Menai-Hängebrücke schwer beschädigt. — Jn Holyhead ist eine ganze Kirche von ihren Fundamenten weggeblasen und in Trümmer gelegt worden. Die Hiobsposten mehren sich noch mit jedem neu eintreffenden Zuge.
Berlin, 1. März. Nach einer Wiener Depesche der Morgenpost dürfte in Lindau die vollständige Aussöhnung der Prinzessin Louise mit ihrer Mutter erfolgen, wozu Kaiser Franz Josef seine Zustimmung erteilt habe. Prinzessin Louise bleibt bis zu ihrer im Mai erfolgenden Entbindung in der ihrem Vater gehörigen Villa am Bodensee. Ihre Dienerschaft wird vom toscanischen Hofe gestellt.
Wien, 26. Febr. Als der Kaiser heute Nachmittag aus der Stadt nach Schönbrunn fuhr, ereignete sich in Meidling ein Unfall, der ohne weitere Folgen verlief, aber großes Aufsehen erregte und zu übertriebenen Gerüchten Anlaß gab. Ein junger Mann, der zu Rad war, kam unmittelbar vor dem Wagen des Kaisers zu Fall. Die Hof- cauipage überrollte mit dem Räderpaar einer Seite den Gestürzten und verletzte ihn. Der Radfahrer, ein Agent Namens Karl Stuckheil, war mit dem Radreifen in die Schiene geraten. Er stürzte und sank rücklings vom Rade. Im nächsten Augenblick fuhr der Hofwagen über die Beine des Mannes hinweg. Wie die Leute den Unfall schildern, sind die elastischen Gummireifen an den Rädern des Hofwagens förmlich über den gestürzten Radfahrer hinweggesprungen, woraus sich erklären läßt, daß der Verunglückte nicht ernstlich verletzt wurde. Um den Verunglückten hatten sich indeß Leute angesammelt, die ihm aufhalfen. Der Kaiser hatte den
, Nachdruck verboten.
Aus -er Jagd nach Zechsigtausend.
Von Thorwald Bogsrud.
Erzählung eines Privat-Detektivs-
Einzig autorisirte Uebersetzung aus dem Norwegischen von Friedrich v. Känel.
(Fortsetzung.)
„Nun, Herr Bühring," sagte Hell zu dem gefesselten Verbrecher gewendet, „jetzt sehen Sie wohl, daß es nichts nützt. Hier sind Beweise genug."
„Dieses Geld gehört nicht der Bank, ich bin auf andere Weise zu demselben gekommen," stöhnte Bühring.
„Leugnen nützt Ihnen nichts mehr. Dieses Geld nehme ich jedenfalls mit und übergebe es nebst dem Beweismaterial den norwegischen Behörden. Ihren Mitschuldigen werden wir wohl auch finden."
„Teufel, tun Sie. was Sie wollen, ich leugne alles!
„Ihre alte Taktik nützt Ihnen diesmal nichts. Sie scheinen zu vergessen, daß Sie, wenn ich Sie wegen Ihres heimtückischen Mordversuches unter Anklage stellen lasse, wieder in Ihre alte Wohnung spazieren müssen, und zwar, auf bedeutend längere Zeit wie zuletzt. Und Sie haben wohl so viel erfahren, daß Sie wissen, was acht und zehn Jahre Strafarbeit zu bedeuten haben."
Bühring brach in ein lautes, verzweifeltes Weinen aus.
Die Erinnerung an die fürchterlichen Nächte im Gefängnis und der Schrecken vor einer Wiederholung derselben, stürmten auf ihn ein. „Tun Sie das nicht, Herr Hell," bettelte er, „ich bitte Sie auf den Knieen, tun Sie das nicht! Sie würden meinen Tod auf Ihrem Gewissen haben!"
Hell sah ihn verächtlich an. „Meinen Sie, daß Sie eigentlich eine bessere Behandlung von meiner Seite.verdient haben?"
„Nein," antwortete der Unglückliche, „das weiß ich wohl; aber Sie ahnen kaum, zu was ein Mensch getrieben werden kann, wenn er einmal auf Abwege geraten ist."
„Sie gestehen also, daß das Geld, das Sie besitzen, Eigentum der Bank ist?"
Bühring zögerte noch. Es war leicht zu sehen, daß er den letzten entscheidenden Kampf mit sich selber kämpfte.
„UebrigenS will ich Ihnen zum letzten Mal sagen", — Hell sprach in einem
Wagen verlassen und ging der Unfallstelle zu, erfuhr aber von dem ihm entgegenkommenden Leibjäger, daß der Ueberfahrene mit leichten Contusionen glücklich davongekommen sei, und setzte dann die Fahrt fort. Im Laufe des Nachmittags ließ sich der Kaiser um das Befinden des Verunglückten erkundigen.
Brest, 28. Febr. Der englische Dampfer „Ottercas" ist sechs Meilen von der Küste in der Nähe von Ferntenot gesunken. Von der Besatzung wurden bisher 7 Leichen aufgefischt. Es wird befürchtet, daß die ganze aus 30 Mann bestehende Besatzung ertrunken ist.
London, 27. Febr. Die heftigen Stürme der letzten Tage, die sich augenblicklich noch zu steigern scheinen, haben wieder einige Schiffbrüche zur Folge gehabt. Dabei scheint es glücklicherweise ohne Verlust an Menschenleben abgegangen zu sein. Der Londoner Dampfer „Woolwich", ein Schiff von 3258 Tons, wurde vor Flushing von dem holländischen Oeltankdampfer „Newyork" in der Nacht von Mittwoch zu Donnerstag tatsächlich in zwei Hälften geschnitten. Die Maschinisten und Heizer des Dampfers entkamen nur mit knapper Not. Die beiden Schiffshälften sanken sofort, doch gelang es der Newyork die ganze Mannschaft von 25 Köpfen zu retten. Die Newyork selbst war am Bug schwer beschädigt. — Die Hafenschlcpper von Swansea schleppten gestern den unlenkbaren Dreimaster Allegro ein. Am Mittwoch hatten bereits zwei Rettungsboote dem Schiff ihre Hilfe an- geboten, aber der Kapitän hatte jeden Beistand abgelehnt. — Der Dampfer „Renwick" von Newcastle strandete bei Falmouth. Die Mannschaft wurde mit dem Raketenapparat gerettet. — Ein anderes Telegramm meldet: Ein heftiges Unwetter richtete in der vergangenen Nacht in London und Umgebung beträchtlichen Schaden an. Die telegraphische Verbindung ist in London und Nordengland unterbrochen. Nach dem Festland gerichtete Sendungen wurden verzögert. Der Dampfer von Vlisstngen kam in Quensborough mit 1'/- Stunden Verspätung an. Mehrere Schiffe sind gestrandet.
vermischtes.
Rettung schiffbrüchiger Chinesen. Von dem in der indisch-chinesischen Küstenfahrt beschäftigten Norddeutschen Lloyd-Dampfer „Deva- wongse" wurden auf der Reise im Januar d. I. 96 Insassen einer im Sinken begriffenen chinesischen Dschunke unter schwierigen Verhältnissen glücklich gerettet. Der Führer des Dampfers, Kapitän Kümpel, berichtet über die Rettung wie folgt: „Dampfer „Devawongse" verließ am 9. Januar 1903 den Hafen von Ang Hin. Es hatte
schneidend kalten Ton> „daß nur ein vollständiges offenes Geständnis Sie möglicherweise retten kann."
„Ja", antwortete Bühring endlich, „ich gestehe."
„Wollen Sie Ihr Geständnis niederschreiben, so werden die Herren hier dasselbe als Zeugen unterschreiben."
Bührin« nickte und begann zu schreiben. Als er fertig war und nachdem Hell es durchgelesen hatte, Unterzeichneten die anwesenden Herren mit Namen.
Es war, wie Hell verlangt hatte, ein unbedingtes Geständnis ohne Umschweife.
Bühring erzählte, daß er durch einen Zufall mit dem Geheimnis hinsichtlich des Ziffernschiufses bekannt geworden sei und in einem unbewachten Augenblick das Geld gestohlen und sich darauf mit einem schlauen Oberländer, den er kannte und dem er vertrauen zu können glaubte, in Verbindung gesetzt batte.
Dieser Mensch, ein Händler aus Hallingdal, der Michel Klatteklsiv hieß, hatte das Geld zur Aufbewahrung erhalten, natürlich mit dem Versprechen einer erheblichen Belohnung, und hatte darauf an Bühring, nachdem derselbe seine Strafe abgesefsen, im Ganzen 42,000 Kronen gesandt.
Fünftausend waren schon verbraucht, dank Miß Florina, und die übrigen 17—18,000 hatte der schlaue Hehler für gut befunden auf eigene Rechnung zu behalten.
„Aber die zwei Karten, die er Ihnen sandte, was hatten die zu bedeuten?"
„ Das war seine Adresse. Wir hatten im Voraus eine Zeichensprache abgeredet."
„Wie heißt seine jetzige Adresse? Die Bank muß auch dieses Geld wieder haben."
„Die weiß ich nicht. Sein letzter Brief enthielt natürlich keine Adresse."
„O ja," antwortete Hell, „Norwegen ist aber nicht so groß, daß wir ihn nicht zu finden wissen werden."
Bühring beachtete gespannt jedes Mienenspiel im Gesichte Hells. Vom Belieben desselben hing nun Leben und Tod für ihn ab.
„Und ich", bemerkte er endlich zögernd, „was soll aus mir werden?"
„Vorläufig müssen Sie hier mit Untersuchungsarrest vorlieb nehmen, bis ich mir die Gewißheit verschafft habe, daß die Angabe hinsichtlich Ihres Mitschuldigen richtig ist. Ich hoffe, daß der Herr Polizeikommissär nicht zu hart gegen Sie ist." Die letzten Worte sprach er deutsch, und der alte ernste Polizeimann nickte verständnisvoll und einwilligend.
„Und nachher werde ich Ihnen noch eine Gelegenheit geben, ein für die Gesellschaft nützlicher Mensch zu werden." Hell entnahm seiner Brieftasche eine Fünfhundertmarknote.